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Die veganen Öko-Rassisten aus Neukölln sind Alt-68er

Spätestens wenn polnischen Reinigungskräften gekündigt wird, weil sie keine veganen Putzmittel benutzen, sollte allen klar sein, dass auch Neukölln mittlerweile von Upper-Class-Ökos bevölkert wird, die gerne mal auf die xenophobe Kacke hauen. Der...

Spätestens wenn polnischen Reinigungskräften gekündigt wird, weil sie keine veganen Putzmittel benutzen, sollte allen klar sein, dass auch Neukölln mittlerweile in den Feuern der Gentrifizierungshölle schmort. Offenbar wird der Berliner Stadtbezirk nämlich von spießigen Upper-Class-Ökos bevölkert, die gerne mal auf die xenophobe Kacke hauen. Anders kann man den Brief kaum interpretieren, den die polnische Putzfrau Anka in einer Wohnung fand, in der sie gerade sauber gemacht hatte. Darin kündigt ihr das ansässige Ehepaar mit der Begründung, sie hätte keine veganen Putzmittel benutzt, obwohl sie es ihr doch nahegelegt hätten. Auch den Einwand, dass sie sich bei acht Euro Stundelohn so teure Putzmittel nicht leisten könne, lässt das Paar nicht gelten. Schließlich habe der Ehemann Anka das ja vorgerechnet und sowieso hätte sie ja schon von vornherein ökologisch abbaubare Reinigungsmittel benutzen sollen. Zwischen die—zurückhaltend formuliert—anmaßende Begründung für die Kündigung sind noch freundliche Erklärungen zum Öko-Lifestyle gestreut: „Es mag in Ihrem Heimatland üblich sein, sich nicht um ökologische Belange zu scheren, aber hier bei uns verfolgt man einen ökologischen, nachhaltigen Ansatz, zum Schutz unserer Umwelt.“ Gleich darunter wird auch netterweise für die ungebildete Polin das Credo „Think globally, act locally“ übersetzt: „Das ist Englisch und bedeutet so viel wie, 'Denke global, aber handele regional.'“ Zum Ende hin kommt auch noch ein etwas absurd anmutender Hinweis auf die Katze des Ehepaars, Rosa, die angeblich jedes Mal nach dem Besuch von Anka verstört wirke. Wahrscheinlich liegt es vor allem an diesem Punkt, dass so einige Kommentatoren im Internet die Echtheit des Kündigungsschreibens anzweifeln. Ich wollte herausfinden, ob das Ganze gestochen scharfe Satire oder traurige Realität ist. Deswegen habe ich mit dem Journalisten Ramon Schack, der bei der Recherche für sein Buch über Neukölln zusammen mit Anka auf Putztour war, gesprochen. VICE: Erst einmal: Ist der Kündigungsbrief echt?
Ramon Schack: Der ist echt. Mir liegt die Kopie vor, ich habe das Original auch gesehen. Ich war mit Anka, den Namen habe ich geändert, in drei Wohnungen, in denen sie geputzt hat, und in der dritten haben wir eben diesen Brief auf dem Küchentisch gefunden. Wie haben Sie Anka überhaupt kennengelernt?
Sie putzt bei Bekannten von mir. Ich war neulich zum Brunch dort eingeladen und da meine Bekannten ein gutes Verhältnis zu Anka haben, hat sie auch ein Glas Orangensaft mitgetrunken. Wir sind dann ins Gespräch gekommen und ich fand das sehr spannend, was sie von ihrem Job erzählt hat. Sie hat einen sehr scharfen, psychologischen Blick auf Neukölln. Da habe ich sie gefragt, ob ich sie für mein Buch, das im Juni erscheinen soll, begleiten kann.
Die Sache ist insofern rechtlich ein bisschen heikel, weil a) arbeitet sie schwarz und b) habe ich eigentlich nicht das Recht, in die Wohnung zu gehen. Aber da es sich ja um eine investigative Sache handelt, musste ich damit brechen. Was hat sie denn so erzählt?
Na, vor allem ist Anka erstaunt, dass Neukölln immer in Deutschland als das Problemviertel Nummer Eins dargestellt wird. 90 Prozent ihrer Kunden kommen aus Neukölln, können sich also eine Putzfrau leisten. Das ist ja nicht gerade das typische Merkmal eines Slums. Und dann hat sie von ganz unterschiedlichen Milieus berichtet. Sie hat Kunden, die von Hartz IV leben und sich trotzdem eine Putzfrau leisten können, und Menschen mit Einwanderungsbackground, die auch nicht dem Klischee entsprechen, sondern in akademischen Berufen tätig sind. Und eben auch dieses Lehrerehepaar. Das ihr diesen Brief geschrieben hat? Was wissen Sie denn über die?
Anka hat mir ein bisschen etwas über die erzählt. Das sind pensionierte Lehrer. Sie geben sich halt nach außen sehr links und weltoffen. Die Katze heißt Rosa und der Kanarienvogel Karl, wirklich nach Rosa Luxemburg und Karl Marx, weil sie sich den Idealen der '68er sehr verpflichtet gefühlt haben. Aber dann leben sie doch das aus, was man früher „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ genannt hat. Zum Beispiel regen sie sich über die türkischen Kinder auf. Und der Brief hat das, wie ich finde, zum Ausdruck gebracht. Sie waren ja auch bei denen zu Hause. Wie sieht die Wohnung denn so aus?
Es ist eine Fünfzimmerwohnung, sehr gediegen, Altbau, Eigentumswohnung. Geschmackvoll eingerichtet, mit teuren Möbeln. So wie man sich eine Wohnung eines älteren Akademikerpaares vorstellt. Natürlich verrät eine Wohnung immer einiges über den Besitzer. Da hing ein Bild von Joschka Fischer und auf dem Tisch lag die Emma. Wie war denn Ankas Reaktion, als sie den Brief aufgemacht hat?
Sie hat ihn mir gleich vorgelesen und wir mussten beide schmunzeln. Sie war nicht so traurig, weil sie eh schon selbst mit dem Gedanken gespielt hatte, das Arbeitsverhältnis bei diesem Ehepaar zu kündigen. Das mit der Öko-Putzmittel-Geschichte lief natürlich schon länger und sie konnte die beiden auch nicht gut leiden. Verständlich. Danke für das Gespräch.