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​Was wir von diesem US-Wahlkampf (bis jetzt) gelernt haben

Unter anderem, dass die Hautfarbe des Kandidaten in den USA mittlerweile wirklich völlig egal ist.
Foto: imago | ZUMA Press

Halleluja, es ist fast vorbei! Die letzten Wochen haben sich angefühlt, als hielten die Wahlen in den USA unsere Aufmerksamkeit in Geiselhaft. Und seien wir ganz ehrlich: Spätestens seit Bernie Sanders Ausscheiden reden wir dabei nicht von den Wahlen im Allgemeinen, sondern von dem Phänomen Donald Trump.

Egal, ob man Hillary jetzt grauenhaft oder kompetent oder beides findet, sie ist eine normale Politikerin. Was sie bisher tat und sagte, bewegte sich immer im Rahmen dessen, was man von einem amerikanischen Politik-Profi eben erwartet. Niemand, nicht einmal er selber, würde das je von Trump behaupten.

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Trump war abwechselnd aggressiv, weinerlich, brutal und völlig ahnungslos; er hat zu Gewalt aufgerufen, Schwarze als faul und Mexikaner als Vergewaltiger beleidigt. Die Trump-Kampagne aus Österreich zu beobachten, war deshalb ungefähr so aufregend, wie aus dem Wohnzimmer im ersten Stock einer reißenden Flut auf der Straße dabei zuzuschauen, wie sie die Autos der Nachbarn mit sich reißt.

Man war fasziniert und teilweise belustigt, aber man konnte auch nie sicher sein, ob das rasende Wasser nicht auch das Fundament des eigenen Hauses beschädigen würde. Wobei das eigene Haus hier die westliche Demokratie als Ganzes bedeutet, denn deren Ansehen hat durch das Spektakel jetzt schon Schaden genommen.

Ab morgen früh ist es also vorbei, und es hatte ja auch seine guten Seiten: Zum Beispiel wissen wir jetzt, dass Hautfarbe in den USA heutzutage wirklich überhaupt keine Rolle mehr spielt, wenn man in die Politik gehen will. Höchste Zeit, sich noch einmal anzuschauen, was wir aus diesem Wahlkampf alles gelernt haben.

1. Wut zieht genauso gut wie Hoffnung

Auch wenn der offizielle Slogan der Trump-Kampagne "Make America Great Again" war—die meisten seiner Anhänger gewann der Republikaner durch seine nie nachlassende Aggression auf alles und jeden, der ihm irgendwie in die Quere kam. Mit seiner Wut schaffte er es, all jene hinter sich zu versammeln, die auch auf irgendwas wütend waren: auf das System, die Wall Street, auf die Einwanderer, die Schwarzen, die Juden, die Muslime oder die Frauen.

Dass Trump diese Wut so offen ermutigt, hat auch zu einer Verrohung geführt, die oft genug in offene Gewalt umschlägt: Als ein Mann bei einer Trump-Veranstaltung schweigend mit einem Schild "Republikaner gegen Trump" aufstand, versuchte die Menge um ihn herum fast, ihn zu lynchen.

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2. Nichts ist mehr sicher und Geld ist nicht alles

Schon Trumps Nominierung als Kandidat der Republikaner hat alles über den Haufen geworfen, was man bis dahin sicher über Politik zu wissen glaubte. Fast alle Analysten und Kommentatoren waren sich zu hundert Prozent sicher, dass der exzentrische und großmäulige Immobilien-Mogul niemals auch nur eine Chance in einem echten Wahlkampf haben würde.

Auch danach missachtete Trump fröhlich weiter die grundlegendsten Regeln des amerikanischen Wahlkampfs: Eigentlich galt es als gesichert, dass man endlos viel Geld investieren muss, um überhaupt eine Chance zu haben. Jeb Bush zum Beispiel hatte schon spektakuläre 100 Millionen Dollar verbrannt, bevor die Republikaner ihn überhaupt nominiert hatten, und musste sich trotzdem geschlagen geben. Trump hatte im April erst ungefähr ein Drittel von dem ausgegeben, was Hillarys Spender für ihre Kampagne gezahlt haben, und trotzdem könnte das Rennen immer noch knapp werden.

Und zu guter Letzt: die Skandale. Gefühlt hat Trump in jeder Woche seiner Kampagne genug Unglaublichkeiten von sich gegeben, um die Karrieren von zwölf Politikern für immer in Schimpf und Schande zu beenden. Erinnert ihr euch noch an Mitt Romney, der einmal 47 Prozent der Amerikaner als "Opfer" bezeichnete und darüber seinen kompletten Wahlkampf in die Tonne treten konnte? Würde Trump das heute sagen, wäre das wohl kaum noch eine Meldung wert.

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3. Die Erwachsenen haben uns im Stich gelassen

Während unserer ganzen Jugend hat man uns erzählt, dass wir endlich erwachsen werden und die Dinge ernst nehmen sollen. Und kaum kommen wir in das Alter, verwandeln sich die Erwachsenen plötzlich in Clowns, die für Brexit, FPÖ und Trump stimmen, als sei ihnen sowieso alles egal. Was soll der Scheiß? Wie sollen wir das denn ernst nehmen, wenn ihr euch plötzlich benehmt, als hättet ihr noch neun Planeten in petto?

4. Themen sind irrelevant

Weiß überhaupt irgendjemand, wofür Donald Trump eigentlich steht? Oder ob Hillary auch über andere Sachen reden kann als immer nur über ihre E-Mails? Dieser Wahlkampf ist einer der politiklosesten Wahlkämpfe, die wir je erlebt haben. Klar, Trump will irgendwas gegen China unternehmen, findet Putin cool und hat einen geheimen Plan, um den IS "sofort" zu besiegen.

Aber sonst? Das war ja das Schöne, aber auch endlos Witzige an Ken Bone: Da saß ein Zuschauer im TV-Duell, der tatsächlich eine Antwort auf eine echte Frage haben wollte! Har har har, wie köstlich, lasst uns ein Meme draus machen.

5. "Gegen das System" ist nicht immer cool

Spätestens seit Julien Assange und Pepe the Frog dieselbe Person geworden sind, sollte allen klar sein, dass es nicht ausreicht, einfach "dagegen" zu sein. Wenn man sieht, wie viel Hass die Menschen in sich tragen, die sich heutzutage—auch hierzulande—für "systemkritisch" halten, kann einem schon mulmig werden.

Heißt das, dass das System jetzt automatisch cool ist und wir uns alle Clinton- und Merkel-Kopfkissenbezüge kaufen müssen? Nein. Aber man sollte in Zukunft genau darüber nachdenken, welche Teile vom System (wie zum Beispiel den Minderheitenschutz) man vielleicht doch nicht sofort über Bord werfen muss.

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6. Fakten sind irrelevant, aber Shares sind geil

Ziemlich eigenartig an dem ganzen Wahlkampf war auch, wie egal es offenbar vielen Trump-Supportern war, wie oft Trump gelogen hat und immer noch lügt. Zum Beispiel: Man liest sehr oft Kommentatoren in den sozialen Medien, die trotzig behaupten, dass Trump anders als Hillary wenigstens zu seinen Fehlern steht. Dabei könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein: Er lügt immer noch über seine Unterstützung für den Irakkrieg, obwohl es dafür handfeste Beweise gibt.

Halbwahrheiten, Gerüchte und Panikmache gab es schon immer, aber noch nie hatten sie so viel Einfluss wie heute. Und das liegt ganz klar an den sozialen Medien, die es jedem einzelnen von uns erlauben, schon vorher zu filtern, welche Informationen zu uns durchdringen. Dadurch ergibt sich nicht nur in den USA ein ganz neues Phänomen, das alte gesellschaftliche Trennlinien (Einkommen, Geschlecht, Bildung) durch eine neue ersetzt.

"Die Schere zwischen informierten, unterinformierten oder gar desinformierten Teilen der Öffentlichkeit öffnet sich immer weiter", schreibt Frank Stauss dazu auf Carta. "Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl derer, die sich aus weiten Teilen des Informationszyklus völlig zurückziehen oder aktiv ausklinken."

Mittlerweile gibt es sogar ganze Geschäftsmodelle, die auf Desinformation aufbauen. Buzzfeed News hat vor Kurzem recherchiert, dass eine große Zahl Pro-Trump-Infoseiten aus derselben Stadt in Mazedonien betrieben werden. Den mazedonischen Studenten ist zwar Trump scheißegal, sie verdienen aber über Google Geld, wenn sie es schaffen, eine virale Bullshit-Story wie "Der Papst verbietet Katholiken, für Clinton zu stimmen" auf Facebook zu platzieren und so Leute auf ihre Seite zu locken.

(Mit Pro-Hillary-Geschichten funktioniert es leider einfach nicht so gut, sie haben es ausprobiert.) Auch in Deutschland gibt es Webseiten, die mit Panikmache Geld verdienen.

Fazit

Das alles ist ziemlich gruselig. Stauss lesenswerter Carta-Artikel dazu heißt übrigens: "Ein Blick in die USA ist ein Blick in unsere Zukunft". Man kann nur hoffen, dass er nicht zu hundert Prozent Recht hat. Aber jetzt heißt es erstmal: Daumen drücken für Hillary!

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