Jan Gorkow alias Monchi ist Sänger der Punkband Feine Sahne Fischfilet. Als die Band kurz vor Corona eine Pause eingelegt hatte, überlegte er sich – er wog 182 Kilo –, dass es Zeit würde abzunehmen. Und das tat er. Innerhalb eines Jahres hat er 65 Kilo verloren und schließlich ein ziemlich ehrliches Buch darüber geschrieben: Niemals satt.
Unser Videocall soll eigentlich um 8:30 Uhr stattfinden, um kurz nach halb ruft Monchi aber per Telefon an. Er ist nämlich gerade im Fitnessstudio.
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Wir telefonieren also, während er auf dem Stepper schwitzt und sprechen über den Teufel in uns allen, seinen kleinen Penis und warum es geil sein muss, ein AfDler zu sein.
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VICE: Im Film 8 Mile gibt es diese Szene im Finale, als Eminem seinem Gegner im Freestyle-Rap-Battle alle seine Makel aufzählt, damit der keine Munition mehr gegen ihn hat. Dein Buch ist wahnsinnig ehrlich und offen. War das auch dein Gedanke?
Monchi: Der Gedanke war vor allem, dass das Buch nur gut wird, wenn es authentisch ist. Es gab einige Leute, die mir davon abgeraten haben, so ehrlich zu sein. Und wenn ich einfach nur ein Fitness-Guru-Buch geschrieben hätte, wäre es auch sicherlich einfacher für mich gewesen.
Inwiefern?
Gerade drehen ja alle total auf das Thema Körper durch. Und ich hätte diese 65-Kilo-Abnehmen-Karte für alles spielen können. Ich hatte einen BMI von 50. Meine Klamotten waren XXXXXXL. Aber ich dachte mir: ganz oder gar nicht. Deshalb sind da auch diese emotionalen Dinge drin, die mir wehtun.
Was tat dir besonders weh?
Leute haben mir zum Beispiel davon abgeraten, vom Vorscheißen zu schreiben und davon, dass ich in irgendwelche Seen gekackt habe. Das Buch wirke auch so authentisch. Aber ich war halt zu schwer für die meisten Toiletten, deshalb bin ich lieber schwimmen gegangen. Und wenn der nächste See zu weit weg war, habe ich schon mal ein bisschen Druck abgelassen und mir sozusagen in die Hose gekackt. Meine Arschbacken waren ja so riesig, dass da nichts rauskam. Das auf meinen Lesungen vorzutragen, ist bis heute schwer.
Wenn das Buch auch so authentisch gewesen wäre, warum hast du es mit reingenommen?
Für mich war das Alltag. Ich wollte zeigen: Es geht mir nicht darum, ein Sixpack zu haben, sondern darum, dass ich mir nicht mehr den Arsch abwischen konnte. Das aufzuschreiben und vorzulesen, macht mir selbst nochmal deutlich, dass ich das nicht mehr will. Deshalb sitze ich hier seit 8 Uhr im Fitnessstudio.
Warum gehen Leute heute so auf das Thema Körper ab?
Weil alle einen Körper haben und alle damit zu struggeln haben, auch schlanke Menschen.
Auch schlanke Menschen?
Ich hatte mir schon gedacht, dass Dicke oder Leute, die abgenommen haben, sich in dem Buch wiederfinden würden. Aber es kommen auch super viele Leute, die ich normalgewichtig nennen würde, die mir erzählen, dass sie sich darin wiedererkennen. Von den Essstörungen, dem Essen, das zum Fressen wird, oder wenn ich schreibe, dass ich nach dem Essen manchmal kotze. Diese Probleme mit dem eigenen Körper sind einfach ein omnipräsentes Thema.
Hast du eine Idee, warum dieser Körperkult, diese Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper so ein zeitgenössisches Thema sein könnte?
Ich glaube, ich bin zu dumm für diese Frage.
Lass uns später noch mal drüber sprechen. Du bist im Buch schon wahnsinnig ehrlich, gibt es noch Fragen, die dich aus dem Konzept bringen?
Nein, aber ich bin gespannt, womit du es versuchen wirst. Es ist ja so, wenn ich keine Lust habe, sage ich das. Und wenn ich etwas nicht verstehe, sage ich das auch. Gleichzeitig muss ich sagen, dass mir diese Frage nach dem gesellschaftlichen Aspekt offiziell scheißegal ist. Es geht hier um mich, ganz egoistisch. Ich habe nicht für irgendwelche Gesellschaften abgenommen, nicht für irgendwelche Schönheitskults, sondern einfach für mich.
Nun schreibst du in deinem Buch aber auch, dass du schon dick genannt wurdest, als du dich noch nicht so gefühlt hast. Und dass du deshalb angefangen hast zu essen. Dass es also auch die Menschen um dich herum waren, die ein bisschen Verantwortung tragen.
Das war krass. Ich habe meinen Eltern einen Brief geschrieben. Ich wollte wissen, warum sie damals nichts gesagt haben, als der dicke Junge immer fetter wurde. Und die meinten, ich sei nicht immer fett gewesen. Meine Mutter hat mir Fotos gezeigt, ich im Konfirmationsanzug mit 14. Der Anzug ist mega hässlich, aber ich bin Nullkommanull fett. Trotzdem war ich damals schon immer der Fette. Und dann sei es eskaliert, hat meine Mutter gesagt. Auf einem Foto drei Jahre später bin ich dann schon der Monchi, den man kennt. Ich wollte also herausfinden, warum ich nicht immer fett war, mich aber immer fett gefühlt habe.
Erinnerst du dich da an eine Situation?
In der Schule hat eine Lehrerin einmal eine Mitschülerin, die auch nicht so schlank war, und mich vor der ganzen Klasse wiegen lassen.
Nimmst du es den Leuten übel, dir dieses Gefühl gegeben zu haben?
Da ist keine Wut, ich bin für mich selbst verantwortlich. Ich war sowieso immer eher Täter als Opfer. Weißt du, wie oft ich Leute gemobbt habe? Das war Standard. Ich habe sogar Dicke gemobbt.
Du trägst also selbst Schuld.
Es wäre leicht zu sagen, dass andere Schuld haben, dass meine Eltern nicht genug aufgepasst hätten, dass ich angefangen habe zu essen, weil andere gesagt haben, ich sei dick. Aber das ist falsch. Ich bin verantwortlich, dass ich 182 Kilo gewogen habe, weil ich irgendwelche Sachen kompensieren wollte.
Was denn?
Ich zitiere bei meinen Lesungen immer aus einem Artikel von VICE. Es geht darum, dass Schulen bedroht werden, in denen ein Kinofilm über Feine Sahne Fischfilet gezeigt werden soll, der Film Wildes Herz. Die “Enkel von Adolf Hitler” schickten also Bombendrohungen, schrieben “Wir richten euch alle hin” und dass das Sterben der Menschen langsam sein werde. Die Vorführungen wurden abgesagt.
Puh.
Wie konnte ich mir einreden, dass ich das getragen kriege?
Du schreibst auch, dass du immer das Gegenteil von dem machst, was Leute von dir erwarten oder wollen.
Das lässt sich auf alle Dinge in meinem Leben übertragen. Ich habe ja diesen Brief an meine Eltern und später an meine Freunde geschrieben. Meine Frage war grob, wie es sein kann, dass die nichts gemacht haben? Würde einer von uns auf Koks abkacken, würden wir doch auch was sagen.
Was war ihre Antwort?
Sie meinten, wenn sie etwas gesagt hätten, hätte ich nur noch mehr gefressen. Da war ich jedes Mal schachmatt, weil ich weiß, dass es stimmt. Jedes Mal, wenn jemand zu mir kam und meinte, ich solle es mal mit veganer, ausgewogener Ernährung probieren, habe ich mir fünf Big-Mac-Menüs bestellt.
Bist du besser darin geworden?
Ich bin nach wie vor kein Heiliger.
Was heißt das?
Ich habe immer noch jede Menge Scheiße in mir. Ich habe riesige Angst vor dem Jojo-Effekt. Deshalb sitze ich ja hier in diesem scheiß Fitnessstudio. Ich war zwischendurch mal wieder bei 136 Kilo, jetzt wiege ich 127.
Immerhin.
Zucker ist aber einfach meine Droge. Und Essen ist omnipräsent. Ich habe ja auch Bock drauf. Auch mal einen zu saufen, gerade auf Tour. In jeder Stadt sind Leute, die sagen, trink doch einen mit. Ich muss lernen, normal damit umzugehen. Wenn man abnimmt, ist das ein Marathon. Man kämpft jahrelang, mal gewinnt man, mal verliert man. Ich will nur, dass ich öfter siege als verliere.
Du schreibst im Buch, dass alle Menschen eine Art Jojo-Effekt erleben, wenn sie versuchen, ihre Vorurteile zu reflektieren.
Engel und Teufel tanzen die ganze Zeit Tango auf meiner Schulter.
Was bedeutet das?
Ich kämpfe in erster Linie gegen mich selbst. Ich war schon oft ein Idiot, habe meinem Bruder eine reingehauen, meine Mutter aufs Schäbigste beleidigt. Wenn Leute mich als Vorbild bezeichnen, scheiße ich da drauf. Ich bin der größte Bastard. Niemand meiner Freunde würde sagen, dass ich ein Vorbild bin.
Eine Sache, über die du schreibst, ist, dass du einen kleinen Penis hast. Warum sollen das alle wissen?
Vielleicht weil ich mir denke, dass es scheißegal ist, wenn ich offen damit umgehe. Wenn ich FKK baden war, gab es immer wieder Situationen, wo Leute Fotos von mir gemacht und die hochgeladen haben. Und wenn mich jemand in der Sauna erkennt, erzählt die Person jetzt nicht mehr rum, wie klein mein Penis ist. Die erste Frage, die Leute mir heute stellen, ist, ob ich jetzt einen größeren Schwanz habe. Ich wollte diese Frage vorwegnehmen.
Und?
Nein.
Wurdest du wegen deines Übergewichts mal von einer Frau verletzt?
Eine Freundin sagte mal, du hast so einen kleinen Schwanz, nimm doch ein bisschen ab, dann wird der vielleicht größer. Da denkst du ja nicht, “oh wow, toll, was für eine reflektierte Position”, sondern “fick dich”. Aber ich stelle mich nicht hin und sage, ich bin das kleine Mobbingopfer. Das steht mir nicht.
Als du noch dick warst, hast du auf Konzerten deinen Bauch rausgeholt und darauf getrommelt, du hast dir Schnapsfläschchen unter die Brüste geklemmt und Leuten zu trinken gegeben. Meinst du, es ist für einen Mann leichter, so dick zu sein als für eine Frau?
Ja, klar. Na und? Zähl mir mal ein paar Leute auf, die 182 Kilo wiegen und bei Rock am Ring auf der Hauptbühne auftreten. Zähl mir auch nur zwei auf. Zähl mir einen auf. Es gibt nur mich. Das war ja auch immer eine Ansage. Aber ich habe immer auch gemerkt, wie die Leute gucken, schockiert sind oder sich ekeln.
Was für Leute?
Selbst die reflektiertesten Leute waren angewidert, weil da einer keinen Sixpack hatte, sondern vor Fettsein stank und Hängetitten hatte. Und die habe ich ja bis heute. Ich wiege 127 Kilo, ich bin nicht schlank, mein Bauch hängt immer noch. Die Idee war auch immer: Wenn ihr kotzt, geht es mir gut. Ich habe mich zum Clown gemacht und für meine Gesundheit war das die Hölle.
Kein Privileg?
Klar war es ein Privileg, aber den Ekel spüre ich bis heute.
Betrachtest du dicke Frauen anders als dicke Männer?
Es ist so: Ich habe mir lange eingeredet, dass mein Gewicht mir nichts ausmacht, und dann 65 Kilo abgenommen. Und niemand, der 65 Kilo abgenommen hat, würde das je wieder ändern wollen. Niemand. Es gibt Leute, die sagen, alle Körper sind schön. OK, das kann man sich einreden. Aber wenn einer sich nicht mehr den Arsch abwischen kann, dann halt dein dummes Maul. Es geht hier um Gesundheit, nicht um Schönheit. Und das gilt für Frauen wie für Männer.
Du schreibst auch, dass du weißt, dass du sexistische und rassistische Einstellungen in dir trägst. Das finde ich mutig für jemanden, der in der linken Szene aktiv ist.
Ich empfinde mich nicht als Teil der linken Szene. Ich bin Monchi. Ich passe in keine Schublade.
Und wie gehst du mit deinem Sexismus und Rassismus um?
Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Manchmal haben wir auf der Bühne irgendwelche Parolen gebrüllt, von denen wir keine Ahnung hatten. Was soll ich denn von Sexismus oder Rassismus labern?
Stattdessen?
Ich versuche, ich selbst zu bleiben und auf mich selber zu schauen. Wo bin ich gut, wo bin ich schlecht, woran habe ich zu arbeiten? Ich will nicht in diesen Gedanken verfallen, dass ich nur geil bin und andere nur Scheiße labern. Aber das ist halt schon ein Kampf.
Wogegen?
Wie geil muss es sein, AfDler zu sein?
Wie bitte?
Das ist doch die größte Freiheit. Alles ist immer richtig, alles ist immer geil, weil alles scheißegal ist. Das sind Verlockungen, gegen die ich ankämpfe. Scheitern und verstehen ist mein Motto und ich hoffe, dass ich mir das beibehalten kann.
Scheitern und verstehen.
Nichts ist schwarz-weiß. Und ich weiß: Je besser ich mich selbst behandle, desto besser behandle ich andere – und andersherum. Ich meine: 182 Kilo, was ist das? Das ist komplette Selbstzerstörung. Und wenn ich meine Grenzen ignoriere, sind mir auch die der anderen scheißegal. Ich muss jeden Tag kämpfen, um besser zu werden. Zu mir und zu anderen.
So viel Punkmusik wie während der Vorbereitung auf dieses Interview hat Robert seit der Mittelstufe nicht mehr gehört. Folgt ihm auf Twitter und Instagram für mehr überflüssige Informationen und VICE auf TikTok, Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.