Wir wussten seit Monaten, dass es wahrscheinlich passieren wird, wir hatten nur gehofft, es kommt nicht so schlimm. Doch dann waren sie auf dem Bildschirm, die erfolgsberauschten Gesichter von Rechtsextremen in Tweed-Jacketts, der viel zu hohe blaue Balken in der Wahlgrafik und es ist klar: Hier passiert gerade etwas Einschneidendes, hier wird Geschichte geschrieben in einer Weise, die wir gehofft haben, nie erleben zu müssen. 12,6 Prozent der Wähler haben ihre Stimme dieser ausländer- und demokratiefeindlichen Partei gegeben. Deutsche Politik wird die nächsten vier Jahre nicht mehr sein wie bisher. Vielleicht sogar länger.
Aber was heißt das konkret?
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Das Wahlergebnis wird Folgen haben, die dem Land langfristig massiv schaden können. Drei mögliche beängstigende Konsequenzen dieser Wahl, und drei Gründe, warum wir, so übel uns auch gerade sein mag, trotzdem noch hoffen können:
Warum der Einzug der AfD in den Bundestag zu Recht Angst macht
1. Die Partei hat mehr Geld und Ressourcen als je zuvor
Man könnte meinen, um erfolgreich Rechtspopulist zu sein, braucht man nur ein Smartphone mit Facebook- und Twitter-App. Aber letztlich ist die AfD eine Organisation, die die Arbeit von 28.000 Parteimitgliedern koordinieren muss. Nun hat sie dafür mehr Ressourcen als je zuvor.
Über 400 Mitarbeiter werden die rund 94 Abgeordneten einstellen können, jeder einzelne Neu-Parlamentarier darf monatlich gut 20.000 Euro für Personal ausgeben. Dazu bekommt die Fraktion mehrere Millionen im Jahr für weitere Mitarbeiter oder Öffentlichkeitsarbeit. In der Regel beziehen Abgeordnete Büros mit drei Räumen, deren Wände sie mit Gemälden deutscher Landschaften aus der bundestagseigenen Kunstsammlung dekorieren können. Wollen sie was wissen, können sie beim Wissenschaftlichen Dienst Gutachten bestellen (manche ließen sich dort schon Doktorarbeiten schreiben). Ein Fahrdienst kutschiert sie in schwarzen Limousinen in Berlin zu ihren Wohnungen, zum AfD-Stammtisch oder (auch schon im Bundestag passiert) zum Crystal-Meth-Einkauf. Und sollten die Nationalkonservativen Hilfe bei der deutschen Sprache benötigen, können sie sich im Sprach-Büro des Bundestags melden (Service-Tipp: neben dem Fitnessraum). Dessen Mitarbeiter kontrollieren dann wütende Briefe an Merkel auf Grammatik-, Stil- und Rechtschreibfehler. All diese Ressourcen kann die AfD nutzen, um sich zu professionalisieren – und so am Ende noch mehr Menschen dazu bringen, sie zu wählen. Auch wenn das momentan schwer vorstellbar ist, dass es noch mehr werden.
2. Ausländerhetze und Weltkriegs-Verherrlichung werden in der deutschen Politik Alltag
In den USA wundert sich kaum noch jemand, wenn der Präsident Neonazis verteidigt oder Mexikaner Vergewaltiger nennt. Wir werden zukünftig in Deutschland noch öfter Ähnliches hören und lesen, wenn wir News-Seiten öffnen. Käme es zu einer Großen Koalition – die SPD will das offenbar nicht –, würde am Pult des Bundestags Alexander Gauland als Oppositionsführer direkt nach der Kanzlerin sprechen. Er wird das Recht fordern, “stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Der niedersächsische Abgeordnete Wilhelm von Gottberg wird den Holocaust ein “wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen” nennen. Und Jens Maier aus Sachsen – Eigenbezeichnung: “der kleine Höcke” – kann auf der wichtigsten Bühne des Landes die “Herstellung von Mischvölkern” geißeln und den Massenmörder Anders Breivik verteidigen. All das haben die drei öffentlich gesagt.
Der Extremismusforscher Hajo Funke schätzt: “Die Hälfte der AfD-Abgeordneten ist rechtsaußen.” Wenn rechtsextreme, geschichtsrevisionistische und menschenverachtende Sätze täglicher Bestandteil der Tagesschau sind, wird es für immer mehr Menschen nicht mehr als Tabu erscheinen, solche Gedanken auszusprechen. Es wird anstrengend sein, da nicht abzustumpfen, solche Aussagen nicht für normal zu erklären und jedes Mal mit Fakten dagegenzuhalten.
3. Rechtspopulisten werden die politische Agenda mitbestimmen
Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow sagt, in seinem Landesparlament verhielten sich die AfDler wie Politiker der “Endphase der Weimarer Republik”. Sie nutzen die Regeln des Parlaments, um dem Parlament zu schaden, indem sie unsinnige Debatten auf die Tagesordnung setzen, damit der Landtag sich als “Schwatzbude selber ad absurdum führt”.
AfD-Abgeordnete sind Parlamentarier, die den Parlamentarismus verachten. Dennoch werden sie die politische Agenda prägen: Anträge stellen, Ausschüsse leiten, Untersuchungsausschüssen vorsitzen und mit Gaga-Anfragen einen Papierkrieg gegen Ministerien führen, der Beamte vom Regieren abhält. So wie die Leute wegen Trump den Respekt vor dem Amt des US-Präsidenten verlieren, so kann die AfD das Ansehen des Bundestags weiter beschädigen. Schon jetzt sagt nur jeder Zweite, dass er dem Bundestag vertraut, lediglich rund jeder Fünfte vertraut Parteien. Je mehr sich die AfD-Politiker im Bundestag aufführen, desto besonnener und rationaler müssen alle anderen Abgeordneten reagieren, damit die Rechtspopulisten keine Chance bekommen, die Demokratie vorzuführen.
Aber es gibt auch Hoffnung …
1. Die AfD-Fraktion wird vor allem Krieg gegen sich selbst führen
Formal ist Frauke Petry noch Parteichefin. Doch der kommenden AfD-Bundestagsfraktion wird sie nicht mehr angehören. Nur wenige Stunden nach der Wahl bricht die Partei auf offener Bühne auseinander, bevor sie überhaupt auf den veilchenblauen Reichstagsstühlen Platz nimmt. Petry hat in Sachsen ein Direktmandat geholt. Auf ihrer Facebook-Seite schreibt sie am Montagmorgen: “Seit geraumer Zeit wandelt sich die AfD von einer zielstrebig ausgerichteten Partei […] zu einem ‘gärigen Haufen’, also einer ‘anarchischen’ Partei, die zwar als Oppositionspartei agieren, dem Wähler aber kein realistisches Angebot für eine baldige Regierungsübernahme machen kann.” Da sie “diesen Exodus an politischem Know-How und Personal” nicht mehr aufhalten könne, werde sie der Fraktion nicht mehr angehören und als fraktionslose Abgeordnete in den Bundestag einziehen. Am Dienstag schließlich kündigt sie an, gemeinsam mit ihrem Ehemann Marcus Pretzell, dem AfD-Chef in Nordrhein-Westfalen, aus der Partei austreten zu wollen.
Damit trennt sich die Symbolfigur der verbliebenen Moderaten von der eigenen Partei. Dabei ist es irre, dass sie überhaupt als moderat gilt. Sie hat sich wegen der gemeinsamen “Schnittmengen” schon mit Pegida getroffen und Migranten mit “Kompost” verglichen. Über Gaulands Wehrmachts-Nostalgie und Alice Weidels kürzlich veröffentlichte Reichsbürger-Mail sagte Petry, sie “verstehe, wenn die Wähler entsetzt sind”.
Bis Juli 2017 haben bereits 15 AfD-Abgeordnete ihre Landtagsfraktionen verlassen, weil sie den rechtsnationalen Kurs der Partei nicht mittragen wollten, ergab eine Analyse des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zur Arbeit der 13 AfD-Landtagsfraktionen. In Mecklenburg-Vorpommern sind Anfang der Woche vier weitere AfD-Abgeordnete aus ihrer Fraktion ausgetreten. Frauke Petry sitzt gleichzeitig auch im Landtag Sachsens. Ende dieser Woche haben mit ihr noch drei weitere Parteifreunde die dortige AfD-Fraktion verlassen. Der Exodus beschleunigt sich also.
Gut möglich also, dass die Partei im Bundestag gar nicht so viel Schaden anrichtet, weil sie ihre Energie darauf verwendet, ihr Beziehungsdrama fortzuführen. Das wäre für den Steuerzahler zwar eine ziemlich teure Telenovela, im besten Falle aber eine lehrreiche.
2. Die AfD wird härter kontrolliert als je zuvor
Wir wissen auch so viel über das bipolare Innenleben der Partei, weil der gegenseitige Hass dazu führt, dass einzelne Parteimitglieder interne WhatsApp-Chats und E-Mails an die Presse schicken. Mehr als je zuvor werden sich Politik-Berichterstatter darauf spezialisieren, jedes Papier umzudrehen und jede Intrige der Partei aufzuschreiben. Sie werden besonders genau hinschauen, wenn AfD-Abgeordnete gegen Gesetze verstoßen. Frauke Petry könnte schon bald wegen Meineids vor Gericht landen, gegen den rheinland-pfälzischen Abgeordneten Sebastian Münzenmaier läuft ein Verfahren wegen versuchten Raubes und schwerer Körperverletzung.
Wie zermürbend die intensive Beobachtung ist, merkte man Alice Weidel an, die im Laufe des Wahlkampfes immer dünnhäutiger wirkte. Hinzu kommt: Alle anderen Bundestagsparteien betrachten die AfD als Gegner. Sie werden aus Ausschusssitzungen SMS an Journalisten tippen, sobald sich AfD-Abgeordnete blamieren, weil sie keine Konzepte zu Gesundheits- oder Steuerpolitik haben, sich uneins sind oder die Parlamentsneulinge noch nie vom Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gehört haben.
3. Die AfD im Bundestag wird Deutschland politisieren
Im November 1949 sagte der Abgeordnete der Deutschen Partei Wolfgang Hedler, man könne geteilter Meinung sein, “ob das Mittel, die Juden zu vergasen, das gegebene gewesen ist”, es hätte auch andere Wege zu ihrer “Entledigung” gegeben. Daraufhin wurde er aus dem Bundestag ausgeschlossen. Als Hedler im März 1950 trotzdem an einer Sitzung teilnehmen wollte, flog er aus dem Plenarsaal – und der SPD-Abgeordnete Herbert Wehner raste ihm mit einigen seiner Fraktionskollegen hinterher, sie verprügelten Hedler an Ort und Stelle.
Ich will nicht sagen, dass das 2017 wieder passiert, aber: Wer braucht noch Love Island auf RTL2, wenn es Intrigen, Irrsinn und Inkompetenz auch bei Phoenix gibt. Klingt furchtbar (ist es auch), aber die AfD wird dafür sorgen, dass sich so viele Menschen für den Bundestag interessieren wie seit Jahrzehnten nicht. Wir erleben Rededuelle: Sigmar Gabriel, Kind eines Nazi-Vaters, gegen Nazi-Glorifizierer Alexander Gauland, smarte Populistin Sahra Wagenknecht gegen smarte Populistin Alice Weidel.
Das Einzige, was die AfD bisher beherrscht, ist Brüllen oder in Opferpose schmollen. Die Chance der anderen Politiker ist es nun, eben das nicht zuzulassen. Nicht Wehner-Style draufzuprügeln, sondern zu zeigen, wie komplex Politik ist, wie schlau und teamfähig man sein muss, um das einigermaßen hinzubekommen. Die Aufmerksamkeit für Parlamentarier wird in dieser Legislaturperiode gigantisch sein. Die Vernünftigen sollten sie nutzen, um zu zeigen, dass sie da einen ziemlich respektablen Job machen. Dann merken die Wähler schnell, dass die AfD nicht wirklich daran interessiert ist, den Alltag der Menschen zu verbessern, im Parlament werden sie vor allem eines sein: überfordert.
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