“Weil ich mit Geldsorgen aufgewachsen bin, möchte ich nie wieder welche haben” – Bossnak im Interview

Der Zürcher Rapper Bossnak ist bosnischer Abstammung und mit vier Jahren über das Mittelmeer in die Schweiz geflüchtet. In seinen Texten spielt diese Geschichte bis anhin keine grosse Rolle. Bossnak rappt viel lieber über den Turn-up. Warum eigentlich? Ich habe mich mit ihm in Zürich-Altstetten zum Essen in einem Cevapcici-Restaurant getroffen und ihm unter anderem diese Frage gestellt. Wir haben uns aber auch über sein neues Mixtape Haram City 2, die Maxime, Geld verdienen zu müssen, seinen Glauben und die Flucht vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien unterhalten.

Noisey: Dein Mixtape Haram City 2 ist seit Freitag draussen. Du erzählst darauf von einem Zürich, in dem Drogenhandel, Prostitution, Gewalt und exzessive Partys im Mittelpunkt stehen. Was ist deine Rolle in dieser Stadt der Sünden?
Bossnak: Ich bin zwar aktiver Teilnehmer, aber in meiner Rolle als Rapper bin ich vor allem Beobachter. Ich bin quasi live vor Ort und berichte als Reporter mitten aus dem Geschehen. Keine der Geschichten, die ich erzähle, ist fiktiv oder wurde von mir erfunden. Auch wenn ich sie nicht alle selbst am eigenen Leib erlebt habe, sind es Geschichten, Erfahrungen und Sichtweisen aus meinem nächsten Umfeld. Ich bin sozusagen nur das Sprachrohr für diese Storys.

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Es dreht sich immer mal wieder um die Thematik, Geld verdienen zu müssen. Warum steht dieses Motiv so stark im Mittelpunkt?
Diese ganze Metapher mit Haram City – auf deutsch Stadt der Sünden – bezieht sich nicht nur auf die Stadt Zürich, sondern auf die Realitäten, in welchen wir leben. Und innerhalb dieser Realitäten ist die Maxime, Geld verdienen zu müssen, natürlich eine sehr zentrale. Und weil ich, wie gesagt, Reporter aus der Realität bin, steht dieses Motiv halt auch so stark im Mittelpunkt und findet immer wieder in meinen Songs platz.

Wo und auf welche Weise hat diese Maxime dich in deinem persönlichen Leben gekreuzt und geprägt?
Eigentlich immer und überall. Ich bin Sohn bosnischer Flüchtlinge und war vier Jahre alt, als meine Eltern vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien 1992 in die Schweiz geflüchtet sind. Hier angekommen haben meine Mutter als Putzfrau und mein Vater als Hauswart gearbeitet.
Dass wir mit wenig Geld auskommen und auf Dinge verzichten müssen, die für meine Mitschüler zur Normalität gehörten, war für mich als Kind sehr früh ein Thema, mit dem ich in Berührung gekommen bin. Das hat mich definitiv geprägt und in mir auch den Gedanken gefestigt, als erwachsener Mann mein eigenes Geld zu verdienen. Nicht nur, um selber ein angenehmer Leben zu führen, sondern auch um damit meine Familie finanziell unterstützen zu können. Und das ist für mich völlig normal und regelmässig fix eingerechnet. Bei uns im Balkan ist das auch überhaupt nichts ungewöhnliches.

Kannst du mehr über die Flucht deiner Familie in die Schweiz erzählen?
Ich war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt und kann mich deswegen nur vage an diese Flucht erinnern. Abgesehen von ein paar wenigen starken Bildern, die mir immer noch im Kopf schwirren, weiss ich das alles vor allem aus den Erzählungen meiner Familie. Als der Krieg im Frühjahr 1992 in Bosnien ausgebrochen ist, lebte ich mit meiner Familie in Sarajewo. Ich erinnere mich an einige konkrete Szenen: Zum Beispiel daran, wie an einem der ersten Tage unserer Flucht meine Mutter, meine Schwester und ich durch einen Wald gerannt sind, um meinen Vater zu treffen oder an die Bilder von einschlagenden Bomben, welche die Heimatstadt meiner Mutter zerstört haben. Wir mussten unser ganzes erspartes an Schlepper zahlen, um aus Bosnien rauszukommen. Wir sind schliesslich mit dem Bus an die kroatische Küste gefahren, von dort aus mit dem Schiff nach Italien und danach über die grüne Grenze in die Schweiz geflüchtet.

Wie ging es weiter als ihr in der Schweiz angekommen seid?
Wir waren circa neun Monate in einem Asylheim im Kanton Zürich. Danach erhielten wir die Aufenthaltsbewilligung F, die damals bedeutete, dass du vorläufig aufgenommener Flüchtling bist und wir wurden in die Gemeinde Kloten eingeteilt. Diesen Status vorläufig aufgenommener Flüchtlinge behielten wir für acht Jahre. Weil nicht klar war, ob wir nun in der Schweiz bleiben dürfen oder nicht, haben wir immer in einer gewissen Unsicherheit gelebt. Als ich dann zwölf war, erhielten wir die definitive Aufenthaltsbewilligung und mit 17, 18 Jahren wurde ich eingebürgert.

Du bist in der Schweiz während einer Zeit gross geworden, in der das sogenannte „Jugo”-Feindbild bespielt wurde. Inwiefern hast du das als Kind und Jugendlicher mitbekommen und was hat es in dir ausgelöst?
Ich bin in Kloten in einem sehr multikulturellen Umfeld aufgewachsen und habe diese Anfeindung als Kind eigentlich gar nicht mitbekommen. Als ich dann ein wenig älter wurde und meine Familie – als ich etwa 10 Jahre alt war – in die Stadt Zürich gezogen ist, habe ich das dann schon eher mitgekriegt. Aber das lag wohl auch an meinem Alter und das ich begann zu verstehen, dass Menschen kategorisiert werden. Absurderweise habe ich aber eine der ersten Ausgrenzungserfahrung, an die ich mich erinnern kann, nicht durch einen Schweizer erlebt. Es war ein Kind aus Slowenien, das mich auf dem Pausenhof „Scheiss Jugo” genannt hat. Rückblickend muss ich sagen, dass meine Familie alles dafür gemacht hat, dass wir nicht gross auffallen und quasi nicht stören, sodass niemand was an uns auszusetzen hat.




Und hat es geklappt? Wurdest du akzeptiert?

Ich würde schon sagen, dass wir uns in der Schweiz sehr gut integriert haben. Das Problem dabei ist, dass du aufpassen musst, dass du dich nicht assimilierst. Mich hat es sehr früh gestört, wenn mir Schweizer Freunde oder ihre Eltern gesagt haben, dass ich nicht so sei, wie die anderen. Dieses „du bist cool, du bist nicht wie die anderen” hat mich schon immer angewidert, weil es offenlegt, welche Vorurteile diese Menschen eigentlich gegenüber anderen Bosniern oder Ex-Jugoslawen haben. Wahrscheinlich haben sie mich als anders betrachtet, weil sie einfach gar keine anderen Menschen aus dem Balkan persönlich gekannt haben.

Hast du eigentlich in der Schweiz auch Spannungen mit anderen Menschen aus dem Balkan erlebt, die einer anderen Ethnie oder Religion angehören?
Sehr selten. Ich kann mich nur an ganz kleine Zwischenfälle in Form von Diskussionen erinnern, die man als Spannungen bezeichnen könnte. Die junge Generation geht damit eher entspannt um. Der Krieg ist 20 Jahre her und wir leben in einem anderen Land. Für mich persönlich spielt es wirklich keine Rolle, ob jemand serbisch-orthodox, katholischer Kroat oder halt eben muslimischer Bosnier ist. Ich habe Freunde mit ganz verschiedenen Hintergründen und versuche allgemein Menschen als Individuen zu begegnen.

Hast du noch Beziehungen und Kontakte nach Bosnien?
Ja. Mein Vater lebt inzwischen wieder in Bosnien und ich habe einen guten Draht zu ihm. Meine Verwandten hören sich lustigerweise auch immer mal wieder Songs von mir an, feiern das sehr und sind richtig stolz darauf. Das macht mir Freude.

Bist du eigentlich gläubig?
Ja, ich glaube an Gott. Ich muss aber sagen, dass ich nicht ganz so strikt praktiziere. Ich bete nicht fünf mal am Tag, sondern gehe in die Moschee, wenn mir danach ist und wenn ich es brauche. Wir befinden uns gerade in der Fastenzeit. Ich trinke während dieser Zeit keinen Alkohol und faste an den Tagen, an welchen ich nicht arbeiten muss. Für mich ist die ganze Geschichte mit dem Glauben und der Religion eine sehr private Angelegenheit. Solange sie niemand anderem schadet, kann das meiner Meinung nach jeder so auslegen, wie er es möchte. Für mich stimmt das, wie ich es lebe und ich kann das mit mir vereinbaren. Und alle Moslems, die ich kenne, leben auch eine solch liberale Auslegung des Islams. Ich persönliche kann mich weder mit radikalen Islamisten, noch mit der medialen Darstellung des Islams in Europa identifizieren. Meine Wahrnehmung des Islams ist eine ganz andere – nämlich eine Lebensphilosophie, die auf Liebe baut.

Wieso haben all diese Themen in deinen bisherigen Releases nur eine nebensächliche Rolle gespielt?
Das liegt vor allem daran, dass es sehr persönliche und private Erlebnisse sind, an die du dich manchmal auch selbst gar nicht heranwagst. Ich habe einfach Zeit gebraucht, um diese Erlebnisse zu verarbeiten und richtig einzuordnen. Aber auf dem Song „Sarajewo” auf dem aktuellen Tape habe ich nun doch erstmals versucht. Und ich fühle mich bereit dazu, das in Zukunft noch intensiver zu tun.

Was, glaubst du, löst deine Musik bei einem Menschen aus, der all die Vorurteile gegen Menschen aus dem Balkan oder Moslems in sich trägt?
Ein solcher Mensch wird meine Musik höchstwahrscheinlich nicht verstehen können und weiss nichts damit anzufangen. Aber der Flow fickt ihn dennoch. Spass beiseite: Mein Musik richtet sich schon eher an Menschen, die keine Berührungsängste vor Menschen aus dem Balkan oder vor dem Islam haben. Ich mache Musik für eher urbane Leute, welche HipHop mögen, aber auch nicht allzu fixiert darauf sind, sondern Bock auf musikalische Experimente haben.

Würdest du sagen, du hast versucht auf Haram City 2 mehr Experimente zu wagen?
Auf jeden Fall. Ich war ja schon immer offen für gesungene Refrains und melodiösere Sachen und dieses Mal habe ich noch mehr auf meinen Hausproduzenten Ikara gehört und Neues ausprobiert. Er hat mich dazu motiviert, mit meiner Stimme mehr zu spielen, neue Reimschemen und Melodien auszuprobieren, die ich bis jetzt noch nicht verwendet hatte. Ich muss sagen, dass es sich wirklich gelohnt hat, mich auf diese Experimente einzulassen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Endresultat. Mit „Chum use” ist uns, glaub ich, ein kleiner Sommerhit gelungen.

Spielen ihn die grossen Radios?
(lacht) Bis jetzt leider nocht nicht. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern. Und wenn nicht, ist es auch egal. Das Tape ist gut geworden, was daran liegt, dass ich mich verbessert habe und offen für Experimente war . Ausserdem arbeite ich mit Ikara und HSA mit einem der besten Produzentenduos der Schweiz zusammen. Ich würde sagen ihre Produktionen sind auf internationalem Niveau und brauchen sich vor niemandem zu verstecken. Wenn also die Radios diesen Song nicht spielen, dann werden wir halt bald neue machen, die sie nicht mehr ignorieren können.

Ich finde persönlich, du hast dich in den letzten Jahren raptechnisch richtig verbessert. Der erste Beweis dafür, war dein Beitrag am SRF Virus Bounce Cypher dieses Jahr. Woran liegt dieser Fortschritt?
Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass ich mich zwei Jahre ein wenig zurückgezogen habe. Nach Haram City 1 habe ich zwei Jahre nichts releast und im Kämmerchen an neuen Sachen gearbeitet. In dieser Zeit gab es auch eine Phase, in der ich gar nicht so viel Musik gemacht habe, sondern ein bisschen Distanz gewonnen habe. In dieser Phase habe ich sehr viel verschiedene Musik gehört und mich dadurch von vielen anderen Künstlern inspirieren lassen. Auch ganz wichtig für meine Entwicklung ist selbstverständlich mein Umfeld. Unser Label No Basic ist ein Pool mit ganz vielen talentierten Leuten und mit Didi bin ich mit einem der besten MCs des Landes im gleichen Boot. Wir sind aber eben halt mehr als ein Label – wir sind richtig gute Freunde. Wir geben uns ehrliches und aufrichtiges Feedback und sind loyal zueinander. Das hält den Rücken frei und lässt dich als Musiker und als Person wachsen.

Du hast nun bereits vier Mixtapes rausgebracht – wann kommt das erste offizielle Album und inwiefern wird es sich von deinen Tapes unterscheiden?
Es wird sich dadurch unterscheiden, dass es viel persönlicher wird als die Tapes. Ich möchte mir für das Album richtig Zeit lassen und etwas Perfektes abliefern. Wann es kommt ist im Moment noch nicht so relevant. Jetzt feiern wir erstmal das aktuelle Tape und den Sommer in der Stadt. Genau darum gehts ja auch auf Haram City 2.



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