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DIE LITERATURAUSGABE 2014

Die Literaturausgabe 2014: Wie Kohnstamm an das Strandhaus kam

David Mamet hat unter anderem die Drehbücher für „The Untouchables“ und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ geschrieben. In seiner Kurzgeschichte lässt er das alte, glamouröse Hollywood wieder aufleben.

Ohne Titel (Beach), 2012, © Whitney Hubbs, Mit freundlicher Genehmigung der M+B Gallery, Los Angeles

Es war fast schon Morgen. Margaret und Mel saßen, alleine, auf der Couch.

„Das Wochenende, an dem in Bel Air der Strom ausfiel, war wahrscheinlich das erholsamste meines Lebens“, sagte Mel.

„Wenn du älter wirst, nehmen bestimmte Dinge ab—nur der Appetit wird, so kommt es mir vor, größer; was aber wohl einfach heißt, dass ich zu einem der zwei Lager gehöre.“

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„Was ist das andere?“, fragte Margaret.

„Die werden dünner, je älter sie werden“, sagte Mel. „Aber bei beiden Typen lässt, glaube ich, das Bedürfnis nach Sex nach. Vielleicht bei den Dünnen ein bisschen weniger. Ich weiß nicht. Und, na ja, du kannst es nicht wissen, du bist ja halb so alt wie ich.“

„Nicht ganz“, sagte Margaret.

„Na ja …“

„Ich bin zehn Monate jünger als du,“ sagte sie.

„In dem Winter“, sagte er, „regnete es. Wie es in Südkalifornien so regnet. Auf diese idiotisch übertriebene Weise, mit der hier alles von statten geht. Ich war im Bel Air. Ich hatte diesen Plan. Der am Abend mit dem Dinner beginnen sollte, und ich lag auf dem Sofa herum und schaute Fernsehen. Wo vor Sturzfluten gewarnt wurde. Und Highway 405 war nicht befahrbar und die 10 auch, und Sunset Boulevard war geschlossen, und dann war der Strom weg. Das ganze Hotel. Die ganze Stadt. Alles war auf einmal dunkel und ruhig. Ich nahm den Telefonhörer ab. Das Telefon war auch tot. Und da war diese seltsame Ruhe. Sie kam einfach so über mich; wenn ich heute darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich nicht einmal dachte: ,Ich brauche doch aber …‘

Ich saß auf dem Bett. Ich rauchte eine Zigarette. Die Stille, wenn ich das so nennen darf, ich hoffe du siehst es mir nach, begeisterte mich. Ich war, wenn das das richtige Wort ist, ‚erfasst‘ von einem Gefühl, das ich später als ‚Frieden‘ bezeichnen würde.“

„Ich werde mal raten“, sagte Margaret, „wen du dort treffen wolltest.“

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„Ich glaube nicht, dass du darauf kommst“, sagte Mel.

„Es war Molly Brammell.“

„Ja, das stimmt“, sagte Mel.

„Weil sie, und ich sag dir gleich, woher ich das weiß, weil Sammy und Kay Stern gerade bauten, auf der …, wie hieß die Straße noch mal?“

„Der Tigertail Road.“

Sie nickte. „Und das Haus krachte zusammen. Das, das …“

„Fundament“, sagte Mel.

„… und sie zogen gegen den Bauherrn vor Gericht. Und ich sag dir, woher ich das weiß—weil Slick Kelley, der …“

Er nickte.

„Du erinnerst dich“, sagte sie.

„Ja, allerdings“, sagte er.

„… der ihn verteidigte, oder wie auch immer man das nennt, wenn man den Bauherrn verklagt … Slick Kelley, der dann bekanntermaßen an Krebs gestorben ist …“

„Das weiß ich auch“, sagte Mel.

„… und auf so schreckliche Weise“, sagte sie, „wie man es sich irgend vorstellen kann.“

„Wenn ich sterbe, Moogey“, sagte sie.

„… was?“, sagte Mel.

„’Wenn ich sterbe‘, so habe ich diesen düsteren Satz eben begonnen, wenn du dich vielleicht erinnerst?“

„Ich habe dich gehört“, sagte Mel.

„Hast du nicht“, sagte sie. „Du warst mit den Gedanken irgendwo in der Vergangenheit. Hast an irgendeine Braut gedacht, mit der du was hattest, oder die du mies behandelt hast, eine nette Braut, die du damals nicht richtig zu schätzen gewusst hast: ‚Inzwischen alles hutzelige Weiblein, und was bist du dann inzwischen, bitte schön?‘, sodass du, ganz klassisch, einen kurzen, pathetischen, aber echten Moment verpasst hast, mit einer der wenigen Getreuen, die dir noch verblieben sind.“

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Er saß eine Weile da.

„Die Sache daran ist die“, sagte er, „dass, dass, in Wahrheit––und es ist nicht die Erinnerung, wenn ich das so sagen darf, es ist die Suche nach der Erinnerung, die dich umbringt.“

Sie hörte schweigend zu.

„Weil …“ Sie rückte auf der Couch ein Stück an ihn heran, nahm sein Gesicht in ihre Hände und drehte seinen Kopf zu sich, und küsste ihn leicht auf die Wange.

„Aber dann, gut“, dachte er, „was ist der Unterschied zwischen damals und dem hier? Vier Momente vielleicht, in einem Leben. Oder bemerkt man sie erst im Nachhinein, wenn das Begehren nachlässt?“

„Gewinnen, töten, Nachwuchs zeugen, und dann“, dachte er.

„Aber weißt du“, sagte er, „das ist ja das, was den Film ausmacht.“

„Und dann ist da immer noch“, sagte sie, „das junge Mädchen aus Arkansas, voller Hoffnung, die du anrufen kannst, die dich von oben bis unten ableckt, die dir die Zunge in den Arsch schiebt …“

„Ja, aber sie wird nicht verstehen“, sagte er, „oder, worüber zum Teufel ich gerade rede, egal wie modernistisch ich die Stimme moduliere.“

„Die Mädchen damals“, sagte Margaret, „wussten zu der Zeit einen Scheiß. Sie haben immer nur weise genickt, in regelmäßigen Abständen, und sie zogen sich schick an. Und jeder Mann in einem guten Anzug konnte sie haben.“

Die Hausangestellte kam vorbei und füllte Margarets Marihuana-Pfeife neu auf.

„Und sie fickten wie Kaninchen“, sagte sie. „Oh, wie fürchterlich peinlich das alles ist. Dass sie es sich erlaubten, nicht nur den flachen Bauch zu verlieren, und die hübschen, hohen Titten, sondern zu verfallen und zu sterben und eins zu werden mit dem überteuerten Mulch, den mein Gärtner, wie auch immer der zum Teufel noch mal heißt, auf den Boden schüttet. Und die noch nicht gestorben sind, wünschten sich, sie wären es schon. Das ist die Wahrheit.

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Von ein paar außergewöhnlichen, stoischen, philosophischen Helden mal abgesehen, und ich benutze den Begriff sehr bewusst, und schließe mich da selber mit ein, die tief genug in das Wasser geschaut haben, um …“

„… ihr eigenes Gesicht zu sehen?“, schlug Mel vor.

Margaret schüttelte den Kopf.

„Ihr eigenes Gesicht“, sagte sie, „und dahinter den Himmel. Und dahinter, nichts. Oh, Schreck, oh gottverdammter Schreck und oh Graus.“

Sie hatte die Pfeife jetzt fertig gestopft und nickte dem Dienstmädchen zu. Das Dienstmädchen zündete die Pfeife an und Margaret nahm ein, zwei Züge und bedeutete dem Mädchen, sich zu entfernen.

„Und ich sage dir, wer das neue Haus auf der Tigertail Road gekauft hat …“

„Die Sterns?“, fragte Mel.

„Jaha.“ Sie zog noch einmal an der Pfeife. „Als sie es umgebaut haben. Zehn, fünfzehn Jahre später? Als er nach Mexiko ging? Als sie ans Meer gezogen ist? Was ein wirklicher Scheißfehler war. Es zu verkaufen. Weil das Leben ihr übel mitspielte, und als sie zurückkam? Und sie versuchte, das Strandhaus zu verkaufen …?“ Sie wedelte mit der Hand hin und her, um anzudeuten, dass Mel die Geschichte schon kannte.

„Aber wer das Haus auf der Tigertail gekauft hat, und das ist etwas, was du noch nicht weißt—das war Charlie Kohnstamm.“

Sie lehnten sich wieder in der Couch zurück, während das Dienstmädchen ein Tablett mit frischem Kaffee brachte.

„All diese großen Namen damals“, sagte sie, „zu den Real-Studio-Zeiten. Zu den Blow-Job-Zeiten. Sie hatten, wie du ja weißt, alle diesen kleinen Fickhütten im Rustic Canyon. Und die Partys, die nicht aufhörten …“

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„Ich war bei ein paar davon“, sagte Mel.

Sie wackelte mit dem Zeigefinger. „Ich rede von den 30ern“, sagte sie.

„Und ich sage, bevor das Gesetz zuschlug und der Zoll, und vor dem Krieg.“

„Und Kohnstamm war, zu diesem Zeitpunkt“, sagte sie, „ein Büro-Laufbursche. Er sagte oder ließ es durchschimmern, dass er irgendwie zu den schweren Jungs gehörte. Oder was mit Drogenschmuggel zu tun hatte …“

„… was er mit Sicherheit hatte“, sagte Mel.

Sie zuckte bei der Vorstellung mit den Schultern. „Er ging, oder wurde manchmal geschickt, zu ihren Häusern südlich der Grenze; wo der Haushälter ihm eine ‚Dose speziellen Kaffees‘ für Mister M. in die Hand drückte.“

„… aber immer stark …“, sagte Mel.

„… bitte“, sagte Margaret. „Natürlich. Wie es sich eben so ergab. Eines Nachts. Irgendwo im Rustic Canyon. Einmal spät in der Nacht. Er stand, so glaube ich, in einem der Gästeschlafzimmer am Fenster und schnappte etwas frische Luft. Gegen Ende einer Party. Er hat vor, die ermatteten Berühmtheiten, die die Hosentaschen noch voller fetter Geldbündel hatten, um ein paar Scheine zu erleichtern, bevor er sich rüber zur Poolhütte schlich. Und hier ist er, der junge Kohnstamm. Im Dunkeln. Stolpert über seinen Arbeitgeber.“

„… mit einem kleinen Jungen“, sagte Mel. „Nein.“

„Mit einem minderjährigen Mädchen“, sagte Mel.

„Nein. Mit seiner Tochter.“

Margaret genoss für einen Augenblick Mels Verwunderung, und sah, wie sich ein kleines Lächeln um seinen Mundwinkel zu formen begann.

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„Und sie hat nie was gesagt?“, fragte Mel.

„Nein, hat sie wohl nicht“, sagte Margaret. „Es scheint, dass sie gut mit Drogen zugedröhnt war. Ein ungewöhnlich gedankenvoller Zug ihres Vaters.

Kohnstamm hingegen. Sah etwas, das mit väterliche Rechtschaffenheit wenig zu tun hatte.“

Mel senkte den Blick auf den Kaffeetisch.

„Er sah eine neue Welt“, sagte sie.

Sie nahm noch einen tiefen Zug aus der Marihuana-Pfeife. Sie begann zu husten und Mel beugte sich zu ihr vor. Sie scheuchte ihn mit einer Handbewegung davon. Er schaute wieder nach unten, bis sie mit dem Husten fertig war.

Ohne Titel (Hair), 2012, © Whitney Hubbs, Mit freundlicher Genehmigung der M+B Gallery, Los Angeles

Ihr hingen ein paar winzige Tränen im Augenwinkel. Sie griff nach einer der Servietten auf dem Kaffeetablett und wischte sie damit fort. Als sie sich gefangen hatte, setzte sie die Geschichte fort.

„Die großen Tiere hatten damals alle ihre Fickhütten“, sagte sie. „Manche im Rustic Canyon, manche oben in Malibu.

Aber Kohnstamm? Für ihn war das der Gipfel des Luxus. Die ‚Strandhütte‘ oder, wie es in unserer ironiefreien Zeit heißt, die ‚Immobilie mit Meerblick‘. Und genau wie nach Teenagerfleisch gelüstete es ihn auch nach so einer Hütte am Strand.

Hier, unter all diesen Größen zu sein, forderte ihn heraus. Denn er hatte seine Empfindsamkeiten.“

„Das hatte er“, sagte Mel.

„… was noch untertrieben ist“, sagte Margaret. „Und Hancock Park, die Villa; Bel Air, das Heim; Rustic Canyon, Palm Springs? Das alles war für ihn nichts anderes als dem Boxer der Ring: eine Arena.

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Er begleitete Marcus, Mrs. Marcus und die Kinder, ein Sternchen … Er arrangierte dann für sie: eine Geburtstagsfeier; er holte für sie das vergessene Geschenk; er überbrachte die Drogen, oder die Huren …“

„Und wo er einmal dort war“, sagte Mel.

„Natürlich“, sagte Margaret. Und zahllos waren die Platinuhren oder die Klunker, die gelegentlichen 50-Dollar-Scheine oder ein Stück hübscher Arsch oder eine Kiste Champagner, die in diesen Villen glitzerte. Und man munkelte, obwohl ich es selber nicht behaupten würde, dass er bei der einen oder anderen amateurhaften Plünderung mithalf. Denn er verachtete die Motherfucker. Mit dem ganzen weißen Hass, der unter uns normalerweise nachsichtigen Leuten so selten und daher so schockierend ist.“

„Er beneidete sie“, sagte Mel.

„Sollte man meinen. Obwohl er davon abgesehen, wie wir wissen, die Gabe hatte, wirklich, wirklich zu hassen. Und ich habe ihn dafür bewundert. Denn es hat nie seine erstaunliche Klarheit beeinträchtigt.“

Sie drehte ihren Kopf kaum merklich und das Mädchen erschien und füllte die Mokkatassen nach.

„Magst du was trinken?“, fragte sie.

„Sicher“, antwortete Mel.

„Aber Malibu“, sagte Margaret, „packte ihn. Wie er es ausdrückte, war es der letzte beste Ort. Erinnerst du dich? Da war nichts. Achtunddreißig? Vierzig? Kurz vor dem Krieg? Nichts. Dünen. Ein Haus? Das hätte genauso gut auf einem 6.000-Hektar-Grundstück stehen können. Dünen. Der Strand. Das Meer.

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Es war für den Judenjungen, Moogey? Für den Judenjungen, als der er geboren wurde, war es Perfektion. Wir vergessen das schnell. Ich habe seine Mutter kennengelernt. Und am Ende? Ließ er mich dahin fliegen. Als sie im Sterben lag. Und er nahm mich mit runter. Zur Rivington Street, und so einen Blick hast du in seinen Augen noch nicht gesehen, und ich meine, kalt. Wenn er über die winzige Wohnung sprach. Und seine Liebe zu der alten Dame? Wir gingen hoch zu ihr. Er sprach mit ihr. Auf Jiddisch. Und sie wusste nicht, wo sie war, und sie dachte, sie wäre noch in Polen. Roosevelt Hospital. Sie lag im Sterben. Und er hielt sie in seinen Armen.“

Sie räusperte sich.

„Und ich war diejenige, die er bat, mit ihm dahin zu fliegen.

Ich fühlte mich geehrt. Es hatte natürlich etwas von einer Beichte. Dass er es jemandem zeigen wollte. Der es verstand. Bevor das alles nicht mehr war.“

„Aber du hast es verstanden,“ sagte Mel.

„Natürlich habe ich das“, sagte Margaret. „Deshalb hat er mich ja auch gefragt. Also, nicht das; aber er begehrte mich; trotz dem …“ Sie strich sich mit den Händen über den Körper. „… Wrack, das ich heute bin; war ich damals doch, wie du dich erinnerst“ Er nickte zustimmend.

„… dieser verdammte Typ“, sagte sie.

Das Dienstmädchen brachte eine Flasche Brandy und ein kleines Glas.

„Stell es einfach hin, Mercedes“, sagte sie. „Das ist alles.“

Mel füllte das Glas bis zum Rand, trank es leer und füllte es wieder auf. Margaret beobachtete ihn.

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„Ruinös. Ruinös“, sagte sie. „Die Dinge, die wir machen. Charlie? Er wusste schon immer, was sein Schicksal ist. Dass er ein Dieb werden würde. Die Gojes würden ihm sicher keinen Job gegeben, hätte er einen gewollt; und die Juden? Wie sollte er sich da reinkämpfen, wenn er doch nichts hatte?

Seine Ambitionen waren dies: 300 Dollar in der Tasche, ein neuer Anzug, und ein Stück Arsch.“

„Es war alles Fassade“, sagte Mel.

„Genau“, sagte Margaret. „Das Denken eines Luftmenschen. Was er natürlich war. Und dann“, sagte sie, „in zwei Streichen. Der erste Gier, und der zweite, ein Geniestreich, Moogey, mit dem er auf einen Schlag dieses neue Ding gebar.

Er stolpert über Marcus. Den Boss der Studios. Der seine sedierte Tochter fickt. Hab ich recht? Marcus. Sieht ihn. Hat keine Knarre. Marcus kann ihn nicht abknallen; Kohnstamm kann aus dem Zimmer gehen. Mit dem, was er gesehen hat.

Marcus sieht zu ihm hoch. Erledigt. Flehend. ‚Was kann ich dir geben?‘

Kohnstamm? Für seinen Teil? Zögert nicht. ‚Ich will das Haus in Malibu.‘ Marcus beginnt zu nicken. Er zögert. ‚Aber‘, sagt er, ‚wie erkläre ich das.‘

Und jetzt kommt’s. Hier ist was Kohnstamm sagt: ‚Du sagst, es gehört mit zum Job.‘ ‚Welchem Job?‘, fragt Marcus.

‚Du ernennst mich‘, sagt Kohnstamm, ‚zum neuen Chef des Studios.‘“

Das Dienstmädchen schloss die Tür hinter Mel. Er stieg die drei Stufen herunter und blieb in der Einfahrt stehen.

„Wo würde ich wohl jetzt hingehen?“, dachte er.

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„Zu einem Mädchen, natürlich. Oder nein. Ein Mädchen hätte ich mit zu Margaret gebracht.“ Sie wäre auf dem Sofa eingeschlafen. Im Arbeitszimmer. „Sie hätte zunächst gewartet, natürlich, während wir reden. Dann wär sie irgendwo hingegangen und hätte geschlafen.

All die hübschen Bräute dort. Und wär sie besitzergreifend gewesen? Nervös oder eifersüchtig? Nein. Die jungen nicht, die nichts zu fürchten hatten.“ Und dann hätte er sie aufgeweckt um mit ihr nach Hause zu gehen. Oder er wäre mit einer, die er auf der Party kennengelernt hätte, nach Hause gegangen.

Er ging zu seinem Auto. „Zweihunderttausend Dollar extravagant getunten, geputzten und gehätschelten Stahls. Und macht es einen Unterschied?“, dachte er.

„Da es ja nicht das alte Cabrio sein konnte, oder ein Badewannen-Porsche, so ein Mädchenauto.“

Er stand in dem noch frühen Morgengrauen. Er fühlte, wie die Nacht sich immer schneller verflüchtigte, wie sich der heiße Tag näherte, in der Wüste die Zeit zum Sterben. Er suchte nach dem realen Grund hinter seiner akuten Nostalgie und merkte, dass es Molly Brammel war, und ein spezieller Abend, vor 40 Jahren, bei Margaret.

Sie war das junge Mädchen gewesen, das auf der Couch in dem Zimmer eingeschlafen war, das Margarets Mann als Bibliothek bezeichnete.

Seine erste Erinnerung an sie war an die Wölbung ihrer Lenden, während sie, auf der Seite liegend, den Mund ein wenig geöffnet, schlief.

Er stand an der Tür zur Bibliothek und betrachtete das Mädchen. Die Wölbung ihrer Hüfte. Den halboffenen Mund, und er sehnte sich danach, zu riechen, wie süß ihr Atem war.

Sie wachte von seinem Blick auf, drehte sich und richtete sich zu ihm gewandt auf. Er wusste nicht, wer sie war, und er bezweifelte, dass sie ihn kannte. Er wusste nicht, mit wem sie gekommen war, oder wer so verrückt war, ein Mädchen wie dieses allein zu lassen—denn die Party war vorbei und er war, wie immer, der Letzte der ging.

Margarets Mann war, wie er es immer tat, am frühen Abend gegangen, um zu tun, was er dann eben so tat, und überließ Margaret ihren Freunden. Und war Kohnstamm da gewesen? War er nicht; er war in Europa; er war auf irgendjemandes Jacht; er war in Rom; er schoss dieses Epos; er hatte eine Affäre mit dessen Star, mit einer Gräfin, mit der Geliebten von irgendwem, in Paris, im Ritz, in einer Absteige im Marais, mit dem Mädchen, das er im Krieg kennengelernt hatte; vielleicht war er in Israel; wie Margaret überlegt hatte, mit einer nach oben gezogenen Augenbraue, die hieß „Mehr sag ich dazu nicht“; und so hatten sie aufgehört über ihren Byron zu sprechen, und hatten sich dem wahren Geschäft ihrer Kolonie zugewandt, das wie immer in sexuellem und finanziellem Tratsch bestand.

Das war die Zeit, die er am meisten geliebt hatte. Weiße Nächte, letztlich, wo sie ums Lagerfeuer saßen und, wie Margaret es nannte, „die raren Weisheiten des Stammes austauschten, die Totems lüfteten und die üblichen Lieder sangen“. So hatte sie sich an diesem Abend vor 40 Jahren ausgedrückt. Und vor 40 Jahren, so erinnerte er sich, hatte er das Mädchen auf der Couch gesehen, und sie war aufgewacht und hatte ihn angeschaut. Eine endlos lange Zeit. Während der er an nichts dachte.

Und dann, ohne es bewusst geplant zu haben, hatte er sich sagen hören: „Hol deinen Mantel.“

„Vor so langer Zeit“, dachte er.

„Die üblichen Lieder gesungen“, hatte Margaret gesagt, die sich wie immer wunderbar nah ans Sentimentale traute. Er ließ es von Tiffany’s auf eine Zigarettenkiste gravieren. „Hier ist eine Idee“, dachte er, „bei einem Raub geklaut. Eine Zigarettenkiste. Die Jahre vergehen. Der Schenkende stößt in einem anderen Land wieder auf sie. In einem Pfandleihhaus. Wie war sie hierhergekommen?“ Er öffnete die Tür des schwarzen Wagens und setzte sich, die Füße noch auf dem Boden der Auffahrt. „Und hier ist eine Idee“, dachte er, „und die lautet so: Was für einen Unterschied macht es schon?“

David Memet hat die Drehbücher für American Buffalo, Glengarry Glen Ross, The Untouchables, Wenn der Postmann zweimal klingelt, Wag the Dog, und viele andere Filme geschrieben.