FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

So wurde das beste Kriegsspiel des Jahres gemacht

Wir haben mit den Entwicklern gesprochen, die in den Original-Schützengräben des 1. Weltkriegs unterwegs waren, um das Spiel so stressig wie die Wirklichkeit zu machen.

Ein Screenshot aus Valiant Hearts

Im bisher wohl besten Kriegsspiel des Jahres wird nur sehr wenig geschossen, es enthält auffallend wenig Blut und Gemetzel und du wirst nie für einen perfekten Kopfschuss belohnt. Valiant Hearts ist ein rätselbetontes Spiel, das während des 1. Weltkriegs spielt (der komplette Name lautet Valiant Hearts: The Great War) und in dem vier eng zusammenhängende Charaktere dazu benutzt werden, um eine schlüssige Geschichte von schrecklichem Verlust zu erzählen, der schrittweise Platz für kleine Hoffnungsschimmer macht. Das Ganze ist eine wunderschöne Sichtweise auf ein fürchterliches Horrorszenario.

Anzeige

Das Spiel wurde von Ubisoft veröffentlicht, von Ubisoft Montpellier entwickelt und verwendet das gleiche UbiArt-Framework, das auch schon in zwei Rayman-Spielen, bei Origins, bei Legends und beim sehr kurzen, aber spaßigen Rollenspiel Child of Light eingesetzt wurde. Valiant Hearts wurde im Juni für alle gängigen Konsolen und für den PC rausgebracht und seit dem 4. September können iOS-User ebenfalls in den Genuss des Spiels kommen, da es an diesem Tag für Apple-Geräte veröffentlicht wurde.

Aus Anlass dieser Erweiterung, für die das Steuerungssystem des Spiels komplett neu gestaltet wurde, sprach ich mit Ubisoft IP-Entwicklungsleiter Adrian Lacey und Yoan Fanise, dem Audio-Director von Valiant Hearts, um mehr über die Entstehung von einem der fesselndsten interaktiven Dramen des Jahres zu erfahren.

VICE: Der Erste Weltkrieg wird in der Welt der Videospiele eher stiefmütterlich behandelt. Für die Menschen, die damals direkt von dem Krieg betroffen waren oder deren Familienmitglieder an die Front mussten, bedeutete er eine Zeit voller Verlust und Schmerzen. Wie seid ihr mit dieser Tatsache umgegangen, ohne respektlos zu wirken oder sie herunterzuspielen?
Adrian Lacey: Es ist wirklich schwierig, den Ersten Weltkrieg zu einem Spiel zu machen. Wenn man ihn in einen reinen Shooter verwandelt, dann wäre das schrecklich—ein Schuss, ein Toter, und das dann die ganze Zeit. Das machte uns wirklich Sorgen, weil der Krieg so brutal und aggressiv war. Deswegen haben wir uns stattdessen für diese andere Herangehensweise entschieden und wollten den Konflikt aus der Sichtweise der betroffenen Leute betrachten—also wie es ihnen damals erging und wie sie diese Erfahrung überlebten.

Anzeige

Wir haben die Waffen und das Schießen zum Großteil ganz aus dem Spiel herausgenommen. Wir wussten nicht, wie die Leute darauf reagieren würden, weil wir im Grunde gleichzeitig eine Liebes- und eine Kriegsgeschichte erzählen. Aber die Emotionen im Spiel—vom Aussehen bis hin zum Sound—sind wirklich atemberaubend und ich habe auch schon Leute gesehen, die beim Spielen zu Tränen gerührt waren. Ich bin froh, dass sie so den Krieg mal von einer anderen Seite sehen—in den meisten anderen Spielen wird er ja nicht so dargestellt.

Ich glaube, dass der Comic-Stil dabei hilft, die nötige Trennung zwischen den Gegebenheiten der damaligen Zeit und der Tatsache, dass es sich immer noch um ein Videospiel handelt, zu machen. Die Geschehnisse des Spiels sind schrecklich, aber wegen dem Look kann man von diesen lernen, ohne dass sie—wie soll ich sagen—befremdlich wirken.
Der Stil war von Anfang an eine Grundlage für alles, was danach noch kommen sollte. Unser Art-Director Paul Tumelaire nahm sich des Aussehens an und erschuf einen Stil, der sowohl etwas Comichaftes als auch etwas Dunkles an sich hat. Deshalb war es uns möglich, den Krieg auf eine ernste, aber gleichzeitig irgendwie auch auf eine eigene Art und Weise zu thematisieren. Damit haben wir meiner Meinung nach die Leute, die den Krieg erlebt haben, weiterhin respektvoll behandelt und im gleichen Zug das ganze Thema zugänglich gemacht.

Manchmal hatten wir auch Zweifel, aber uns wurde klar, dass selbst in den schlimmsten Zeiten des Kriegs die Leute immer noch Glück empfanden, sich verliebten und Spaß hatten. Sie vertrieben sich die Zeit mit Spielen und haben einfach gelebt—diese Momente des Glücks können durch die Dokumente belegt werden. Das hat uns auch dabei geholfen, unsere Balance zu finden.

Anzeige

Du redest von Dokumenten—beim Erschaffen des Spiels habt ihr viele Nachforschungen angestellt, oder? Euer Team hat sich auch mit Artefakten aus dieser Zeit beschäftigt, die für euch eine besondere Bedeutung haben, richtig?
Es war auf jeden Fall von Vorteil, dass auch Leute in unserem Team waren, deren Familien den Krieg durchlebt haben—so konnten wir direkt auf relevante Geschichten zurückgreifen und das gab uns das Gefühl, hier nichts zu trivialisieren. Wir haben richtig viel Zeit in die Recherche gesteckt—wir sind zum Beispiel zu den französischen Gräben der Westfront gefahren und haben mit so vielen Leuten geredet. Wir haben richtig viele Infos und Daten gesammelt und normalerweise ist es nicht so einfach, in einem Spiel das unterzubringen, was man als Entwickler beim Prozess gelernt hat. Hier haben wir den Spieß aber umgedreht: Wir haben die ganzen Informationen ins Spiel gepackt, damit der Spieler genau soviel lernt wie wir.

Einige Kritiker sagen, dass bestimmte Teile der Story, vor allem schreckliche Details, ihren Spielspaß gestört haben. Ich empfand das nicht so. Ich fand es sogar richtig gut, mehr darüber zu lernen, was die Charaktere durchmachen—die Realität hinter der von euch erschaffenen Welt. Das britische Magazin Metro nannte es zum Beispiel „unbarmherzig“, aber ich fand es gut, wie einem die Fakten dargelegt werden, um das Gesamtbild zu sehen.
Das ist immer ein schmaler Grat, denn manche Spieler wollen nicht das Gefühl haben, dass sie etwas lernen. Sie wollen einfach nur unterhalten werden und das ist auch völlig OK. Bei diesem Spiel haben wir uns sehr auf die emotionale Erfahrung konzentriert, und die ist nunmal mit den Fakten aus dieser Zeit verbunden. Ich glaube nicht, dass sich die geschichtlichen Informationen in den Levels zu sehr aufdrängen—man wird ja nicht gezwungen, sich diese durchzulesen, das ist optional. Beim Erschaffen des Spiels war es niemals unsere Absicht, solche Dinge zu sehr in den Vordergrund zu rücken oder sie irgendjemandem aufzuzwingen.

Anzeige

Ich finde aber auch, dass es wichtig ist, zu verstehen, warum zum Beispiel auch 30.000 Hunde an der Front waren. Solche und andere Informationen sind doch interessant. Wir dachten uns, dass viele Leute vielleicht sowieso nach den Inhalten des Spiels googlen würden, also warum sollte man die Fakten nicht direkt einbauen? Sie sind Teil des Gesamtpakets und ergänzen die Story. So lernt man beim Spielen ganz nebenbei noch etwas dazu.

Ein Mitglied von Ubisofts IP-Team bei den Aufnahmen in den Gräben

Neben dem Grafikstil ist vor allem die Geräuschkulisse sehr außergewöhnlich. Meiner Meinung nach ist sie wohl der beeindruckendste Aspekt des ganzen Spiels—ich glaube, dass noch nie zuvor ein Kriegsspiel so schrecklich geklungen hat—wenn ihr versteht, was ich meine.
Yoan Fanise: Wir wollten eine umfassende Soundkulisse schaffen, die den Spieler im Grunde direkt in die Gräben bringt. Durch die Augenzeugenberichte von Soldaten haben wir in Erfahrung gebracht, dass der Moment des Angriffs sehr brutal und oft ziemlich überraschend war: schreckliche Szenarios voller Maschinengewehrfeuer, Explosionen und Schmerzens- und Angstschreien. Unsere Absicht war es, die menschlichen Gefühle während des Kriegs durch Schreie und Musik auszudrücken, die dem Spieler im Gedächtnis bleiben. Deshalb haben wir viele Schreie des Entwicklerteams aufgenommen. Wir haben die Teilnehmer wirklich an ihr Limit gebracht, bis an den Punkt, an dem sie sich wirklich vorstellen sollten, dass sie gerade eine Kugel abbekommen haben und deswegen vor Schmerzen schreien.
Adrian: Das Team begab sich in die Gräben, um dort Sachen aufzunehmen. Wir haben auch mit der französischen Fremdenlegion zusammengearbeitet und deren Archivmaterial durchforstet. Wir haben den Aspekt der Soundkulisse wirklich sehr ernst genommen. Nicht alle Waffen sind heute noch im Einsatz und wir wären vielleicht in Schwierigkeiten geraten, wenn wir die jetzt noch verwendeten Gewehre absichtlich abgefeuert hätten.

Anzeige

Diese Herangehensweise an die Geräuschkulisse lässt sich auch bei der Musik wiederfinden, oder?
Yoan: Da ich im Audiobereich tätig bin, ließ ich alle Spieldesigner die von mir ausgewählten Tracks anhören, um dabei zu helfen, die Grundstimmung der spielbaren Sequenzen festzulegen. Das war zusammen mit den Originalfotos von den im Spiel nachgebildeten Orten und Ereignissen sehr ergiebig im Bezug auf das Ausdenken von Spielsituationen, die zu der Story und den Gedanken der Charaktere in diesen Momenten passen.

Bei der Auswahl der Musikstücke musste ich beachten, dass sie tiefe Emotionen widerspiegeln müssen, also war reine Hintergrundmusik nicht wirklich interessant. Wenn man Musik in ein Spiel einbaut, dass muss diese auch eine Bedeutung haben. Ich hasse es, wenn Musik nur zur Berieselung oder zur Vermeidung von Stille da ist. Im richtigen Moment kann Stille mehr ausdrücken als alles andere.

Wie war das, also zu Recherche-Zwecken durch die Gräben zu gehen, die auch wirklich im Ersten Weltkrieg benutzt wurden?
Adrian: Das Verrückteste daran sind mit Abstand die kurzen Distanzen. Du stehst in einem Graben und dann sagt jemand zu dir: „Da drüben befindet sich der deutsche Graben.“ Und der ist dann nur einen Steinwurf entfernt, also ganz nah. Das will dir gar nicht in den Kopf, dass diese Leute eigentlich so nah beieinander waren und über- und untereinander die Gräben geschaufelt haben. Stell dir nur mal vor, wie das gewesen sein muss: Du bist ganz still und kannst dann hören, über was auch immer die Typen im gegenüberliegenden Graben gerade reden.

Anzeige

Ebenfalls total abgefahren war die Größe der Gräben. Die Deutschen waren ziemlich gut organisiert. Sie haben die Gräben ganz tief und breit gebaut und haben darin dann auch Stockbetten und so weiter untergebracht—sie haben wirklich hart gearbeitet, um ihre Gräben erträglich zu machen. Die Alliierten-Gräben waren da schon eher provisorisch und sehr niedrig gehalten. Wenn du größer als 1,65 Meter warst, musstest du ständig gebückt durch den Schlamm laufen und über Leichen steigen. Das war auf keinen Fall eine angenehme Erfahrung.

Unser Führer hat uns auch die Orte gezeigt, an denen hunderte Leichen gestapelt wurden—diese befanden sich direkt neben den Unterkünften der Soldaten. Unsere Gruppe bestand aus ungefähr 20 Leuten und es ging da schon sehr eng zu. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man in so einer Umgebung jahrelang leben konnte. Diese Erfahrung werden wir alle unser Leben lang nicht vergessen.

Während dem Spiel schlüpft man in die Haut eines Franzosen, eines Deutschen, eines Belgiers und eines Amerikaners und man bekommt Luftunterstützung von einem Briten. Bei mir entsteht dadurch der Eindruck, dass ihr bei Valiant Hearts niemandem die Rolle des Guten und niemandem die Rolle des Bösewichts zuteilt. Es gibt in dem Spiel auch schlechte Leute, aber letztendlich müssen beide Seiten leiden.
Adrian: Den Krieg gewinnen historisch gesehen normalerweise die Guten—egal, ob sie nun wirklich die Guten waren oder nicht. Beim Ersten Weltkrieg gab es nicht wie beim Zweiten Weltkrieg diese genaue Unterteilung in gut und böse. Die Grenzen waren da ziemlich verschwommen. Damals lief die Kommunikation nur sehr schlecht: Es konnte auch vorkommen, dass eine Nachricht zu spät ankam und sich deswegen schon 100.000 Soldaten in die Schlacht gestürzt haben und gestorben sind. Es war dabei egal, welcher Seite du angehörtest, da tausende Leute betroffen waren. Die Meisten wussten dazu nicht mal, was sie da eigentlich machten oder wohin es ging—ihnen wurde nur gesagt, dass sie an einem bestimmten Ort sein müssen.

In vielen der von uns gefundenen Dokumente aus dieser Zeit wird davon berichtet, dass Familien auseinander gerissen wurden, denn viele Kämpfe fanden in Grenzgebieten statt, wo multinationale Familien lebten. Ein Deutscher mit einer französischen Ehefrau wurde eingezogen und musste dann weit weg von ihr gegen ihre Landsmänner kämpfen. Das ist auch die Geschichte des Spielcharakters Karl, er wird von seiner Frau und seinem Kind weggerissen. Wir haben so viele ähnliche Geschichten gefunden. Und die echten Personen, die sich am Krieg beteiligen mussten, wussten nicht immer genau, warum sie da jetzt kämpften—solche Informationen wurden ihnen nicht mitgeteilt. Sie sollten einfach nur ihren Job erledigen. Und was passierte dann? Sie wurden erschossen. Sie wurden bei ihrer Arbeit getötet—und wenn sie sich weigerten, dann erschoss man sie ebenfalls.

Es hat den Anschein, als hätten wir aus dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und den Kriegen danach nichts gelernt. In jeder Nachrichtensendung wird täglich von einem Krieg berichtet. Irgendwo auf der Welt richtet genau in diesem Moment jemand seine Waffe auf eine andere Person, die er als Feind ansieht. Das macht einen richtig wütend, dass wir bis jetzt einfach keinen besseren Weg gefunden haben, oder?
Ich fände es toll, wenn die Leute unser Spiel spielen und es sie irgendwie erkennen lässt, wie dumm diese Art Krieg ist. Karl ist im Spiel zwar der Deutsche, aber er hat am Krieg keine Schuld, er wurde da einfach nur mit reingezogen. Er hat genauso verloren wie der Franzose Emile oder der Amerikaner Freddie. Jeder verliert etwas, es gab keine Gewinner.

Ich hoffe, dass unsere Generation, für die eine weltweite Kommunikation auch kein Problem mehr darstellt, vielleicht eine Veränderung initiieren kann. Die Grenzen haben sich verschoben und die Nachrichtenübertragung wurde immens vereinfacht. Das Erschaffen von solchen Spielen kann sicher auch seinen Teil beitragen. Vielleicht kann es jemanden zu einem Umdenken inspirieren. In der Vergangenheit habe ich schon traditionelle Shooter gemacht und versteht mich jetzt nicht falsch, denn ich mag diese wirklich, aber es ist auch schön, diese andere, emotionalere Seite des Videospielens zu zeigen, mit der auch andere Botschaften übermittelt werden. Wir hatten echt Glück, dass sich uns hier die Möglichkeit bot, etwas Anderes als die üblichen Blockbuster-Spiele zu machen. Wenn das Ganze gut ankommt, dann wird es uns auch möglich sein, noch weitere unterschiedliche Dinge auszuprobieren.