Über die Feiertage kehren viele von uns in ihre Elternhäuser zurück. Sie bewohnen über kurz oder lang wieder ihre alten Kinderzimmer, genießen die Bequemlichkeit des Nicht-Kochen-Müssens, gehen in ihre alten Bars, besuchen ihre Omas und verbringen die meiste Zeit trotzdem lieber vorm Fernseher, weil so viele Menschen einfach sehr schnell sehr nervig werden können.
Später bereut man, dass man die paar Tage, die man hatte, nicht mehr ausgekostet hat. Gebt euch so viel Familie, wie ihr nur könnt. Oder besser—gebt euch sogar mehr Familie, als ihr könnt. Geht mit euren Mamas spazieren, obwohl ihr echt keine Lust habt. Lasst die feuchten Bussis der Tante über euch ergehen, als wäre es das Schönste der Welt. Und hört auf, zu granteln. Anders als Kevin finden es viele Menschen nämlich gar nicht so fetzig, über Weihnachten alleine zu sein. Sie finden es ehrlich gesagt sogar ziemlich scheiße.
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Es kann verschiedene Gründe geben, Weihnachten getrennt von seiner Familie zu verbringen. Entweder man ist beruflich verpflichtet, oder befindet sich im Ausland—in den Fällen weiß man aber wenigstens über die Einstweiligkeit des Alleinseins. Wirklich alleine hingegen sind Singles, die mit ihren Familien zerstritten sind oder, naja, eben keine mehr haben. Genau für die gibt es endlose Listen an Tipps, die für sich selbst fast noch trauriger sind als ihre eigentliche Ursache.
Unzählige Magazine und Portale—die meisten davon richten sich interessanterweise an Frauen oder Landwirte—haben erkannt, dass vielen ihrer Leser ein einsames Weihnachten bevorsteht und versuchen, mit Ratschlägen und Gestaltungsvorschlägen auszuhelfen. Die sind wahrscheinlich gut gemeint, bringen einem in ihrer Verzweiflung aber eher dazu, schon beim bloßen Lesen in Selbstmitleid zu ertrinken.
Grundsätzlich versuchen alle, die gegebenen Umstände mit allen erdenklichen Mitteln positiv zu sehen. Niemand, dem du Geschenke kaufen musst? Geil! Kauf dir selbst was. Mach Urlaub. Gönnung. Niemand, der mit dir feiert? Super! Weniger Stress, eh nur nervig. Keiner, der sich für dich interessiert? Leiwand! Endlich hast du Zeit, alte Zeitungen zu lesen—wie folgender Ratschlag suggeriert.
Tipp: Die Tageszeitungen wieder einmal achtsam an einem gemütlichen Plätzchen in der Wohnung in Ruhe lesen.
Wer auch immer dachte, an Heiligabend allein zu sein wäre nur halb so schlimm, wenn man dabei auf dem Sofa kauernd Altpapier wälzen kann, der lag gewaltig daneben. Aber sowas von. Und wer dachte, Tipps wie diese würden einem irgendwie die Vorfreude auf Weihnachten zurückbringen, muss eine sehr eigenwillige Vorstellung von Glück haben.
Für alle die—anders als ich—nicht davon ausgehen, irgendwann mit sieben Katzen in einer WG zu hausen, gibt es immer noch eine Alternative. Folgender Ratschlag ist ungefähr das Traurigste, was ich je gehört habe. Süß, aber traurig. Ein Escort wäre da irgendwie noch aufrichtiger (und gar nicht so unüblich).
Fragen Sie doch im Tierheim nach, ob Sie einen Hund für die Feiertage betreuen dürfen.
Bevor ich mir über Weihnachten einen Hund ausleihe, nur um nicht allein zu sein, esse ich lieber einen Liter Eis und höre „All By Myself” in Endlosschleife. An dieser Stelle ein echter Tipp: Wartet bis nach den Feiertagen. Tierheime werden jedes Jahr mit zurückgegebenen Weihnachtsgeschenken überfüllt.
Vielleicht also doch die Wohnung verlassen—an Heiligabend feiern zu gehen ist für viele nur schwer vorstellbar, für andere wiederum ein Fixpunkt. Und jeder, der schon mal alleine fortgegangen ist, weiß, dass man nie lange wirklich alleine fort ist. Den Rausgeh-Tipps für Singles, die in ihrer tiefen Traurigkeit übrigens fast schon ansteckend wirken, ist jedenfalls nicht zu trauen:
Einen Nachmittagsspaziergang in einer vielleicht verschneiten Landschaft oder einem Park machen und dabei die Winterkälte riechen und spüren und sich auf das warme Zuhause freuen.
Wer möchte in seiner eigenen Einsamkeit bitte auch noch die leidige Winterkälte riechen? Und sich dabei auf ein warmes Zuhause freuen, in dem niemand auf einen wartet? Ganz ehrlich, diese Tipps sind eine einzige Katastrophe.
Egal, wie sehr man es auch versucht, an Weihnachten alleine zu sein kann man sich nicht wirklich schönreden. Vielleicht verbringt jemand von euch da draußen seine Weihnachtsfeiertage ja tatsächlich damit, vergilbte Tageszeitungen zu studieren und leise zu weinen während einen sogar der Leihhund bemitleidet. Tristesse.
Was niemand so richtig begreift, ist aber, dass dieser jemand eben nicht immer der Opa aus der Edeka-Werbung sein muss. Tipps gegen Einsamkeit an Weihnachten richten sich in der Regel immer an Pensionisten oder frisch Geschiedene—und während das natürlich irgendwie angemessen ist, sind es immer öfter auch Studenten oder Jugendliche, die Heiligabend zum ersten Mal ohne Familie verbringen (müssen).
Laut dem österreichischen Erasmus Student Network verlassen die meisten ausländischen Studenten Wien über die Feiertage für einen Heimataufenthalt, manche (Australier beispielsweise) bleiben aber auch hier—und organisieren sich für Weihnachten privat in kleineren Gruppen. In Dresden gibt es mit dem Projekt X-Mas Tram sogar eine Aktion, die sogenannte Weihnachtspatenschaften an Erasmus-Studenten vermittelt.
Auch Musiker sind—ähnlich wie Sanitäter, Piloten oder Polizisten—eine dieser Berufsgruppen, die es einem oft nicht erlauben, Feiertage mit der Familie zu verbringen. Die meisten Musikstudenten erreichen irgendwann einen Punkt, an dem man zum ersten Mal an Heiligabend Dienst hat, weit weg von Zuhause. Einer von ihnen ist mein Bruder: „Natürlich wird das ungewohnt.” Letztendlich sei das genaue Datum, an dem man gemeinsam feiert, aber unwichtig.
Und dann gibt es da auch Menschen, die Weihnachten dieses Jahr zum ersten Mal erleben—nicht im Kreise ihrer Familie, dafür aber unter neuen Freunden. Ahmad beispielsweise wird Heiligabend mit seiner WG feiern. Am Christkindlmarkt waren sie schon gemeinsam, Adventkränze und Christbäume kennt er nicht, aber er wird zumindest nicht allein sein.
Wer dieses Weihnachten wirklich niemanden hat, mit dem er Kekse essen und Sissi schauen kann, aber gerne jemanden hätte—fragt einfach mal rum. Man kann ruhig zugeben, dass man nicht allein sein möchte. Das ist immerhin die Basis von gefühlt jedem zweiten Weihnachtsfilm und die mahnende Botschaft aus so ziemlich jedem anderen.
Zu Weihnachten sind Menschen nett zu dir und zu Weihnachten solltest du dir nicht zu abgeklärt oder postmodern oder eitel sein, um zu sagen, was dir nicht passt. Weihnachten ist der eine Tag (oder Abend) im Jahr, wo jeder so egozentrisch sein darf wie Jennifer Lopez, solange man anderen gegenüber so nett und so offen ist wie ein Jennifer Lopez-Fan. Ein Rückzug in die Einsamkeit lässt die Feiertage nämlich auch nicht schneller vergehen. Und wenn du doch niemanden findest: Scheiß drauf. Morgen ist jeder wieder normal, die Welt dreht sich weiter—und die einzige, die dann noch Jennifer Lopez ist, ist Jennifer Lopez.
Franz gibt sich dieses Weihnachten Familie: @FranzLicht
Falls du an Weihnachten alleine bist und mit Depressionen zu kämpfen hast, findest du hier viele Organisationen und Beratungsstellen, die dir in deiner Situation helfen können.