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Wie deutsche Rechtsextreme einen toten Jugendlichen instrumentalisieren

Niemand weiß, wer den 17-jährigen Bad Godesberger totgeprügelt hat, aber Pegida gibt Angela Merkel die Schuld.
Melanie Dittmer und Esther Seitz | Foto: Felix Huesmann

Der Tatort liegt direkt hinter dem Bahnhof des Bonner Stadtteils Bad Godesberg, am Rande des malerischen Villenviertels. Rund um das kleine Rondell, an dem Holzbänke zum Ausruhen einladen, liegen eine Woche nach der Tat unzählige Blumen. Am 7. Mai wurde der 17-jährige Niklas P. hier zum Opfer einer Gewalttat: Zusammen mit Freunden kam er von einem Festival mit Feuerwerks-Show am Rheinufer. Am Bad Godesberger Bahnhof wollten sie umsteigen und nach Hause fahren. Stattdessen wurden sie unvermittelt von einer Gruppe junger Männer angegriffen. Niklas Freunde wurden leicht verletzt. Er selbst schwebte zunächst in Lebensgefahr. Vor wenigen Tagen kam dann die traurige Nachricht: Er hat es nicht geschafft.

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Zwei Tage nach der Botschaft von Niklas P.s Tod wollen Neonazis in Bad Godesberg demonstrieren. Aus der Täterbeschreibung durch Niklas Freunde geht hervor, dass die Angreifer zwar akzentfrei deutsch sprachen, aber schwarze Haare und einen " braunen Hauttyp" hatten. Für die Rechtsextremen steht darum fest: Niklas P. wurde Opfer von "Ausländergewalt".

Am Samstagnachmittag versammeln sich deshalb etwa 50 Personen aus den Reihen von Pegida, NPD und anderen Neonazi-Organisationen direkt am Tatort. Nur wenige Meter und ein Absperrgitter der Polizei trennen sie von den niedergelegten Blumen—und trauernden Freunden und Angehörigen des Opfers. Manche Trauernde schaffen es allerdings gar nicht bis dorthin: Sie werden an den Absperrungen aufgehalten, die die Polizei wegen Rechtsextremen und Gegenprotesten aufgebaut hat.

Hetze statt Trauer

Organisiert und angemeldet wurde die Demonstration von Melanie Dittmer. Die rechtsextreme Langzeitaktivistin wurde erst kürzlich wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Störung der Religionsausübung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das hat auch die Bonner Polizei mitbekommen: Sie untersagte Dittmer, die Demonstration zu leiten, und erteilte ihr außerdem ein Redeverbot, das im letzten Moment auch gerichtlich bestätigt wurde.

Melanie Dittmer und Esther Seitz

Für sie springt Ester Seitz von der nicht weniger rechtsextremen Karlsruher Pegida-Kopie "Karlsruhe wehrt sich" ein. Durch eine Lautsprecheranlage verkündet sie das, was Dittmer ihr vorher zuruft. In ihrer Rede geht es vor allem um eins: "Ausländerkriminalität". Niklas P.s Tod sei kein Einzelfall, man habe eine lange Liste mit ähnlichen Fällen. Nur wenige Meter entfernt von den Menschen, die um Niklas trauern, erklärt sie den 17-Jährigen laut schreiend zu einem Opfer der deutschen Asylpolitik. Auf einer der Holzbänke sitzt eine Frau mittleren Alters, schluchzend und weinend.

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Etwa 100 Meter weiter stehen 400 Menschen zu einer Gegenkundgebung versammelt. Den Demonstranten des Bündnisses "Bonn stellt sich quer" geht es zum einen darum, um den getöteten Niklas zu trauern und ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Zum anderen stehen sie hier aber auch gegen rassistische Instrumentalisierungen der Tat: "Keine Hetze, sondern Fairness und Sachlichkeit!" steht auf einem Schild, das ein älterer Herr über die Polizeiabsperrung hält.

Unterdessen nimmt bei den Rechtsradikalen ein zweiter Redner das Mikrofon in die Hand. Nicht nur seine Tonlage erinnert dabei an einen Gröfaz-Imitatoren-Contest: Wenn Staaten nicht ethnisch homogen seien, würde das nicht nur zu Gewalt führen, sondern in letzter Konsequenz auch zu Kriegen, brüllt er ins Mikro. Nicht nur die Kriege nach dem Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien führt er dabei als Beispiel an, sondern auch Weltkriege Nummer 1 und 2. Der Zweite Weltkrieg sei ausgebrochen, weil es in Westpreußen zu Konflikten zwischen Polen und Deutschen gekommen sei und das deutsche Reich dann "eingegriffen" habe. So fantasievoll stellen selbst Rechtsextreme die deutsche Kriegsschuld nur selten infrage.

Auch als die 50 Rechten ihre Kundgebung beenden und zum "Trauermarsch" durch das Bad Godesberger Villenviertel aufbrechen, erinnert nicht viel an ernst gemeinte Trauer. "Heute seid ihr tolerant, morgen tot im eigenen Land", rufen sie. Zwischendurch kommt ein einzelnes "Wir wollen keine Salafistenschweine" durch und gegen Ende einigt man sich auf die klassische Neonazi-Parole "Frei, sozial und national". Danach wird noch einmal verkündet, dass Melanie Dittmer ihr Redeverbot nicht einfach hinnehmen will: Um die Polizei zu nerven, habe sie für die kommenden Tage vier weitere Demos angemeldet. Dabei sollen auch Mohammed-Karikaturen gezeigt werden. Geradezu hoffnungsvoll fragt Ester Seitz als Sockenpuppe Dittmers sich, ob dabei wohl erneut Salafisten auftauchen und Polizisten verletzen.

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"Niklas hätte das nicht gewollt!"

Kurz darauf ist die Demonstration vorbei. Auch die 400 Gegendemonstranten sind zu einem Großteil wieder weg. Am Tatort der brutalen Prügelattacke stehen unterdessen immer mehr Freundinnen und Freunde des getöteten Niklas. Teenager liegen sich in den Armen, weinen und stehen fassungslos vor den Hunderten Blumen, die hier niedergelegt wurden. Als die letzte Kleingruppe rechter Demonstranten auf dem Weg zum Bahnhof hier vorbeizieht, zeigen die Blicke der Trauernden vor allem Unverständnis. Die Rechten scheinen auch nach dem Demo-Ende nicht viel mit ehrlicher Trauer am Hut zu haben: Die meisten schauen nicht einmal zum Gedenkort hin, einige witzeln und lachen laut hörbar im Vorbeigehen.

Einige von Niklas Freunden kommen erst danach in Bad Godesberg an, erleben die Instrumentalisierung von rechts nicht hautnah mit. Auf die Frage, was der Getötete selbst davon gehalten hätte, dass hier Neonazis "für ihn" auf die Straße gehen, haben ein paar seiner Freunde aber eine sehr klare Antwort: "Niklas hätte das nicht gewollt!", sagt einer. "Er hatte ja selber viele Freunde mit Migrationshintergrund."

In den Reihen der Gegenproteste sagte der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan (CDU) außerdem, Niklas P. habe nicht nur einen Muslim als besten Freund gehabt, sondern sei in der Tatnacht auch von einem weiteren muslimischen Freund beschützt worden.

Und so trauern sowohl auf der Straße als auch in den sozialen Netzwerken Deutsche und Migranten, Muslime und Christen gleichermaßen um den verstorbenen 17-Jährigen.