Vielleicht hast du dich genauso wie ich irgendwann dazu entschlossen, „harmlose” Drogen für eine Weile sein zu lassen. Dabei ist es egal, ob du wieder ein rauchfreies zurück haben wolltest oder es sich nur um einen hoffnungslosen Fall von Selbstüberschätzung handelte. Wichtig ist nur, dass du eine Zeit lang nicht mehr gekifft hast. Dabei sind dir bestimmt die vielen positiven Folgen aufgefallen: Du hast mehr Energie, ein besseres Erinnerungsvermögen und gibst weniger für Burger und Pommes aus.
Nachdem ich zum ersten Mal dem Gras abgeschworen hatte, fing ich wieder an zu träumen, und das lebhafter denn je. Mir wurde bewusst, dass ich als Stoner quasi gar nicht mehr geträumt habe—und wenn es doch mal vorgekommen ist, dann waren die Träume nicht mal halb so intensiv wie jetzt. Woran liegt das?
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Um diese Frage zu beantworten, rief ich bei Dr. Hans Hamburger an. Dr. Hamburger ist ein Neurologe und Schlafforscher und leitet dazu noch Holland Sleep Research—ein spezielles Forschungszentrum in den Niederlanden, das sich mit Schlafstörungen beschäftigt.
Laut Dr. Hamburger ist die Rückkehr von Träumen bei Ex-Kiffern ganz normal, denn Gras unterdrückt den REM-Schlaf. Wenn du Blättchen, Bong und Vaporizer für eine Weile beiseite legst, dann kann sich dieser REM-Schlaf wie vorher plötzlich wieder frei entfalten.
Da ich selbst kein Schlafexperte bin, fragte ich Dr. Hamburger, was REM-Schlaf denn genau ist. „Jede Nacht durchläuft man ungefähr vier oder fünf Schlafzyklen”, antwortete er mir. „Jeder Zyklus dauert gut 90 Minuten und besteht aus verschiedenen Phasen—zum Beispiel leichter Schlaf, Tiefschlaf und dann eben noch REM-Schlaf. Während des REM-Abschnitts kommen auch die meisten Träume zustande. Wenn man danach weiterschläft, erinnert man sich normalerweise nicht mehr an sie. Der letzte REM-Abschnitt vor dem Aufwachen dauert am längsten—und an dessen Träume erinnert man sich nur, wenn man währenddessen aufwacht. Wenn dem nicht so ist, weiß man davon gar nichts mehr.”
Bedeutet das, dass man sich an nichts erinnert, wenn man schläft? Die Antwort scheint nein zu lauten. „Man erinnert sich nur an die Dinge, die im Wachzustand passieren”, erklärte mir Dr. Hamburger. „Im Schlaf befinden wir uns in einem zurückgeschraubten Bewusstseinszustand. Deswegen funktioniert das da so nicht. Das hat auch damit zu tun, dass man dabei die Erinnerungen an die Geschehnisse des Tages verarbeitet und im Grunde im Gehirn verstaut.”
Träume helfen einem dabei, sich durch die Tausenden Eindrücke und Bilder zu arbeiten, die jeden Tag auf einen einprasseln. Wenn man regelmäßig kifft, wird auch diese Funktion unterdrückt. Dr. Hamburger bestätigt das: „Durch Marihuana-Konsum werden der REM-Schlaf und viele seiner wichtigen Funktionen verdrängt. Dazu gehört auch das erneute Durchleben und Verarbeiten von allen möglichen Erlebnissen und psychologischen Einflüssen. Auch antizipiert man während des REM-Schlafs die Dinge, die in der Zukunft passieren werden. Wenn man schläft, beschäftigt man sich bereits damit und trifft schon im Voraus diverse Entscheidungen.”
Wenn dein Gehirn nicht die Möglichkeit hat, während des REM-Schlafs für Ordnung zu sorgen, dann bist du tagsüber total benommen und verwirrt. So lässt sich vielleicht auch erklären, warum alteingesessene Kiffer diverse Aufgaben und Entscheidungen bis zum letzten Moment aufschieben: Man hat es versäumt, ein Thema ordentlich zu antizipieren, und ist deshalb mal wieder mit mit der Steuererklärung spät dran oder kann sich nicht daran erinnern, wo man den Haustürschlüssel hingelegt hat.
Alkohol hat überraschenderweise einen gegenteiligen Effekt: Wenn man sturzbetrunken schlafen geht, dauern die Phasen des REM-Schlafs länger an. Das heißt jetzt allerdings nicht, dass dir zwei Flaschen Wodka einen wohlgeruhten Schlaf bescheren. „Zu viel Alkohol unterdrückt den Tief- und verlängert den REM-Schlaf. Man ist jedoch ruheloser und wacht öfters auf. Wenn man viel getrunken hat, wälzt man sich in der Nacht von der einen Seite auf die andere und wird immer wieder wach”, sagte Dr. Hamburger.
Die Folgen, die Gras für dein Schlafverhalten hat, sind also klar. Aber warum sind deine Träume dann so hyperrealistisch und intensiv, wenn du mit dem Kiffen aufhörst?
„Eine Droge unterdrückt eine Zeitlang ein gewissen Phänomen. Wenn man den Konsum dieser Droge einstellt, kommt das Phänomen stärker zurück denn je”, erklärte Dr. Hamburger. „Das nennen wir den ‚Rebound-Effekt’—der lässt sich übrigens auch bei Leuten beobachten, die viele Schlaftabletten nehmen. Wenn sie damit aufhören, werden ihre Träume oft richtig verrückt und intensiv. Das ist dann auch ein Grund dafür, warum sie nicht aufhören, die Tabletten zu nehmen. Sie werden von ihnen abhängig, also quasi danach süchtig.”
In anderen Worten: Dein Körper schaltet den Turbo-Traummodus ein und deswegen empfindest du die Träume als so intensiv. Laut Dr. Hamburger lässt der Rebound-Effekt mir der Zeit von selbst nach. „Das ist auch ein temporärer Versuch, die ganzen Träume nachzuholen, die man während der Kiffer-Phase verpasst hat. Im Normalfall ist das Ganze nach zwei bis drei Wochen wieder vorbei”, erzählte er. „Der Körper merkt, wenn ein Gleichgewicht zurückgekehrt ist, und geht dann wieder in den Normalzustand über.”