“Neues Jahr, neues Ich”, ist eine dieser Lügen, die wir uns ständig erzählen – ähnlich wie “meine Eltern haben ihr Bestes getan” oder “Jogginghosen sind ein akzeptables Kleidungsstück”. Und ich sollte das wissen, spätestens am 9. Januar schaufle ich mich nämlich in der Regel durch eine große Schale frittierter Eiscreme mit Jack Daniel’s (ja, ich bin Kanadier), während neben mir im Aschenbecher die zerfetzte Mitgliedskarte vom Fitnessstudio brennt. Ich habe aber auch gelernt, dass es nicht unmöglich ist, von einer Sucht loszukommen. 2009 war ich ein 110 Kilo schwerer kokainabhängiger Alkoholiker, der bei seiner Mutter im Keller wohnte. Damals war ich mir sicher, dass ich meinen 30. Geburtstag nicht erleben werde. Und fast wäre es auch so gekommen.
2015 habe ich fast jeden Tag hart getrunken und einen schweren Kokainrückfall erlebt – nach zwei Jahren Abstinenz. Ich kiffte täglich. Dazu kamen Oxycodon, MDMA, Pilze und – wenn man einrechnet, womit Dealer ihren Stoff strecken – eine beachtliche Menge Batteriesäure. Um mich dazwischen auf den Beinen halten zu können, trank ich fünf Tassen Kaffee und rauchte eine Schachtel Zigaretten. Kurz vor dem Schlafen gab es noch ein McDonald’s-Menü und zum Nachtisch einen Porno. Der Tag sollte schließlich angemessen ausklingen. Finanziert habe ich mir dieses Leben übrigens mit diversen Kreditkarten.
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In jenem Dezember wurde bei mir eine Bauchspeicheldrüsenentzündung festgestellt – meine zweite. Eine Woche vor meinem 29. Geburtstag. Seit diesem Tag vor zwei Jahren habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Und nach ein paar Rückfällen habe ich auch keine harten Drogen mehr konsumiert. Das ziehe ich inzwischen ebenfalls über ein Jahr durch.
Vor neuen Monaten habe ich den Podcast Alex Wood Quits Everything gestartet, in dessen Rahmen ich dann auch noch mit dem Kiffen, Koffein, Nägelkauen, Rauchen, rotem Fleisch, Milchprodukten, Pornos, Kreditkarten und Lästern aufgehört habe. Die nächsten drei Punkte auf meiner Liste sind Zucker, Social Media und mein Smartphone. Durch meine eigenen Erfahrungen und Interviews mit Drogen-, Ess-, Shopping-, Porno-, Spiel-, Zigaretten- und Wutsüchtigen habe ich gelernt, dass jeder Weg aus einer Abhängigkeit anders verläuft. Ich kann also nur empfehlen, was bei mir selbst funktioniert hat. Trotzdem hoffe ich, dass alle, die das hier lesen, daraus etwas für sich mitnehmen können.
Das erste Mal
Die erste Sucht, die ich überwunden habe, war Kokain. Ich war 22 und hatte bereits einige Jahre Kokserfahrung auf dem Kasten. Als ich dann zum Just for Laughs Festval in Montreal eingeladen wurde – der feuchte Traum jedes kanadischen Comedians – entfachte das ein wahres Feuer in mir. Ich begann, nach den Sternen zu greifen und die Fesseln des … OK, nein. Es war anders. Ich nahm meine Einladung vielmehr als Anlass, um ein Feuer unter einem Stück Alufolie zu entfachen. Dann griff ich nach dem Koks, denn ich wollte versuchen, es zu rauchen. Jedenfalls gab ich die folgenden Monate jeden Cent für Koks aus. Blöderweise kostet Koks aber etwas mehr als ein paar Cent und eh ich mich versah, stand ich mit umgerechnet 750 Euro bei meinem Dealer in der Kreide. An einem Abend habe ich wegen der Entzugserscheinungen auf die Bühne gekotzt. Eine Woche später schoss mir direkt vor einem Auftritt ein Schwall Blut aus der Nase. Es war ein bisschen wie in den letzten 25 Minuten von Blow – wenn Johnny Depp bei seiner Mutter gelebt und nie eine Frau abbekommen hätte.
Ich machte einen kalten Entzug. Von einem Freund lieh ich mir Geld, um die Schulden bei meinem Dealer zu begleichen. Meine bis dato ungebrochenen Beine mochte ich dann doch ganz gerne so, wie sie waren. Für einen Monat verbarrikadierte ich mich in der Kellerwohnung bei meiner Mutter und heulte mich jede Nacht in den Schlaf. Ich dachte an Selbstmord. Die ganze Zeit über spürte ich nichts als Leere und Depressionen in mir, bis eines Tages Miley Cyrus kam und mich rettete. Ich war gerade aus der Dusche gekommen und hörte ein wunderschönes Gitarrenriff aus dem anderen Zimmer, in dem ich den Fernseher angelassen hatte. Sofort ging es mir irgendwie besser und seminackt, wie ich war, eilte ich rüber, um zu sehen, welcher Engel mir dieses wunderschöne Geschenk gebracht hatte. Als ich sah, dass es Miley Cyrus war, die “Party in the U.S.A.” trällerte, musste ich lachen.
Es war das erste Mal in über einem Monat. Als ich mir dazu dann auch noch meiner grotesken Situation bewusst wurde – ich, im Handtuch, hysterisch lachend vor einem Miley-Cyrus-Video –, musste ich noch mehr lachen. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, bei mir würde über kurz oder lang alles OK werden. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass es etwas Cooleres gewesen wäre – Kanye West oder Lou Reed zum Beispiel. Aber es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Zwei Jahre schaffte ich es, kein Koks mehr anzurühren, bis ich dann einen Rückfall erlebte, der einen ganzen Sommer lang andauerte. 2015 hatte ich einen weiteren Rückfall in einem Stripclub in Montreal.
Totalabsturz
Überhaupt war 2015 eher ein Jahr zum Vergessen. An besonders viel kann ich mich auch nicht erinnern. Frisch von meiner Freundin getrennt war ich fast täglich betrunken. Die Kokserei hatte ich wieder aufgenommen und dazu konsumierte ich so viel MDMA, dass ich sogar mit House was anfangen konnte. Ich fraß mehr Zauberpilze als Super Mario und ernährte mich dermaßen von Pizza, dass der Laden nebenan eine Pizza nach mir benannte (OK, da bin ich tatsächlich etwas stolz drauf). Wenn man mir gesagt hätte, dass ich dadurch meine Ex vergesse, hätte ich wahrscheinlich auch meinen Schwanz in einen Toaster gesteckt.
Falls ich gerade nicht irgendwelche Hausmittelchen zur Hand hatte, begnügte ich mich mit Pornos. Ich war durch, aber so richtig. Im Mai jenes verhängnisvollen Jahres wurde bei mir eine Bauchspeicheldrüsenentzündung festgestellt. Ich bekam vom Arzt eine Monatsladung Antibiotika und den dringenden Ratschlag, mindestens ein Jahr keinen Alkohol mehr zu trinken. Da ich nicht gleich übertreiben wollte, reduzierte ich die Alkoholpause auf einen Monat – solange musste ich ja auch die Medikamente nehmen. Tja, ein paar Monate später im Dezember hatte ich dann meine zweite Bauchspeicheldrüsenentzündung. Der Ausflug in die Notaufnahme mitsamt entzugsbedingten Krampfanfällen vom Alkohol brachten mich endlich auf den Trichter, dass ich etwas ändern musste. Und eine frische Hose brauchte. Ich hatte eingepisst.
Der Weg zurück
Sobald ich einmal den Entschluss gefasst hatte, wirklich mit Alkohol und Drogen aufzuhören, suchte ich eine Motivation, die mich an dem Vorhaben festhalten ließ. Meine oberstes Ziel war, meine Gesundheit zu verbessern und ganz generell ein besseres Leben zu führen. Ich hatte einfach die Schnauze voll davon, ständig verkatert und pleite zu sein und meine Familie zu verletzen. Ich hatte erkannt, dass sich mein ganzes Leben um meine Süchte drehte. Jede Entscheidung, die ich traf, basierte auf meinem Zugang zum Stoff.
Aber ich war ja nicht süchtig auf die Welt gekommen. Mit der Zeit hatte ich mein Gehirn entsprechend umgepolt. Und wenn ich mein Hirn in diesen chaotischen Haufen verwandeln kann, dann kann ich es auch wieder zurückverwandeln. Auch du musst daran glauben, dass du das schaffst. Ich persönlich suchte mir als Motivationshilfe inspirierende Menschen. Nimm zum Beispiel Terry Fox: Der ist jeden Tag einen Marathon gelaufen – 143 Tage, mit Krebs und nur einem Bein. Zuerst bekam er kaum Aufmerksamkeit oder Spenden für sein Anliegen. Aber er ist einfach weitergelaufen, jeden Tag. Heute ist er ein kanadischer Held und seine Aktion hat der Krebshilfe etwa 540 Millionen Euro eingebracht. Er war nur ein Mensch, genau wie du und ich. Wenn er das kann, dann kannst auch du mit etwas aufhören, das dir schadet.
Mit dieser positiven Einstellung war es an der Zeit, auf Worte Taten folgen zu lassen. Als erstes sagte ich meiner Familie und Freunden Bescheid. Für einen Kontrollfreak wie mich war es wichtig zu erkennen, dass ich das nicht alleine durchziehen kann. Früher oder später würde ich ihre Unterstützung brauchen. Kontrolle war auch so ein Konzept, das ich besser in den Griff bekommen musste. Ich musste lernen, mich selbst und meine Reaktionen auf Situationen zu kontrollieren. Was das anging, war der 1. Januar 2016 ein wichtiger Moment für mich. Ich hatte seit 12 Tagen keinen Tropfen angerührt. Zitteranfälle, Delirium tremens, meinen Geburtstag, Weihnachten und Silvester hatte ich allesamt ohne Alkohol überstanden. Dann verlor ich mein Portemonnaie in der U-Bahn.
Ich kochte vor Wut und dachte darüber nach, mir schnellstmöglich einen Drink zu gönnen. Aber plötzlich ging mir ein Licht auf. Es war ein wahre Epiphanie: Vom Saufen taucht mein Portemonnaie auch nicht wieder auf. Ich wäre dann einfach nur besoffen und immer noch ohne Geldbörse. Da war ein unfassbar wichtiger Augenblick in meinem Genesungsprozess, an den ich immer noch ständig zurückdenke. Trinken, Ballern, Fressen oder Rauchen lassen meine Probleme nicht verschwinden. Vielleicht dämpfen sie vorrübergehend meinen Schmerz oder meine Wut, wenn etwas Schlechtes passiert, aber am nächsten Tag ist das Problem immer noch da und obendrein habe ich einen fiesen Kater. Nur ich selbst kann meine Probleme verschwinden lassen. Ohne es damals zu wissen, lernte ich, den Gedanken bis zum Ende durchzuspielen.
Das ist ein wichtiger Aspekt der Abstinenz. Wenn dich ein Verlangen nach dem, womit auch immer du aufhören willst, überkommt, darfst du nicht in diesem Gefühl verbleiben. Geh stattdessen einen Schritt weiter und überleg dir, wie du dich danach fühlen würdest. Ich habe das gelernt, als ich mit Koks aufgehört habe (das erste Mal). Mein einziger Gedanke in diesen Momenten war immer: “Wie gut es sich anfühlen würde, jetzt high zu sein.” Ich kämpfte immer wieder gegen eine sich auftürmende Flutwelle dieser Gedanken an, bis ich dann eines Tages einfach dachte: “Und was passiert, nachdem ich high werde?” Klar, es würde sich gut anfühlen, keine Frage. Aber gleichzeitig würde es bedeuten, noch mehr Geld auszugeben, obwohl ich bei meinem Dealer schon tief in den Miesen bin. Der Rausch würde nicht besonders lange anhalten und schon bald von Schuldgefühlen und Depressionen abgelöst werden.
Und jetzt der Rest
Durch meine ganzen Suchterfahrungen hatte ich letztes Jahr eine Idee: Ich würde auch meine letzten Laster aufgeben und darüber einen Podcast machen. Die meisten Nachfragen kamen letztendlich zu meinem Pornoverzicht. Immer wenn ich in einer Unterhaltung bejahte, dass ich wirklich süchtig nach Pornos gewesen bin, konnte ich an der Reaktion meines Gegenübers zumeist folgende Gedanken ablesen: “Dieser Typ muss zu komischen Zeiten und an noch komischeren Orten masturbiert haben.” Meine Entscheidung hat sich aber überraschend positiv auf mein Leben ausgewirkt. Sie macht Sex noch besser. Ich fühle mich jetzt viel verbundener zu meiner Partnerin und stelle sie mir nicht mehr als versaute Bibliothekarin vor, die gleichzeitig eine Affäre mit meinem Vater hat. Heute masturbiere ich nur noch etwa zweimal die Woche – weitaus gesünder als früher, als die Anzahl der Male fast der Durchschnittspunktzahl eines NBA-Profis pro Spiel glich.
Rotes Fleisch und Milchprodukte aufzugeben hat mir wirklich vor Augen geführt, dass Essen wie eine Droge sein kann. Ich verwende es, um etwas zu zelebrieren, um Schmerzen zu stillen, um gegen Langweile zu kämpfen und um Geld auszugeben, das ich anderweitig nötiger gebrauchen könnte. Ich habe außerdem gelernt, dass Veganer gar nicht Unrecht haben, wenn sie von Rezepten sprechen, die problemlos mit dem Original mithalten können. Meine Freundin hat mir letztens eine vegane Alfredo-Soße gemacht und es war die beste, die ich je gegessen habe. Wenn du mir deine Kreditkartendaten schickst, lasse ich dir gerne das Rezept zukommen.
Meine letzte und vielleicht wichtigste Erkenntnis war, dass ich keine Angst vor Rückschlägen haben sollte. Rückfälle sind Teil einer Sucht. Die Krux dabei ist allerdings, sich nicht von seinen schwachen Momenten die ganze harte Arbeit zunichte machen zu lassen. Wenn du auf der Autobahn an der falschen Ausfahrt abfährst, würde dich das ja auch nicht davon abhalten, deinen Weg zum Ziel fortzusetzen – du würdest nicht einfach denken: “Mist, ich bin falsch abgebogen, also Zeit das Auto zu parken, die Schlüssel aus dem Fenster zu werfen, meine Klamotten auszuziehen und auf den Rücksitz zu kacken, jetzt lebe ich nämlich in diesem Auto.” Das klingt reichlich bescheuert. Versuch einfach, deine Sucht auf die gleiche Art zu sehen. Aus jedem Rückfall kam ich nur stärker wieder zurück.
Seit ich clean bin, bin ich körperlich und geistig so gesund wie noch nie. Ich habe meine Kreditkartenschulden abbezahlt und zum ersten Mal seit meinem Hulk-Hogan-Sparschwein habe ich ein Sparkonto. Ich bin verliebt und es ist die mit Abstand beste Beziehung meines Lebens. Ich bin ein besserer Zuhörer, Freund, Bruder und Sohn. Meine Karriere ist zu neuem Leben erwacht und nach acht langen Jahren hat man mich vergangenen Sommer wieder gefragt, ob ich für Kevin Harts LOL Network beim Just for Laugs auftreten möchte.
Mit einer Sucht aufzuhören kann manchmal leicht und andere Male unmöglich erscheinen. Ich jedenfalls habe öfter darin versagt, als gewonnen. Zum Beispiel schreibe ich diese Zeilen an meinem dritten Tag ohne Zucker und der Entzug macht mich ein kleines bisschen aggro. Ich weiß, dass es schwer ist, aber auch du kannst 2018 von deiner Sucht loskommen. Wenn es dir jemals zu schwer erscheint, du strauchelst und einen Rückfall erlebst, glaub einfach an dich selbst. In dir steckt mehr Kraft, als du denkst. Du musst manchmal nur tief graben, um sie zu erreichen. Und wenn wirklich alles zusammenzubrechen droht, leg ein bisschen Miley auf.
Falls du, deine Freunde oder Angehörigen von Suchtproblemen betroffen sind, findest du hier Beratungsstellen in deiner Nähe.
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