Fotos von Christoph Voy
In so einer Einleitung geht es meistens darum, kurz zu schildern, wen wir da gerade wieder interviewt haben, was er so macht, wer er so ist, was das alles soll. Beim Versuch einer Einleitung über Westbam kommt man sich ausgesprochen dämlich vor. Sobald der Name fällt, hat man doch sowieso sofort das Bild des kleinen untersetzten Mannes mit Glatze und Pilotenbrille vor Augen, wie er milde lächelnd ein Meer entgrenzter Leiber mit der Rave-Keule bearbeitet. Früher der geistige Vater unzähliger ungewollter Love-Parade- und Mayday-Babies, ganz früher der Wegbereiter für Techno und DJ-Kultur in Deutschland und heute der weise Elder Statesman des Vierviertelwumms. Ganze dreißig Jahre macht er das jetzt schon und er feiert das mit einem Album, das ganz genau heute erscheint und auf dem sich ähnlich alte Säcke wie Iggy Pop, Richard Butler von den Psychedelic Furs oder Bernard Sumner von New Order und die großen Namen von heute (u.a. Lil Wayne und Kanye West) die Studiotürklinke in die Hand geben. Logisch, wenn der Techno-Papst zur Audienz bittet, dann lassen sich die Megastars nicht lange bitten. Und wir auch nicht:
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Noisey: Der Papst gibt sein Amt auf und dafür kommt Westbam mit einem neuen Album zurück – Zufall?
Wer weiß das schon? Wir wollten da auch gleich eine Mitteilung rausgeben, dass der Pope of Techno and Elektropop entgegen allen anderslautenden Gerüchten jetzt doch nicht zurück tritt. Ich bin ja tatsächlich auch religiös musikalisch.
Was bedeutet das?
Na zum Beispiel, dass ich bei dieser Papstsache den ganzen Tag vor NTV und CNN hing und alles verfolgt habe. Wir hatten das auch schon kommen sehen mit dem Rücktritt. Vorher gab es schon die Gerüchte, dass er umgebracht werden sollte. Das hatte ich auch schon mit Interesse verfolgt. Und dann unterhielt ich mich mit nem Freund und meinte so: „Sag mal, dann erscheint ja der dritte Band der Jesus-Trilogie jetzt gar nicht mehr, denn er wird das ja als Ex-Papst nicht veröffentlichen.“ Da sagt der zu mir: „Du, der ist gerade erschienen.“ Und ich so: „Was??? Das ist mal wieder typisch Deutschland hier. Da erscheint der dritte Band der Jesus-Trilogie und ich krieg das nicht mit.“ Aber ich habe ihn heute bekommen und auch schon angefangen, ganz interessiert zu lesen.
Jede Menge geistliche Zutaten auch auf dem Album. Du hast es Götterstraße genannt. Wo befindet die sich eigentlich?
Die Götterstraße ist im Nirwana angesiedelt. Nicht im christlichen Sinn. Es ist ein Wort, das einen Ort andeutet, ohne ein Ort zu sein. So erkläre ich es mir selbst, dass ich nach diesem Wort gegriffen habe, als es an mir vorbei floss. Daniel Josefsohn, der Fotograf hat mich darauf gebracht. Er verlas sich auf einem Tracklisting und meinte, es stünde dort „Götterstraße“. Stand dort aber nicht. In dem Moment war mir klar: ‚Das ist ein schönes Wort. So nenne ich das Album.’
Du hast sehr viel Sänger-Prominenz auf diesem Album versammelt. Wie kann man sich das Zustandekommen dieser Features vorstellen?
Ich weiß nicht, wie das bei anderen Künstlern passiert. In unserem Fall entwickelte sich das relativ ungeplant. Wir schickten einen Track an Bernard Sumner von New Order – das war der Erste. Er fand das wirklich toll und sagte, er würde gern was machen. Wir waren direkt ein bisschen baff, dass das so einfach ging. Der Zweite war dann tatsächlich Iggy Pop. Nach drei Wochen kam dann die Nachricht vom Management „Iggy Pop heard the track and enjoyed it very much and would be happy to be part of the project.“ Und an der Stelle war es, dass wir merkten: ‚Wow, Alter, das macht Spaß.’
Wie sah das dann in der Praxis aus, hast du selber Vocalideen skizziert und an die Künstler weitergegeben oder hatten sie nur das Instrumental und haben ihre eigene Idee entwickelt?
Das Zweite. Beim Reggae ist es ja üblich, dass es ein Riddim gibt und dann rappen da zehn verschiedene Leute drauf und jeder macht da seinen eigenen Style draus. So war das bei uns auch. Wir haben die Beats skizziert und die Künstler haben dann etwas daraus gemacht. Gesangsmelodien oder Texte waren da nicht vorgegeben.
Auch ganz komfortabel, wenn man sich selber um die Lyrics keine Gedanken machen muss, oder?
Ganz so ist es auch nicht. Als Beispiel: Inga Humpe hatte etwas für mich gesungen, da waren die Lyrics von mir und weil ich Inga so gut kenne, hat sie das dann für mich gesungen. Und wenn ich sage, ich habe den Text geschrieben, dann habe ich ihn eigentlich doch nicht geschrieben, sondern nur zitiert. Das Original ist von meinem Freund Lupo, das war eine seiner großen Geschichten. Er war mit so einem Supermodel bei einem middle of nowhere Rave von mir in Bayern. Hell hatte diese Sache auf die Beine gestellt, das war 1992. Das Supermodel begleitete ihn also und war so ein bisschen panisch „Do you think it’s ok to go to the middle of nowhere, without a car, without any money, without a ride back home?“ Und er so: „Yeah, yeah, it’s ok, come with me, come with me.“ Das war dann schon der Text.
Hatte eigentlich irgendjemand keine Lust, bei dem Album mitzumachen?
David Bowie hat nicht geklappt, John Lydon also Johnny Rotten von den Sex Pistols war mit seinem eigenen Album beschäftigt und eine Künstlerin, mit der wir fast was gemacht hätten, ich habe da auch keine Sorgen, das zu sagen, war Siouxsie. Es fiel ihr dann aber irgendwie nichts richtig Finales ein und die Engländer sind dann eher so, wenn es nicht perfekt ist, dann machen sie es lieber gar nicht. Dabei hätte ich auch mit etwas locker Hingesagtem gut arbeiten können. Bei Lil Wayne war es so. Der hat da sicher locker etwas in zwei Minuten aufs Band gekleckert und sich da keinen großen Kopf gemacht. Aber super für mich, ich konnte daraus eine meiner Lieblingsnummern basteln. Die Amis sind da etwas lockerer drauf. Die Engländer mögen es auch nicht, wenn man ihre Parts hinterher umarrangiert. Leute wie Lil Wayne oder Iggy Pop hatten damit kein Problem. Festzustellen, wie nah diese beiden eigentlich in ihrer Attitude beieinander sind, waren auch die Erkenntnismehrwerte dieses Albums. Wenn ich das mit denen nicht gemacht hätte, würde ich das nicht wissen.
Du hast es auf wundersame Weise auch geschafft, dass Brian Molkos Gesang nicht nervt.
Der hat ja schon ein paar Mal so Sachen mit elektronischen Musikern oder DJs gemacht und viele Leute finden, dass er da am besten performt. Ich finde, er hat auch eine extrem heraushörbare Stimme. Den hörst du aus einer Million Leute immer heraus. Der singt wie eine Acid-Sequenz. Der ist selber wie so ein Sequenzer.
Bei all diesen Namen auf dem Album kann man jetzt denken: OK, er will es noch mal richtig wissen. Wie schätzt du die Erfolgsaussichten tatsächlich ein?
Ich brauche zu einem gewissen Teil die Leute, die flexibel sind und annehmen, was ich mache und immer auch neue Leute, um Erfolg zu haben. Mir ist aber bewusst: es gibt immer auch eine große Anzahl von Leuten, die sagt: „Nein, das ist nicht mehr mein Westbam. Das war früher doch alles viel schöner.“
Was macht diese Art von Feedback mit dir?
Du weißt ja, wie es ist. Du hast 99 Leute, die sagen ‚Wie toll war das denn.’ Und dann kommt der eine, ‚Mann du Arschloch, was machst du für ne Kacke hier.’ Wen behältste in Erinnerung? Diesen einen. Deswegen hat jeder Künstler auch das Gefühl, der Verfolgte und der Missverstandene zu sein. Lob das hört man und das ist auch schön, aber der eine, der dir vor die Füße spuckt, an den erinnerst du dich noch nach Jahren.
Dann bist du vermutlich eher selten in eigener Mission im Internet unterwegs?
Ich google mich zwar, wenn ich auf meine Facebook-Seite gehen will, aber ich mache da schon eher einen Bogen drum. Oder eher: Ich versuche es zu portionieren. Es ist schon wichtig, dass man sich mit Außenmeldungen in irgendeiner Form auseinander setzt, aber die Außenmeldungen am Dancefloor, die schienen mir immer ehrlicher. Ich sehe die Leute, ich sehe, wie sie reagieren und damit kann ich viel besser umgehen als wenn mir ein anonymer Mensch sagt ‚Was ist das für eine Scheiße.’ Es ist witzlos, sich bei diesen Digitalgestalten Gedanken zu machen. Aber ich bin schon interessiert an Außenwahrnehmungen, so autistisch will ich da auch nicht rangehen. Denn man lernt ja erst durch die anderen Leute, was man gut kann. Ich weiß, das ist das Gegenteil von dem, was immer gesagt wird, aber es stimmt. Durch die Auseinandersetzung mit deiner Umwelt spürst du, wo deine Qualitäten liegen. Nicht dadurch, dass du in deiner eigenen Suppe schwimmst.
Die junge Bewegung Techno galt genau so wie Punk als eine Gegenreaktion auf das Etablierte. Nun ist Techno als Kultur schon gut dreißig Jahre alt. Warum ist es noch nicht langweilig geworden?
Weil Konflikte auch innerhalb dieser Kultur ausgetragen werden. Techno an sich ist eigentlich eine ganz glatte Oberfläche. Es kann das sein, aber auch etwas ganz anderes. Minimal war der Gegenentwurf zu Rave, aber beides war Techno. Da konnten dann die Leute auch sagen: „Du hörst diese 90er Jahre Rave-Scheiße, das ist ja wirklich peinlich. Das hier, das ist es.“ Und irgendwann kam dann der Moment als es sich umdrehte und hieß: „Ihr Laschis haut euch hier die Nacht um die Ohren und es macht die ganze Zeit nur Blub Blub? Spinnt ihr?“ So kannst du das Spiel immer weiter treiben. Was ich zuletzt gesehen habe und womit ich total sympathisiere als Popschwein ist so was wie Skrillex. Da sind wir auf das Konzert gegangen und dann sind da 3.000 Kinder verschwitzt, mit verklebten Haaren und ich denke mir, das ist doch geil. Ich weiß nicht, wo die jetzt herkommen. Das kommt mit einem Knall und die Kids sind dabei als sei nie etwas anderes da gewesen. Ich glaube, in den Nullern wäre so etwas in dieser Rasanz nicht möglich gewesen. Heute geht so etwas aber wieder.
Wärst du heute 17 oder 18, wäre DJing eine Option für dich?
Ich habe immer so spöttisch gesagt, heutzutage würde ich kein DJ mehr sein wollen. Andererseits denke ich mir, warum eigentlich nicht? Ich habe ja wohl scheinbar ein Talent für das DJing, sonst würde ich das ja nicht schon so lange machen. Und das Talent ist immer, Musik und Leute zusammen zu bringen, ob das jetzt mit dem Knöpfchen oder dem Gerät oder dem Laserdingsbums ist, ist eigentlich egal. Letztendlich musst du wissen, wenn ein Lied läuft und du dir die Leute anguckst, wie das nächste Lied wirken soll. Werden sich die Leute gut fühlen oder wird es sie befremden. Und du musst deinen musikalischen Vortrag so gestalten, dass es den Leuten schlüssig erscheint. Du hast heute andere technische Möglichkeiten, aber im Kern ist es dasselbe Spiel. Ich denke mir, hätte ich mit 18 die technischen Möglichkeiten von heute gehabt, wie toll wäre das denn gewesen? Auf der anderen Seite ist es heute einfach sehr nahe liegend, DJ zu werden. 83/84 war es überhaupt nicht nahe liegend. Die Leute, die damals Elektronik gemacht haben, wollten eher so etwas werden wie Depeche Mode.
Also war Auflegen für dich auch eine Abgrenzungsstrategie?
Weil ich diese Punkrock-Sozialisation hatte, glaubte ich auch damals schon, das wird eine neue Jugendbewegung, es wird so was wie Punkrock. Das war mein Glaube, das habe ich auch 1984 in einem Text namens „What is record art“ veröffentlicht. Damals war Rock’n’Roll der Feind – insofern war das ganz sicher auch eine Abgrenzungsstrategie. Hier war das Alte, wir aber, ganz Lenin-mäßig, wir haben was Besseres.
Du wirst der ersten Generation von Techno-Senioren angehören, gleichzeitig ist die Techno-Kultur eine immerjunge Kultur…
Nachtleben insgesamt ist eine immerjunge Kultur, das ändert sich auch nicht. Das ist übrigens ein Unterschied zu Rock’n’Roll. Bei den Rolling Stones, da gehen mehrere Generationen zu einem Konzert, was ich eigentlich ganz schön finde. Das habe ich in der elektronischen Tanzmusik nur einmal erlebt, als ich beim schwul-lesbischen Straßenfest an der Motzstraße war. Da sahst du schwule Rentner und Kinder beisammen. Aber das ist nicht normal, das Nachtleben lebt von Leuten um die 20.
Woher weißt du in deinem Alter, was diese Leute hören wollen?
Wenn du lange Zeit Musik machst, also länger als nur ein paar Jahre, dann hast du den Leuten als 48jähriger etwas anderes zu bieten als ein 18jähriger. Eine Voraussetzung für dieses Album ist auch, dass ich mich frage, was ich mit meinem Alter und meiner Erfahrung anstellen kann. Man kann schon viele unübertreffliche Sachen machen, wenn man die Qualitäten des Alters ausnutzt. Entweder tritt man den jungen Leuten gegenüber und bietet ihnen ein Feindbild. Die können dann sagen: „Diesen alten Säcken können wir jetzt richtig in den Arsch treten.“ – das ist ja auch eine positive Rolle, die man im Kulturbetrieb spielen kann. Oder man sagt seinerseits: „So, ihr Wichtel, hört euch das mal an, dann das hätte ich mich 18 so nicht hingekriegt – und ihr erst Recht nicht!“ Und das ist ja dann eher mein Ding, ich bin ja gerne größenwahnsinnig.
Das Alter bringt aber auch diese „been there done that“ Attitüde mit sich.
Aber es ist ja auch so. Wenn du dreißig Jahre auf Parties gegangen bist, dann hast du wirklich alles gesehen.
Bremst dich das nicht?
Aber klar. An der Stelle bin ich auch ein Blutsauger. Wenn ich heute Musik von jemand anderem höre, dann kann ich das in dem Moment mit dessen Ohren hören. Ich spiele jemandem eine Produktion vor, der braucht kein Wort zu sagen, ich höre das plötzlich anders. Im Club kommen die Teenies rein, für die ist alles neu, die werden in zwanzig Jahren auch sagen, damals war alles besser. Jetzt gerade ist es aber noch neu für sie – und das kann ich in dem Moment spüren. Und natürlich gibt es noch die Gnade des Vergessens. Ich höre mir eine Platte von 86 an und denke mir, das hast du echt vergessen. Das ist doch auch sehr befreiend.
Fraktus haben dich wegen eines Samples in deinem Track “Sonic Empire” des Plagiats bezichtigt. Wie äußerst du dich dazu?
Du hast den Film ja bestimmt gesehen, da sage ich ja, eine bestimmte Ähnlichkeit zwischen ihrem und meinem Song ist nicht zu bestreiten. Fand ich einen lustigen Film, auch ganz schwieriges Thema. Lustige Idee, aber schwer umzusetzen.
Hast du sie auf der Tour gesehen?
Ja, hab ich mir angeguckt. Fand ich lustig, aber so zur Hälfte wurde ich ein bisschen ungeduldig. Wenn du DAF gesehen hast und Der Plan, dann ist es eben so … ich möchte die jetzt nicht dissen, aber das ist dann nicht so toll wie das, was ich damals erlebt habe. Da flasht mich dann so was wie Deichkind eben doch mehr. Großartiges Entertainment. Eine Madonna-Show dagegen stresst mich total, die Alte so außer Atem, Kostümwechsel und die ganze Zeit tolle Lichteffekte – das nervt endlos. Aber Deichkind war eine Show, da fragte ich mich, wie kriegen die diese Typen zusammen, wie orchestrieren die das, dass ich so perfekt davon amüsiert bin. So was findet man ja immer toll, wenn man nicht weiß, wie es geht. Die Show hätte ich mir auch noch ein zweites Mal angucken können.
Hast du dir auch DAF auf einer der letzten Touren noch mal angeguckt?
Ja, hab ich. Das war natürlich so ein bisschen geisterhaft mit den alten Leuten im Publikum. Die waren alle so alt wie ich und da erschrickt man natürlich ein bisschen. Ich bin ja sonst immer nur von Zwanzigjährigen umgeben und man denkt, man ist selber so ein Zwanzigjähriger, weil man nicht auf sich, sondern aus sich heraus schaut. Plötzlich blickst du in dein eigenes Gesicht – Wie fürchterlich ist das denn? (lacht)
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