Wie aufgeschlossen sind Dating Apps für nicht-binäre Personen?

Vor ungefähr einem Jahr habe ich mich in meinem Freund_innenkreis als non binary geoutet. Nicht-binär zu sein kann vieles heißen. Es ist eigentlich eher ein Sammelbegriff, der Identitäten beschreibt, die einem der beiden von der Gesellschaft angebotenen Geschlechtern – also Mann und Frau – nicht oder nicht eindeutig entsprechen.

In meinem Fall bedeutet das, dass ich abseits dieser Geschlechterbinarität stehe. Ich kleide mich ziemlich geschlechtsneutral, verwende einen Namen, der für alles Mögliche stehen könnte, und verzichte auf Pronomen. Mein Name ist nämlich eigentlich nur ein Buchstabe, ein K. Zuerst war das nur eine Übergangslösung, da ich nach einem geschlechtsneutralen Namen, der mit K beginnt, gesucht habe. Mittlerweile bin ich aber ganz zufrieden damit, eben weil dieses K kein normativer Name ist. Andere können damit nichts assoziieren – außer eben mich.

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Der Verzicht auf das Pronomen gestaltet sich meist schwierig, oft erfordert es komplizierte Satzkonstruktionen, um “er, sie, es” vermeiden zu können. Wenn ich so zurückblicke, dann stelle ich fest, dass ich eigentlich immer schon wusste, dass ich irgendwie “anders” bin. Trotzdem habe ich bis Anfang 2016 gebraucht, um mein Abweichen von der Norm benennen zu können. Vor allem durch Twitter bin ich auf Menschen gestoßen, die für sich den Begriff “non binary” verwenden. Ab da wusste ich, dass dieser Begriff zu mir passt.

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Ich versuche, mich so viel wie möglich an Orten oder unter Leuten aufzuhalten, von denen ich weiß, dass sie zumindest von sich selbst behaupten, offen gegenüber mehr als nur den binären Geschlechtern zu sein: Also Räume, die beispielsweise explizit nur für FLITs (Frauen, Lesben, inter und trans Personen) gedacht sind, politische Spaces, oder solche, die in der queer-community ein gutes Image haben. Trotzdem komme ich oft genug in Situationen, in denen ich mich in Gesprächen sofort outen muss, da mich meine Gesprächspartner oft mit dem falschen Pronomen ansprechen. Dabei wurde mir nicht erst einmal unterstellt, dass ich dieses “erfundene Geschlecht” nur “inszenieren” würde, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Weil ich keine Lust mehr hatte, dass sich im ersten Gespräch mit jemandem sofort alles um mein Geschlecht dreht, habe ich beschlossen, es mit Online-Dating zu versuchen – und mir für Broadly angesehen, welche Dating-App für nicht-binäre Personen am sinnvollsten ist: Tinder, HER oder OkCupid?

Tinder

Voraussetzungen:

In den letzten Jahren hat Tinder in der trans Community für sehr viel Aufregung gesorgt, weil die Plattform Profile von trans Menschen temporär blockiert oder sogar ganz gelöscht hat. Grund dafür war, dass Trans Personen gehäuft von anderen Nutzer_innen gemeldet wurden, da sie die App angeblich unter Vortäuschung falscher Tatsachen benutzen würden. Tinder selbst verkündete in einem späteren Statement, sicherstellen zu wollen, “dass Tinder ein Raum für alle ist”. Seit Herbst 2016 reagiert die Dating App zumindest im englischsprachigen Raum auf diesen Missstand und hat unter dem Titel #AllTypesAllSwipes eine ziemlich große Kampagne dazu aufgezogen.

In den restlichen Ländern (also in allen außer USA, Kanada und England), in denen die App verfügbar ist, gibt es jedoch nach wie vor nur die binären Auswahlkategorien Mann und Frau. Warum das so ist, konnte oder wollte Tinder auf Nachfrage von Broadly nicht erklären und antwortete lediglich: “Im Moment sind mehr Geschlechter in den Ländern USA, Großbritannien und Kanada verfügbar. Alle Updates kannst du auf unserer Homepage nachlesen.”

Auch die sexuelle Orientierung lässt sich auf Tinder nicht angeben. Um zu vermeiden, dass meine Matches mich misgendern – also dem falschen Geschlecht zuordnen – mache ich also auf meinem Profil deutlich, dass ich non binary bin.

Erfahrungen:

Laut einer Studie über die Nutzung von Tinder in Österreich meinen 85 Prozent der Befragten, das größte Problem an der App seien die langweiligen Nachrichten. Das kann ich bestätigen, vermutlich aber aus einem anderen Grund als die Teilnehmer_innen der Studie. Mein Problem ist nämlich, dass ich immer wieder die genau gleiche Frage gestellt bekomme: “Was heißt non binary?”

Diese Frage ist für mich mittlerweile ein Zeichen dafür, dass ich mit der Person nicht mehr weiter chatten sollte. Wenn es einer Person nicht einmal den Aufwand wert ist, diesen Begriff zu googlen, dann zeugt das nur davon, dass die Person nicht wirklich daran interessiert ist, etwas Neues kennen zu lernen. Meist antworte ich dennoch, und erkläre, dass nicht-binär in meinem Fall bedeutet, dass ich weder männlich noch weiblich bin. Die meisten Menschen interpretieren das in Bezug auf meine Genitalien und denken, ich sei intersex. Wenn ich ihnen erkläre, dass das nicht der Fall ist, reagieren sie mit der Frage, welches “anatomische Geschlecht” ich denn hätte. Im Anschluss an diese äußerst kritische Fragerunde folgt oft ein Vortrag darüber, dass es nur zwei Geschlechter gibt und ich mich entscheiden muss. Menschen sprechen mir also im allerersten Gespräch, ohne mich je getroffen zu haben, sofort mein Geschlecht ab.

Im letzten Jahr habe ich mich dann doch mit einer Person, die ich von Tinder kannte, getroffen – allerdings nur, weil sie im ersten Chat diese Fragen nicht gestellt und sich selbst als Feministin bezeichnet hat. Sie hat mich bei unserem Treffen dann mehrmals als lesbisch bezeichnet, und ich musste mich lange überwinden, ihr zu erklären, dass ich das nicht bin, weil ich nicht weiblich bin. Dieses Date ist mir trotzdem positiv in Erinnerung geblieben, da sie sofort alles verstanden hat und mich ab dem Zeitpunkt, wo ich mich geoutet habe, nie wieder falsch angesprochen hat.

Fazit:

Im deutschsprachigen Raum ist Tinder leider nach wie vor sehr binär ausgerichtet. Es gibt keinerlei Aufklärung über Geschlechter abseits der Hetero-Norm für Nutzer_innen seitens der App. Ich habe viele unangenehme Erfahrungen mit anderen Usern gemacht und würde Tinder daher für nicht-binäre Personen auf keinen Fall weiterempfehlen.

HER

Voraussetzungen:

Die App HER tituliert sich zwar selbst als “The Lesbian App – For Queer, Bisexual and Gay Women”, hat aber sowohl bei Geschlecht, als auch bei Sexualität viel mehr Auswahlkategorien. HER selbst erklärt das auf Nachfrage so: “Wir wollen Menschen aus der ganzen Community mit unserer App erreichen und schließen niemanden aus – egal ob LGBTQ+, Frauen, non-binary oder trans. Unser zentraler Fokus ist es aber, eine Erfahrung zu schaffen, die sich um das Verhalten von weiblichen Usern sorgt.”

Bei der Nutzung der App macht sich dieser Fokus bemerkbar. Vor allem cis Frauen, also solche, die sich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, scheinen sich von der Dating-App angesprochen zu fühlen. Diese persönliche Einschätzung ergibt sich vor allem durch Chats mit anderen Nutzer_innen, sowie durch die Profileinstellungen auf der Mehrheit der Accounts, die ich mir ansehe. Non binary oder trans Menschen finde ich kaum.

Erfahrungen:

Ich habe das Gefühl, dass viele Nutzer_innen sich meine Einstellungen nicht wirklich ansehen, sondern mir nur aufgrund der Bilder schreiben. Im Anschluss an das Misgendern weise ich auf meine Profileinstellungen hin und erkläre noch einmal, was das für mich bedeutet. Nach meiner Erklärung kommt von den meisten keine Antwort mehr.

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Allerdings bekomme ich hier auch sehr viele ermutigende Nachrichten. Eine Nutzerin fragt mich beispielsweise, wie ich gemerkt habe, dass ich non binary bin. Solche Fragen zeigen mir, dass jemand wirklich etwas über mich oder den Begriff wissen möchte. Eine andere Person, mit der ich Kontakt hatte, war selbst nicht binär und wollte Tipps für non binary inklusive Räume in Wien.

Fazit:

Die App HER legt, wie bereits erwähnt, den Schwerpunkt auf Frauen. Dennoch sind viel diversere Einstellungen im Bereich Geschlecht und Sexualität möglich, was im Vergleich zu Tinder einen großen Vorteil darstellt. Die Unterhaltungen sind bei mir mit den meisten Personen recht unterschiedlich verlaufen, generell scheint aber ein größeres Bewusstsein für Diversität vorhanden zu sein. Ich würde die App vor allem Personen empfehlen, die an Frauen interessiert sind.

OkCupid

Voraussetzungen:

Auf OkCupid lässt sich in den Settings für Geschlecht und Sexualität nicht jeweils nur eine Kategorie auswählen, sondern mehrere. Ich kann also zum Beispiel angeben, dass ich eine non binary transmaskuline Person bin, deren Sexualität queer und bi ist. Die App erkennt damit an, dass Sexualität nichts Einseitiges ist, sondern sehr komplex sein kann und sich oft nicht in einem einzigen Begriff zusammenfassen lässt.

Außerdem lässt sich die Option auswählen, dass das eigene Profil für heterosexuelle Menschen nicht angezeigt werden soll, was vor allem für nicht-geoutete Personen nicht nur wichtig, sondern oft auch notwendig ist. Bei einer Studie der Wiener Antidiskriminierungsstelle gaben 48 Prozent der Befragten an, an ihrem Arbeitsplatz nicht vollständig geoutet zu sein und es sollte Menschen selbst überlassen bleiben, ob sie sich einem Coming Out vor Kolleg_innen, Familienmitgliedern oder Freund_innen aussetzen wollen. Diese Einstellung ist daher für viele Menschen eine Voraussetzung, um sich auf einer Dating App sicher zu fühlen.

Die präferierte Art von Beziehung lässt sich ebenfalls einstellen, man kann zwischen monogam oder nicht-monogam wählen. Auch das hat OkCupid den anderen beiden Apps voraus. Aufgrund von Fragen, die beantwortet werden können, lässt sich hier dann die Match-Qualität anhand von Prozentpunkten feststellen.

Erfahrungen:

Von diesen drei Apps ist OkCupid bei weitem meine Lieblings-App. Hier bekomme ich als non binary Person eigentlich die wenigsten unangenehmen Nachrichten. Viele schreiben mir, dass sie auch non binary sind und fragen mich nach Tipps, wie sie sich outen können, stellen mir Fragen, wie mein Outing war und welche Erfahrungen ich gemacht habe. Ich nutze OkCupid daher vor allem dazu, mich mit Menschen in Verbindung zu setzten, die nachvollziehen können, wie es mir geht und mit denen ich auch verschiedene Bewältigungsstrategien für Diskriminierungserfahrungen austauschen kann.

Bisher habe ich hier keine einzige Nachricht bekommen, von der ich mich in irgendeiner Weise angegriffen gefühlt habe. Ich denke, dass die App durch die Fragen, die die Matchqualität ergeben, bereits Personen, die sich mit der Geschlechterbinarität abgefunden haben oder nicht sensibel genug sind, für mich bereits im Vorhinein ausfiltert. Denn im Fragenkatalog befinden sich auch Fragen zu politischen Einstellungen und dazu, was einem_einer an dem_der Partner_in besonders wichtig ist.

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Fazit:

Da ich OkCupid besonders zur Vernetzung mit anderen non binary Personen verwende, kann ich über Dating leider keine Empfehlung abgeben. Von den Einstellungen her scheint es mir aber die offenste der drei Apps zu sein. Besonders die Option, das Profil vor Heteros zu verbergen, ist für viele der entscheidende Faktor, OkCupid zu verwenden. In den Einstellungen kann klar definiert werden, nach welchen Personengruppen man sucht, was ebenfalls ein klarer Vorteil dieser App ist.

Dating-Apps sind an die Gesellschaft gekoppelt, die Nutzer_innen hier sind nicht weniger oder mehr sensibel als anderswo. Es besteht auch hier gefährliches Halbwissen und ich bin mit Vorurteilen und übergriffigen Fragen konfrontiert. Genauso gibt es aber auch aufgeschlossene Personen, die sich dafür interessieren, was es bedeutet, nicht binär zu sein. Auch auf Dating Apps gibt es Diskriminierung von Menschen, die nicht in das “System” passen. Es sollte allerdings nicht nur an uns liegen, dagegen anzukämpfen. Den Betreiber_innen von Dating Apps kommt eine ebenso große Verantwortung zu wie allen anderen Teilen der Gesellschaft, Akzeptanz und Möglichkeiten für alle zu schaffen. Nur dann nämlich schafft man einen “Raum für alle”.

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