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Wir haben Facebook-Nutzer gefragt, warum sie Meldungen über tote Flüchtlinge mit "Haha" markieren

"Hab selber südländische Wurzel aber trotzdem sollen sie bleiben wo sie herkommen. Was können wir dafür, dass denen so schlecht geht."
Foto: Mstyslav Chernov | Wikimedia | CC by 4.0

Viele Jahre lang hat sich Facebook mit Händen und Füßengegen eine Dislike-Button gewehrt. Als größtes soziales Netzwerk des Planeten, das sich besonders in jüngster Zeit immer mehr zu einem verbalen Schlachtfeld entwickelt hat, wollte man der Negativität nicht eine noch größere Plattform bieten.

Anfang des Jahres führte man dann doch Emoticons als Ergänzungen zum klassischen "Gefällt mir" ein, ohne die Möglichkeit eines Dislikes zu geben. Die besonders wiffen Beobachter haben wohl da schon geahnt, dass vor allem der "Haha"-Button schon sehr bald nicht mehr so eingesetzt werden würde, wie Facebook sich das ursprünglich gewünscht hatte, sondern das Potenzial hat, zum Lieblings-Spielzeug aller Gehässigen und Schadenfrohen zu werden.

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In den meisten Fällen ist diese Schadenfreude in den Reaktionen ziemlich unterhaltsam—aber spätestens, wenn es um Meldungen über Flüchtlingsboot-Havarien geht, bei denen Hunderten Flüchtlinge ums Leben kamen, ist man dann auch als hartgesottener Beobachter des Internets erstaunt, dass der "Haha"-Button zu den am meisten geklickten Reaktionen gehört. Genau das passiert in letzter Zeit mit beunruhigender Regelmäßigkeit, selbst auf gut moderierten und gemäßigten Plattformen wie etwa derZeit im Bild:

Screenshot via Facebook

Nicht nur auf Facebook hat die in Smiley-Form verpackte Freude über das Leid von Flüchtenden Regelmäßigkeit erreicht: Auch die Gratis-Zeitung Heute bot auf ihrer Webpräsenz bis vor kurzem den Lesern die Möglichkeit, auf Artikel mit einem "Stimmungsbarometer" zu reagieren. Das Ergebnis sieht beim Thema Asyl dann so aus:

Ist — verena bogner (@verenabgnr)3. Juni 2016

Und das war nicht erste Mal, dass dieHeute-Leser mit dem befremdlichen Humor ihrer Leserschaft Probleme hatte. Erst im April amüsierten sich die Nutzer darüber, als sich Asylwerber bei einem Unfall verletzt hatten. Das Medium entfernte das Stimmungsbarometer nach den jüngsten Fällen bei den betroffenen Meldungen und erklärte, dass es diese Funktion bei "heiklen Artikeln" normalerweise deaktiviert, dieser Schritt aber bei einigen Artikeln offensichtlich vergessen wurde. Seither hat Heute reagiert—zwar nicht auf unsere direkte Anfrage, aber auf den weit über 100 Mal geteilten Tweet unserer Redakteurin—und angekündigt, das Barometer einzustellen.

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Auf ein gehässig lachendes Emoji zu klicken geht natürlich schneller und verlangt auch weniger Auseinandersetzung mit einem Thema, als seine Missgunst in einen Hass-Kommentar zu packen. Vermutlich habt ihr euch aber auch schon mal gefragt, was in den Leuten vorgeht, die auf die Nachricht, dass Hunderte Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, mit Schadenfreude reagieren. Deshalb habe ich ein paar Dutzend dieser Nutzer angeschrieben, um es mir von ihnen selbst erklären zu lassen.

Der Großteil von ihnen hat—kaum verwunderlich—erst gar nicht geantwortet. Auf das Thema angesprochen, hatten aber doch einige Nutzer das dringende Bedürfnis, sich und ihre politischen Ansichten sehr ausführlich, wenn auch nicht immer einfach nachvollziehbar, zu erklären.

„Was einfach nicht verständlich ist, ist wieso die Leute diese Reise in Kauf nehmen, was quasi einem Selbstmord gleicht", versucht sich einer in seiner verblüffend langen Antwort. „Denken die nicht an die Kinder? Wissen die nicht, dass sie wahrscheinlich an irgendeiner Grenze aufgehalten werden, da ihr Wunschland schon überfüllt ist?"

Bei einigen anderen, die geantwortet haben, handelt es sich aber einfach um die fast obligatorischen Trolle (wenn auch der besonders schwer zu ertragenden Sorte):

Genauso wenig verwunderlich ist vermutlich, dass sich unter den Befragen natürlich jemand fand, der uns erklärt, dass er versehentlich auf den falschen Reaction-Button geklickt hat—nur um im nächsten Atemzug auch schon alle Flüchtlinge zu verdammen, obwohl er "selber südländische Wurzeln" hat (sehr viele Rufzeichen inklusive):

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Wieder andere erklären ihre Reaktion ungefähr so: Wenn sie über die Leute lachen, die da im Mittelmeer ertrunken sind, dann in erster Linie deswegen, weil sie der allmächtigen, gleichgeschaltenen Lügenpresse—insbesondere dem berüchtigten Rotfunk am Küniglberg—einfach eins auswischen wollen (!!1!einself!). Logisch nachvollziehbar waren die Argumente dabei selten, aber leider tut das bekanntlich den dahinterstehenden Meinungen keinen Abbruch.

Wie man mit einem "Haha" auf die Gefahr hinweisen will, die für Kinder von der Flucht ausgeht (abgesehen davon, dass Krieg in Syrien selten die bessere Option darstellt), oder ob User ernsthaft glauben, dem ORF mit ihrer Schadenfreude besonderen Schaden zuzufügen, sind Fragen, die am Ende offen bleiben.

Die neuen Reactions stellen uns auch vor neue Probleme: Facebook versucht, uns die Möglichkeit zur nonverbalen Kommunikation auch im sozialen Netz zu geben, aber im Gegensatz zur echten Welt ist online noch häufig unklar, welche Reaktionen wofür stehen und wie sie gemeint sind. Das macht es einerseits schwierig, die Äußerungen zu entschlüsseln—aber es ermöglicht andererseits auch, dass man sie bewusst anders als beabsichtigt einsetzt und im Nachhinein die Facebook-Mechanik als Ausrede benutzen kann.

Zum Schluss gibt es wohl nur einen Trost für Zyniker: Denn immerhin erfüllt viele offensichtlich nur der Tod der erwachsenen Flüchtlinge mit Schadenfreude:

Tori auf Twitter: @TorisNest


Foto: Mstyslav Chernov | Wikimedia | CC by 4.0