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Sex

Pornokinos sind für mich der beste Ort, um Menschen kennenzulernen

Es ist nichts anderes als eine Flucht vor der Realität—inklusive Orgasmus.

Foto: Mike Steele | Flickr | CC 2.0

Das erste Mal Sex in einem dunklen Hinterzimmer war gleichzeitig meine erste sexuelle Erfahrung überhaupt. Meinen ersten Analsex (der sich irgendwie plötzlich zum Dreier entwickelte, womit ich ziemlich überfordert war) erlebte ich in einem Pornokino. Man sagt, der erste Sex prägt einen. In seinem sexuellen Verhalten, in seinen sexuellen Vorlieben und Wünschen. Vielleicht zog es mich deshalb seit dieser Erfahrung immer wieder in Sexkinos, Swinger-Clubs und sonstigen Cruising-Locations, die ja im Grunde nichts anderes sind als überdimensionierte, aneinandergereihte Hinterzimmer.

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Bis heute tauche ich regelmäßig in diese Parallelwelt ein, die auch dann Dunkelheit bietet, wenn draußen die Sonne scheint. Aus irgendeinem Grund ist tagsüber in solchen Lokalitäten immer mehr los als abends, wobei die Dunkelheit eher auf das schummrige Licht bezogen und weniger metaphorisch gemeint ist, denn: Nein, Cruising-Locations sind nicht die erste Haltestelle zur Prostitution oder der erste Hinweis darauf, dass du ein strafrechtlich auffälliges Sexualverhalten entwickeln könntest. Auch sind dort nicht nur Drogensüchtige oder Perverse, also Leute vor denen dich deine Eltern seit jeher warnen, unterwegs.

Trotzdem, das muss man ehrlich sagen, kann man solchen Locations nicht den Flair von Trost- und Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und das schon zwanghafte Streben nach Abenteuer und Orgasmen abstreiten. Kurz: Es ist dort ein bisschen wie im Wunderland, das einen mit verführerischen Versprechen in die weiten Untiefen seiner Landschaft führt, bevor man merkt, dass es eigentlich gar nicht so toll ist (ein bisschen wie beim 2-Jahres-Vertragsabschluss mit deinem Fitnesscenter). Dann ist es aber schon zu spät und du kehrst immer wieder zurück. Weil es letztendlich nichts anderes ist wie eine Flucht vor der Realität—inklusive Orgasmus.

Was man bei einem Besuch in Pornokinos und ähnlichen Locations immer mitbringen muss, ist eine Menge Geduld. Eine. Große. Menge. Geduld. Den Großteil der Zeit verbringst du nämlich nicht mit Sex, sondern damit, durch die dunklen, oft labyrinthartigen Gänge zu wandern und nach anderen gewillten Sexsuchenden Ausschau zu halten, denen du per Blickkontakt oder einem beherzten Griff in den (meist eigenen) Schritt zu verstehen gibst, dass du bereit wärst, in einer der zahlreichen Kabinen auf Tuchfühlung zu gehen.

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Wir haben Frauen und Männer gefragt, wie es war, das erste Mal einen Penis anzugreifen.

Klingt einfach? Ist es nicht. Viele der hier anwesenden Personen irren endlos lang durch die Gänge, werfen scheue Blicke in die Kabinen und wirken tatsächlich wie Menschen, die in einem Labyrinth verloren gingen und den Ausgang nicht mehr finden. Sehr viele kommen mit der Erwartung in ein Pornokino, den absoluten Sex-Traummann zu finden, denn im Grunde will man hier die Pornoszenen, die einem ringsum von den zahlreichen Bildschirmen lautstark beschallen, auch wirklich erleben.

Dass dieser Traummann nur selten daherkommt, ist schon allein deshalb klar, weil wir uns trotz Parallelwelt immer noch im richtigen Leben befinden—und auch, weil, Vorurteile hin oder her, Pornokinos immer noch vor allem von (sehr!) alten Männern und nicht nur schönen Personen heimgesucht werden. Das ist dann doch nicht ganz so wie in der erträumten Idealvorstellung, mit der man so eine Location besucht.

Obwohl, ich in den letzten Jahren auch immer öfter Menschen hier erlebt habe, die nicht mehr in dieses klassische Schema passen: Auch sehr gut aussehende Männer statten Cruising-Locations einen Besuch ab, neugierige Studenten zum Beispiel oder gestresste Geschäftsmänner, die einen Ausgleich zum hektischen Alltag suchen und die Mittagspause zur Abwechslung nicht im Restaurant gegenüber verbringen, sondern ihren Hunger auf andere Art und Weise stillen wollen. Manche Besucher sind auch einfach nur Ehemänner, deren Frauen ihnen nicht das geben können, was sie in Wirklichkeit—manchmal sehr verzweifelt—suchen.

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Diese Typen sind beinahe immer Stricher, die dir Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Aber keine falschen Vorstellungen bitte: In Sexkinos wird nicht gesprochen, die Kommunikation geschieht fast zur Gänze auf non-verbaler Ebene. Mit der Zeit entwickelt man ein ganz gutes Gespür dafür, welche Art von Typen Pornokinos besuchen und welche Gründe sie wohl hierher verschlagen haben. Schließlich, das wird einem irgendwann mehr oder minder schmerzhaft bewusst, gehört man ja auch selbst zu dieser Klientel.

Übrigens: Sind besonders gut aussehende Kerle im Lokal zugegen, die dich auch noch dauernd anmachen, solltest du misstrauisch werden und, so schwer es besonders in solch einer Umgebung fällt, nicht mit dem Schwanz denken: denn diese Typen sind beinahe immer Stricher, die dir Geld aus der Tasche ziehen wollen. Neben dem meist nicht gerade niedrigen Eintrittspreis des Sexkinos muss das eigentlich nicht auch noch sein. Aber vielleicht stehst du ja auch drauf.

Wenn ich hin und wieder Freunden von Cruising-Lokalen erzähle, werde ich immer wieder gefragt, wie es da drin ausschaut und ob es nicht einfach nur grindig sei. Offenbar bin ich der einzige in meinem Freundeskreis, der Sex auch mal auf diese Art und Weise sucht. Eine einfache, allgemein gültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Es ist wie mit Schwänzen: Es gibt große und kleine, grindige und saubere, spannende und langweilige und solche, die einem ein WTF-Gefühl vermitteln und bei denen du einfach nicht weiß, ob du dieses Ding wirklich handlen kannst.

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Die meisten Kabinen lassen sich verschließen, es gibt aber auch welche, die mit einem großen Fenster versehen sind.

Ich war in Crusing-Lokalen mit und ohne Bars, wobei das keinen großen Unterschied macht, denn nur sehr selten kommt es ganz klassisch beim obligatorischen Getränk an der Bar zur Anbandlung. Es ist schon interessant, wie schüchtern man in dem Bereich ist, der eigentlich am ehesten der herkömmlichen Weggeh-Situation entspricht, und wie schnell jedes Schamgefühl und sonstige Hüllen fallen, wenn man sich tiefer in das Lokal vorwagt.

Dort, in diesen Untiefen, findet man immer zahlreiche Glory Holes und natürlich etliche Kabinen, die, wenn man sich in einem Swinger-Lokal befindet, auch verschiedenen Themen gewidmet sind: Da gibt's zum Beispiel die Gefängnis-Kabine, die Himmel-Kabine oder einfach nur die Fick-mich-Kabine (was eigentlich jede Kabine ist).

Die meisten Kabinen lassen sich verschließen, es gibt aber auch welche, die mit einem großen Fenster versehen sind, sodass dir die anderen Besucher zuschauen können, während du einen Wildfremden vögelst oder selbst gevögelt wirst. Kondome und Gleitgel sollte man natürlich immer dabei haben. Ich selbst habe erst vor kurzem entdeckt, dass es mich ziemlich anmacht, mich beim Sex beobachten zu lassen, was ich mir nie zugetraut hätte. Viele Männer besuchen vor allem aus dem Grund Pornokinos, um sich bei einer Live-Sexshow einen abzuwedeln. Womit so ein Sexkino auch ganz gut als selbstreflektierende Reise, zur Selbstfindung dienen kann.

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Denn, während man durch die Gänge schlurft, fragt man sich unwillkürlich: Was mache ich eigentlich hier? Was würden meine Freunde oder gar Eltern denken, wenn sie wüssten, wo ich mich gerade herumtreibe? Wieso spricht einen nicht mal hier, wo doch ohnehin jeder so verzweifelt und notgeil zu sein scheint, jemand an und habe ich es wirklich nötig, am helllichten Tag durch labyrinthische Porno-Gänge zu wandern und auf den nächstbesten Fick zu warten—oder korrekter, zu hoffen? Wieso suche mir nicht Dates wie alle anderen Leute in einer Bar zum Beispiel, in der Disco, beim Sport oder auch im Internet? Reinen Sex finde ich auch jenseits von Cruising-Lokalen.

Der Aufwand ist hier aber geringer, weil das Suchen wegfällt und man sich von vornherein in die Höhle der notgeilen Löwen begibt. Wieso Cruising-Lokale aber gerade bei schwulen Männern so gut ankommen, hat meiner Meinung nach einen tiefergehenden Grund: Natürlich, besonders für alle ungeouteten Männer ist es hier leicht, Gleichgesinnte zu finden. In genau diesen Zeiten bestand schwule Sexualität zu einem Großteil aus anonymen, in dunklen Zimmerchen oder Hintergässchen stattfindenden Sextreffs.

Aber: Pornokinos und ähnliche Lokalitäten (zum Beispiel auch Bars mit Dark Rooms) umgibt ein Flair von Verruchtheit und Heimlichkeit und unterstreichen so die schwule Identität vielleicht mehr als Bette Midler und Britney Spears zusammen: Weil die Cruising-Bars, die entweder irgendwo versteckt liegen oder deren Fenster penibel mit vorhängen oder Jalousien verhangen sind, an eine Zeit erinnern, als man noch unter größter Heimlichkeit und Scham selbst die gewöhnlichste Gay-Disco besuchte.

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Es geht hier nur um schnellen Sex, ohne nachdenken zu müssen, in einer lichtgedämmten Atmosphäre.

An eine Zeit, in der man vielleicht sogar mit plötzlichen Polizei-Razzien rechnen musste, was das Ganze zugleich auch aufregend machte. An eine Zeit, in der Homosexualität entweder verboten oder gesellschaftlich so verpönt war, dass man sich selbst schämte, "solche Lokalitäten" überhaupt aufzusuchen. In genau diesen Zeiten bestand schwule Sexualität zu einem Großteil aus anonymen, in dunklen Zimmerchen oder Hintergässchen stattfindenden Sextreffs.

Man war am Körper des anderen interessiert, nicht an dessen Geist, denn der konnte die schnelle Lust nicht befriedigen. Man war nicht nur unter Gleichgesinnten, sondern versteckte sich vor der Welt, um den eigenen, gesellschaftlich nicht akzeptierten Bedürfnissen nachzugehen und sie zu befriedigen. Im Gegensatz zu Körperflüssigkeiten wurden Namen nicht ausgetauscht, aus Angst, verraten zu werden. In dieser Zeit entstanden erste Cruising-Lokale und -Orte, und genau dieses Verbotene verkörpern Sexkinos auch heute noch.

Da draußen in der buchstäblichen viel helleren Welt ist das Zwischenmenschliche oft kompliziert und zu schmerzhaft, in der Parallelwelt Sexkino sind die Wünsche klar abgesteckt und die Karten von Beginn an offen auf den Tisch gelegt. Es geht hier nur um schnellen Sex, ohne nachdenken zu müssen, in einer lichtgedämmten Atmosphäre, die die Seele in den Hintergrund und die Genitalien in den Vordergrund rückt—nicht umsonst sind Glory Holes hier so beliebt: weil sie das Synonym eines Tunnelblicks sind, der nur auf höchste körperliche Erregung ausgerichtet ist. Du steckst den Schwanz durch und lässt ihn von einem warmen Mund umschließen, der in der Fantasie dem österreichischen Look-a-like von Channing Tatum oder Zac Efron gehört, in Wahrheit aber wahrscheinlich eher dem Durchschnitts-Dorf-Typen von nebenan, was man aber gekonnt ausblendet—auch wegen der Pornos auf den zahlreichen Bildschirmen.

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Obwohl, eigentlich sollte man sich gar nicht wünschen, dass der Schwanzlutschende (oder Schwanzträger, je nachdem, welche Rolle du beim Sex bevorzugst) so aussieht wie eine der Darsteller in den Filmen, denn interessanterweise laufen in den meisten Sexkinos meist Streifen, in denen die Darsteller unterirdisch hässlich aussehen. Ich persönlich glaube ja, dass da ein wohl überlegter, gefinkelter Psychotrick dahintersteckt: Je hässlicher die Pornodarsteller rund um dich sind, desto hübscher erscheinen die anderen Kinobesucher. Und desto hübscher findest du dich auch selbst. Und die anderen dich.

Der Sex selbst ist, wie auch in der restlichen Welt, mal gut, mal schlecht. Wenn du Glück hast, findest du jemanden, der zielsicher deine sexuellen Knöpfe drückt. Unangenehm, weil erst dann wirklich intim, wird es bei der Verabschiedung. Ein kurzes Nicken, ein schüchternes Lächeln, ein betont lockeres "Servas!"—und schon verlässt man fluchtartig die Kabine. Wirklich seltsam wird das Ganze dann aber, wenn man sich am WC (wo man sich danach, reinlich wie man nun mal ist, die Hände wäscht und sich den Mund ausspült) nochmal begegnet.

Broadly: Schwule, die mit Frauen schlafen.

Blickkontakt wird dann oft vermieden. Es ist auch nicht selten, dass das Gegenüber nach der Ekstase mit dir weiter durch die Gänge streift und sich den nächsten Kerl anzulachen versucht. In diesem Moment wird einem mehr oder minder schmerzhaft bewusst, dass ihm der Sex mit dir so viel bedeutet hat wie—und hier muss man auch ehrlich zu sich sein—dir selbst der Sex mit ihm bedeutet hat.

Natürlich gehts in Pornokinos auch stark darum, den eigenen Fantasien freien Lauf zu lassen. Damit meine ich auch, aber bei weitem nicht nur die suche nach schwulem Sex. Ein Typ, den ich mal in einer dunklen Kabine vögelte, stöhnte und keuchte immerzu: "Ja, fick deinen Daddy kaputt, fick deinen Daddy!"

"Ich habe auch schon Typen gesehen, die ihren (Drogen-)Rausch in einer Kabine ausgeschlafen oder es sich nach einem harten öffentlichen Fick zusammengerollt am Boden gemütlich gemacht haben."

Auch Gruppenkonstellationen ergeben sich immer wieder mal, andere ketten sich dafür gerne ans Andreaskreuz und warten manchmal stundenlang auf einen, der sich ihrer erbarmt und sie kräftig auspeitscht oder andere Dinge mit ihnen macht. Ich habe auch schon Männer erlebt, die stundenlang mit ihrer Zigarette und ihrem Dosenbier in einer der Sitzecken herumlungern und entweder absolut nichts tun oder vor allem das Gespräch mit anderen Besuchern suchen.

Ich habe auch schon Typen gesehen, die ihren (Drogen-)Rausch in einer der Kabinen ausgeschlafen haben oder es sich nach einem harten öffentlichen Fick zusammengerollt am Boden gemütlich gemacht und ihren seligen Schlaf gefunden haben. Ich bin aber auch schon auf Männer getroffen, bei denen sowas wie ein Funke übergesprungen ist.

Jemanden, der zum Beispiel ganz wild auf Knutschen war und der mich gar nicht mehr gehen lassen wollte. Oder jemanden, mit dem man sogar einige persönliche Worte wechseln konnte und der einen sogar zur U-Bahn begleitet hat. In solchen Situationen kommt dann doch der Romantiker in mir durch und die Erkenntnis, worum es hier eigentlich wirklich geht: nämlich der verzweifelte Wunsch nach zwischenmenschlicher Nähe. Also habe ich diesen Kerlen meine Nummer gegeben. Sie alle haben nie wieder was von sich hören lassen.