WhatsApp ist schlechter als sein Ruf. Der mit zwei Milliarden monatlichen Nutzerinnen und Nutzern populärste Messenger der Welt gilt als besonders sicher, weil er seit 2016 Nachrichten Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das stimmt auch soweit. Denn allein Ende-zu-Ende-Verschlüsselung macht es möglich, dass niemand außer dir und der empfangenden Person die verschickten Nachrichten lesen kann. Nicht einmal WhatsApp selbst. Jeder Messenger ohne dieses Niveau von Verschlüsselung ist wie Bergwandern mit Flip-Flops: mega dumm.
Ein guter Messenger ist WhatsApp trotzdem nicht. Bei genauem Hinsehen sind bei WhatsApp Privatsphäre und Datenschutz der Nutzerinnen dann doch nicht mehr so wichtig. Es gibt einige Gründe, die App der Firma Facebook vom Smartphone zu verbannen und durch eine Alternative zu ersetzen.
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Erstens: WhatsApp will dein gesamtes Telefonbuch haben
Wenn du jemanden anschreiben möchtest, musst du WhatsApp zuerst dein Telefonbuch offenlegen. Die App greift ab dann automatisch auf die gespeicherten Namen und Telefonnummern zu – selbst wenn einige Kontakte davon gar kein WhatsApp haben. Wenn du also die Nummer deines Frauenarztes, deiner Urologin oder deines Dealers im Handy gespeichert hast, bekommt WhatsApp auch die zu sehen.
“Im Einklang mit geltenden Gesetzen stellst du uns regelmäßig die Telefonnummern von WhatsApp-Nutzern und anderen Kontakten in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Verfügung”, heißt es in der Datenschutzerklärung. Es gibt eine laufende Debatte, ob das juristisch überhaupt erlaubt ist. Aus der Perspektive deiner Privatsphäre betrachtet ist es mindestens hochgradig daneben. Kaum etwas verrät mehr über einen Menschen, als mit wem er Kontakt hat. Aus den Telefonbüchern mehrerer WhatsApp-Nutzerinnen und -Nutzer könnte man problemlos detaillierte Netzwerke erstellen. Nichts anderes tun Geheimdienste, wenn sie eine Zielperson ausspionieren.
Offiziell nutzt WhatsApp dein Telefonbuch, um dir anzuzeigen, welche deiner Kontakte ebenfalls WhatsApp nutzen. Das ist praktisch, lässt sich technisch aber auch anders lösen.
Der Messenger Signal hat zum Beispiel keinen Einblick in dein Telefonbuch. Stattdessen rechnet die App die Telefonnummern deiner Kontakte in einzigartige Zeichenwerte um, sogenannte Hashes. Signal kennt also nur die Hashes, nicht die echten Nummern. Wenn ein Hash bereits mit einem Signal-Nutzer verknüpft ist, erscheint er als verfügbarer Signal-Kontakt in deiner App.
WhatsApp scheint an einer datensparsamen Lösung wie dieser wenig Interesse zu haben. Im Gegenteil, die werbefinanzierte WhatsApp-Mutter Facebook möchte möglichst viele Daten sammeln, und wir räumen WhatsApp durch die Zustimmung der Nutzungsbedingungen das Recht ein, Informationen mit anderen Facebook-Unternehmen zu teilen. Es gibt sogar Pläne, WhatsApp, Instagram-DMs und Facebook Messenger zu einem Monstermessenger zu fusionieren. Hurra.
Zweitens: WhatsApp trackt gierig, was du tust
WhatsApp weiß nicht, welche Inhalte du verschickst. Wie nett. Aber WhatsApp krallt sich so ziemlich alles andere, was eine Messaging-App so erfassen kann. Dazu gehört laut Datenschutzrichtlinie auch, “wie du mit anderen unter Nutzung unserer Dienste interagierst sowie Zeitpunkt, Häufigkeit und Dauer deiner Aktivitäten und Interaktionen”. In anderen Worten: WhatsApp weiß vielleicht nicht, was du mit deinem besten Freund und deiner Affäre besprichst, aber WhatsApp könnte wissen, dass du etwas besprichst.
Daten wie diese werden gerne als “Meta-Daten” verharmlost. In gewisser Hinsicht sind sie aber die eigentlich wertvollen Daten. In seiner Autobiografie schreibt Edward Snowden: “Die unbequeme Wahrheit ist aber gerade, dass der Inhalt unserer Kommunikation nur selten so viel über uns verrät wie ihre anderen Elemente. Es sind die ungeschriebenen, unausgesprochenen Informationen, die den weiteren Kontext und unsere Verhaltensmuster offenbaren.
Drittens: WhatsApp könnte dich bei der Polizei verpetzen
WhatsApp ist kein Spionagewerkzeug der Polizei. Tech-Konzerne würden Shitstorms riskieren, wenn sie zu eng mit Behörden arbeiten. Trotzdem ist es unter bestimmten Umständen möglich, dass Ermittlerinnen bei WhatsApp Daten über dich anfragen. “Wir sind bereit, die Anfragen von Strafverfolgungsbehörden nach den geltenden Gesetzen und Richtlinien sorgfältig zu überprüfen, zu verifizieren und zu beantworten”, erklärt WhatsApp auf einer eigens eingerichteten Infoseite für Ermittler. Das ist nicht automatisch schlecht. Es gibt Verbrechen, die aufgeklärt werden sollen.
Andererseits: Keiner kann garantieren, dass die Polizei auch in ferner Zukunft immer noch als dein Freund und Helfer für einen demokratischen Rechtsstaat arbeitet. Oder dass der Datenschatz von WhatsApp niemals gehackt oder von einem schmierigen Angestellten durchwühlt wird.
Sicher vor Missbrauch sind allein Daten, die niemals erhoben wurden. Am besten sind datensparsame Messenger, die Meta-Daten, Kontakte und Ähnliches gar nicht erst erfassen.
Viertens: WhatsApp will dich überreden, deine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu brechen
“Datenschutz und Sicherheit sind in unseren Genen”, schreibt WhatsApp auf seiner Website. Wenn das so ist, hat WhatsApp offenbar einen Genfehler. Denn die App fragt dich ab und zu in Pop-up-Fenstern, ob du ein Back-up deiner Chatverläufe bei Google Drive oder in der iCloud speichern möchtest.
Was wie ein netter Service daherkommt, ist zugleich eine Falle: Das Back-up hievt deine Chatverläufe nämlich auf die Server von Apple oder Google, und zwar ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.
“Mediendateien und Nachrichten sind nicht durch die WhatsApp-Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt, wenn sie auf Google Drive gespeichert sind”, heißt es auf einer FAQ-Seite von WhatsApp. Gleiches gilt für iCloud. Bergwandern mit Flip Flops!
Aber um mal eine Grundsatzfrage zu stellen: Wie wichtig können deine Chatverläufe vom vorletzten Monat überhaupt sein? Back-ups bedeuten immer das Risiko, dass am Ende doch jemand anderes deine Nachrichten ausschnüffeln könnte. Den besten Schutz davor bieten Nachrichten mit Selbstzerstörungs-Timer. Sie löschen sich nach einer festgelegten Zeit automatisch. WhatsApp bietet diese Funktion aktuell noch nicht. Wickr, Signal und Wire aber schon.
Fünftens: WhatsApp darf dein Profilbild und deine Statusmeldung sehen
Zugegeben, das ist schon etwas kleinlich. Aber wenn eine App schon behauptet, Sicherheit “in den Genen” zu haben, dann ist es doch seltsam, wenn dein Profilbild und dein Status nicht wie alle anderen Inhalte Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind. Nicht nur WhatsApp kann diese Inhalte sehen. Auch jeder, der deine Telefonnummer findet oder errät, kann auf diesem Weg schon ein paar Infos über dich bekommen, ohne dass du es merkst. Deine Handynummer ist nur so anonym wie dein WhatsApp-Profilbild. Ändern kannst du das immerhin unter Einstellungen > Account > Datenschutz. Dort kannst du festlegen, dass nur noch Menschen in deinem Telefonbuch dein Profilbild und deinen Status sehen dürfen. Der lustigste WhatsApp-Status, der je geschrieben wurde, lautet übrigens: “Vergnügbar”. Den haben nur coole Leute.
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Sechstens: WhatsApp will seinen Code nicht herzeigen
WhatsApp möchte nicht offenbaren, wie genau es programmiert wurde. Das klingt eigentlich nach einer besonderen Sicherheitsmaßnahme, aber das Gegenteil ist der Fall. Am sichersten ist eine Software, wenn ihr Code öffentlich ist, damit ihn unabhängige Expertinnen genau auf Mängel und Hintertüren untersuchen können. Das nennt man open source. WhatsApp-Konkurrenten wie Signal, Wire und Wickr sind open source, Threema möchte in Kürze nachziehen.
Immerhin: WhatsApp nutzt als einen Bestandteil dieselbe Verschlüsselungstechnologie wie Signal. Insofern lässt sich immerhin ein Teil von WhatsApp unabhängig überprüfen.
Es wäre so einfach, wenn alle mitmachen
Am Ende gibt es wohl nur ein Argument, um WhatsApp doch zu behalten: Die meisten anderen nutzen es, und du willst halt erreichbar bleiben. Kann man nichts gegen sagen. Aber irgendjemand muss ja den Anfang machen.
Bessere WhatsApp-Alternativen sind zum Beispiel Signal, Threema, Wickr und Wire. Telegram übrigens nicht. Und wer selbst die nerdigsten Details nicht scheut, kann hier nachlesen, warum sogar der Musterschüler unter den Messengern, Signal, nicht perfekt ist. Denn hundertprozentige Sicherheit gibt es bei Technik nie.
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