FYI.

This story is over 5 years old.

Sex

Schwanger, Woche 16: Die großen Fragen: Wird mein Kind behindert? Und wie nimmt man nüchtern vom Stammbeisl Abschied?

Statt einem kühlen Gintonic sprudelt derzeit Magnesiumbrause in meinem Glas und ich musste mich schweren Herzens von meinem Stammbeisl verabschieden. Ich fühle mich sehr erwachsen.

Kann schon sein, dass ich zu viele Horrorfilme gesehen habe, aber diese Embryos haben mich im Wartezimmer bedrohlich angesehen. Schwöre!

Früher hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn für eine Nacht des Exzesses einfach so ein schwer erarbeiteter Hunderter zerrann und man nächstentags dafür an bleibenden Werten nur eine zerknautschte Taxirechnung und Schädelweh vorweisen konnte. Derzeit gebe ich den Hunderter stattdessen für den so genannten „Nackenfaltentransparenztest“ aus. Keiner traut ihn sich „Ich-will-wissen-ob-mein-Kind-behindert-wird-Test“ nennen. Danke der Nachfrage, die Nackenfalte ist schlank. Eine Behinderung kann aber nur mit noch mehr Untersuchungen für Geld hundertprozentig ausgeschlossen werden und nein, bei dem Geschäft mach ich nicht mit, ich lass mir keine Panik verkaufen.

Anzeige

Statt einem kühlen Gintonic sprudelt derzeit abends Magnesiumbrause in meinem Glas, weil ja, Frau Adler plagen dank Schwangerschaft morgens Krämpfe im Bein, ich sage euch, Brausepulver ist einer Frau von Welt nicht würdig.

Letzens aber musste ich mich an eine heilige Stätte der Nacht begeben, die ich in 15 Jahren nicht nüchtern aufgesucht habe, weil warum: Es hieß, sich würdig zu verabschieden. Die Chefin des Absacker-Lokals ging in Pension. Die Evelyn. Ihr Beisl war für Außenstehende leicht zu übersehen. Man wurde nur eingelassen, wenn man für vertrauenswürdig erachtet wurde und hatte dann für viele schöne Stunden ein Obdach, während es draußen langsam fürchterlich hell wurde. Man konnte all die sagenhaft wichtigen und klugen Gespräche führen, die um diese Uhrzeit so relevant erscheinen, kleine Biere und Avernas trinken, aber auch vom guten Gin. Man knutschte und stritt sich, während nebenan einer auf der Theke einschlief, und sich im Laufe der Jahre das Leben um einen herum änderte. Zur Evelyn konnte man verlässlich kommen, auch wenn es einen zwischendurch vom Hocker prackte. Und anschreiben lassen durfte man auch.

Die Evelyn kann man sich in etwa so wie Tura Satana aus „Faster, Pussycat, Kill! Kill!“ von Russ Meyer vorstellen, halt die späte Tura, Ende 50 und hinter der Schank die halbe Nacht mit Stammgästen am Würfeln. Ihr Beisl bevölkerten ab 20 Uhr freundliche Langzeitarbeitslose, bezirksweit bekannte Musiktalente und andere schlaflose Gestalten (nicht immer leicht zu unterscheiden). Die großen Zeiten des Lokals, so es sie gab, lagen schon eine Weile zurück. Evelyns ebenfalls sehr legendärer und lieber Gatte durfte wegen kettenrauchbedingter Krankheit schon seit einigen Jahren nicht mehr hier arbeiten.

Anzeige

Foto: jima via photopin cc

Wenn man bei der Evelyn einfiel, tat man nächstentags immer so, als plage einen das schlechte Gewissen. Aber die Wahrheit ist: Man war immer gerne hier. Auch wenn sich beim Heimkommen das Schloss den Aufsperrversuchen oft vehement entziehen wollte. Die legendären Gespräche banal klangen. Und die Kleidung so roch, als ob waschen längst nicht mehr reichen würde, allenfalls verbrennen.

Eine Frau also, bei der man ordentlich vorstellig werden muss, um sich zu verabschieden. Ich gab mir also alle Mühe, nicht schon wieder schwangerschaftsmüde um 22:00 Uhr einzuschlafen (da sperrt sie nämlich erst auf) und machte mich auf den Weg.

Das Beisl war leer, die letzten Stammgäste kamen nicht mehr, als es ans Zusperren ging. Sie wussten wohl nicht, wie mit dem Heimatverlust umgehen. Ich trank Tonic ohne Gin. Sie erzählte mir, was sie mit ihrer kleinen Pension nach 30 Jahren Gastro so vorhat. Ich erzählte ihr vom zu erwartenden Zuwachs. Sie von ihrem verlorenen Kind, damals, vor 27 Jahren. Wir rauchten in trauter Einigkeit ein, zwei Zigaretten. Drei Stunden vergingen wie im Flug. Wir logen uns nicht vor, dass wir uns wiedersehen würden. Wir hatten beim Abschied glänzende Augen, aber keine weinte. Sie legte mir ganz kurz die Hand auf den Bauch und es war würdig und recht. Ich habe noch dreimal zu Tür reingewunken, die sie hinter mir zusperrte. Und dann ging ich heim. Schnurgerade. Zwischen lauter freundlichen Zombies, die trunken über die Bande die nächtliche Straße heimwankten. Ich kam mir sehr erwachsen vor. Und eine Ära ging sang- und klanglos zu Ende.