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Meine Mutter hat mich dazu gezwungen, mit ihr aufs Sauzipf Rocks zu gehen

Ich war mit meiner Mama beim Sauzipf Rocks und habe es unverheiratet nach Hause geschafft.

Fotos von der Autorin.

Meine Mutter ist viel cooler als ich. Das war schon immer so und wird vermutlich auch dann noch so sein, wenn sie schon 90 ist und ich erst junge 58. Selbst dann wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit die unkonventionelle Oma geben, während ich, umgeben von einer Wolke aus Spießigkeit, gleich aufregend sein werde wie beige Wandfarbe.

Es ist auch OK so. Ich habe mich damit spätestens zu dem Zeitpunkt abgefunden, als sie das knappe Lederoberteil meiner Schwester—das sowohl Bauch-, Rücken- und im Grunde auch irgendwie Busen-frei war—als "süß" bezeichnete. Während ich ihr den Ratschlag gab, so nur außer Haus zu gehen, wenn sie einen horizontalen Karriereweg im Kopf hat. Vielleicht wird man auch automatisch etwas konservativer, wenn die eigenen Eltern Teil der 68er Generation sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich Blusen und alte Folk-Musik nur deshalb so liebe, weil ich mich irgendwie von meiner Familie abgrenzen will. Naja, zumindest ist es eine gute Ausrede.

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Auch wenn ich persönlich kein Problem mehr damit habe, die Uncoolere von uns Beiden zu sein, hat die Freshness meiner Mutter doch direkte Konsequenzen für mich: Jedes Jahr im Sommer will sie mich dazu zwingen, mit ihr aufs Sauzipf-Rocks zu gehen: Ein Metal-Festival, dreihundert Meter entfernt vom Haus meiner Oma in Döbriach. Mitten im Acker zwischen den idyllischen Nockbergen. Konservativer Dorf-Flair trifft auf biergeschwängerte Festival-Atmosphäre—"Wacken" auf winzig.

Weil ich Metal halt wirklich sehr hasse, hört sie von mir immer das Gleiche: "Nein." Allerdings hatte ich heuer die Chance, das Ganze journalistisch zu verwerten und ganz ehrlich: Das musste ich einfach ausnutzen. Wenn meine Mutter Metal-Festival wollte, sollte sie Metal-Festival bekommen. Dieses Mal zumindest.

Es ist Samstag Nachmittag, die erste Band des Tages beginnt, ihre starkverzerrten Gitarren zu stimmen. Meine Mama ist ein wenig aufgeregt, weil sie nichts Schwarzes zum Anziehen dabei hat. Ich, von Kopf bis Fuß in die vermeintliche Lieblingsfarbe aller Metal-Fans gehüllt, sage ihr, dass sie sich nicht so anstellen soll und gebe ihr das erste Bier. Denn noch schlimmer, als als Metal-Hasserin auf ein Metal-Festival zu gehen ist nur, es nüchtern zu tun.

Festival? Wo?

Nach einer angemessenen Menge Alkohol machen wir uns auf den Weg, lassen Kinderschaukel und Hühnergehege hinter uns und folgen den Screamo-Gesängen. Das Gelände ist ziemlich klein, aber professionell organisiert. Es gibt richtige Festivalbänder, verschiedene Essens-, Trink-, und Merchandising-Standeln, ein Lagerfeuer und eine Menge Bierbänke.

Meine Mama und ich holen uns Getränke und machen das, was hier irgendwie alle tun: Sitzen und halb-interessiert auf die Bühne schauen. Von Pogo oder Eskalation ist noch nichts zu sehen—es hat eher etwas von gemütlicher Bierzeltatmosphäre. Würden sie Volksmusik spielen, könnte es genauso gut ein Feuerwehr-Fest sein. Die erste Band, die wir sehen, Iron Heel, kündigt sich mit dem Satz "Doom-Metal bei Sonnenschein, was kann schöner sein" an und ich frage mich, ob ich zu meinem Murauer nicht doch noch einen Schnaps trinken sollte.

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Festival oder Bierzelt-Gaudi?

Mama und Bier.

Mama, Bier und ein paar echte Männer.

"Lass uns nicht so kuschelnd dasitzen, du könntest hier einen Aufriss machen", raunt mir meine Mutter von der Seite zu, "Schau dir mal den an, der sieht aus, wie ein Ritter. Ich würde auch gerne mal in seinem vollen Haar wühlen." Sie zeigt dabei auf einen zirka zwei Meter großen Typen, mit stilechter langer Mähne und sorgfältig gestutztem Bart, während sie demonstrativ mehrere Zentimeter von mir wegrutscht. Mein glatzköpfiger Vater tut mir plötzlich irgendwie Leid.

Sauwohl gefühlt bei dieser Saucurity.

Vor der Bühne wippen ein paar wenige Fans im Takt der Musik, Kinder laufen mit Gehörschutz rum und ich habe das Gefühl, dass sich die Festivalkultur in den letzten Jahren doch ziemlich verändert hat. Dreck gibt es hier auch so gut wie keinen, sehr zur Enttäuschung meiner Mama übrigens, die entsetzt beobachtet, wie ein Raucher seine ausgetötete Zigarette brav in den Mistkübel wirft. Ihre alte Tschicker-Seele hätte sowas überhaupt nie gemacht: Mehr als einmal habe ich als Kind Zigaretten-Stummel gegessen, weil sie bei uns im Garten rumlagen.

Ein Kind und ein Fan.

Meine Mutter treibt es vor die Bühne, sie will näher am Geschehen sein und ich überlege mir, ob wir nicht vielleicht doch schon nach Hause gehen könnten. Sie stellt sich gezielt neben einen Typen, der Johnny Depp irgendwie ähnlich sieht, rammt mir den Ellbogen in die Seite und nickt vielsagend in seine Richtung. Plötzlich dreht sie sich zu ihm und erzählt ihm irgendwas. Ich verstehe zwar kein Wort, werde aber durch einen sehr groben Schubser von ihr dem armen Johnny Depp entgegen geschleudert. "Du schreibst darüber, dass du mit deiner Mama ein Metal-Festival besuchst?", fragt er. Als ich ja sage, rollt er seinen linken T-Shirt-Ärmel hoch und zeigt mir ein Anker-Tattoo mit der Überschrift "Mama": "Meine Mutter hat immer gesagt, wenn ich die Matura schaffe färbt sie sich die Haare blau und geht mit mir Pogo tanzen. Hat sie dann leider doch nicht", sagt Johnny lachend und verschwindet. Vermutlich, hat er sich vor der aufdringlichen Alten und ihrer etwas genervt-wirkenden Tochter dann doch irgendwie gefürchtet.

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Johnny Depp und ich, trotz Tattoo wurde aus unserer Liebe nichts.

Meine Mama wirkt leicht enttäuscht darüber, dass ich und der Anker-Tattoo-Typ nicht sofort geschmust—oder zumindest Nummern ausgetauscht—haben und erst in dem Moment checke ich, dass sie nur mit mir aufs Sauzipf gehen wollte, um mich an den Mann, äh Metaller, zu bringen. Single zu sein ist etwas, dass in ihrem Lebenskonzept nie vorgekommen ist und vermutlich auch nie mehr vorkommen wird. Als Frau hat man einen Mann zu haben—hin und wieder ist sie halt doch spießig.

Poly-Math spielen jetzt und vielleicht liegt es auch einfach daran, dass sie keinen Sänger haben, aber sie sind irgendwie sogar gut. Ihre Gitarrensolos verführen mich fast dazu, Fan zu werden und der Bassist spürt seine Lines so hart, dass man automatisch irgendwie begeistert ist. Außerdem schaffen sie es im Gegensatz zu Iron Heel meine Mutter von weiteren Verkupplungsversuchen abzulenken, alleine dafür liebe ich sie schon. Sie verliert sich in Beobachtungen anderer Festival-Besucher, die sie zum Teil verstören und zum Teil belustigen: "Glaubst du, hat Metal etwas mit ALS zu tun?", fragt sie scherzhaft beim Anblick eines ekstatisch tanzenden Typen, "Und der da hat sicher gekokst, schau ihn dir mal an."

Poly-Math

Unsere Getränke sind leer und meine Mama winkt großzügig mit ihrer Brieftasche, um mir zu signalisieren, dass ich Nachschub holen soll: "Und nimm noch so eine Bratwurst mit Kartoffelsalat mit", schreit sie mir entgegen, während sie mit ihren—in Converse (!)—gekleideten Füßen zur Musik schaukelt. Es hat ja doch auch Vorteile, mit einem Elternteil unterwegs zu sein: Völlig neue Konsumdimensionen eröffnen sich. Meine Studentenbrieftasche hätte uns allerhöchstens ein Bier für Zwei finanzieren können.

Als ich zurückkomme, hat schon die nächste Band die Bühne übernommen: The Dictators aus den USA. Amerikaner haben, glaube ich, einfach weniger Angst vor Pathos. Der Sänger eröffnet das Konzert mit den Worten "We must safe Rock’n’Roll" und die Menge (OK, gut. Menge ist übertrieben, sagen wir einfach: das Publikum) tobt. Es beginnt Musik, die an den Kinder-Punk von Blink 182 erinnert. Eh nett, aber halt nicht wirklich meins. "Gefällt dir die Band?", frage ich meine Mama, die mit glänzenden Augen die Bühne fixiert. "Nein." "Wollen wir dann nicht vielleicht nach Hause gehen? Es ist eh schon elf." "Ich komme gerade erst in Fahrt. Hast du außerdem den da drüben gesehen? Der ist schon sehr schnuckelig!", sie setzt ein Joker-ähnliches Grinsen auf, bekommt einen leicht irren Blick und beginnt in die Richtung des von ihr auserwählten Typen loszustarten. Ich habe Angst, das Festival zwangsverheiratet zu verlassen, wenn wir nicht bald verschwinden. Ich ziehe sie zurück und sage mit meiner strengsten Stimme: "Ein Lied noch, dann packen wirs aber wirklich." "Na gut, du Spaßverderber", raunzt sie mir trotzig entgegen.

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Die "Menge".

Es ist Nacht. Aus einem Lied sind sechs geworden. Wir haben sieben Stunden Metal, Bier und Bratwurst hinter uns gebracht.
"Tut mir Leid, dass ich mit niemanden geschmust habe, Mama."
"Schade Hannah, schade", antwortet sie mir Schulter tätschelnd, "Nächstes Jahr dann."

P.S. Wer meine Mutter nach diesem Artikel als Wing-Man oder Festivalbegleitung haben will: Mail an mich.

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