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Wirres Deutschland

Hooligans, Neonazis und die Reichsregierung: Der Sturm auf den Reichstag fiel aus

Am Samstag wollten 35.000 Deppen den Reichstag stürmen. Hat nicht geklappt.

35.000 „Patrioten" treffen sich am 9. Mai in Berlin und stürmen den Reichstag. Die „Regierung" der BRD-GmbH wird abgesetzt und die extra angereiste Reichsregierung übernimmt die Geschäfte. Flankiert wird das Ganze von den Nachtwölfen, Putins nationalistischer Rockergang.

So haben sich die Organisatoren dieses „Reichstagssturmes" den vergangenen Samstag vorgestellt. (Im Ernst.) Funktioniert hat überraschenderweise nichts davon. Von den 35.000 Menschen, die sich auf Facebook für die Veranstaltung angemeldet hatten, erschienen nach Schätzungen der Polizei 350 (die Veranstalter hatten 50.000 Teilnehmer angemeldet): eine Mischung aus Hooligans, Reichsbürgern, NPD-Kadern, Pro-Deutschland-, Legida und Pegida-Unterstützern, Friedensdemoteilnehmern und Jürgen Elsässer. Von den Nachtwölfen war nichts zu sehen. Das alles auf dem vollständig abgeriegelten Washingtonplatz, direkt vorm Berliner Hauptbahnhof.

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Wie so oft bei solchen Demos gestaltete sich das Ganze eher als Selbstgespräch, nur unterbrochen vom Klang der Rollkoffer verwirrter Touristen, die den Eingang zum Bahnhof suchten. Wie mittlerweile bei solchen Demos üblich waren Journalisten nicht gern gesehen. Immer wieder versuchten Ordner, Fotografen und Reporter vom Gelände zu verweisen. Weil, wie mir eine Ordnerin sagte, als ich mich weigerte zu gehen: „Sowas wollen wir hier nicht." Man hat also kein Publikum, will auch nicht, dass berichtet wird und sowieso mit niemandem reden.

So absurd das alles klingen mag: Diese Leute meinten das ernst. Der Facebook-Account „Kundgebungen", der maßgeblich für die Demo am Washingtonplatz verantwortlich war, schreibt zunächst etwas über einen „Code 45", der den Reichstagssturm ankündigt (mittlerweile wurde dieser Post wieder gelöscht), und am Abend des gescheiterten Putsches ironiefrei Folgendes:

Auf der gegenüberliegenden Spreeseite demonstrierte das Bündnis Berlin gegen Nazis und blockierte damit den Zugang zum Regierungsviertel, während auf dem Washingtonplatz mehrmals Gegendemonstranten vor den Absperrungen gegen die Veranstaltung demonstrierten. Insgesamt ergab sich so eine ähnliche Atmosphäre wie im Zoo. Eingezäunt auf einem artgerechten Gelände (viel Beton) wurden die Teilnehmer zwar von außen gehänselt, für sie selbst ist dieser Betonplatz aber die Welt, in der jede Ansicht, egal wie krude, ihren Platz hat.

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„Journalisten schützen Salafisten!" Muss man wissen.

Aber dann mochte man sich nicht mal gegenseitig. Ein Redner der sogenannten „Jewgida", einer Gruppe jüdischer Menschen, die sich für Pegida (aka Islamhass) einsetzen, war nicht gern gesehen und ein Deutschpalästinenser von der neuen Friedensbewegung musste nach seiner Rede, die von Buhrufen unterbrochen wurde, unter Polizeischutz den Platz verlassen. Keiner dieser Redner hatte etwas diametral Gegensätzliches zum auf dem Platz herrschenden Konsens zu sagen (Flüchtlinge sind schlecht, Putin ist super, Deutschland wird unterdrückt, etc.). Gerade die Redner der Friedensdemos fielen durch ausgeprägten Antisemitismus auf (während die Jewgida-Fraktion auch die Veranstaltung verließ), einer sprach davon, dass „Zionisten wollen, dass die Juden in Israel leben. Wir wollen, dass sie überall leben." Also nicht gerade ein subtiler Versuch, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Aber selbst die Feststellung „Israel ist unser Feind" war nicht genug, um aus den anwesenden Fraktionen Freunde fürs Leben zu machen.

Was eine Art Gipfeltreffen der reaktionären Kräfte Deutschlands hätte werden sollen, war eher sowas wie ein Schrottplatz der unangenehmen Weltanschauungen. Eine Rednerin sprach von Frühsexualisierung „unserer Kinder", der Brechung der Zinsknechtschaft, „Scheinasylanten", deutschen Müttern, die auf dem Spielplatz von Asylanten angegriffen werden, und der BRD GmbH. Alles in einer Rede.

Manfred Rouhs (Pro-Deutschland)

Manfred Rouhs, Mitgründer von Pro-Deutschland sprach darüber, dass der 9. Mai der Tag der Unterwerfung des deutschen Volkes sei und dass doch bitte alle mal an die Trümmerfrauen denken sollen, die ja Deutschland wiederaufgebaut haben (und damit, seiner Meinung nach, erst interessant für die bösen Wirtschaftsflüchtlinge gemacht haben), ein Sprecher vom Kassler Pegida-Ableger findet furchtbar, dass die „gesamte germanische Kultur" auf 12 Jahre Nazizeit reduziert wird, die Pharmaindustrie uns mit Chlorhühnchen vergiftet und Jungs „in der vierten Klasse einen Rock anziehen müssen, um gedemütigt zu werden." Ansonsten weiß er natürlich, dass es keinen Friedensvertrag gibt und „Zionistische Gruppen" die Presse manipulieren und zwar schon seit dem ersten und zweiten Weltkrieg.

Die Reichsregierung stand schon in den Startlöchern, musste dann aber unverrichteter Dinge zurück ins Exil.

Ein türkischer Redner (der auch nicht unbedingt sehr gut bei den Teilnehmern ankommt) fasst dann das große Missverständnis zusammen, das vielen dieser Bewegungen zu Grunde liegt: „Demokratie bedeutet auch, dass jeder seine Meinung frei äußern darf, ohne als Nazi oder Rassist beschimpft zu werden." Nein, bedeutet es nicht. Wenn deine freie Meinungsäußerung aus Rassismus und Naziparolen besteht, dann gehört es zur freien Meinungsäußerung der anderen, dir das mitzuteilen.

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