Hamburg macht dicht. Institutionen wie die Yoko Mono Bar, die gerade erst gerettete Bar Hasenschaukel und der Plattenladen Burnout Records stehen vor der Schließung oder wurden bereits geräumt. Der Golden Pudel Club ist kürzlich durch einen Brand im Oberstübchen angefackelt worden, die Esso-Tankstelle an der Reeperbahn ist schon längst nur mehr Schutt und Asche. Eine Immobilie auf der Schanze können sich nur noch die großen Bioketten leisten. Die Liste der Orte, die Hamburg ausgemacht haben und nach und nach verschwinden, lässt sich ewig weiterführen.
Höchste Zeit also, sich mit Schorsch Kamerun zu unterhalten, Pudel-Gründer, Punk-Sänger, Theaterregisseur und Autor. Ein Gespräch über den Ausverkauf von Urbanität, den Pudel, Punks, Hipster und die Tiefsee. Dazu hat Kamerun für VICE ein Gedicht geschrieben.
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VICE: Hi Schorsch. Wie geht’s dir, wie geht’s Hamburg? Als Pudel-Gründer musst du ja gerade echt abgefuckt sein.
Schorsch Kamerun: Ich habe in den letzten Wochen eine Buchveröffentlichung und zwei Theaterpremieren hinter mir. Zusätzlich wurden wir alle vom Pudel-Brand schwer überrascht. Hamburg verändert sich weiter super schnell. Das Gefühl, dass hier alles einer Gewinnmaximierung unterliegt, schafft einfach einen großen Druck. Die raren Lücken in den Städten sind hart umkämpft, wenn nicht längst durchreserviert. “Die Stadt ist cool, rough und teils undurchleuchtet und deswegen will ich da hin”, dieser Wunsch nach Besonderheit ist längst Marke geworden und das verspekuliert letzte mögliche Freiräume.
Und das, was besonders war, sieht am Ende alles gleich aus.
Wenn es nichts Fremdartiges mehr gibt, keine Nichtnormiertheit mehr entsteht, weil dir das Unerhörte als Smoothie-Variante am Kiosk oder in der “alternativen Stadtführung mit original Transvestit” verkauft wird und der nächste “geheime” Record Store Day schon überliket ist, dann weißt du, dass das alles nur noch Labelverstärker sind.
Warum verteidigen Hamburger ihre Stadt so sehr?
Wahrscheinlich hat das wirklich eine tiefe Tradition, dieser Abstand der Pfeffersäcke [Anm.: Hamburger Slang für reiche, rücksichtslose Menschen] zum Proletariat. Und genauso hattest du hier schon immer das Gefühl, dass du irgendwie verarscht werden sollst. Ein gutes Beispiel ist die von Bürgern und Aktivisten erkämpfte “Park Fiction”, da sollten Bürohäuser hingeklotzt werden mit Rundumblick aufs Wasser fürs Meeting. In den Gegenden der Armen baut man die Häuser quer zum Fluss, man braucht dort nicht aufs Wasser schauen, das lenkt nur ab.
Ab wann wird aus einer wirtschaftlichen Entwicklung Establishment? Und was reizt dich weiter am Leben auf dem Kiez?
Ich schätze ein bestimmtes Einverständnis, bin froh, dass ich hier nicht jede Sekunde jemanden auf der Straße treffe, der mir Stammtisch-Politik-Parolen um die Ohren haut, oder meiner Freundin hinterher pfeift oder sonst was, weißt du? Das sind Dinge, die bleiben ja auch wertvoll. Wenn man aber sagt, “alles sei langweilig geworden”, dann frag ich mich—ey Alter, was willst du erleben? Ist es cool, wenn ich einem Nazi begegne und mich deshalb nicht mehr langweile? Ich will nicht auf der Reeperbahn sofort auf die Fresse kriegen, nur weil ich vielleicht “besonders” aussehe.
Du sagst also, man sollte sich ständig darauf abklopfen, ob die eigene Haltung nicht irgendwann kleinbürgerlich wird?
Die Welt, in der wir leben, ist hoch widersprüchlich. Wir sind einfach nicht nur die Guten, auch wenn man das beim Versuch von aktivem Gestalten manchmal denken mag. Was wir sagen können, ist: “Gut, auch wir sind Mit-Gentrifizierer, aber vielleicht welche, die keinen Mehrwert aus den Gegenden schöpfen wollen, die immer attraktiver für Unternehmen werden.” Und ich glaube, das ist auch der Grund, warum so viele Leute Lust haben, sich zum Beispiel mit dem Pudel zu identifizieren. Der Laden und sein Umfeld vertritt eine Haltung, die aktuell kaum noch zu finden ist.
Dass man so lange authentisch bleibt, ist aber selten, oder?
Hmm, ja, vielleicht. Es ist aber auch nicht so, dass wir da heftiger wären als manch andere. Unsere Basis rührt aus einem kollektiven Gedanken und von gegenkultureller Abwehr und Experimentierwillen. Von Anfang an haben wir den Raum zum Ausprobieren genutzt, der immer noch einer sich austestenden Gemeinschaft zur Verfügung gestellt wird. Und das ist eben ernst gemeint.
Wie geht der Pudel mit der Zeit?
Klar versuchen wir, uns zu fragen, was an Musik, Kunst und Diskurs gerade gegenwärtig sein könnte. Aber um ehrlich zu sein, geht es eigentlich immer noch darum, sich frei zu entwickeln—das schätzen auch Leute wie Helene Hauff oder das Dial-Label, die sich von Anfang an ausprobieren konnten, abseits von großer, medialer Beobachtung. Auch wenn viele Augen auf den Pudel gerichtet sind, habe ich das Gefühl, alle können hier immer noch machen, was sie wollen.
Es gibt in meiner Suche diese Sehnsucht nach Authentizität. Wir kaufen Produkte, die aussehen, als gehörten sie unseren Großeltern, hören Vinyl, sehen uns nach Zeiten, in denen es Mix-Tapes gab. Wir leben in einer digitalen Welt und sehnen uns nach der anderen.
In den Künsten bleibt die ewige Suche nach der alten Supermarke Authentizität ewig bestehen. Nur sind die Dinge subtiler, viel widersprüchlicher geworden. Berlin ist als “Arm, aber sexy” bekannt. Das ist Mangel und Werbeslogan zugleich. Da kannst du gleich ein Hotel daneben stellen, neben den Spruch, der ein Spitzen-Ereignisargument ist. Und so rufen szenebekannte Leute beim Pudel an und fragen: “Können wir euch irgendwie helfen?” Und manchmal ist das eine hippe Getränkemarke, die sich mit uns identifiziert und so stärker positionieren will. Ab den frühen 80ern erlebte ich den Aufstieg “der Straße” in die Sprache der Reklame. Die lustigsten Frauen sind mit 21 von den größten Werbeagenturen eingekauft worden, weil man kapiert hat: OK, die “alternativ-kreative” Umgebung, das ist das letzte Interessante und Aufregende in unserer Gegenwart.
Kannst du denn eine Prognose wagen. Wie wird das Leben in Großstädten in Zukunft aussehen, wenn all die Läden, die für echte Urbanität stehen, ausgetauscht sind?
Es kommt immer auch etwas Neues. Ganz im Ernst, die naive Lust, an das Moderne zu glauben, bleibt. Ich bin kein Kulturpessimist—mir macht es Spaß, Dinge weiterzuspielen, weiter zu testen, manchmal mit Konzepten aus radikalen Avantgarden. Als Künstler darf ich die Welt stark überzeichnen. Aber klar, man wird eingeholt und ein Stückweit eingezäunt—wir landen teilweise in der Historisierung. Gleichzeitig wird es schwieriger, neue, experimentelle Orte zu schaffen, wenn du erstmal 30.000 Euro Abstand zahlen sollst für einen mickrigen, leeren Raum in unserer Nachbarschaft auf St. Pauli. Vielleicht muss man einfach eine Bar in Wladiwostok aufmachen. Oder besser: in die Tiefsee. Da verstehe ich dann wenigstens die Codes nicht sofort.
Lies hier das Gedicht von Schorsch Kamerun.