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Bei den Top 30 DAX-Unternehmen sind lächerliche 54 Flüchtlinge fest beschäftigt

Und wenn die Deutsche Post nicht wäre, wären es nur 4 mit fester Arbeit. 4 von 1,2 Millionen. Woran scheitert die Integration?

Foto: imago | IPON

"Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen." Nun hat man niemanden gerufen und es kamen auch Menschen—wir nennen sie Flüchtlinge. Die deutsche Scheinheiligkeit der 50er und 60er Jahren hatte Max Frisch schon gut auf den Punkt gebracht: Arbeitskraft wurde dringend gebraucht, der Wirtschaftsmotor musste am Laufen bleiben, so dringend, dass auch "Gastarbeiter" die Industrie beheizen sollten, nur Menschen-Sein, das sollten sie lieber nach ihrem Gastauftritt wieder in ihren Heimatländern tun.

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Was das Adenauer- und Erhard-Deutschland unterschätzte, war die integrative Wirkung von Arbeit. Aus der Absicht "Gekommen, um zu arbeiten" wurde die Realität "Gekommen, um zu bleiben". Freundschaften wurden geschlossen, Familien gegründet, Häuser gebaut. Heute, 60 Jahre später, könnten Deutschland und die 1,2 Millionen geflüchteten Menschen die integrative Funktion von Arbeit auch wieder gut gebrauchen: Deutschland, weil es seine 665.000 offenen Arbeitsstellen besetzen könnte (Stand: Juni), und die Menschen, weil sie …, ja muss man das eigentlich noch einmal erklären? Wer sitzt schon lieber beschäftigungslos in Zelten herum oder starrt auf weiße Wände von Notunterkünften—monatelang—, wenn er auch arbeiten könnte? Wer hat lieber kein Geld oder ist auf Almosen angewiesen, wenn er aus eigener Kraft für sich und seine Familie sorgen dürfte? Die Flüchtlinge wollen arbeiten, das zeigen Medienberichte fast täglich. Nur leider ist "Wollen" nicht gleich "Können". Das zeigen die Medienberichte auch.

Nehmen wir die 30 wertvollsten Unternehmen im Deutschen Aktienindex zum Beispiel: Sie beschäftigen rund 3,5 Millionen Menschen und wie viele von den 1,2 Millionen Flüchtlingen habe sie, zusammen genommen, bis Anfang Juni fest angestellt? 54. Davon beschäftigt allein die Deutsche Post 50 Personen. Zwei weitere entfallen auf den Softwarekonzern SAP, genauso viele auf den Darmstädter Pharmahersteller Merck. Und dabei haben die Global Player noch vor einiger Zeit große Reden geschwungen, wie etwa der Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Dieter Zetsche: Im Zuge der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt sprach er davon, dass zwar nicht jeder Flüchtling ein brillanter Ingenieur, Mechaniker oder Unternehmer sei; aber wer sein komplettes Leben zurücklasse, sei hoch motiviert. "Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land", waren seine Worte. Im besten Fall könne dies auch "eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder" werden.

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Warum dieser Fall aber kaum eintreten wird, wissen die Arbeitsagenturen zu beantworten: Sie sehen die größten Probleme in den mangelhaften Deutschkenntnissen wie auch den fehlenden (formalen) Berufsqualifikationen. Zwar sind rund 60 Prozent der Geflüchteten jünger als 35 Jahre, doch laut den Arbeitsagenturen bräuchte ein junger Migrant mindestens fünf Jahre, um die nötigen Sprachkenntnisse zu erwerben und eine Berufsausbildung abzuschließen. Dann erst könnte er als Fachkraft in der Wirtschaft eine Stelle finden.

Wie die Realität die Wunschträume einholt, sehen wir auch bei Mercedes. Eigenen Angaben zufolge war für den Automobilriesen unter den 1,2 Millionen Flüchtlingen kein passender Kandidat dabei—bis zum heutigen Tag hat man keinen einzigen der seit 2014 registrierten Schutzsuchenden fest angestellt.

Nur stellt sich die Frage, ob jeder von den 297.000 Geflüchteten, die laut der Bundesagentur für Arbeit als arbeitssuchend in Deutschland gemeldet sind, auch unbedingt als hochqualifizierte Kraft eingesetzt werden muss. Natürlich ist das nicht machbar: 74 Prozent der Menschen sind ohne konkrete Berufsausbildung, doch was spräche gegen ihre Einstellung als Hilfskraft? Wie nämlich eine Kurzstudie des IAB-Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit zeigt, gibt es rund 154.000 Jobangebote, die von gering qualifizierten Flüchtlingen durchaus besetzt werden könnten—kein Berufsabschluss und keine größere Deutschkenntnisse wären dafür nötig.

Was die 30 führenden DAX-Unternehmen betrifft, so richten sie lieber Praktikumsplätze ein: Selbstauskünften auf eine F.A.Z-Umfrage zufolge hat man bereits 2.700 Praktikumsplätze für Flüchtlinge geschaffen, wovon 500 schon besetzt wurden. Die Deutsche Post führt auch diese Liste mit 1.000 Angeboten an. Dahinter Daimler (300), Thyssen-Krupp (230) und BMW (200).

54 fest angestellte Flüchtlinge. Wie soll man diese nur Zahl deuten? Ist sie ein Nachweise für die rasante, technische Entwicklung und die damit einhergehende Rationalisierung innerhalb der deutschen Wirtschaft? Wo also noch früher die "Gastarbeiter" Untertage oder in Fabriken zügig eingelernt wurden, fallen mehr und mehr solcher Stellen durch effiziente Maschinen weg und was an Tätigkeiten bleibt, kann ohne eine spezifische Berufsausbildung einfach nicht ausgeübt werden? Nur welche Aussagekaft hätte dann die Kurzstudie des IAB-Forschungsinstituts?

Oder besteht hier tatsächlich eine negative Korrelation zwischen den Festeinstellungen und Praktikumsplätzen? Frei nach dem Motto: Wozu Lohn zahlen, wenn man Praktikanten haben kann? Vielleicht treffen ja beide Erklärungen zu, vielleicht auch keine, wer weiß das schon. Es gibt bei dieser Thematik viele Faktoren. Viele Fragen zum Arbeitsrecht, viele Menschen—da besteht immer die Möglichkeit, dass die Rechnung nicht aufgeht. Genau wie damals, als Arbeitskräfte gerufen wurden und Menschen kamen.

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