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Mit einem Niqab durch Wien

Ich bin mit einem Niqab Autodrom gefahren und wurde dabei von Kindern terrorisiert. Aber ansonsten war mein Tag sehr lehrreich.
Header: Xenia Z.

Letzten Sommer setzte sich die FPÖ für ein Burka-Verbot in Österreich ein. Ich weiß noch, dass ich zu der Zeit einmal mit einer Freundin im Auto saß und Nachrichten hörte. Eigentlich sind wir beide wie Thelma und Louise, nur emotional stabiler. Doch an jenem heißen Nachmittag lieferten wir uns ein so lautes Wortgefecht, dass die zwei koreanischen Bekannten am Rücksitz sich sofort schlafend stellten.

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Meine Freundin war anti Burka und ich pro. Obwohl wir uns zum Glück nicht zerstritten haben, waren wir uns sehr uneinig. Ich persönlich bin ja so unpolitisch wie es Ron Swanson gern wäre. Und da ich mir dieses Stigmas bewusst bin, halte ich mich bei politischen Fragen generell sehr zurück. Doch wenn ein Thema so involvierend ist, dass sogar ich darüber diskutiere, dann wird es wahrscheinlich bei anderen auch starke emotionale Reaktionen hervorrufen.

Nachdem ein deutscher Kollege mit einer Kippa durch Berlin gelaufen ist und ganz überrascht war, dass kaum etwas passiert ist, wollten wir uns ebenso positiv von den Wienern überraschen lassen. Zwei Studentinnen haben sich des Experiments angenommen. Eine trug einen Niqab, ein Schleier, der das Gesicht bis auf die Augen verhüllt, und die andere fotografierte. Wir haben die Erlebnisse in ihren Worten niedergeschrieben.

Auf das Experiment, mit einem Niqab durch Wien zu laufen, habe ich mich schon lange gefreut, aber nun ist mir ziemlich mulmig zumute. Da ich noch nie Opfer irgendeiner Diskriminierung wurde, frage ich mich natürlich, wie es sein wird, einen Tag lang einer Minderheit anzugehören—besser gesagt dem Teil der Minderheit, der seine religiöse Seite nach außen trägt.

Aber bevor ich mir darüber den Kopf zerbrechen kann, ob es für mich genauso schlimm wäre, für Bibel und Jesus zu werben, kommt schon das erste Problem auf: Was ziehe ich unter den Niqab an? Draußen hat es fast schon sommerliche Temperaturen und ich bekomme Panik, dass ich an einen Hitzetod sterben werde, egal was ich darunter anhabe. Und das mit den Schuhen ist auch so eine Sache. Ich entscheide mich schließlich für Ballerinas mit Socken, was zwar nicht ganz mein Stil ist, aber zumindest nicht so auffällig, dass alle auf meine Füße starren. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke in den Kopf, dass mich jemand enttarnen könnte.

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Vor der Uni entdecken wir ein Plakat, mit der Aufschrift, „Muslime und Flüchtlinge Willkommen!" und auch wenn ich keine Muslimin bin, fühle ich mich in der Sekunde wohler.

Doch ich hätte noch nie gesehen, dass einer verschleierten Frau der Niqab heruntergerissen wurde, nur weil sie nicht arabisch genug ausgesehen hat. Ich streife den Schleier über und es ist gar nicht so warm, wie ich dachte, sondern fühlt sich unerwartet leicht an - wie ein langes Kleid. Lustigerweise komme ich mir nun sehr grazil vor und auch meine Kollegin bestätigt, dass ich mich femininer bewege.

Als wir endlich hinausgehen, klopft mein Herz bis zum Hals. Alles was mir lebenslang eingetrichtert wurde, stelle ich mit dieser Veränderung auf den Kopf. Und es könnte sogar sein, dass ich es nicht einmal als bedrückend und einengend empfinde, sondern mich wohlfühle. Das würde mein ganzes Selbstbild durcheinander werfen, schließlich habe ich mir immer eingebildet nicht einmal Faschingskostüme zu mögen. Jedenfalls bin ich heilfroh, dass ich da nicht alleine durchmuss.

Die Tour durch Wien beginnt traditionell am Rathaus. Außer den neugierigen Blicken und einem betrunkenen Typen, der mich mit Salem aleikum (Anm. Friede sei mit euch!) begrüßt, passiert noch nicht viel. Bei der Universität beginne ich dann so richtig zu schwitzen, denn der Security schaut mich mit großen Augen an. Er sagt aber zum Glück nichts zu mir. Obwohl ich sonst ein sehr kommunikativer Mensch bin, traue ich mich nicht, durch den Schleier zu sprechen.

In der Innenstadt ernte ich dann einen verachtenden Blick nach dem anderen. Besser gesagt, flüstert mir das meine Freundin zu, denn ich bekomme von der Außenwelt nur sehr wenig mit. Wie ein Pferd mit Scheuklappen laufe ich durch die Gegend und versuche, dabei nicht auf den langen Stoff zu steigen. Ich habe eine Pause bitter nötig, also setzten wir uns ins Café Hawelka. Ich lasse meine Freundin bestellen und sie denkt zum Glück an den Strohhalm. Normalerweise würde ich den Kellner fragen, ob oft verschleierte Frauen herkommen, oder die Frau am Nebentisch bitten, ein Foto von uns zu machen. Heute aber bin ich der schüchternste Mensch der Welt und hüte mich davor, auch nur den kleinsten Mucks zu machen. Ich fühle mich einfach, als würde ich nicht dazugehören.

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Auf dem Weg zu Prada sehe ich ein Mädchen in Hotpants. Innerlich schimpfe ich über die Kürze des Stoffs. Ich schiebe alles der Müdigkeit in die Schuhe. Im Luxusshop werden wir auf Englisch angesprochen und wir geben uns zu erkennen. Die Verkäuferinnen erzählen uns, dass oft verschleierte Frauen ins Geschäft kommen und das sogar oft ohne Männer. Sie kaufen Taschen, Accessoires und Schuhe. Trotz des freundlichen Gesprächs werde ich langsam aggressiv. Ich kann mich unter dem Niqab kaum ausdrücken. Meine ganze Mimik ist verlorengegangen.

Ich schleppe mich zu unserem letzten Hotspot: den Wiener Prater. Dort flanieren wir von Attraktion zu Attraktion. Und dann werde ich das erste Mal offen angepöbelt. Ein Mann sagt hinter unserem Rücken zu seinem Sohn: „Schau, da hat sich eine perfekt für einen Banküberfall angezogen." Ich bin verärgert, lasse mir aber nichts anmerken. Auch beim Autodrom fahren haben es Leute auf mich abgesehen. Besser gesagt Kinder. Ein Vater feuert seine kleinen Söhne an, dass sie mir nonstop reinfahren sollen. Wegen der Verschleierung und weil ich unglaublich wütend bin, scheiße ich mir auch nichts mehr und ramme sie ebenfalls.

Beim Riesenrad lächeln mir dann Frauen mit Kopftuch immer wieder zu, aber das kann mich auch nicht mehr aufheitern. Ich bekomme schon Zustände unter meinem Niqab und will nur noch eine Zigarette rauchen. Wir beschließen, dass ich den Schleier in der Öffentlichkeit ablegen werde. Vor einem Blumenbeet fange ich an, mich zu enthüllen. Viele Menschen bleiben stehen und schauen mir zu.

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Meine Erinnerungen an den heutigen Tag vermischen sich mit den Rückmeldungen, die ich von meiner Freundin bekomme. Anscheinend haben mehr ältere Personen negativ auf den Niqab reagiert. Oft äußerte sich das in mittellautem Murmeln—genauso, dass man es auch schön nicht überhören kann. Ich habe die Pöbeleien trotzdem nur halb mitbekommen, weil ich zu eingeschränkt war, um überhaupt zu sehen, was rund um mich passiert. Junge Menschen würdigten mich anscheinend nicht eines Blickes, was ich für ein gutes Zeichen halte.

Am Anfang hatte ich Angst davor, mich im Niqab ein bisschen zu sehr wohlzufühlen. Am Ende des Tages weiß ich, dass diese Verschleierung nichts für mich ist. Denn obwohl ich noch immer dafür bin, dass jede Person tragen kann, was sie will, kann ich es nicht nachvollziehen, warum Frauen sich freiwillig so verhüllen. Ich hatte an diesem Tag das Gefühl, meine Mimik, Gestik und zum Teil meine Individualität zu verlieren. Das ist natürlich nur mein subjektiver Eindruck—aber genau darum sollte es bei unserer Kleidung auch gehen: dass wir individuell entscheiden, was zu uns passt und was wir tragen wollen. Wer sich im Niqab wohlfühlt, sollte ihn jedenfalls tragen können, ohne beim Autodrom-Fahren gerammt und von Passanten zur Zielscheibe von Anfeindungen gemacht zu werden.

Anne-Marie auf Twitter: @Viennesecat


Alle Fotos von Xenia Z.