Wie diese Provokation von Hooligans zum Glaubenskrieg stilisiert wurde

Vor dem Grab von Marko Ivkovic stehen frische Blumen. Auf dem Grabstein prangt in goldenem Kyrillisch der Name des 2014 verstorbenen jungen Mannes. Hinter dem Grab hält ein anderer Mann einen Fanschal von Galatasaray Istanbul hoch. Dieses Foto geistert seit Tagen durch das Internet und ruft hasserfüllte Reaktionen hervor. Das Foto ist eine Provokation. Marko Ivkovic, Fan von Roter Stern Belgrad, wurde Ende 2014 vor dem Basketball-Euroleague-Spiel gegen Galatasaray Istanbul von einem türkischen Fan niedergestochen.

Der junge Mann mit dem Galatasaray-Schal veröffentlichte das Foto auf seinem Twitter-Account mit den Worten „WE ARE EVERYWHERE!”. Das Bild wurde massenhaft retweetet und verbreitet sich seitdem in den sozialen Netzwerken sowie in verschiedenen Fan-Foren. Unter den zahlreichen Posts diskutieren tausende User über Recht und Unrecht dieser Provokation. „In der Türkei gab es keinen Aufschrei und kaum Berichte, aber in Serbien sorgt das Bild für ziemlich viel Wirbel”, erzählt der in Istanbul ansässige Fan-Experte Harald Aumeier, der die Vorkommnisse seit dem Tod des Belgrader Fans verfolgte.

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Ende November 2014 spielten die Basketballabteilungen von Galatasaray und Roter Stern gegeneinander. Der 25-jährige Ivkovic wurde vor der Partie auf der Straße vor der Abdi Ipekci Arena in Istanbul bei einer Auseinandersetzung von mehreren hundert Fans mit einem Messer so schwer verletzt, dass er wenig später im Krankenhaus starb. Die Tat fand in ganz Europa in den Medien, aber auch in zahlreichen Fanszenen und auf der höchsten politischen Ebene viel Aufmerksamkeit. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic forderte eine rasche Aufklärung. Ein Galatasaray-Fan wurde wegen vorsätzlicher Tötung zu 25 Jahren Haft verurteilt, die anderen sechs Angeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

„Die Ultrabewegung in der Türkei ist gerade im Basketball durchzogen von Hooliganismus”, erklärt Aumeier. Die Fans von Galatasaray fielen bei Auseinandersetzungen in der Vergangenheit immer wieder mit dem Gebrauch von Waffen wie Messern auf: Sei es im Jahr 2000, als zwei Fans von Leeds United vor einem UEFA-Pokal-Spiel gegen Galatasaray erstochen wurden, oder wie vor zwei Wochen, als sich Gala-Fans mit Besiktas-Anhängern auf einer Autobahn regelrecht bekriegten. Schon nach dem Mord an Ivkovic tauchten martialische Bilder von Gala-Fans auf, die den tragischen Tod der Leeds- und des Belgrader Fans verhöhnten und zu weiteren Taten aufriefen.

Schon im Anschluss an den Mord fielen einige Gala-Anhänger mit Pfiffen bei einer Schweigeminute vor einem Spiel von Gala gegen Besiktas auf. „Neben den Pfiffen wurden die mittlerweile in der Türkei sehr gängigen Parolen ‘Gott ist groß’ und ‘Türkiye, Türkiye’ gerufen”, so Aumeier. Das respektvolle Gedenken für einen toten Fan wurde für einen Kampf der Kulturen missbraucht. Auch unter dem Provokations-Foto des Galatasaray-Fans vor dem Grab von Ivkovic bringen sich beide Reihen in Stellung. „Islamic pigs” oder „Europe must unite against turks” kommentieren etwa die einen auf der Facebook-Seite von Hooligans TV. Die anderen schreiben Dinge wie „I am not worry about a Serbian dog. I remember what these dogs done in Bosnia and Kosovo” oder solidarisieren sich mit den Worten „Brother Muslimans”. Die Aussagen zeigen, welche Gruppen ein besonderes Interesse an dieser Fehde haben.

„Es sind Gruppen, die eigentlich aus dem gleichen Holz geschnitzt sind—beide nationalistisch”, erklärt Aumeier. „Nationalismus hier in der Türkei und in Serbien ist ähnlich. Es gibt viele offene Wunden, die ihn befördern.” Mit einer Fußballrivalität oder der klassischen Erlebnisorientierung von Hooligans hat das nur noch wenig zu tun. „Mit Sicht aus der einfachen Brille sehen einige Türken im Balkan nur christliche Mörder, die beispielsweise das islamische Bosnien unterjochen, und die Serben verbinden mit der Türkei wie dem Islam eine Invasion von Terror.” Auf beiden Seiten stehen Menschen, die sich als Beschützer der eigenen Werte sehen—diese beide aber durch Gewalt und Hass mit Füßen treten. Der Twitter-User von dem Grab, dessen Namen wir bewusst nicht nennen wollen, sieht sich derweil massiven Drohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Hunderte User antworteten ihm mit Bildern, auf denen abgetrennte Schweineköpfe zu sehen sind, Istanbuler Adressen mit seinem Namen herausgesucht wurden oder islamophobe Sprüche stehen.

Dass auch gemäßigte Anhänger auf beiden Seiten stehen, zeigt zum Beispiel der Kommentar eines anderen Fans: „Wir sind gleich”—anbei postete er einen Wikipedia-Eintrag von den Brüdern Milo und Pavle Bakić, die mit elf anderen Jungs im Jahr 1905 den Fußballverein Galatasaray gründeten. Beide kommen aus dem montenegrinischen Ort Andrijevica, wo noch heute ein Drittel der Bevölkerung serbisch ist. Dieses Argument wird einige Fans auf beiden Seiten wohl trotzdem nicht besänftigen, wenn Galatasaray und Roter Stern am 21. Oktober wieder in der Abdi Ipekci Arena in der Euroleague aufeinandertreffen…

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