Zwischen 1700 und 1760 war London in eine leidenschaftliche, aber erstaunlich zerstörerische Liebesgeschichte mit Gin, auch als the mother’s ruin bekannt, involviert.
1730 gab es offiziell um die 7.000 Gin-Geschäfte (und wahrscheinlich sehr viele mehr, wenn man die illegalen Bars irgendwie zählen könnte) und jährlich wurden 10 Millionen Gallonen der Spirituose gebrannt. Die historische Beschreibungen von Gewalt, weit verbreiteter Sucht und gesellschaftlicher Verwüstung lassen Bilder der verheerenden Crack-Epidemie der frühen 80er-Jahre in den USA aufleben.
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Für viele Londoner der Arbeiterklasse entwickelte sich Gin zu mehr als nur einem Getränk. Gin linderte verzweifelte Hungerschmerzen, bot eine Erlösung aus der unaufhörlichen Kälte und war eine wohltuende Flucht aus dem brutalen, harten Leben in den Slums und Arbeitshäusern. Es war ein billiger Rausch, der man für ein paar Pfennige an jedem noch so heruntergekommenen Straßenstand oder in den Gewölben stinkender Keller bekommen konnte—und richtete in den Londoner Innenstadt schnell Chaos und Verwüstung an.
Thomas Fielding, ein Sozialhistoriker dieser Zeit, schrieb über die verheerenden Folgen des Gewerbes auf die „minderwertigen Leute”, wie er sie in seinem politischen Pamphlet Enquiry into the causes of the late wincrease of Robbers nannte:
„Eine neue Art der Trunkenheit, die unsere Vorfahren nicht kennen, lässt sich in letzter Zeit unter uns beobachten, und die, wenn dem kein Ende gesetzt wird, zweifelsohne einen großen Teil der minderwertigen Leute zerstören wird. Die Trunkenheit, die ich hier meine, … von diesem Gift mit den Namen Gin … das Hauptnahrungsmittel (wenn man es so nennen kann) von mehr als hunderttausend Menschen in dieser Metropole.”
Aber weshalb Gin? Weshalb zog diese bestimmte Spirituose—und nicht Whisky oder Brandy—eine solch weitverbreitete Zerstörung mit sich?
Lasst euch nicht täuschen: Wir sprechen hier nicht von feinem Dry Gin auf Pflanzenbasis, wie wir ihn heute kennen. Der Gin des 18. Jahrhunderts war ein teuflisches Gebräu, das im Rachen brannte, die Augen rötete und bei dem sich der Magen umdrehte.
Während der vielen Jahre, die Großbritannien mit Frankreich im Krieg war, kam der französische Brandy, der davor in den Londoner Pubs floss, aus der Mode. Er wurde zu etwas Unpatriotischem und deshalb immer schwieriger zu bekommen. Das Parlament verabschiedete eine Reihe an legislativen Maßnahmen, die die heimische Spirituosenproduktion ankurbeln und den französischen Würgegriff auf den Markt lösen sollte.
Die damit einhergehenden sinkenden Lebensmittelpreise führten dazu, dass Arbeiter ein höheres verfügbares Einkommen hatten, das sie für Alkohol ausgaben. Und so wurde der perfekte Sturm geboren.
Während Gin seinen Ruf als urbanes und kultiviertes Getränk im 20. Jahrhundert aufrecht erhalten konnte—und Bilder hervorrief wie der der Welt überdrüssige, zerknitterte, aber trotzdem schicke Humphrey Bogart in Casablanca, oder vielleicht von Ian Fleming, der sich nach dem dritten starken Martini auf der Bar abstützt—, war das Getränk, das im London des 18. Jahrhunderts getrunken wurde, ein weitaus gräulicheres Biest.
Ursprünglich wurde die Spirituose gegen Ende des 17. Jahrhunderts aus Holland importiert. Das niederländische Original, unter dem Namen jenever bekannt, war mit etwa 30 Volumenprozent jedoch schwächer. Der Gin, der in London hergestellt wurde, war extrem stark und wurde oft mit widerlichen Dingen gepanscht. Lasst euch nicht täuschen: Wir sprechen hier nicht von feinem Dry Gin auf Pflanzenbasis, wie wir ihn heute kennen. Der Gin des 18. Jahrhunderts war ein teuflisches Gebräu, das im Rachen brannte, die Augen rötete und bei dem sich der Magen umdrehte.
Terpentin und Schwefelsäure waren weit verbreitete Zusätze und Geschichten von Erblindeten, die den Alkohol in den Kneipen und Geschäften der Londoner Slums konsumierten, waren keine Seltenheit. Auf dem berüchtigten Schild über den mit Glaslampen erhellten Kellern stand: „Drunk for a penny; dead drunk for two pennies; clean straw for nothing.” Man nahm also an, dass man, wenn man mehr als ein paar Pfennige ausgab, so betrunken war, dass die einzige Option war, auf einem Bett aus Stroh einzuschlafen. („Clean”?—ja, genau.)
Ein tragischer Vorfall, der den Zeitgeist auf den Nerv traf, führte zu einer öffentlichen Protestwelle, die den Anfang des Endes der Gin-Krise bedeutete. 1734 erwürgte eine Frau namens Judith Dufour ihren zwei Jahre alten Sohn und verkaufte seine Kleidung gegen Gin. Die Berichterstattung über diesen Vorfall führte dazu, dass das Parlament—obwohl es ziemlich saftige Steuereinnahmen für Gin kassierte—, etwas unternehmen musste. Im Laufe der zwei darauffolgenden Jahrzehnte wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die den scheinbar unstillbaren Durst der Stadt nach Gin langsam eindämmen sollte.
Das wichtigste neue Gesetz war der Gin Act 1751, der Destillateuren verbot, ihre Ware an nicht lizenzierte Händlern zu verkaufen, und der die Gebühren für kleine Händler erhöhte. Das führte dazu, dass Gin nicht mehr in kleinen Geschäften sondern nur noch in größeren Pubs verkauft wurde, wo die Qualitätskontrollen strenger waren.
Wie der Historiker G.M. Trevelyan im dritten Band seiner Illustrated Social History schrieb:
„The [Sales of Spirit] Act of 1751 reduzierte tatsächlich die Ausschweifungen des Spirituosenkonsums. Das war ein Wendepunkt in der Gesellschaftsgeschichte und wurde auch als solcher angesehen, als man sich immer noch an die Zeit erinnern konnte, aber auch nach diesem gesegnetem Datum führten Mediziner immer noch ein Achtel aller Todesfälle in London auf den Alkoholkonsum Erwachsener zurück. Das Schlimmste war aber überstanden und nach Mitte des Jahrhunderts wurde Tee in allen sozialen Klassen zu einem formidablen Rivalen für Alkohol, sowohl in der Hauptstadt als auch am Land.”
Nachdem das Gesetz verabschiedet worden war, wurde die Gin-Krise in Hogarths bekanntem Druck Gin Lane 1751 verewigt.
Der Künstler stellte einen Slum in der Innenstadt von London dar, der von Trunkenheit heimgesucht wurde. Gin Lane war eine schockierende gesellschaftliche Dokumentation der damaligen Zeit und ein Zeugnis der Notlage: ein Baby hängt von einem Geländer, während die Mutter in betrunkener Benommenheit dasitzt; ein Bettler und sein Hund streiten sich hungrig um einen Knochen; Schlägereien brechen auf der Straße aus, ein Leichnam wird seiner letzten Wertgegenstände beraubt und ein Pfandleiher macht ein Bombengeschäft, weil die Leute ihre Waren gegen Geld eintauschen, um sich noch mehr Gin zu kaufen.
Der Druck war mit einem treffenden Vers von James Townley unterlegt:
„Gin cursed fiend, with fury fraught; makes human race a prey; it enters by a deadly draught; and steals our life away.”
Zu Gin Lane gab es noch einen zweiten Druck von Hogarth mit dem Titel Beer Street, der die glücklichen und sorglosen Tugenden von riesigen Krügen mit schäumendem Ale anpries, und in dem runde, glückliche Engländer Bier, „das glückliche Erzeugnis unserer Insel (… wir zechen deinen sanften Saft mit Entzücken”), trinken.
Lange Zeit danach war billiger Gin verrufen, aber in den letzten Jahren findet man in der britischen Hauptstadt immer mehr hochwertige Destillate. Einige kleine Brennereien haben in ganz London eröffnet und ernten alle möglichen Lorbeeren für ihre Spirituosen. Sipsmiths hat eine Auszeichnung für seinen London Dry Gin gewonnen, während die East London Liquor Company neben alten, hochwertigen Destillationsmethoden auch mit Grapefruitschalen, Kardamom oder Kubeben-Pfeffern in seinem Gin experimentiert.
Mittlerweile ist Gin zu einer sehr gediegenen Angelegenheit geworden und die Tage, als man noch betrunken aus der Bar gestolpert ist und die nächste Schlägerei angezettelt hat, sind vorbei.