„Fick Genetikk” ist ein lustiger Imperativ, der gerade hin und wieder benutzt wird, um das Saarbrückener Duo Karuzo und Sikk und ihr neues Album mit einem müden Lächeln abzutun. Passt natürlich wunderbar zum Albumtitel Fukk Genetikk. Die exzentrischen Jungs machen es ihren Hatern mit ihren ambitionierten Projekten aber auch leicht: von pathetischer Kapitalismuskritik und propagierter Unantastbarkeit hin zu Snipes-Kollabo und einem Shitstorm aufgrund kultureller Aneignung in Cover und Video. Wie gut dann noch eine Partnerschaft mit Red Bull in puncto Beliebtheit ist, kann man ja die Fans von Rasenballsport fragen.
Ich selbst ertappe mich bei dem Gedanken „Fick Genetikk”, als ich bei schönsten Regenwetter das dekadente Soho-House in der Mitte Berlins betrete. Nach mehreren (beidseitig) geplatzten Terminen soll nun endlich mal wieder ein Noisey-Interview mit dem Deutschrap-Phänomen stattfinden. Schließlich hat sich bei den Jungs seit dem letzten Gespräch 2013 Einiges getan.
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Während ich in der Lobby neben Konferenzbesuchern und Geschäftsmännern warte, die ihr schwäbisches Business-Englisch ohrenbetäubend laut ins Telefon lachen, hält sich meine Begeisterung allerdings noch in Grenzen, was nicht nur am klebrigen Gefühl meiner triefenden Jogginghose liegt. In den Interviews, die ich gesehen habe, machen es die Beiden ihrem Gegenüber nicht leicht, geben sich exzentrisch, aufmümpfig und missverstanden. Als ich die luxuriöse Riesen-Suite, in dem einen Tag vor dem Albumrelease die letzte Etappe ihres Medienmarathons stattfindet, betrete, werde ich allerdings angenehm überrascht. Karuzo und Sikk vertreten zwar klar ihre Meinungen, sind aber offen für Diskussionen und insgesamt erschreckend respektvolle Gesprächspartner. Vielleicht liegt es auch an den fehlenden Masken. (Wer Interesse an Gesichtsfotos hat, schreibe mir sein Höchstgebot auf Twitter.)
Noisey: Der Titel eures neuen Albums ist ja Fukk Genetikk. Inwieweit sollte es für euch ein Bruch werden mit dem, was ihr vorher gemacht habt?
Karuzo: Die ganze Platte fühlt sich ein bisschen anders an. Genetikk war so ein bisschen schwarz-weiß die ganze Zeit, das haben wir ja bewusst so gemacht und da haben wir uns hinentwickelt. Allerdings hatten wir auch schonmal einen bunteren Ansatz, zum Beispiel bei Fötus und Voodoozirkus. Das hier ist halt jetzt so ein bisschen eine Rückkehr vom Düsteren zum Bunteren.
Was sind die Sachen von Genetikk, die ihr besonders fukken wollt? Spezielle Releases oder Phasen?
Sikk: Alles. Die ganze Historie. Alles, was wir aufgebaut haben, wollen wir auch kaputt machen.
Karuzo: Die Leute kommen immer und sagen Fötus ist besser, Voodoozirkus ist besser, D.N.A... Immer ist irgendwas anderes besser. Vorher fanden sie es aber auch scheiße
Sikk: Genau, damals als wir Fötus in die ganzen Foren gestellt haben, fand es ja keiner cool. Fünf Jahre später wollen die Leute, dass wir wieder so was machen. Das wird hier auch so sein, nur dass das hier noch 100 Mal krasser ist. Wobei diese Einstellung, dieses Fukk, immer schon da war. Schon bei Fötus und Voodoozirkus, bei D.N.A., bei Achter Tag. Jetzt ist es ausgesprochen.
Karuzo: Es gibt halt immer dieses Gefühl, „Oh Mann war das scheiße, lass jetzt das nächste Album machen”. Man ist natürlich stolz auf seine Sachen in der Gesamtheit, aber es gibt immer den Moment, wo man sich sagt, komm wir machen alles neu und alles besser.
Ich finde es interessant, dass ihr ansprecht, dass Leute euch andauernd mit den alten Releases vergleichen. Bei euch kommen ja wirklich andauernd Leute mit Fötus und Voodoozirkus. Ich habe da ein altes Interview von euch gesehen, in dem ihr mit Visa Vie im Plattenladenladen seid…
Sikk: Oh Gott (vergräbt das Gesicht in der Hand).
Haha, da sagt ihr auf jeden Fall, dass ihr Leute seid, die eher die alten Sachen von Musikern hören.
Sikk: Ja, sagen wir das? Naja, also ich höre zum Beispiel überhaupt keine alten Dr. Dre-Sachen.
Im Interview redet ihr vor allem über Eminem.
Sikk: Naja, Eminem ist ja richtig abgekackt auch über die Jahre. Sonst sind wir aber nie so diese Oldschool-Rucksackträger gewesen.
Karuzo: Also ich gehe ja schon immer mit der Zeit, aber es gibt ein paar Künstler, mit denen man eine gewisse Zeit verbindet, da kommt dann auch nix ran. Aber man muss halt offen bleiben. Wenn wir jetzt D.N.A. 2, 3 und 4 rausbringen würden, würden sich die Leute beschweren, dass wir immer nur das Selbe rausbringen. Wenn wir etwas Neues machen, wollen die Leute das alte zurück. Ich kann es nicht mehr hören. Deswegen Fuck Genetikk, Alter. Scheiß drauf. Wir machen das, was wir machen und entweder ihr fresst oder ihr lasst es. Wir können auch nur mit dem umgehen, was aus uns rauskommt.
Sikk: Das „Fukk” zeigt ja auch die Roughness. Wir haben dieses schöne Cover und da wird einfach draufgecrosst. Es geht auch musikalisch viel um dieses Crossen. Am Ende wird es noch einmal kaputt gemacht, weil es so clean nicht cool ist.
Karuzo: Jedes Kind, das eine Sandburg aufbaut, weiß, dass der größte Spaß daher kommt, das Ding am Ende in 30 Sekunden platt zu machen. Das ist das Leben und das ist auch Kunst. Aufbauen, kaputt machen, neu machen.
Und wie passt das auf diese Favela-Ästhetik? Da gab es ja auch Kritik…
Sikk: Naja, also da wird ja auch ständig wieder aufgebaut und dann wird es wieder kaputt gemacht. Können die natürlich nix für, aber… Arte Povera zitieren wir ja auch oft. Aus den wenigsten Materialien und Mitteln das Meiste rausholen. Machen wir ja auch. Wir können kein Instrument spielen, wir können nicht komponieren, wir können eigentlich nur Samples picken und drauf rappen.
Karuzo: Und dann ist es einfach inspirierend zu sehen, wie Leute woanders auf der Welt in so einer abgefuckten Situation trotzdem gleichzeitig bekannt sind für extreme Gastfreundschaft, Feierkultur und den buntesten Karneval. Es ist krass, dass es diese Gegensätze gibt, aber sie sind auch inspirierend.
Sikk: Außerdem, die Leute sagen, dass wir uns hier auf diese Gangster-Problematik beziehen und dass wir uns das zu Nutze machen: Es ist ja nicht jeder ein Gangster, der in einer Favela wohnt. Da steckt der Rassismus. Da leben normale Menschen, die können nichts für dieses Image. Und es ist auch ein Gegensatz zu dieser deutschen Steifheit. Also jetzt nicht nur Deutschrap, sondern das Land insgesamt scheint ziemlich… festgefahren.
Ist das also so ein bisschen das Bindeglied zwischen der Ästhetik und dem Fukk? Also: Fick Genetikk und diese deutsche Ernsthaftigkeit, guckt euch mal an, was da geht?
Karuzo: Ja genau und da gibt es ja noch viele Sachen, die bei der Collage mitspielen. Da gibt es zum Beispiel das brennende Flüchtlingsboot im Hintergrund, was die Leute, die sich über das Cover abfucken, meistens gar nicht sehen. Das Flüchtlingsheim ist nicht so weit weg von einer Favela. Auch dort gibt es solche Zustände. Wir machen einfach das, worauf wir Bock haben und in unserem Kopf vermischen sich solche Dinge einfach.
Sikk: Man sieht das ja auch hier auf dem Cover. Das ist keine Favela, das ist ja surreal. Wo sieht es denn bitte so aus mit purple Wasser und allem? Das ist ja nur eine Vision von uns. Auch auf der Bühne ist das selbstverständlich keine echte Favela.
Karuzo: Da mischen sich halt tausend Sachen zusammen und wenn Leute drüber abgefuckt sind, sagen wir halt: Beschäftigt euch mal mit der Mucke. Und wenn ihr euch nicht mit der Musik beschäftigt, interessiert uns auch eure Meinung nicht. Jeder, der das Album hört, muss und wird begreifen, worum es uns dabei geht. Dass wir das mit Armut schmücken, ist komplett absurd.
Sikk: Wir geben dem anderen halt auch eine andere Note, es ist jetzt nicht immer der gleiche Scheiß Scarface-Film 16 Mal. Das ist einfach richtig langweilig.
Karuzo: Immer wieder stürmt das SEK die Bude…
Sikk: Immer wieder „Mama weint”, man kennt es halt.
Karuzo: Aber wie gesagt: Sobald man etwas anderes macht, beschweren sich die Leute auch.
Eine Frage noch zum Track „Jordan Belfort”. Er ist ja ein bekannter Hochstapler, inwieweit findet ihr dieses Hochstapler-Ding bei euch wieder?
Karuzo: Absolut! Unser Durchbruchssong sozusagen war „König der Lügner” und gerade bei Rappern ist dieses „Fake it til you Make it” ja eine große Sache. Also, dass man sich einredet: „Wir werden die größten, verkaufen die meisten Platten, machen die meiste Kohle, werden die berühmteste deutsche Rap-Band ever, werden irgendwann in Amerika groß sein”. Wir hatten das immer, aber nicht nur nach außen. Das ist eigentlich das Realste an uns. Seit Tag Eins sagen wir uns, dass wir ein großes Ding sein werden. Und dieser Größenwahn, dieser Hunger ist immer noch da.
Übrigens: Karuzo, du sprichst sieben Sprachen?
Karuzo: Sechseinhalb, Russisch kann ich nicht so gut.
Krasse Sache, wie kommts?
Karuzo: Also in Brasilien war ich vor Ort und habe Portugiesisch gelernt, Italienisch habe ich von meinem Vater mitbekommen, Frankreich ist bei uns direkt um die Ecke, Englisch kommt durch Schule und Musik hören, Spanisch fällt einfach leicht, wenn du Französisch, Italienisch und Portugiesisch sprichst, und Russisch … Ich habe so mehrere Stationen in meinem Leben, die für mich Mutter-Ersatz waren und eine davon ist Russin.
Das ist natürlich ein Vorteil, wenn man bei dieser Favela-Debatte mitbringen kann, Portugiesisch zu sprechen.
Karuzo: Ja Mann. Alle reden über ein grenzenloses Europa, alle wollen die Grenzen aufmachen, es geht immer darum, weltoffen zu sein. Das Cover ist weltoffen. Wir machen keinen Halt, zeigen nur deutsche Fassaden und deutsche Straßenzüge. Weißt du, was ich meine? Warum sollten wir uns auf Deutschland beschränken. Man fährt ja auch gerne woanders in den Urlaub und wir machen mit unserer Kunst ja nicht nur den Alltag, sondern wir leben auch unsere Visionen und Fantasien aus. Dieses Mal ging es nach Brasilien, letztes Mal ging es nach Asien. Damals hat sich keiner beschwert, keiner hat gesagt „Ihr seid keine Japaner”.
Jetzt weiß man es fürs nächste Mal.
Karuzo: Genau, bei Asien sagt keiner was. Bei D.N.A. waren wir auf einem anderen Planeten, da hat sich auch keiner beschwert. Wir sind immer woanders mit dem, was wir machen. Das ist ja auch nix Neues, dass wir uns an solchen Dingen bedienen.
Ich wollte euch jetzt auch noch auf ein paar Online-Videos anhauen, die euch beim Album inspiriert haben.
City of God
Dieses Favela-Ding habt ihr aber wohl weniger durch externe Quellen als durch Erfahrung eingebracht, oder?
Karuzo: Ich war in meiner Jugend ja ein paar Monate dort, aber nicht in der Favela. Aber in Rio siehst du das natürlich überall. Natürlich bleiben dann Sachen hängen und inspirieren einen.
Sikk: Aber allein City of God und City of Men sind natürlich ein bisschen Mainstream, aber waren definitive Inspiration. Es gab da noch diesen einen Favela-Film, aber der fällt mir gerade nicht ein.
M.I.A.—„Borders”
Karuzo: Das „Borders”-Video ist extreme krass und beeindruckend, wo sie im Endeffekt genau diese Themen aufgreift, die uns auch beschäftigen. Wirklich krasses Video.
Sikk: Mich interessiert auch Kunst sehr. Joseph Beuys, Marina Abramowich, Cattelan, auch so Skandalkunst. Das ist sehr inspirierend. Es muss ja nicht mal visuell sein, allein die Philosophie dahinter.
Lionel Messi
Sikk: Es gibt eine Sache, die ich mir ohne Ende auf YouTube gebe und das sind Lionel Messi-Videos. Ich kenne jedes Tor, das er in seinem Leben geschossen hat.
Karuzo: Bei Sport gucke ich in letzter Zeit extrem viel Golf. Den Ryder Cup habe ich dieses Jahr verpasst, aber letztes Jahr habe ich alle vier Majors geguckt. Weil die mentale Power, die dahinter steckt, wirklich krass ist: Du spielst ja die gesamte Zeit nur gegen dich selbst. Aber auch andere Sachen, halt Football, Basketball…
Sikk: Steph Curry ist der Leo Messi des Basketballs, da gucke ich auch immer diese Videos.
Karuzo: Die Nowitzki-Doku habe ich abgefeiert, weil er so ein smarter Typ ist, so wie er rüber kommt.
TV-Serien
Sikk: Was Serien angeht: Westworld kann ich auf jeden Fall empfehlen.
Davon wurde mir auch schon erzählt, steht oben auf der Liste. Habt ihr Atlanta geguckt?
Sikk: Ich bin gerade dabei! Es gibt aber erst vier Folgen auf deutsch, da bin ich aber hinterher.
Karuzo: Ich habe neulich auch Vinyl geschaut. Die Pilotfolge war fett, aber danach ist es ein bisschen lahm geworden. Aber natürlich krass auch mal so einen Einblick ins Business zu bekommen.
Dshild Crew
Karuzo: Dshild sind so Skate-Kids von uns aus der Stadt. Die hängen ab und zu bei uns rum und bekommen von uns Equipment und so zum Mucke machen. Die sind auf jeden Fall cool und beim Release von der letzten HiKids-Kollektion waren die mit uns im Store und … Das sind halt einfach 20 Kids, die zusammen rumhängen und abgefuckt sind und den ganzen Tag auf der Straße rauchen, saufen und ficken, feiern. Die haben eine gute Zeit und die sind eine Inspiration, weil es uns an uns selbst erinnert. Die sind ein bisschen lost und leben in den Tag hinein. Heute gibt es so viele Kräfte, die an uns zerren: Es gibt ein Label, du musst eine Platte abgeben, Shows spielen, du musst dafür proben und Sachen machen, hast Interviews, du kannst nicht mehr einfach loose rumhängen, sonst leidet dein Business. Und diese Kids erinnern uns daran, auf Sachen zu scheißen. Wir machen das hier ja auch für den Spaß und wenn es keinen Spaß mehr macht, sollte man es sein lassen. Das ist genau dieser Spirit, wegen dem wir uns halt auch einfach mal ein paar Monate nicht blicken lassen, nur Mucke machen und kein Facebook, kein Twitter und den Leuten zeigen, was wir essen oder im Fernsehen gucken. Besser so.
Das mit den Fotos ohne Maske war natürlich ein Scherz, aber ihr könnt Niklas auch so gerne auf Twitter folgen @FuckNiklas