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Wenn Stalking deine Psyche ruiniert

Ein Stalking-Opfer schaut ängstlich aus dem Fenster

Als es besonders schlimm war, wollte die 19-jährige Carly* ihr Schlafzimmerfenster zukleben. 2017 hatte die Studentin aus dem englischen Norfolk die romantischen Avancen eines Kommilitonen abgelehnt. Daraufhin folgte er ihr bei mehreren Gelegenheiten nach Hause.

“Ich glaube, er hat herausgefunden, wo ich wohne, nachdem er mir vom Supermarkt nach Hause gefolgt war”, sagt Carly. “Fünf Monate lang hat er mir regelmäßig Snapchats von meinem Haus geschickt. Wenn ich ihn geblockt habe, hat er sich einen neuen Account gemacht. Er hat behauptet, mich durch mein Fenster zu beobachten.”

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Kaum eine Nacht verging, in der sie keine Angst hatte. Das lag auch an dem großen Schlafzimmerfenster zur Hauptstraße hin. “Ich habe dickere Vorhänge gekauft und war kurz davor, mein Fenster mit Sekundenkleber zuzukleben, weil ich nicht schlafen konnte.”

Wenn man von Stalking hört, sind es in der Regel die Fälle, die tragisch enden. Damit ein Vorfall öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, muss er oft gewalttätig oder extrem sein – Fälle wie der von Alice Ruggles, deren stalkender Ex-Freund in ihr Haus einbrach und sie ermordete. Oder der Fall von Molly McLaren, die in ihrem Auto von einem Ex-Partner erstochen wurde.

Zum Glück endet der Großteil aller Stalkingfälle nicht mit einem Mord: Meistens gelingt es den Opfern, dem Griff ihres Stalkers zu entkommen. Aber damit ist die Tortur nicht zwangsläufig vorbei. Bei manchen hinterlässt die Erfahrung schwere psychische Schäden.

Als Carly dieses Jahr umzog, ließ ihr Stalker endlich von ihr ab. Der Fall aber verfolgt sie immer noch. Nicht nur ist ihre Angststörung stärker geworden, sondern auch ihr Umgang mit Menschen hat sich verändert. Sie schottet sich ab und ist Fremden gegenüber weniger aufgeschlossen.

“Ich poste keine Bilder aus meiner Nachbarschaft mehr, weil ich Angst habe, dass er oder jemand anderes mich findet”, sagt Carly. “Ich bin sehr vorsichtig, welche Informationen ich gegenüber anderen Menschen von mir preisgebe. Seit der Sache habe ich jedes Date so weit von zu Hause wie möglich gehabt. Und ich bringe immer jemanden mit.”


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Auch Monate nach ihrer Tortur leidet Carly immer noch unter Angststörungen, Furcht, Misstrauen und Schlafstörungen. Laura Richards wundert das nicht. Die Gründerin des britischen Vereins für Stalkingopfer, Paladin, erklärt: “Stalking verändert das Leben. Opfer sind danach nie wieder die Menschen, die sie vor dem Stalking waren.” Sie listet einige Folgen auf, unter denen Betroffene leiden können: “Manche werden hypersensibel, hyperaufmerksam und stehen pausenlos unter Stress. Sie schauen ständig über die Schulter und sichern sich in jeder Situation um 360 Grad ab.”

Je länger und intensiver das Stalking war, desto extremer äußern sich in der Regel die Symptome. Die in Sussex geborene Autorin Ellie, 28, wurde 2012 während ihres Studiums von einem Mitbewohner gestalkt. Sechs Jahre später sind die Wunden dieser Erfahrung noch nicht geheilt.

“Er hat mich im Haus verfolgt, zur Universität, in Geschäfte”, erinnert sich Ellie. “Er hat mich in Ecken gedrängt und in der Küche meinen Weg blockiert. Wenn ich mich in den Gemeinschaftsräumen aufhielt, hat er mich beobachtet. Wenn er mich alleine erwischt hat, hat er anzügliche Bemerkungen gemacht oder durchscheinen lassen, dass er sich umbringen würde, wenn ich seine Gefühle nicht erwidere. Einmal hat er mich aufgefangen, als ich gestolpert war. Dann hat er mich auf meine Zehenspitzen hochgehoben und so an meinen Armen festgehalten. Sehr fest und sehr lange.”

Ellie, die aufgrund einiger Bestimmungen im Mietvertrag nicht einfach ausziehen konnte, schloss sich in ihrem Zimmer ein. Als auch das nichts am Verhalten ihres Stalkers änderte, wandte sie sich an ihre Universität: “Sie haben mit ihm gesprochen und dann entschieden, dass ich die ganze Sache einfach in den falschen Hals bekommen habe. Sie meinten zu mir, dass ich definitiv nicht zur Polizei gehen könne, solange er mich nicht vergewaltigt.”

Ohne die Unterstützung ihrer Universität verschlimmerte sich Ellies Angst. Ein paar Monate, bevor sie endlich auszog, verfasste sie einen Abschiedsbrief an ihre Familie für den Fall, dass ihr Mitbewohner sie umbringt. Den Brief versteckte sie.

“Ich habe definitiv eine posttraumatische Belastungsstörung”, sagt sie. Eine Psychiaterin hatte Ellie bestätigt, dass ihre Symptome mit der Störung übereinstimmten, eine offizielle Diagnose hat sie allerdings nicht. “Ich zog mich zurück, versteckte mich in meinem Zimmer sogar vor engen Freunden. Ich hatte Angst, war wütend, mir ging es einfach furchtbar. Ich schämte mich dafür, dass ich ihn nicht davon abhalten konnte, mich so zu fühlen. Bis heute habe ich Albträume.”

Menschen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung – oder kurz: PTBS – leiden, können Flashbacks erleben, Intrusionen, Angespanntheit, Angst und überwältigende Gefühle von Trauer, Schuld, Wut oder Scham. Der Wohltätigkeitsorganisation MIND zufolge, die sich für Menschen mit psychischen Problemen einsetzt, kann die Störung durch ein Ereignis ausgelöst werden, das der oder die Betroffene als lebensbedrohlich wahrnimmt. Eine repräsentative Stichprobe unter US-Amerikanerinnen fand heraus, dass diejenigen, die Stalking durch einen aktuellen Partner erfahren haben, auch wahrscheinlicher PTBS-Symptome erleben.

Für Ellie und Carly hat das Stalking auf jeden Fall gereicht, um PTBS-ähnliche Störungen hervorzurufen. Damit stellt sich die Frage, warum die Folgen des Stalkings nicht Teil einer größeren öffentlichen Debatte sind.

“Stalking trägt zu PTBS-Symptomen bei, mehr als andere Formen zwischenmenschlicher Gewalt”, bestätigt der Psychiater Paul M. G. Emmelkamp. Er hatte 2001 in einer Studie anhand von 201 betroffenen Frauen den Einfluss von Stalking auf die Opfer untersucht. Sein Fazit: Betroffene erleiden “in hohem Maße” psychische Krankheiten und posttraumatische Stresssymptome.

“Etwa zehn Prozent aller von Stalking Betroffenen haben ein hohes PTBS-Risiko”, sagt Emmelkamp. “Stalking führt eine erhebliche Zahl von Opfern in die Störung. Viele erleben Symptome immer wieder und leiden unter suizidalen Gedanken.”

“Ich wünschte, die Leute hätten mir zugehört und meine Angst verstanden.”

Emmelkamps Studie ist eine der wenigen geförderten Forschungsarbeiten über die psychischen Auswirkungen des Stalkings. Eine andere Untersuchung, 2015 von der University of Bedfordshire veröffentlicht, hat das von den Opfern wahrgenommene Trauma analysiert. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass es “größtenteils vergleichbar” mit den Symptomen einer PTBS sei. Betroffene leiden mit hoher Wahrscheinlichkeit unter “Isolation, Reizbarkeit und Schuldgefühlen”. Diese psychologischen Reaktionen erleben Menschen, die Stalking Off- und Online erfahren haben.

“Die Prävalenz von PTBS nach Erfahrungen des Cyberstalkings ist vergleichbar mit anderen besonders traumatischen Ereignissen wie sexuellen Übergriffen und Kampfeinsätzen”, schreibt Emma Short, eine Autorin der Studie. “Vielmehr noch ist klar, dass die Reaktionen der Opfer negativen Natur sind und Furcht, Depressionen, Stress, Angst, vermindertes Selbstwertgefühl und einen Vertrauensverlust in andere Menschen beinhalten.”

Die Verarbeitung des Traumas ist oft nur über eine Psychotherapie möglich und bis man einen Platz bekommt, kann es dauern. “Ich hatte mehrere Sitzungen kognitiver Verhaltenstherapie und es hat mir sehr viel geholfen – auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt”, sagt Ellie.

Auch wenn die Therapie Ellies Symptome gelindert und sie weniger anfällig für bestimmte Auslöser gemacht hat, ist ihre Behandlung noch nicht abgeschlossen. Momentan befindet sie sich auf einem Warteplatz. “Ich glaube, es wird ein bisschen länger dauern, die Auswirkungen von einem ganzen Jahr Stalking zu verarbeiten, aber ich weiß, dass es irgendwann getan werden kann. Das hoffe ich zumindest.”

Bis die Auswirkungen des Stalkings besser untersucht sind und vor allem ernster genommen werden, wird sich allerdings wenig ändern. Opfer sehen sich immer noch einem, wie es Laura Richards von Paladin nennt, “Zermürbungskrieg” durch ihre Stalker ausgesetzt, ungläubigen Polizeikräften und medizinischem Personal, dem es an entsprechender Schulung fehlt.

Sechs Jahre später hat Ellie immer noch Probleme mit sozialen Interaktionen. “Ich kann nicht lange unter Fremden sein. In Küchen oder draußen bekomme ich Panikattacken – besonders, wenn ich das Gefühl habe, dass mir jemand mehr Aufmerksamkeit als normal schenkt. Oder wenn ich jemanden sehe, der mich an ihn erinnert.”

Gerade am Anfang ist gute Hilfe unerlässlich. “Ich wünschte, Menschen hätten mir zugehört und meine Angst verstanden. Ich wünschte, es hätte ein vernünftiges Hilfsnetzwerk gegeben. Und ich wünschte, man hätte mir nicht das Gefühl gegeben, ich würde aus einer Mücke einen Elefanten machen”, sagt Ellie.

*Um die Sicherheit und Privatsphäre der Betroffenen zu schützen, wurden alle Namen geändert.

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