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Wie Amazon versucht, unsere Wirtschaftssysteme zu kontrollieren

Wenn wir von Amazon sprechen, sprechen wir oft von einem Onlinehändler. Das ist verständlich, schließlich verkauft der Konzern mehr Kleidung, Elektronik, Spielsachen und Bücher als irgendeine andere Firma. Doch Amazon ist viel mehr als das. Längst ist das Unternehmen eine riesige, dominierende Wirtschaftsmacht geworden: Im vergangenen Jahr beispielsweise ließen die US-Amerikaner fast die Hälfte des Geldes, das sie online ausgaben, bei Amazon.

Die Bezeichnung Onlinehändler fängt tatsächlich nur einen kleinen Bruchteil von dem ein, was tatsächlich hinter dem Konzern steckt – und ignoriert die Bedrohung, die der ehemalige Bücherversand für einen freien und fairen Wettbewerbsmarkt darstellt.

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Wie Amazon die gesamte Infrastruktur der US-amerikanischen Wirtschaft kontrollieren will

Die Zeiten, in denen Amazon nur die Produkte anderer Anbieter online verkaufte, gehören längst der Vergangenheit an. Von Hemden bis hin zu Feuchttüchern stellt Amazon inzwischen Tausende Produkte selbst her. Auch die Produktion von Filmen und eigenen Serien für Amazon Prime boomt. In keinem Land ist Amazon so geschäftstüchtig wie in den USA: Hier kann man über den Online-Dienst auch Restaurantbestellungen aufgeben, ein Darlehen beantragen und bald vielleicht sogar rezeptpflichtige Medikamente bestellen.

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Trotzdem scheint Amazon-Gründer Jeff Bezos noch einen viel größeren Plan zu verfolgen: Er möchte mit seiner Firma die gesamte Infrastruktur der US-amerikanischen Wirtschaft kontrollieren.

Schon heute ist Amazon die führende Plattform für digitalen Handel. 44 Prozent des weltweiten Cloud-Speichers gehören zu den Amazon Web Services; sie werden auch von namhaften Kunden wie Netflix oder der CIA genutzt. Außerdem hat das Unternehmen kürzlich ein riesiges Infrastrukturnetzwerk in den USA ausgebaut, um die Paketzustellung seiner Produkte selbst übernehmen zu können – was die traditionellen Paketlieferdienste UPS und FedEx arg in Bedrängnis bringt. Denn Amazon plant nicht nur, seine Lieferungen künftig selbst zu durchzuführen, sondern bietet diese Dienstleistung selbstverständlich auch Dritten an.

So diktiert Amazon die Spielregeln für andere Online-Händler

Andere Unternehmen, die den Markt erreichen wollen, müssen zunehmend nach Amazons Spielregeln spielen. Viele amerikanische Haushalte tätigen mittlerweile ihre gesamten Einkäufe vorrangig über Amazon. Bezos schafft diese Kundenbindung dank Amazons Prime-Service, der digitalen Assistentin Alexa und dem Vertrieb namhafter und vielseitiger Produkte wie den Haushaltsgeräten von GE Appliance, eine der umsatzstärksten Marken in diesem Bereich überhaupt.

Die meisten Prime-Mitglieder vergleichen dabei auch gar keine Preise mehr, bevor sie bequem auf “kaufen” drücken Dieses von Marktanalysen festgestellte Kaufverhalten wirkt sich immens auf andere Unternehmen aus. Egal ob es sich um große Marken wie Levi’s oder KitchenAid handelt, oder um kleine Produzenten: mit Amazon kann keiner mehr von ihnen mithalten und seine Kunden direkt erreichen. Stattdessen müssen sie ihre Produkte ebenfalls über Amazons Plattform anbieten.

Diese Abhängigkeit nutzt Amazon aus und setzt die Bedingungen und Preise für die anderen Anbieter fest. Außerdem nutzt Amazon die Daten, die es über die Verkäufe seiner Konkurrenten sammelt, um deren Position zu schwächen: Gelingt es einem Händler, ein bestimmtes Produkt besonders erfolgreich über Amazons Plattform zu verkaufen, kommt es nicht selten vor, dass Amazon kurze Zeit später ein fast identisches Produkt auf den Markt bringt – das natürlich die beste Platzierung bei den Suchergebnissen auf der Plattform erhält. Eine Studie fand heraus, dass es meist nur ein paar Wochen dauert, bis Amazon die erfolgreichsten Produkte eines neuen Anbieters in sein eigenes Repertoire aufnimmt.

Amazons einzigartige Stellung als Verkäufer und Verkaufsplattform, gibt dem Unternehmen Druckmittel an die Hand, über die kein anderes Unternehmen verfügt. Vergangene Woche bot Amazon der Firma Nike beispielsweise an, die vielen Nike-Fälschungen auf seiner Plattform besser zu kontrollieren – im Gegenzug müsste Nike nur zustimmen, seine gesamte Produktpalette direkt über Amazon zu verkaufen. Auch der Fall der Verlagsgruppe Hachette zeigt, welche Machtposition Amazon besitzt: Nachdem Hachette sich geweigert hatte, auf Amazons Buchpreisforderungen einzugehen, wurde kurzerhand der “Kaufen”-Button von all Hachette-Titeln entfernt. Somit waren tausende Bücher für Käufer und Verkäufer nicht mehr verfügbar.

Da sich der Handel immer weiter ins Internet verlagert, konnte sich Amazon als Platzhirsch positionieren. Der Online-Handel ist kein offener Markt im eigentlichen Sinne mehr. Vielmehr setzt hier ein einziges Unternehmen die Regeln fest, an die sich alle Anbieter zu halten haben, und entscheidet, welche Produkte, welche neue Autoren, welche neuen Erfindungen ein Publikum finden darf.

Die Investoren haben Amazons Monopolstellung längst erkannt

Den Investoren sind diese Entwicklungen vollkommen bewusst. So kommentierte der Risikokapitalanleger Chamath Palihapitiya bereits im letzten Jahr, dass Amazon ein “Multi-Billionen-Dollar Monopol” sei, das sich direkt vor unseren Augen verstecke. Diese Einschätzung würde auch erklären, warum die Wall Street Amazons Aktienwert in eine Höhe treibt, die mit den momentanen Einnahmen des Konzerns in keinem Verhältnis steht. Doch die Investoren spekulieren auf spektakuläre Rendite, die sich aus Amazons künftiger Monopolstellung ergeben werden.


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Das Kartellamt schläft

Vergangene Woche rückte diese Zukunftsvision ein gutes Stück näher, als Amazon die Absicht bekannt gab, die US-amerikanische Supermarktkette für Bioprodukte Whole Foods zu kaufen. In den Stunden nach dieser Verkündung spielte sich an der Börse Erstaunliches ab: Amazons Aktien stiegen beinahe um 13,4 Milliarden US-Dollar, die Summe des Kaufpreises. Somit hatte sich die Akquisition quasi selbst finanziert.

Auch wenn die Investoren Amazons Potenzial also längst erkannt haben, scheinen die US-amerikanischen Kartellbehörden die Situation bisher zu ignorieren. Der Whole Foods-Deal, der staatlicher Zustimmung bedarf, könnte einen Präzedenzfall schaffen. Nach bisherigen Maßstäben könnten die Beamten die Übernahme als zulässig einschätzen – schließlich stehen bisher stationäre Supermärkte und Online-Händler nach der herkömmlichen Vorstellung nicht in direkter Konkurrenz und Amazon würde durch die Akquisition nur einen kleinen Teil der Supermarkt-Industrie übernehmen.

Doch diese Argumentation ist überholt und entspricht nicht den aktuellen Marktentwicklungen: Die Grenzen zwischen Online- und Offline-Shopping verschwimmen immer mehr. In Zukunft wird sich ein Großteil des Handels auf die ein oder andere Weise digital abspielen.

Warum der Whole Foods-Deal richtungsweisend sein könnte

Mit der Akquisition von Whole Foods könnte Amazon also seine Kontrolle über die US-Wirtschaft weiter ausbauen. Die Lebensmittelgeschäfte würden Amazon einen neuen Zustrom nützlicher Kundendaten liefern, mit denen die Firma das Käuferverhalten sowohl offline als auch online überwachen könnte. Tatsächlich hat Amazon kürzlich Patente für Technologien angemeldet, mit denen Kunden digital überwacht werden könnten. Eine Erfindung würde es sogar ermöglichen, die mobilen Websites von Konkurrenten zu blockieren, während sich Kunden in Amazon-Geschäften aufhalten.

Außerdem würde Amazon durch Whole Foods ein gut ausgebautes Netzwerk an Lagerhallen für Lebensmittel hinzu gewinnen. Diese könnte das Unternehmen als Sprungbrett nutzen, um sich zum einzigen rentablen Online-Lebensmittelhändler zu entwickeln. Die 460 Whole Foods-Geschäfte in den USA befinden sich außerdem in bester Lage, um die Waren ausliefern zu können. Diese Tatsache ist nicht zu unterschätzen, denn um sein Monopol im Online-Handel aufrecht zu erhalten, muss Amazon auch die schnellsten Lieferwege zum Endkunden kontrollieren. Falls es Amazon gelingt, die Paketdienste UPS und FedEx zu schwächen, würde das auch anderen Online-Händlern schaden: Sie müssten sich bei der Auslieferung ihrer Waren künftig ganz auf ihren größten Konkurrenten, Amazon, verlassen.

Wie Amazon still und heimlich unser Kaufverhalten steuert

Jeff Bezos setzt darauf, dass er den Einkauf bei Amazon für die Kunden so unkompliziert gestalten kann, dass sie gar nicht merken, dass das Unternehmen zunehmend die Fäden hinter der Wirtschaft und der dazugehörigen Infrastruktur zieht – und darüber vergessen, welchen Preis sie für diese Marktvorherrschaft Amazons zahlen. Amazon besitzt bisher nie dagewesene Möglichkeiten, unser Kaufverhalten zu steuern. Bittet man Alexa, neue Batterien zu bestellen, so wird man nicht zwischen verschiedenen Anbietern wie Duracell oder Energizer wählen können, sondern bekommt automatisch Amazons Eigenmarke geschickt. Auch in der Kindle-Bestsellerliste finden sich auffällig viele Bücher, die von Amazon veröffentlicht wurden. Klickt man sich durch die Produktempfehlungen unter den Artikeln, so werden Amazon-eigene Produkte vom Algorithmus bevorzugt, selbst wenn sie nicht die beste Übereinstimmung liefern.

Amazons Angebot für Whole Foods sollte die Konsumenten daher wachrütteln. Zwar hat Amazon bisher keine konkreten Absichten bekannt gegeben, eine deutsche Supermarktkette zu akquirieren, aber zumindest als Lieferdienst versucht Amazon deutschen Ketten seit Mai mit Amazon Fresh Konkurrenz zu machen. Vielleicht brauchen also auch unsere Kartellgesetze einer Überprüfung, um den neuen Zeiten gerecht zu werden, in denen es keine klare Grenze zwischen online und offline mehr gibt.

Stacy Mitchell ist Kodirektorin des Institute for Local Self-Reliance und Mitverfasserin des Berichts Amazon’s Stranglehold .