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Wer ist verantwortlich für den ersten Tod in einem Tesla?

Heute Nacht hat Tesla in einem Blogpost verkündet, dass eines seiner Model S-Elektroautos im Autopilot-Modus in einen Crash verwickelt war, bei dem der Fahrer tödlich verunglückte.

Es ist der erste Unfall, bei dem ein Mensch in einem Tesla zu Tode gekommen ist. Der 45-jährige Fahrer starb am 7. Mai in Williston im Bundesstaat Florida, als ein großer, weißer Lastwagen vor dem Tesla links abbog. Warum erwähnen wir die Farbe des Lasters? Weil sowohl der Fahrer als auch „der Autopilot des Tesla die weiße Seite des Anhängers gegen den hellen, wolkigen Himmel nicht wahrnahm”, heißt es in dem Unfallbericht, und „die Bremsen nicht betätigt wurden.” Was die nüchterne Beschreibung ist für: Das Dach des Anhängers riss beim Zusammenstoß mit dem Tesla in voller Fahrt ab und knallte in die Windscheibe des Sportwagens.

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Bereits heute hat die Tesla-Aktie zwei Prozentpunkte an Wert verloren. Der Unfall wirft Fragen auf über die Alltagstauglichkeit und Sicherheit selbstfahrender Elektroautos, und darüber, ob der Tesla-Autopilot seinen Insassen eine falsche Sicherheit vermittelt.

Joshua Brown bei einem Test im Stau | Bild: Screenshot Youtube Joshua Brown

Das Ende des Hypes um autonome Elektroautos herbeizusingen wäre jedoch überzogen. Um die Diskussion in die richtige Perspektive zu rücken, ist auch wichtig, einen Vergleich heranzuziehen: Der begeisterte Tesla-Kunde und dreifache Vater Joshua Brown ist der erste Tote, den die Firma Tesla nach insgesamt 209 Millionen zurückgelegten Kilometern in ihren Autos zu beklagen hat. Unter allen benzinbetriebenen Autos gibt es in den USA alle 151 Millionen Kilometer einen Crash.

Nun untersuchen US-Ermittler der US-Verkehrsaufsicht NHTSA den Fall gründlich. Sie müssen feststellen, wer an dem tragischen Tod eines Fahrers in einem selbstfahrenden (eigentlich semiautomatischen, aber in den Autopilot geschalteten) Auto juristisch zur Verantwortung zu ziehen ist—eine heikle Premiere.

Dabei wird auch eine Rolle spielen, dass der Autopilot nicht richtig ausgereift war, wie Elon Musk selbst bei der Vorstellung des Features im Oktober vergangenen Jahres betonte: „Wir beschreiben [dieses Software-Update] explizit als Betaversion. Es ist wichtig, in diesem Stadium noch enorm vorsichtig zu sein. Langfristig werden die Fahrer die Hände nicht mehr am Lenker haben müssen—und irgendwann wird es weder Räder noch Pedale geben.” Dieses Mantra wiederholte Tesla auch in einem Statement zum Unfall mit dem Titel „Ein tragischer Verlust“. Das Produkt sei nicht perfekt, auf den Menschen und seine Reaktionsfähigkeit angewiesen, um in letzter Sekunde ausweichen oder bremsen zu können, falls es der Autopilot nicht hinkriegt.

Auch wenn eine ständige Warnung auf dem Display den Fahrer mahnt, die Hände stets am Lenker zu halten, auch wenn Elon Musk gern wiederholt, immer vorsichtig zu sein, auch wenn das Handbuch des Tesla Model S in deutlichen Worten von der Benutzung des Autopiloten bei Regenwetter, abseits von Autobahnen und in kurvigen Straßen warnt, gibt es immer wieder Fahrer, die die Grenzen des Features austesten; manchmal sogar versuchen, ihr Auto mit Absicht in den entgegenkommenden Verkehr zu rammen.

Selbst der getötete Fahrer postete noch im April ein Video auf YouTube, in dem das Model S einen Unfall um Haaresbreite verhindert hatte. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass es sich bei der Gefahrenquelle in diesem Video, den der Tesla so zuverlässig erkannt hatte, ebenfalls um einen weißen Laster mit Anhänger handelte. „Tessy”, wie er seinen Tesla zärtlich getauft hatte, sei „definitiv das beste Auto, das ich je bessesen habe”, schwärmte er: „Das Auto hat mich schon immer beeindruckt, aber ich wusste nicht, wie gut es in der Vermeidung von Seitenaufprall-Unfällen ist. Ich bin SEHR beeindruckt. Exzellente Arbeit, Elon!”

Ist also der Fahrer an seinem Tod schuld, weil er die Hände nicht am Lenker hatte? Sind wir zu zukunfts- und technologiegläubig, um die Gefahr und die Grenzen neuer Technik richtig einschätzen zu können? Musks Warnung, stets aufmerksam zu sein, steht im Kontrast zu der Freiheit des Fahrers, die Funktion einfach mal in unterschiedlichen Szenarien auszuprobieren—und jedes enthusiastische Video von geglückten Manövern und jede begeisterte Rezension wiegt die Tesla-Fahrer der Zukunft in einer Sicherheit, die die aktuelle Sensortechik vielleicht gar nicht bieten kann, wie der Unfall vom 7. Mai tragischerweise beweist.

So könnte die Schuldfrage ethisch möglicherweise doch wieder auf Tesla zurückfallen, die Autos mit einer Funktion auf die Straße lassen, die die Firma selbst als nicht so richtig alltagstauglich bezeichnet. Sorgen vielleicht auch die Werte des Silicon Valley wie Radikalität und Innovationsfreude dafür, dass unreife Entwicklungen auf dem Markt landen? Schließlich sind es die Investoren wie auch Kunden, die auf der Suche nach dem nächsten großen Ding Schnelligkeit und Hype erwarten und belohnen.

Wieviel Verantwortung soll der Fahrer übernehmen dürfen?

Andere Stimmen rufen nach staatlicher Regulierung: Müssen strengere Gesetze die Verkehrsregeln an die neue Situation anpassen, in denen sich unterschiedlich aufmerksame Fahrer—ob in selbstfahrenden oder nicht selbstfahrenden Autos—die Straße teilen, oder die tatsächliche Marktreife der neuen Autos durch eine externe Instanz nachregulieren?

In Zukunft sollte die erste Frage womöglich lauten: Sollte ein Auto mit einer zentralen Funktion, die nicht ausgereift ist, überhaupt auf den Markt kommen und der Mensch noch immer in der Verantwortung sein—oder sollten die Autos tatsächlich vollständig autonom agieren können und erst dann auf der Straße fahren dürfen? Wenn es nach Volvo geht, müsste letzteres die Norm sein: „Teslas Autopilot ist ein unbeaufsichtigter Möchtegern“, sagte der Unfallsvermeidungsexperte Trent Victor von Volvo gegenüber The Verge. Die schwedische Firma will ihr autonomes Auto erst nächstes Jahr auf den Markt bringen.

„Solltest du nicht [das Steuer] übernehmen, weil du einen Film guckst oder eingeschlafen bist, werden wir immer noch die volle Verantwortung übernehmen, das ist unser Konzept”, kündigte Victor an. Vielleicht wird sich der Konkurrenzkampf zwischen den Herstellern autonomer Autos an der Frage entschieden, wie viel Zurechnungsfähigkeit den Fahrern zugesprochen wird—und wie viel Verantwortung sie bereit sind, zu übernehmen.