FYI.

This story is over 5 years old.

News

Berlin zeigt Nazis den Mittelfinger

Am Mittwoch starb in Hamburg eine Pakistanerin und ihre beiden Söhne bei einem Brandanschlag auf ihre Unterkunft. Trotzdem hielt die NPD es für eine gute Idee, am Samstag vor vier Berliner Flüchtlingsheimen gegen Asylanten zu hetzen.

Am letzten Mittwochabend wurde in einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft ein Brand gelegt, bei dem eine 33-jährige Pakistanerin und ihre beiden Söhne erstickten. Als mutmaßlicher Täter wird mittlerweile ein 13-Jähriger verdächtigt, der dazu noch Mitglied der Jugendfeuerwehr war. Mittlerweile hat ein Psychiater erklärt, dass die Tat nicht rassistisch motiviert war.

Am Samstagmorgen wusste das aber noch niemand, und dementsprechend groß war die Empörung, als bekannt wurde, dass die NPD drei Tage nach dem Anschlag eine Anti-Flüchtlingstour durch Berlin machen würde. Sebastian Schmidtke, der Chef der Berliner NPD, liess sich davon jedoch nicht beeindrucken und zog am Samstag mit einer kleinen Truppe vor insgesamt vier Berliner Flüchtlingsunterkünfte, um gegen „Asylmissbrauch“ zu demonstrieren.

Anzeige

Der Plan war bis zum letzten Moment geheim gehalten worden, vielleicht wollte man so verhindern, dass sich Widerstand organisieren konnte. Aber auch wenn die Aktion erst Freitagmittag bekannt wurde, reichte die Zeit den Berlinern, um der NPD an jeder Station mit Trillerpfeifen und Buh-Rufen zu begegnen.

„Es ist wichtig, dass die Demokraten hier zusammenstehen und Flagge zeigen, wenn die Demokratie bedroht ist“, erklärte mir der Berliner SPD-Abgeordnete Matthias Schmidt, der an der ziemlich lauten Gegenkundgebung an der ersten Station in Treptow-Köpenick teilnahm. Welche Ziele die NPD mit ihrer Tour genau verfolgt, wusste er auch nicht. „Keine Ahnung. Ist mir auch egal, was die für eine Strategie haben, aber wenn die mit solchen Parolen hier auftreten, dann müssen wir zeigen, dass wir mehr sind.“ In Köpenick hatten sich ungefähr 60 bis 70 Leute versammelt, die enormen Krach machten, um Schmidtke beim Reden zu stören.

Matthias Schmidt von der SPD

Im Wesentlichen lief das Programm jedes mal gleich ab: die Polizei traf an dem angemeldeten Veranstaltungsort ein und sicherte das Gelände. Dann fuhr die NPD mit einem kleinen LKW vor, der mit ihrem Logo und der Parole „Sicher leben—Asylflut stoppen“ geschmückt war. Die insgesamt knapp 20 Mann um Schmidtke bauten ihren Lautsprecher und ein paar Fahnen auf, während die ersten Gegendemonstranten ankamen. Die wurden von der Polizei immer ordentlich von den NPDlern ferngehalten und irgendwohin geschickt, wo eine Gegenkundgebung genehmigt worden war (manchmal in Hörweite, manchmal auch nicht).

Anzeige

Schmidtke hielt jedes mal grob dieselbe Rede, während seine schwarzgekleideten Parteifreunde neben ihm Banner und Fahnen hielten und in die Gegend stierten. Meistens war er nach ungefähr einer halben Stunde fertig, dann wurden alles wieder eingerollt und eingeladen und der LKW machte sich auf den Weg zur nächsten Station. Bei keinem Stopp fand sich auch nur ein Zuhörer für die NPD—Schmidtke erzählte eigentlich nur seinen Kameraden und den Polizisten viermal dasselbe.

Als ich beim zweiten Stopp irgendwo in Lichtenberg kurz mit Schmidtke sprechen konnte, erklärte er mir, dass ihn das gar nicht störe. „Ist halt so. Aber das macht auch nichts aus, ob da jetzt hunderte Leute dazuströmen. Das ist auch gar nicht Sinn und Zweck der Sache,“ erklärte er zufrieden. „Die Presse transportiert das Thema, und dadurch wird auch dieses Thema, Asyl, Asylflut und auch Asylmissbrauch in der Presse gehalten, und das ist die entscheidende Sache.“ Ob das allein ausreicht, die in einer tiefen Krise steckende Partei zu retten, kann man bezweifeln. Aber Schmidtke scheint die Art Mensch zu sein, dem es schon reicht, möglichst viele Menschen provoziert zu haben, und das ist mit dem Timing am Samstag gelungen.

Markus Tervooren bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Hamburger Brandanschlags

In Berlin-Mitte waren die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zum Hamburger Brand wütend über die Aktion. „Besonders schlimm und brutal ist, dass die NPD heute in Berlin an vier Orten gegen Flüchtlinge demonstriert“, ärgerte sich Markus Tervooren von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes. „Die Neonazis demaskieren sich damit als das, was sie sind: geistige und oft auch tatsächliche Brandstifter. Aber mich freut, dass da eine ganze Menge Menschen waren, die dagegen protestiert haben.“

Anzeige

Wirklich waren an jeder Station mehr Gegendemonstranten als Schmidtke und seine Mannen. Nach Köpenick kam Lichtenberg, wo nur um die dreißig Anwohner versammelt waren. Eine alte Frau mit Fahrrad schaffte es, sich durch die Polizei durchzuschlängeln, suchte dann hektisch in ihren Taschen und drehte sich enttäuscht zu mir: „Ich hab meine Trillerpfeife vergessen! So ein Scheiß!“ In Hellersdorf waren um die vierzig Leute gekommen. In Pankow, der letzten Station, hatte sich am meisten Widerstand organisiert: um die 300 Menschen positionierten sich auf der anderen Seite der Kreuzung und versuchten, die NPD zu übertönen.

Die rüstige Antifaschistin aus Lichtenberg

Eine Frau, der das offensichtlich zu weit war, schlich sich mit ihrem Fahrrad näher an den NPD-Haufen heran und versuchte dann, ihnen möglichst viel Stinkefinger zu zeigen, bis die Polizisten sie ziemlich grob entfernte. „Ich find das so zum Kotzen, dass die immer noch nicht verboten sind,“ erklärte mir Alexandra, als ich sie kurz danach befragte. „Dass die mit unseren Steuergeldern hier so eine Scheisse erzählen dürfen!“

Alexandra in Aktion

Immer wenn Schmidtke zu sprechen ansetzte, schallte ihm ein vielstimmiges „Halt’s Maul!“ entgegen, dazwischen wurde „Haut ab!“ oder „Refugees are welcome here!“ skandiert. Weil Schmidtkes Mikrofon ständig muckte, zog sich die ganze Sache hier etwas in die Länge, und die Stimmung bei der Gegendemo wurde immer fröhlicher. Irgendwann tauchte sogar Daniel mit einem selbstgebauten Lautsprecher auf. Endlich rollten Schmidtkes Jungs auch hier die Banner ein und fuhren weg.

Sebastian Schmidtke brabbelt von seiner Sorge um die Volksgesundheit

Was das Ganze eigentlich sollte, war auch nach dem vierten Mal nicht ganz klar geworden. Außer einer ans menschenverachtende grenzenden Geschmacklosigkeit angesichts der Todesfälle am Donnerstag, stellte die Aktion eigentlich nicht viel dar. Wie die meisten Unternehmungen der NPD, die ich miterlebt habe, wohnte dem Samstag ein eigenartiger Widerspruch inne: auf der einen Seite gingen sie ja angeblich auf die Straße, um Menschen zu erreichen und ihr Gedankengut zu verbreiten. Auf der anderen kann nicht mal Schmidtke glauben, dass es sehr vertrauenserweckend wirkt, wenn er, umringt von schwarzgekleideten, schlecht gelaunten jungen Männern in schwarzen Sonnenbrillen, etwas von den Krankheiten, die die „Zigeuner“ nach Deutschland mitbringen, in sein Mikrofon brüllt. Irgendwie gewinnt bei der NPD die Lust an der Provokation fast immer die Überhand. Aber immerhin hat der Tag gezeigt, dass die Berliner für die NPDler nicht viel mehr als Mittelfinger übrig haben.