Die Stadt, in der die Konföderierten Staaten von Amerika überlebt haben

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The Off the Deep End Issue

Die Stadt, in der die Konföderierten Staaten von Amerika überlebt haben

Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg zogen ein paar Südstaatler nach Brasilien. Ihre Nachkommen feiern heute ihr Erbe, in einer Stadt, in der Sklaverei noch existiert.

An einem Tag im Frühling letzten Jahres hielt ein schwarzer Mann namens Marcelo Gomes in der Nähe eines alten ländlichen Friedhofs im Süden Brasiliens eine Konföderierten-Flagge an zwei Ecken in die Höhe, um für ein Handyfoto zu posieren. Er sehe kein Problem darin, sagte Gomes, als Schwarzer den Konföderierten Staaten von Amerika Tribut zu zollen. „Die amerikanische Kultur ist eine wunderschöne Kultur", sagte er. Ein paar seiner Freunde seien konföderierter Abstammung.

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Gomes nahm gemeinsam mit 2000 Brasilianern an der festa der Fraternidade Descendência Americana teil, der Bruderschaft der Nachfahren von Konföderierten in Brasilien, die auf einem Grundstück nahe der Stadt Americana stattfand, die vor 150 Jahren von Überläufern aus den Südstaaten gegründet worden war. Der Friedhof ist an normalen Tagen, von einem Wärter oder einzelnen Gläubigen, die es zu der kleinen Ziegelsteinkapelle zieht, abgesehen, menschenleer. An diesem Aprilmorgen aber wurde die Ruhe von einer Lautsprecheranlage gestört. Brasilianer mit riesigen Cowboyhüten und Lederjacken begrüßten einander.

Rund um den Friedhof knallte die pralle Sonne auf die sich über viele Meilen erstreckenden Zuckerrohrfelder, die von den Tausenden Konföderierten angelegt worden waren, die sich der Reconstruction nach dem amerikanischen Bürgerkrieg verweigert hatten und aus den USA geflohen waren—eine freiwillige Emigration, die in der amerikanischen Geschichtsschreibung so gut wie nicht vorkommt. Ihre Diaspora versammelt sich nun seit 25 Jahren bei jährlichen Treffen. Die Party, die sie veranstalten, und die von der örtlichen Regierung finanziell unterstützt wird, ist ein Familientreffen der Confederados, einer der letzten verbleibenden Enklaven der Südstaatler.

Die Brasilianer defilierten an einer Rebellenflagge vorbei, auf der die Südstaatenmaxime zu lesen war: Erbe statt Hass. Sie stellten sich an einer Bude an, wo sie ihre brasilianischen Reals in die offizielle Währung der Festa umtauschen konnten: am Computer nachgedruckte, konföderierte 1-Dollarnoten. (Die Umtauschrate lag bei 1:1. Offensichtlich hatte die Südstaatenökonomie unbeschadet überlebt.) Kinder stürzten sich auf das Trampolin und die Hüpfburg. Ältere Leutchen versuchten, sich ein schattiges Plätzchen unter einem der weißen Zelte zu sichern. Die Schlange für die Brathühnchen war schon bald so lang, dass sich das Anstehen kaum noch lohnen würde.

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Ich pickte in einem der weißen Zelte ein wenig an meinem Hühnchen herum und sah zu, wie eine junge, blonde brasilianische Frau versuchte, sich in einem riesigen, aus einer Konföderiertenfahne geschneiderten Reifenrock in einen Stuhl zu manövrieren. Sie stellte sich mir als Beatrice Stopa vor, und als Reporterin von Glamour Brasil. Ihre Großmutter, Rose Mary Dodson, leitet die Confederado-Bruderschaft. Sie selbst tanzte daher schon seit ihren Kindertagen auf der Festa.

Ich fragte sie, was sie von der Verbindung zwischen den Südstaaten und der Sklaverei denkt. „Davon habe ich noch nie was gehört", sagte sie. Sie war nicht sicher, warum ihre Vorfahren die USA verlassen hatten. „Ich weiß, dass sie kamen. Aber nicht den genauen Grund", sagte sie. „Ist es wegen Rassismus?" Sie lächelte verlegen. „Sag es bloß meiner Großmutter nicht!"

In Brasilien selbst wurde die Sklaverei 1888 abgeschafft, also über zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs. Trotz der nach außen hin progressiv wirkenden Bemühungen des Landes, hat Brasilien bis heute Schwierigkeiten, die Institution komplett auszumerzen. Die Regierung hat Gesetze zur Stärkung der Rechte von Arbeitern verabschiedet, darunter ein Zusatzartikel zur Verfassung aus dem Jahre 1940, der es Arbeitgebern verbietet, ihre Angestellten „Bedingungen [auszusetzen,] die denen der Sklaverei gleichkommen." Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen die Besitzer ländlicher Betriebe die Lohnarbeiter in Schuldknechtschaft zu zwingen. In jüngerer Zeit haben Regierungsinspektoren Brasilianer gefunden, die auf diese Weise auf Holzkohlefarmen in Goiás Zwangsarbeit leisteten. Auf Baustellen zur Vorbereitung der Weltmeisterschaft kamen haitianische Arbeiter ums Leben, und bolivianische Migranten starben in Sweatshops im Zentrum São Paulos. Auch die Stadt, die die Konföderierten erbaut haben, ist davon betroffen. Am 22. Januar 2013 ordnete das brasilianische Arbeitsministerium eine Razzia in Americana an. Man fand bolivianische Immigranten, die unter dem Dach und der Betreuung zweier bolivianischer Bosse Babykleidung herstellten. Die Staatsanwaltschaft ließ die Fabrik schließen.

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Von all den Leuten, mit denen ich bei dem Americana-Festival sprach, hatte keiner je etwas von Sklaverei in dieser Stadt gehört.

Fast alle kamen als Amerikaner verkleidet zu der Festa—in Jeans und Stiefeln, Johnny Cash T-Shirts und Tarnfarben. Besucher feilschten an einem Verkaufsstand um Südstaatensouvenirs—Schürzen, Quilts, bedruckte Gläser, eine alte Autobiographie von Malcolm X. Über die Lautsprecher rief eine Stimme die Menge auf, mit den Stühlen zur Hauptbühne zu kommen—einer riesigen Betonfläche, die mit einer Konföderiertenflagge bemalt war. Der Bürgermeister der nahe gelegenen Stadt Bárbara d'Oeste ließ seinen Blick über das versammelte Publikum gleiten und begrüßte die anwesenden Staatsvertreter. „Es ist das erste Mal, dass ich die Ehre habe, hier als Bürgermeister aufzutreten", sagte er strahlend, während hinter ihm junge Leute in selbstgenähten Reifenröcken und Konföderiertenuniformen Flaggen hissten. „Aber ich bin schon oft als Zuschauer und Fan hier gewesen." Die Flaggen von São Paulo, Brasilien, Texas, den USA und der Konföderation erhoben sich träge in den Wind. „Die Einwanderung aus Nordamerika hat mitgeholfen, unsere Region und Santa Bárbara d'Oeste aufzubauen, genau wie Americana", proklamierte er.

Im Großen und Ganzen blieben die Tausenden ehemaligen Bewohner von Texas, Alabama und Georgia, die nach Kuba, Mexiko oder Brasilien segelten, erfolglos. Sie verschwanden spurlos in den Städten oder gründeten zum Scheitern verurteilte Plantagen auf Grundstücken, die sie aus dem Regenwald schlugen. 1918 gab es bereits nur noch so wenige von ihnen, dass man sie einer ethnografischen Studie für würdig befand, und die American Geographical Society Forscher entsandte, um ihren Lebensstil zu erkunden.

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Nicht so in Americana. Unter der Führung eines Colonel aus Alabama begannen Siedler Baumwolle anzubauen und die Stadt wurde zu einem Zentrum der Textilindustrie. Noch mehrere Generationen lang wurde Südstaatenenglisch gesprochen. Heute befindet sich in der 200.000 Einwohner zählenden Stadt die größte Cowboy-Rodeo-Arena Lateinamerikas.

Ich konnte nicht anders, als alle immer wieder auf die historischen Widersprüche anzusprechen—die Konföderierten-Nachkommen, eine Gruppe Ortsansässiger, die einen wöchentlichen Country-Western-Filmklub organisierten. Aber niemandem schien das Thema so unangenehm aufzustoßen wie mir. „Wir haben im Vergleich mit anderen sehr viel weniger Vorurteile", sagte mir Pedro Artur Caseiro, ein Mitglied des Filmklubs. Auf meine Frage, was ihm an Western gefalle, lächelte er schwärmerisch und streckte seine Brust mit gespieltem militärischen Stolz heraus, das hölzerne Schwert in der Hand. „Das Gute siegt immer über das Böse", sagte er. „Das fehlt mir heute, die Menschen glauben nicht mehr an das Gute."

Echte Südstaatler—Konföderiertenfans—waren ebenfalls hier her gepilgert. Philip Logan, ein hochgewachsener, stämmiger Bürgerkriegs-Laiendarsteller aus Centreville, wanderte in seiner Uniform durch den Friedhof und inspizierte die Grabsteine: Ferguson, Cullen, Pyles. Geboren: Texas. Gestorben: Brasilien.

Logan, der in Begleitung seiner Freundin, einer Brasilianerin mit einer altmodischen Haube und Sonnenschirm, die er online kennengelernt hatte, hier war, atmete aus. „Das ist nahezu perfekt", sagte er. „So muss es sein. Das hat für mich nichts mit Politik zu tun. Ich mag Schwarze." Als ein aktives Mitglied der Vereinigung Sons of Confederate Veterans hatte er, wie er es sah, ständig mit Missbrauch seines Erbes zu tun. „Es gibt einfach so viel Feindseligkeit", sagte er. „Hier kann ich die Konföderiertenfahne schwenken und keinen kümmert es."

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Am Einlass der Festa klopften zwei muskulöse Bodyguards die Teilnehmer ab, und überprüften zudem deren Tattoos anhand von Fotokopien, auf denen 42 Symbole rassistischer Organisationen aufgelistet waren—darunter die SS-Rune, das Hakenkreuz, das eiserne Kreuz und die Buchstaben KKK. Sie waren angewiesen, Leute mit diesen Symbolen des Ortes zu verweisen. Als die Party sich dem Ende zuneigte und die Teilnehmer sich auf den Weg zurück zu den Parkplätzen auf den Feldern begaben, fragte ich Érico Padilha, einen Ortsansässigen, selbst kein Nachkomme der Könförderierten, nach seiner Meinung zu Konföderation und Sklaverei. „Ich möchte die Südstaaten nicht feiern, gerade wegen der Sklaverei. Ich mag das wirklich nicht", sagte er. „Aber das hier hat nichts mit Politik zu tun. Es geht um die Kultur."

Die Confederados setzten sich aus einer ganzen Reihe von Gründen in Brasilien ab—bis heute streiten ihre Kinder über die genauen Hintergründe. Brasilien unternahm in jener Zeit Anstrengungen, den landwirtschaftlichen Entwicklungsstand Nordamerikas und Europas aufzuholen, und Dom Pedro II sah in den abtrünnigen Südstaatlern eine Chance, den amerikanischen Wohlstand zu importieren. Er richtete in den Südstaaten Informationsagenturen ein und bot allen einreisewilligen Amerikanern finanzielle Hilfe an.

Die Konföderiertens stürzten sich auf das billige Land, auf dem sie neue Plantagen gründen konnten, wo sie, wie sie es sich ausmalten, die Ökonomie wieder aufbauen würden, die sie in den USA zu Grunde gehen sahen. Denn in Brasilien würden sie ihre Sklaven behalten dürfen.

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Obwohl Brasilien den Handel mit Sklaven Mitte des 18. Jahrhunderts verbot, wurde die Abschaffung der Sklaverei selbst noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hinausgeschoben. Ohne diese war es den Südstaatlern nicht möglich, Baumwolle zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren—das war sowohl den Konföderierten als auch Dom Pedro klar. Schon vor dem Beginn des Bürgerkriegs hatten Südstaatler auf Konferenzen darüber diskutiert, die Sklaverei nach Brasilien auszulagern. Nach der Emigration stürzten sich die konföderierten Offiziere dann auf die zu Verkauf stehenden, voll funktionsfähigen und schon mit Sklaven ausgestatteten Fazendas. Baumwolle und Tabak wuchsen auf den Böden Brasiliens nicht gut, aber etablierte Nutzpflanzen wie Kaffee, Orangen und Zuckerrohr umso besser. Die Rassenbeziehungen in Brasilien allerdings waren für viele der Konföderierten schockierend genug, um sie zurück in die USA zu treiben: „Die Schwarzen, die uns hier, wie es manche bereits zugeben, eines Tages gleich sein werden, belegen [in Brasilien] bereits heute die wichtigsten und ehrenhaftesten Pfade der Gesellschaft", schrieb ein Prospektor in den Galveston Tri-Weekly News über Brasilien, nachdem er in dem Land nach Grundstücken gesucht hatte. Er fügte hinzu, „Obschon der Weiße hier fürchtet, dass er eines Tages seinen Stimmzettel in die selbe Urne werfen werden muss, wie er, findet er dort nicht nur, dass er bereits wählt, sondern selbst Gesetze erlässt—Gesetze, die für die Weißen gelten, die dort hin ziehen."

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„Ihr Missfallen war so deutlich", schreibt der Nachkomme Eugene Harter in The Lost Colony of the Confederacy, „dass man die Konföderierten als erste verdächtigte, als 1888, am Vorabend der brasilianischen Unabhängigkeit, ein Senator ermordet wurde, der sich gegen die Sklaverei ausgesprochen hatte."

„In Brasilien gab es nie Krieg wegen der Sklaverei", sagte mir João Leopoldo Padoveze, ein Confederado, dessen Vorfahren einst Sklaven waren. Wie viele andere behauptet auch er, dass die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien friedlich verlief, weil es hier nie Rassismus gegeben habe. Die Vorstellung von Brasilien als Democracia racial („rassenübergreifende Demokratie") prägt die kulturelle Identität des Landes und den Stolz der Brasilianer seit Jahrzehnten. Der brasilianische Soziologe Gilberto Freyre prägte den Begriff, nachdem er in den USA während der Ära der Rassentrennung mitansehen musste, wie ein Mann gelyncht wurde. Zutiefst abgestoßen kehrte er mit einer neuen Wertschätzung für sein Land nach Hause zurück.

Aber selbst als Brasilien den Rassismus schon aus seiner Geschichte löschte, lebte die Sklaverei noch fort. Erst in den 1970ern gründeten ländliche Aktivisten Rettungszentren für entflohene Arbeiter und begannen deren Geschichten zusammenzutragen. Sie präsentierten ihre Ergebnisse—Zeugnisse tausender brasilianischer Arbeiter, deren Knechtschaft von staatlicher Seite systematisch toleriert worden war—vor der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), die Brasilien 1995 anklagte, entgegen der eigenen Verfassung zu handeln.

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Diese Bloßstellung veranlasste Präsident Fernando Cardoso in jenem Sommer, eine Radioansprache zu halten. „1888 unterschrieb Prinzessin Isabel das berühmte Goldene Gesetz, das die Sklavenarbeit in diesem Land hätte beenden sollen", sagte er. „Ich sage ‚sollen', weil sie leider in Realität nicht beendet worden ist." Ein spezielles Einsatzkommando wurde eingerichtet, um Sklavenarbeit in allen Industriezweigen ausfindig zu machen und zu bestrafen. In den zwei darauffolgenden Jahrzehnten zog die Regierung multinationale Konzerne wie Zara zur Verantwortung und befreite 47.000 Arbeiter, die rechtlich als „Sklaven" galten.

Brasiliens „geheime Inspektionsmaßnahmen", wie sie in einer IAO-Broschüre heißen, zählen zu den rigorosesten der Welt. Das Land hat sich öffentlich zu den Formen des Missbrauchs bekannt und sich ihrer Beseitigung auf eine Weise verschrieben, die weltweit fast einmalig ist. Diesen Juni ist es Aktivisten z.B. gelungen, nach einem 15 Jahre andauernden Rechtsstreit eine Verfassungsergänzung durchzusetzen, laut der Farmen und Unternehmen, die sich der Sklaverei schuldig gemacht haben, enteignet werden dürfen.

In einem nüchternen Büro in Campinas schob der Arbeitsinspektor João Batista Amancio mir einen Stapel Akten über das Sklavereiverfahren von Americana über den Tisch. Die Razzia war ein seltener, großer Erfolg gewesen. Amancios Büro hatte den Fall bis ganz nach oben zurückverfolgt und der nationalen Firma Lojas Americanas, die die Kleidung verkauft hatte, eine Strafe von umgerechnet 70.000 Euro auferlegt. Obwohl die Antisklaverei-Maßnahmen Brasiliens zu den besten der Welt gehören, sind die Verfahren eine langsame und mühselige Angelegenheit. Die Bedingungen müssen dafür zunächst wirklich haarsträubend sein.

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Amancio, ein sanftmütiger Bürokrat in Sportschuhen und beigen Hosen, führte die Razzia in der Fabrik gemeinsam mit einem weiteren Inspektor, vier Bundespolizisten, einem Staatsanwalt und einem Richter durch. Sie knüpften an ein Verfahren von 2011 an, bei dem sie auf sechs undokumentierte Bolivianer gestoßen waren, die in einer Heimfabrik Kleidung herstellten, was damals aber nicht als Sklaverei verfolgt wurde.

Sie stießen auf fünf Bolivianer, die in einem kaputten Schuppen mit rissigen Wänden und einer herabhängenden, schimmelnden Decke, Babykleidung herstellten. Drei junge Frauen teilten sich eine schmutzige Betonzelle und schliefen in improvisierten Doppelstockbetten—ihre Kleider lagen über die Betten und am Boden verstreut. Sie hatten keinerlei Möbel und konnten die Türen nicht schließen. Amancio sagte, dass sie an sechs Tagen der Woche zwölf Stunden arbeiten. Sie wurden bezahlt, aber nur unregelmäßig und in Abhängigkeit von ihrer Produktion.

Zwei Arbeiterinnen flohen, als das Arbeitsministerium anrückte. Dass Leute fliehen ist nichts ungewöhnliches. Die Aufseher der Fabriken reden den Arbeitern ein, dass die brasilianischen Behörden sie wegen der illegalen Arbeit deportieren würden—obwohl Brasilien bolivianische Arbeitsmigranten im Rahmen eines Freihandelsabkommens im Land akzeptiert.

„Sie haben Angst, von den Behörden erwischt zu werden", sagte Amancio. „Das hält sie dort fest. Sie trauen nur ihrem Arbeitgeber, dem Typen, der sie ausbeutet. Damit hat er sie in der Hand." Die drei Frauen aus der Fabrik in Americana gaben dem Ministerium Gabriel Miffia Alanes, ihren Aufseher, als ihre Kontaktperson für Notfälle an. Sie sagten kaum ein Wort und hingen über ihre Maschinen gebeugt, die Füße nackt, schauten zu Boden und wichen den Fragen aus. Also musste sich die Behörde an subtilere Hinweise halten. Die Arbeiterinnen warfen Alanes mit „ehrfürchtiger Angst", wie es die Beamten nannten, fragende Blicke zu, wie sie sich verhalten sollten. Aber was dann den Durchbruch brachte, war die Tür. Als die Beamten die Arbeiterinnen aufforderten, ihnen die Schlüssel zu zeigen, die sie benutzten, um die Fabrik zu betreten oder zu verlassen, konnte keine von ihnen einen vorweisen. Die Türen konnten von innen abgeschlossen werden, was das Ministerium als Beweis ansah, dass Alanes seine Angestellten hier festhielt.

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Der Fall in Americana ist in gewisser Weise typisch für Brasilien. Er passt zu der Geschichte eines anderen bolivianischen Immigranten, den ich eines Nachts vor einem peruanischen Restaurant in der Nähe eines Stadtviertels namens Cracolândia,* einer berüchtigten Drogengegend in São Paulo, traf. Edwin Quenta Santos arbeitete hier als Kellner—sein erster wirklicher Job, seitdem er aus der Fabrik seines gewalttätigen Cousins geflohen war. Er lebte in einem ratteninfizierten, fensterlosen Betonumkleidezimmer in der Nähe des Restaurants, wo er in einem Kinderbett in Form eines Rennwagens aus Plastik schlief. Er arbeitete immer noch illegal für den Mindestlohn, obwohl er kontinuierlich mehrere Stunden über das vereinbarte Ende seiner Schicht hinaus schuftete. „Wir könnten sagen, dass es ein wenig wie Sklaverei ist", sagte er, und lachte.

Edwin nannte die Geschichte, die er mir erzählte, sein „Zeugnis"—er hatte nie mit der Polizei gesprochen, seinen Kindern und seiner Frau nie erzählt, was er erleiden musste. Er hatte sein Leben weitergelebt und versucht zu vergessen, aber jetzt hatte er Gerüchte gehört, dass sein Cousin Severo Oyardo Santos doch wieder einen Sweatshop betreibe. Er wollte, dass die Leute in seiner Heimat verstanden, was Severo getan hatte.

2009 hatte Severo, der schon seit 10 Jahren in São Paulo lebte, ihn in La Paz in Bolivien besucht. Edwin war überrascht zu sehen, wie gut es ihm zu gehen schien. Er gab damit an, eine expandierende Fabrik zu besitzen und noch Helfer zu suchen. Edwin lieh sich 500 Reals (160 Euro) von Severo für ein Flugticket, und weitere 500, damit seine Familie über die Runden kam, bis er sein erstes Gehalt zurückschicken konnte. „Ich dachte, gut, wenn er mir einfach so 500 Reals leiht, heißt das wohl, dass dort alles OK sein wird", sagte Edwin.

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Als Edwin in São Paulo ankam, machten sich sofort bezahlte Schmuggler, die sogenannten gatos, an ihn heran. Gatos verdienen ihr Geld mit Bolivianern, die ohne Beziehungen ins Land kommen, und denen sie Arbeit in den illegalen Textilfabriken anbieten. Diese Art Arbeit—übers Land verteilte kleinere Ausbeuterbetriebe anstelle der offen sichtbaren Quälerei auf den Farmen—boomt gerade.

„Sie boten mir an, für mein Hotel zu zahlen und sagten mir, dass sie gegen Arbeit Zimmer anbieten könnten. Sie ließen gar nicht mehr von mir ab", sagte Edwin. „Dann kam mein Cousin."

Severo fuhr Edwin zu einem Gelände in der Nähe des Flughafens, wo er ihn den ca. 20 anderen Angehörigen der Großfamilie vorstellte, die dort bereits arbeiteten. Sie hielten in der winzigen Küche eine kleine Willkommensparty für ihn ab. Das Betonhaus war drei Stockwerke hoch und hatte keine Eingangstür, sondern nur eine Garagenzufahrt mit einem verriegelten Tor, dessen Schlüssel Severo versteckt hielt. Severo parkte auf der Straße und benutzte die Garage als Zwinger für seine Wachhunde. Severo erlaubte nur einen Ausflug pro Woche. Wenn Edwin das Haus darüber hinaus verlassen wollte, musste er über die hintere Mauer klettern und sicher gehen, dass er zurück war, bevor seine Abwesenheit aufflog. Er wusste, zu welcher Art Bestrafung sein Cousin fähig war, er hatte ihn schon einmal seine Kinder schlagen gesehen. „Er ist größer als ich", sagte Edwin.

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Die Arbeiter folgten einer strikten Routine, sie standen um fünf Uhr morgens auf und arbeiteten bis Mitternacht, mit manchmal nicht mehr als einer 15-minütigen Mittagspause.

Sie schliefen in einem Raum im obersten Stock des Gebäudes oder direkt in der Nähfabrik selbst, wo sie die Maschinen beiseite schoben und dünne Matratzen auslegten. Edwin konnte nicht nähen, also begann er zu kochen und zu putzen.

Edwin sagte, dass sein Cousin ihn jedes Mal, wenn er ihn nach Geld fragte, anbrüllte, dass schließlich er es sei, der ihm Geld schulde. Über eine Bezahlung würden sie erst sprechen, wenn er seine Schulden für das Ticket und den Kredit abbezahlt habe. Den anderen Familienmitgliedern gegenüber reagierte Severo ausweichend oder log, wenn sie ihn baten, sie auszubezahlen, und weigerte sich, ihnen mehr als kleine Teilsummen zu geben. Während Edwins Zeit in der Fabrik war der einzige Arbeiter, der Severo überzeugen konnte, ihm das Geld zu geben, das er ihm schuldete, ein Cousin mit Papieren, der gedroht hatte, seinen Chef bei der Bundespolizei anzuzeigen, wenn er ihn nicht ausbezahlte und gehen ließ. Edwin fiel es nicht leicht, nähen zu lernen. Er kam nicht mit den Maschinen klar und ruinierte immer wieder den Stoff. Er brauchte einen Monat um herzustellen, was seine Cousins und Cousinen in vier Tagen schafften. Ein Geschäftspartner von Severo kam gelegentlich am Haus vorbei und verlangte eine schnellere Produktion. „Wenn mein Cousin sagte, dass er es nicht schaffen würde, sagte er, ‚Das ist dein Problem, du musst es morgen liefern,'" erzählte Edwin mir. In diesen Nächten schliefen er und die anderen oft überhaupt nicht. Seine Familie in Bolivien drängte ihn, endlich Geld zu schicken. Irgendwann mussten sie in eine billige Mietwohnung ziehen und die Kinder aus der Privatschule nehmen. Edwin log, wenn sein Sohn und seine Tochter ihn fragten, wie es ihm ging. „Du musst dir vorstellen, dass ich mit großen Hoffnungen aus Bolivien hier her gekommen war. Ich wollte den Lebensstandard meiner Familie verbessern", erklärte Edwin. „Stell dir vor, wie meine Kinder reagiert hätten, oder meine Frau, oder meine Eltern. Ich war wie gelähmt, außerstande irgendetwas zu tun."

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Es wurde immer offensichtlicher, dass Severo keinerlei Absichten hatte, irgendwen angemessen zu entlohnen und nach und nach hörte einer nach dem anderen auf zu arbeiten. Wenn einer der Cousins oder Nichten und Neffen sagte, dass er oder sie gehen wollte, forderte Severo sie auf ihre Sachen zu packen. Dann lud er sie in sein Auto und setzte sie ohne einen Cent am Busbahnhof von Guarulhos ab. Er wartete, immer noch verschuldet und ohne Beziehungen in Brasilien, weiter ab, während die Arbeit in der Fabrik langsam zum Erliegen kam. Irgendwann blieben nur noch er und Severos Kinder zurück. Eines Abends fand er dann seine gepackten Taschen auf dem Bürgersteig. Edwin schlief drei Nächte lang in den Umkleidekabinen eines örtlichen Fußballklubs, bevor er sich nach São Paulo aufmachte, um nach Arbeit zu suchen. Irgendwann landete er in dem peruanischen Restaurant in der Nähe von Cracolândia.

An dem Nachmittag, nachdem ich Edwin getroffen hatte, fuhr ich zu Severos Grundstück in Guarulhos und wartete, bis er in seinem Auto vorfuhr. Ein stämmiger Mann mit einem zerknautschten Gesicht knallte die Autotür zu und watschelte auf den Autostellplatz zu.

Hier gebe es keine Fabrik, sagte er mir, nur seine Kinder, die gerade aus der Schule gekommen seien, und den einen oder anderen Cousin auf Besuch. Er zeigte mir das Haus. Im zweiten Stock war ein leerer, weißer Raum voller glänzender Nähmaschinen. „Alles Lügen von neidischen Leuten, Nichtsnutzen", sagte Severo. Ich fragte ihn, warum er so viele Nähmaschinen habe, wenn er doch keine Fabrik betreibe. Es wäre mal eine gewesen, gab er zu. Aber er habe sie geschlossen.

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„Die Näherinnen wollen wenig arbeiten und viel verdienen, und das geht so nicht, wissen Sie?", sagte er. „Also besser, man lässt es sein."


* Siehe WIEDER EINE BESCHISSENE NACHT IN CRACK CITY

Am Morgen nach der Confederado-Festa fuhr ich die fünfzig Kilometer von dem Südstaatlerfriedhof zu einer Adresse, die ich aus den Unterlagen des Ministerium entnommen hatte. Ich suchte den Ort, an dem Gabriel Miffia Alanes und Eusebia Villalobos Tarqui—das bolivianischen Paar, das in Americana mit Sklaven erwischt worden war—seinen Sweatshop betrieben hatte. Das GPS führte mich zu einem planierten Grundstück mit einem Hausskelett aus Stahl und OSB-Platten. Daneben befand sich ein einstöckiges Gebäude, dessen gelbbraune Wände die gleiche Farbe hatten wie der schmutzige Boden. Ich fragte mich, während ich zu einem Mann in einem Fischerhut und Arbeitsschuhen hinüberging, ob dieser Schuppen wohl die Fabrik gewesen war. Der Mann sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als ich ihn fragte, was er hier tat. Verwundert antwortete er, dass er ein Bankgebäude baue. Er habe nichts davon gehört, dass es hier einmal eine Fabrik gegeben haben solle, aber in dem Haus gegenüber lebten im Moment wohl ein paar Bolivianer. Er wisse nichts über sie—wer sie seien, ob sie arbeiten würden—sie verließen das Haus nur frühmorgens und nachts. Sie gingen mit gesenkten Häuptern an ihm vorbei und sagten nie Hallo.

Ich musste ein paar Minuten lang an die mit roter Rostschutzfarbe gestrichene Metalltür des Hauses klopfen, bis ein Mann mit schwarzen Haaren und blassen Wangen seinen Kopf heraussteckte. Hinter ihm hingen Babykleider an einer Wäscheleine vor einer Betonwand.

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Ich fragte ihn, ob es in seinem Haus eine Fabrik gegeben habe. „Ja", sagte er. „Aber sie wurde schon vor einer Weile geschlossen." Das Ministerium war vor ein paar Monaten da gewesen. „Aber es gab keine Probleme", sagte er. „Alle hatten ihre Papiere."

Als ich ihn nach der Sklaverei auf der anderen Straßenseite befragte, wurde er wütend. „Es ist keine Sklaverei", sagte er. „Als ich hier her kam, habe ich anfangs auch von sieben bis Mitternacht gearbeitet. Ich wollte so viel arbeiten. Wenn ich wie ein Brasilianer arbeiten würde, von sieben bis fünf, würde ich nie genug Geld verdienen." Einer Eingebung folgend fragte ich ihn nach Alanes, dem bolivianischen Nachbarn, der im Jahr zuvor in seiner Fabrik mit Sklaven erwischt worden war. Kannte er ihn? Er zögerte, dann sagte er, „Das bin ich."

Natürlich. Die Adresse, die ich aus den Unterlagen des Ministeriums entnommen hatte, hatte mich nur zu dem Haus geführt, wo Alanes und seine Familie geschlafen hatten. Das hier war die gegenüberliegende Fabrik, der Arbeitsplatz, wo er seine Angestellten mutmaßlich eingesperrt hatte.

Er verschwand wieder im Haus, aber wenig später kam eine Frau zur Tür—Tarqui, seine Frau. Sie erklärte die Situation: Die einzigen, die heute in der Fabrik arbeiten würden, wären sie und ihr Mann. Sie würden Shorts für eine Privatschule in São Paulo anfertigen, aber wenn sie mir das Logo zeigen würde, würden sie das Geschäft verlieren. Nachdem ich Verständnis geäußert hatte, öffnete sie mir die Tür und bat mich ihr zu folgen.

Ein Betonpfad führte an ein paar kleinen Betonziegelgebäuden vorbei zu einem riesigen blechgedeckten Pavillon am hinteren Ende des Geländes, der von Sperrholzpfosten getragen wurde. Ein dutzend vergilbter Nähmaschinen standen auf Klapptischen.

Tarqui hob ein Paar rote Nylonsporthosen hoch. Sie sagte, die Schule zahle 90 Centavos—ungefähr 28 Cent—pro Paar, und dass ihr Mann und sie jede Woche 2000 Stück fabrizierten. Ihre Kinder konnten davon die Schule besuchen. Sie betonte, dass ihre Kinder nie arbeiteten. (Amancio, der Arbeitsinspektor, sagte, dass er das Gegenteil vermute.)

Laut Tarquis Schilderung war sie ganz zufällig dazu gekommen, einen Sweatshop zu managen. Ihr Mann und sie hätten eine eigene Fabrik eröffnet. Sie hätten sich Aufträge an Land gezogen und in einer Woche 1000 Paar Shorts anfertigen müssen. Da sie den Job unmöglich selbst erledigen konnten, seien sie zum Marktplatz der Stadt gegangen um nach Bolivianern Ausschau zu halten. Sie hätten erst einen, dann einen zweiten angestellt, und 2011 hätte dann das Arbeitsministerium bei ihnen angeklopft.

Das Ministerium verpflichtete HippyChic Moda Infantil, die Firma die Alanes und Tarquis Kleidungsstücke an Lojas Americanas verkaufte, den Arbeitern und den Fabrikbesitzern Abfindungen und ein „moralisches Schmerzensgeld" zu zahlen. Es dauerte an die fünf Tage, bis HippyChick die Arbeiter ausgezahlt hatte. Dann stiegen diese in Busse und verschwanden für immer. Es ist gerade diese Leerstelle, die für den Umgang Brasiliens mit diesem Fall wie mit mit Sklaverei-Operationen im Allgemeinen bezeichnend ist. Die Arbeiter hinterließen keine Zeugenaussagen und auch sonst keinerlei Spuren ihrer Existenz.

Was das Schloss und den Schlüssel betraf, bezichtigte Alanes zunächst das Ministerium der Lüge. Später, am Telefon, gab Tarqui dann zu, dass sie die Tür verschlossen hatten, bestand aber darauf, dass die Arbeiter Zugang zu einem Schlüssel gehabt hätten. Im November letzten Jahres eröffnete Brasiliens Bundesgerichtshof ein Verfahren gegen Alanes, in dem ihm vorgeworfen wurde, Arbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen gehalten zu haben—eine Tat, die mit bis zu acht Jahren im Gefängnis bestraft werden kann.

Daniel Carr de Muzio, der inoffizielle Genealoge der Confederados, öffnete schwungvoll die schwere Eingangstür seines Hauses in einer sei zehn Jahren bestehenden Gated Community namens Jardim Buru in einer ländlichen Gegend bei São Paulo. Ein Pickup mit einer Konföderiertenflagge stand in der Einfahrt. De Muzios Leben in Brasilien wurde von Kindesbeinen an von dem konföderierten Erbe seiner Familie geprägt. Seine Großmutter bezeichnete Abraham Lincoln Zeit ihres Lebens nur als „diesen Mann", und sein Großvater warf Baseball-Karten mit schwarzen Spielern in den Müll. De Muzio blieb seinem amerikanischen Erbe auch als Erwachsener treu, er verdient sein Geld mit Übersetzungen aus dem Englischen ins Portugiesische und pflegte seinen starken Südstaatenakzent.

Im Inneren von de Muzios Haus waren neben einer Anrichte mit Alkoholika mehrere Miniaturflaggen aufgereiht: die von Brasilien, den USA und der Konföderierten. De Muzio präsentierte mir seine Sammlung von Familien- und Konföderierten-Erinnerungsstücken—Bücher, Papiere und zerknitterte alte Fotos. Neben seinem Computer lag Facts the Historians Leave Out: A Youth's Confederate Primer, daneben ein Buch mit dem Titel Lost White Tribes, in dem de Muzio erwähnt wird.

Er versuchte, mir die Vorstellung auszureden, dass die Confederados nach Brasilien gekommen waren, um die Sklaverei fortzusetzen. Die Sklaven hatten nach dem Bürgerkrieg kein Zuhause mehr, sagte er mir. Brasilien erschien da als eine gute Option. „Ich bin mir sicher, dass sie freiwillig kamen", sagte er. „Diese Leute, muss man wissen, wurden von ihrem Master großgezogen, und sie fanden sich allein nicht wirklich zurecht."

Als ich de Muzio fragte, ob er von der heutigen Sklaverei in Brasilien gehört habe, sagte er, ja—Haitianer, die auf Baustellen arbeiteten und Bolivianer in Fabriken. Er runzelte die Stirn, während er Eukalyptusholzkohle in den Ofen warf. „Das hat aber rein gar nichts mit uns zu tun", sagte er.

Die Confederados sind die Erben einiger weniger Südstaatler, denen es gelungen war, eine Simulation ihrer Plantagen aufrechtzuerhalten. Sie feiern eine Mythologie, die der Vergangenheit kaum gerecht wird und der Gegenwart gegenüber blind ist.

Auf der Festa hatte ich Cindy Gião kennengelernt, die als Besucherin, nicht als Konföderierten-Erbin hier war. Sie sagte, dass sie so gut wie gar nichts über die Konföderation wisse. Sie war auf Einladung eines Freundes ihres Vaters hier, Robert Lee Ferguson. Gião nahm an, selbst wahrscheinlich italienischer, portugiesischer und vielleicht holländischer Abstammung zu sein. Aber sie war sich nicht sicher, und den meisten ihrer Freunde ging es genauso. Keiner weiß Genaues, weil es „so durchmischt" ist. Das ist der Grund, warum viele Brasilianer die Confederados beneiden—weil sie eine Verbindung zur eigenen Vergangenheit haben. Für die Confederados ist die Vergangenheit unschuldig, sie hat nichts mit historischer Rechenschaft zu tun. Die Bitterkeit der weißen Südstaatler ist zu Kitsch zerschmolzen—oder auch zu Verleugnung und Vergessen. Es ist diese Blindheit, die die Sklaverei auch heute unsichtbar macht. „Wir Brasilianer interessieren uns nicht sehr für die eigenen Geschichte", sagte Gião. „Wir haben es in der Schule gelernt, aber wir feiern nicht, was unsere Vorfahren für uns getan haben." Dann wendete sie sich der Bühne zu, um sich eine Live-Version von „Summertime" aus Porgy und Bess anzuhören und zuzusehen, wie ein Mann eine brasilianische Fahne neben den Sternen und den Streifen nach oben zog.

Fotos von Jackson Fager