Wie du lernst, deinem bescheuerten Ex-Partner zu vergeben

Wir haben alle diese_n eine_n Ex-Partner_in, die oder der ein schrecklicher Mensch ist und uns belogen, betrogen, Versprechen gebrochen, ignoriert oder in irgendeiner anderen Form verletzt hat. Kim Horne ist Malerin und Dekorateurin aus London und kennt das nur allzu gut. Sie wurde von ihrer damaligen Verlobten betrogen: “Ich habe es auf der Hochzeit ihrer Schwester herausgefunden und zu allem Überfluss kannte ich die Person, mit der sie mich betrogen hat, auch noch.”

Solche Erlebnisse sind nur schwer zu vergessen. Manchmal dauert es Monate, manchmal Jahre. Doch über kurz oder lang kommt die Zeit der Vergebung, die immer die bessere Alternative zu sein scheint, als das Auto des anderen mit dem Schlüssel zu zerkratzen.

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Vergebung ist allerdings nur schwer zu definieren. Klar, es gibt die Definition aus dem Wörterbuch, aber selbst Psychologen haben schon ganze Bücher darüber geschrieben, was Vergebung denn nun genau sein soll. Einige sagen, es sei eine Emotion oder eine innere Haltung. Andere glauben, dass Vergebung in einer Geste oder einer Handlung zum Ausdruck kommen muss. Manche sehen darin auch einen Prozess, so wie Plato in der Liebe.

Professor Kathy Belicki ist Psychologin und spezialisiert auf das Thema Vergebung. Eben weil der Akt des Vergebens so schwer zu definieren sei, haben sie und ein Kollege viele verschiedene Menschen gefragt, was sie unter Vergebung verstehen. “Wir kamen zu vielen, vielen, vielen verschiedenen Definitionen. Das bedeutet für uns, dass Vergebung für jeden anders aussehen kann.”, sagt sie.


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“Deswegen haben wir angefangen, die gängigen Formen [von Vergebung] zu dokumentieren und uns die damit verbundenen Resultate anzusehen.” Nach dieser Definition zählt übrigens auch die Demonstration von moralischer Überlegenheit zu den Gründen, warum Menschen ihrem Gegenüber verzeihen. “Ich werde dir zeigen, was für ein moralisch überlegener Mensch ich bin, indem ich dir vergebe und es der ganzen Welt mitteile”, formuliert es Belicki.

Seinem Gegenüber zu vergeben, um wie der bessere Mensch zu wirken, könnte wohl im besten Fall als löblich und im schlechtesten Fall als verlogen bezeichnet werden. Doch Belicki ist da anderer Meinung. “Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass wir aufhören sollten, einander zu sagen, was wahre Vergebung ist. Selbst im religiösen Kontext, zum Beispiel in christlichen Texten heißt es ganz eindeutig, dass wir vergeben sollen. Es steht aber keiner Stelle: ‘Ach ja übrigens, Vergebung bedeutet, dass …’”

Die schlechten Neuigkeiten? Die Art und Weise, wie du deinen schrecklichen Ex-Partnern vergibst – und die Gründe, warum du es tust – haben einen massiven Einfluss darauf, wie du dich selbst fühlst. In einer Studie, die Belicki 2010 durchgeführt hat, waren die Menschen, die dem anderen vergeben haben, um sich selbst besser zu fühlen, weniger glücklich. Gleiches galt für Menschen, die ihrem Gegenüber aus rein praktischen Gründen wie “Ich arbeite mit dieser Person zusammen” oder einem gemeineren Ziel wie “Ich möchte besser sein als diese Person” verziehen haben. “Das Ganze wirkt paradox”, sagt Belicki. “Menschen, die dem anderen verzeihen, um sich selbst besser zu fühlen, sind schlussendlich die, die sich nicht besser fühlen.”

“Ich habe mich definitiv weiterentwickelt, aber ich glaube nicht, dass ich ihr vergeben habe.”

Es gibt unzählige Artikel und Ratgeber über Trennungen, die sagen, dass Vergebung immer zu unserem eigenen Vorteil sei und nicht zum Vorteil der Person, der wir vergeben. Doch wenn du versuchst, deiner oder deinem bescheuerten Ex zu vergeben, um dich selbst besser zu fühlen, dann ist fast sicher, dass es nicht funktionieren wird. Im Rahmen einer taiwanesischen Studie konnten Forscher zeigen, dass Menschen, die sich verpflichtet fühlten, ihrem Gegenüber zu verzeihen, danach noch immer mehr Wut empfanden als Menschen, die ihrem Gegenüber aus einem moralischen Grundsatz heraus vergaben. Das konnten unter anderem Messungen ihres Blutdrucks sowie ihrer Mimik zeigen.

“Die Menschen, die Vergebung als ein Geschenk an ihren Ex oder die Menschheit betrachten und Menschen, die aus einem Grundsatz heraus vergeben, sind die Menschen, die sich danach auch besser fühlen”, sagt Belicki.

Kim Horne musste feststellen, dass ihr Versuch, ihrer Verlobten zu vergeben, um ihre Beziehung zu retten, vollkommen vergebens war. “Ich beschloss, unserer Beziehung noch eine Chance zu geben, aber es hat nicht funktioniert. Ich war noch immer verbittert und ständig wütend. Ich habe ihr kein Wort mehr geglaubt. Im Verlauf eines Jahres haben wir uns dann endgültig getrennt.”

Foto: Imago | Westend61

Am überraschendsten ist aber vermutlich, dass man das Kriegsbeil mit seinem Ex-Partner nicht begraben muss, um zumindest mal über ihn hinwegzukommen. Liebeskummer ähnelt einem Trauma, vor allem in Beziehungen, in denen man schlecht behandelt wurde. Belicki hat im Zuge ihrer Forschungsarbeit festgestellt, dass man dieses Trauma auch ohne zu vergeben bewältigen kann. “Gegen Traumata gibt es zwei Zaubermittel”, erklärt sie.

Das eine ist die Konfrontation (“Du bewältigst dein Trauma, in dem du dich damit konfrontierst und dich nach vorne kämpfst.”), das andere Worte: “Mit anderen darüber zu sprechen [wie du dich fühlst] wirkt Wunder, weil du die soziale Unterstützung bekommst, die unglaublich heilend wirkt. Manchmal hilft es aber auch, einfach alles aufzuschreiben – dabei geht es nicht darum aufzuschreiben, was passiert ist, sondern wie du dich dabei fühlst.”

“Wenn du verletzt wurdest, dann bist du der Welt nichts schuldig.”

Diese Erfahrung hat auch Horne gemacht. “Ich habe mich definitiv weiterentwickelt, aber ich glaube nicht, dass ich ihr vergeben habe. Ich habe einen anderen Menschen kennengelernt, den ich wirklich liebe und der sehr viel besser für mich ist. Ich habe verstanden, dass meine ehemalige Beziehung sehr kindisch war. Inzwischen tut mir die Frau nur noch leid.”

Laut Belicki ist die altruistische Form der Vergebung, die zu langfristiger Zufriedenheit führt, sehr aufwendig und setzt voraus, dass man seine schrecklichen Ex-Partner wissen lässt, dass man ihnen vergeben hat. Der beste Möglichkeit, um diese Form von Vergebung zu erlangen, ist, sich selbst in den anderen hineinzuversetzen. “Der schnellste Weg zu beiden Formen der Vergebung setzt voraus, dass man sich vor dem anderen öffnet und Mitgefühl zeigt. Das heißt, man muss versuchen, sich vorzustellen, warum der oder die andere so war, wie er oder sie nunmal war.”


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Einer ihrer Kolleginnen, Dr. Wanda Malcolm, nutzt eine Technik, bei der Menschen imaginäre Gespräche mit der Person führen, der sie vergeben wollen. Sie tun wortwörtlich so, als wären sie selbst der Übeltäter und setzen sich auch auf einen anderen Stuhl, wenn sie aus ihrer Sicht sprechen. “Ich hasse die Unwirklichkeit daran”, sagt Belicki, “aber es ist ein Weg, um Mitgefühl zu entwickeln.”

Wenn Vergebung so aufwendig ist und einem auch nicht zwingend helfen muss, was soll das Ganze denn dann eigentlich bringen? Belicki sagt, dass es konkrete Vorteile mit sich bringt, wenn Menschen ihrem Gegenüber auf die richtige Art und Weise vergeben: “Mehr Ruhe und weniger Ärger, Traurigkeit und Angst. Ich konnte im Rahmen meiner Arbeit zeigen, dass sich die Stimmung der Betroffenen verbessert, sie den Übeltäter weniger meiden und wieder mehr Freude und weniger Rachsucht empfinden.” Eine Studie konnte zeigen, dass Menschen Aufgaben generell weniger mühsam finden, wenn sie dem Menschen vergeben konnten, der ihnen Unrecht getan hat.

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Um an diesen Punkt zu kommen, müssen wir uns allerdings verwundbar machen, was nicht nur schmerzhaft, sondern auch schwierig ist. “Die Form der Vergebung, die uns staunen lässt, ist eine der riskantesten und aufopferungsvollsten Arten der Vergebung und sollte nicht von jedem erwartet werden”, erklärt die Expertin. “Wenn du verletzt wurdest, dann bist du der Welt nichts schuldig. Es ist vollkommen in Ordnung, nur zu sagen: ‘Ich werde alles Nötige tun, um darüber hinwegzukommen und zur Normalität zurückzukehren.’”

Zum Schluss erzählt mir Belicki noch die Geschichte einer Frau, die durch den Völkermord in Ruanda ihre gesamte Familie verloren hat und von einem ihrer engsten Freund verraten wurde. Sie musste sich vor ihren Mördern in einem Schrank verstecken und wäre dabei fast verhungert. “Sie hat einen Punkt der vollkommen Vergebung erreicht”, sagt Belicki. “Sie hat sich auch sehr dafür eingesetzt, infolge des Genozids für Vergebung zu werben.” Sie macht eine kurze Pause. “Wenn man so etwas vergeben kann, dann kann man alles vergeben.”

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