Vergangenen Sommer habe ich das erste Mal in meinem Leben einen der Menschen verloren, die mir am nächsten stehen. Mein Opa ist gestorben. Ich dachte immer, dass sowohl mein Opa als auch meine Mutter irgendwie alterslos seien—auch, wenn das natürlich völlig naiv ist.
Seit ich ein kleines Kind war, war mein Opa der starke, lustige Mann mit den schneeweißen Haaren und den coolen Sonnenbrillen, der immer ein bisschen nach Bienenwachs roch, weil er eine Imkerei hatte. Dieses Bild hatte ich ungefähr 21 Jahre meines Lebens. Dann kommt wohl bei jedem älteren Menschen irgendwann der Punkt, an dem man selbst als anhimmelnde und idealisierende Enkelin eingestehen muss, dass die Person abbaut, schwächer wird und rein körperlich nicht mehr der Mensch ist, den man so lange gekannt hat.
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Dadurch, dass mein Opa schon über 90 war, wusste ich natürlich, dass der Tag irgendwann kommen würde. Theoretisch. Ich habe so oft damit gerechnet, dass mich meine Mutter anruft und mir die eine Sache sagt, vor der ich mich so lange gefürchtet habe. Ich dachte immer, dass ich eh gut drauf vorbereitet bin, weil der Tod in diesem Fall ja nicht völlig unerwartet kommt. Aber wenn der Anruf dann tatsächlich kommt und du schon am ersten Wort erkennst, dass irgendetwas anders ist, überkommt dich ein Gefühl, das du so noch nicht kanntest.
Plötzlich stellst du dir vor, dass der Mensch, den du immer so geliebt hast, nicht mehr da ist. Aber die Vorstellung ist so abstrakt, dass du im ersten Moment nicht einmal annähernd verstehen kannst, was sie wirklich bedeutet. Als ich das erste Mal nach dem Tod meines Großvaters in mein Elternhaus gekommen bin, habe ich gefühlt, wie es ist, wenn jemand plötzlich nicht mehr da ist, wo er immer war. Wenn der blaue Fernsehsessel plötzlich leer ist. Und genau so leer fühlt man sich in diesem Moment selbst.
Noch schlimmer ist es, wenn du das erste Mal den Sarg oder in meinem Fall die Urne siehst. Es mag wahnsinnig pathetisch klingen, aber wenn du siehst, was am Ende eines Lebens von einem Menschen übrig bleibt—von einem Menschen, der dir so wichtig ist—wird dir schlecht, heiß, kalt und alles zugleich. Andererseits ist die Vorstellung so absurd, dass sie nicht in deinen Kopf geht. Das kann doch alles nicht echt sein; gleich spaziert sicher mein lustiger Opa ums Eck, lacht auf und sagt sowas wie „So schnell werdet ihr mich nicht los”. Aber natürlich kommt er nicht.
Für mich war die Trauer nach dem Tod meines Großvaters ein Gefühl, das ich so noch nicht kannte. Einerseits wird dir bewusst, dass auch du irgendwann stirbst, wenn du das erste Mal in dieser Form mit dem Tod konfrontiert bist. Dass deine Eltern und andere Menschen, die du liebst, auch irgendwann einmal sterben. Dass das Leben ein Ablaufdatum hat, das in den meisten Fällen keiner kennt. Es bricht einem das Herz—zum ersten Mal ernsthaft, im Vergleich zu all den Heartbreaks, die man wegen irgendwelchen Liebschaften hatte—und man lernt, was es heißt, jemanden wirklich zu vermissen.
Man kann nur versuchen, damit klar zu kommen—und froh sein, dass man eine Person, die man so vermissen kann, überhaupt einmal im Leben hatte.
Man lernt aber auch andere wichtige Dinge, wenn man zum ersten Mal jemanden in dieser Hinsicht verliert. Ich habe gelernt, dass jemand nicht gleich weg ist, wenn er stirbt. Nennt mich esoterisch, verrückt oder christlich—aber für mich ist das ein durchaus tröstlicher Gedanke. Mir ist bewusst geworden, dass das, was man da in Form einer Urne oder in einem Sarg sieht, nichts als sterbliche Überreste sind, aber so viel Wichtigeres dafür bleibt—lustige Erinnerungen, aufbauende Worte oder die Erinnerung an das letzte Bussi.
Außerdem habe ich gelernt, dass es so wichtig ist, kleine Eigenheiten, Nettigkeiten im Leben und an den Menschen darin zu schätzen. Wenn ich an meinen Opa denke, denke ich an die komischsten Situationen, von denen ich niemals erwartet hätte, dass das einmal die Dinge sein werden, an die ich zurück denke. Ich habe mir immer vorgestellt, dass man beim Gedanken an jemand Verstorbenen einen epischen Film der denkwürdigsten Momente vor seinem inneren Auge vorbeiziehen sieht. Aber man denkt auf einmal an diesen komischen Scherz, der schon Jahre her ist und den man damals nicht lustig fand—und plötzlich würde man alles geben, um ihn noch einmal hören zu können.
Um es mit einem Wort zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn ein geliebter Mensch stirbt und man mit einem Gefühl konfrontiert wird, das sich so krass von jedem Schmerz unterscheidet, den ich in meinem jungen Leben bisher kannte: Beschissen. Es tut weh, wirkt sogar Monate danach noch unwirklich. Aber das Ganze ist auch eine Lektion, die die meisten von uns irgendwann im Leben lernen müssen und werden. Und obwohl wir das alle wissen, glaube ich, dass man trotzdem nie so ganz darauf vorbereitet sein kann. Man kann nur für sich selbst versuchen, gut damit klar zu kommen—und froh zu sein, dass man eine Person, die man so vermissen kann, überhaupt einmal in seinem Leben hatte.
Verena auf Twitter: @verenabgnr
Titelbild: Lisa Murray | flickr | CC BY-ND 2.0
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