Als ich Robbie Hojilla frage, was sein Tattoo “June 09-2012” auf seinem Unterarm bedeutet, wird der sonst eher zu Witzen aufgelegte Koch plötzlich ernst.
“An diesem Tag hörte mein Herz auf zu schlagen”, erzählt er. “Ich habe ein vergrößertes Herz, das das Blut nicht so gut in den Körper pumpen kann. 2011 wurde mir ein Defibrillator eingesetzt, da es auf einmal ziemlich schnell schlagen kann. Ich rede eigentlich nicht gern darüber.”
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Ich sage ihm, dass wir nicht über so ein persönliches Thema sprechen müssen, doch er unterbricht mich: “Scheiß drauf, sprechen wir drüber!”
“Ich arbeitete gerade im Ursa, als auf einmal alles schwarz und verschwommen wurde und ich nicht mehr klar sehen konnte”, erinnert er sich. “Ich brach zusammen, schlug mir den Kopf an und der Defibrillator hat mein Herz neu gestartet und mir das Leben gerettet.”
Nachdem er über zehn Jahre in den besten Küche Torontos gearbeitet hatte, hat Robbie, wie viele andere Köche gelernt, seine mentalen und körperlichen Grenzen zu überwinden und für eine erfolgreiche Arbeit in der Küche den Schmerz beiseite zu schieben.
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“Damals hatte ich keine Ahnung, welche Symptome Herzerkrankungen haben können. Mein Küchenchef meinte: ‘Du gehst verdammt noch mal zum Arzt.’ Der röntgte mich dann und meinte, dass ich sofort in die Notaufnahme müsste. Zwei Monate war ich im Krankenhaus, es war ein ziemlich harter Kampf.”
Und dieser Kampf wird noch durch die Tatsache erschwert, dass seine Leidenschaft tödlich für ihn sein kann. “Dieser Job ist nicht gerade förderlich bei so einer Erkrankung, aber ich liebe meine Arbeit nun mal, also ist es ein ewiges Ringen. Seit Jahren warnen mich die Leute, dass ich aufhören sollte, aber ich konnte einfach nicht.”
Robbie hat seine Arbeitszeit drastisch reduziert und hat jetzt endlich die Möglichkeit bekommen, all seine Einflüsse im Lake Inez in Toronto zusammenzubringen. Hier glänzt er mit seinen klassischen französischen und italienischen Techniken, aber er bedient sich auch seiner philippinischen Wurzeln und der immensen kulinarischen Vielfalt, die er in seiner Kindheit in den Vororten von Toronto kennengelernt hat.
“Zuerst wollte ich nur asiatische Küche machen, einfach und simpel, aber verdammt lecker, und dazu ein paar Bier servieren”, lacht er. “Also etwas, was man einfach runterschlingen kann, nichts, das super durchkonzipiert ist.”
Doch das Essen im Lake Inez ist alles andere als simpel. Seine Karte entfernt sich deutlich von der französischen und italienischen Küche, die er früher gemacht hat – sie ist überhaupt anders als alle anderen Restaurants: eine Art europäisch-philippinische Interpretation der panasiatischen Küche.
Auf der Karte des Lake Inez existieren Gerichte wie japanische gefüllte Eier und kinilaw mit frischem Fisch, eine Art philippinische Ceviche mit Maniok-Chips in perfekter Harmonie neben Sichuan-Papardelle mit einem Lammsauce mit Erdnüssen und Gurke.
“Ich gehöre nicht zu den traditionalistischen Köchen, weil ich nicht in Asien aufgewachsen bin, sondern in Scarborough [einem Stadtteil von Toronto]. Ich habe französische und italienische Küche gelernt, das ist für mich authentisch. Jahrelang habe ich die französischen und italienischen Techniken erlernt, das will ich nicht wegschmeißen. Aber asiatische Gerichte liebe ich eben auch. Ist das dann moderne asiatische Küche? Fusion-Küche? Ich hasse das Wort ‘asiatische Fusion-Küche’ nicht, ich stelle mich dem bewusst. Ich hänge mich voll rein, um Dinge zu ‘fusionieren’. Wie bei der chinesisch-italienischen Pasta. Ich mag es einfach, die Leute ein bisschen zu verwirren.”
Und bei diesem kreativen Prozess darf man sich auch nicht an dem umstrittenen Konzept von Authentizität aufhängen: “Es gibt viele, die nur ‘authentisch’ asiatische Küche essen oder was auch immer, vollkommen OK. Aber viele in meiner Generation wurden in Kanada geboren und sind hier aufgewachsen. Ich habe einfach keine Vorstellung von meiner traditionellen ‘Heimat’.”
Das bedeutet auch, dass er sich einer Kultur annehmen muss, für die er sich früher geschämt hat: seiner eigenen. “Als ich jung war, wurde man oft ‘FOB’ genannt [“fresh off the boat”, bezeichnet neue, meist asiatische Einwanderer]. Niemand wollte so genannt werden”, sagt Robbie. “Ich gab mir Mühe, akzentfrei Englisch zu sprechen, um mich nicht zu komisch zu fühlen. Vielleicht habe ich mich ein bisschen zu gut angepasst. Ich hatte keine Ahnung, wie man philippinisch kocht. Aber als ich in Italien gearbeitet habe, war ich neidisch, wie stolz sie dort auf ihre Küche waren, und dachte mir: ‘Ich möchte dasselbe bei meiner kulturellen Herkunft empfinden.”
Deshalb liegt Robbie mehr daran, einen kurzen Augenblick der Nostalgie zu erschaffen, als nur eine schwammige avantgardistische Abwandlung philippinischer Klassiker – und im Lake Inez ist er nicht der einzige, der sich seiner Wurzeln besinnt.
“Wir hatten eine Frau hier, die meinte, dass sie bei dem Essen wünschte, sie hätte engeren Kontakt zu ihrer Familie auf den Philippinen gehalten. Ein sehr sentimentaler und sehr trauriger Moment”, erzählt der Co-Besitzer des Lake Inez, Zac Schwartz. Den Namen hat der Laden übrigens von einem Privatsee in Michigan, wo Schwartz als Kind einige Zeit verbrachte. Seine Kindheit unterscheidet sich massiv von der seines Kochs, doch im Endeffekt wollen sie dasselbe: ein wohliges, familiäres Gefühl erzeugen.
Zac erzählt, dass er Robbie deshalb eingestellt hat, weil er eine Karte wollte, “wie es sie noch nicht gab”, und einen Koch, der einzigartige Gerichte kreieren kann, wie zum Beispiel Tagliatelle in einer Miso-Butter-Sauce mit geräucherten Auberginen, Maitake-Pilzen und Parmesan. Für Zac war die Tatsache, dass Robbie beim Kochen einfach Mut zeigt, nicht nur reizvoll, sondern auch typisch für Toronto.
“Das meiner Meinung nach einzig Authentische, wenn man aus Toronto kommt, ist, wenn man nicht authentisch ist”, meint Zac. “Man nimmt ein paar Kulturkreise und interpretiert sie auf seine Art und Weise. Denn wir werden hier einfach keine absolut authentische philippinische Küche machen können, das ist unmöglich. Robbies nimmt Produkte und lässt sich dann durch seine Familie, seine Reisen und seinen Geschmack inspirieren. Und das ist so spannend am Essen in Toronto, denn hier kann man einen Geschmack erleben, den man so noch nie erlebt hat.”
Doch wie bei so vielen Köchen hatten Robbies Kenntnisse und seine Fähigkeit, verschiedene Einflüsse zu vereinen, einen Preis. Das bedeutete auch, dass er sein Leben auf Anraten seines Arztes teilweise drastisch ändern musste – O-Ton: “Hören Sie verdammt noch mal auf zu trinken!” Alkohol aufzugeben war, sagt er, relativ einfach, bei Salz war das nicht ganz so leicht.
“Salz ist am schwierigsten, weil du ja ständig abschmecken musst. Mein Geschmack ist meine Stärke und ich probiere die Gerichte eine Million mal und passe das Salz an. Der Arzt meinte zu mir, dass ich mir überlegen soll, ob dieser Job das wert ist.”
“Manchmal denke ich, dass ich zu alt bin für diesen Scheiß, aber ich bin gar nicht so alt”, meint Robbie. “Ich will auf jeden Fall noch ein paar Jahre hier bleiben, aber ich glaube nicht, dass ich danach weiter so hart als Koch arbeiten werde. Vielleicht werde ich so ein Koch mit Klemmbrett in einer großen Restaurantgruppe, aber in unabhängigen Restaurants arbeite ich wohl nicht mehr. Dieser Laden hier ist vielleicht mein Abgesang.”