Wie ein Amerikaner den Urwald gegen Kartelle und korrupte Politiker verteidigt


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Das Brummen der Motoren scheucht Vögel und andere Tiere auf, Aras und Brüllaffen schreien. Es ist kurz nach Sonnenaufgang, Ende Februar 2016. Ein Dutzend Männer verlässt sein Urwaldcamp im Norden Guatemalas und fährt nach Westen ins Niemandsland. Unter einem Baldachin aus lianenbehangenen Mahagonibäumen und Akazien rattern sie über den Weg, den Macheten in den dichten Dschungel gehauen haben. Die Sonne brennt erbarmungslos herab, der Sommer bricht seit zwei Monaten alle Hitzerekorde. Haufenweise Laub und abgestorbene Äste trocknen über den mächtigen Wurzeln der Kapokbäume und warten nur auf den Funken, der sie entfacht. Die zwölf Soldaten, Parkschützer und Naturforscher sind mitten im Maya-Biosphärenreservat stationiert. Dieses riesige Naturschutzgebiet in Guatemala umfasst weite Teile des größten tropischen Regenwalds des amerikanischen Doppelkontinents außerhalb des Amazonas. Die Mission des Teams: dafür sorgen, dass der verheerende Funke niemals kommt.

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Etwa sechs Kilometer vom Lager entfernt verlassen sie ihre Trucks am Rand der Brandschneise, die sie den “Schild” nennen. Das Gebiet auf der anderen Seite dieser Linie war früher ein Kronjuwel unter den mittelamerikanischen Naturschutzgebieten. Doch seit illegale Rinderfarmer und organisierte Verbrecher den Nationalpark Laguna del Tigre kolonisieren, betreten ihn Parkschützer nur noch mit Angst. Die Männer hacken sich einen Pfad westwärts durch das dichte Unterholz, hinein in den Park. Als sie den Wald auf der anderen Seite des Flusses verlassen, finden sie sich in einer anderen Welt wieder. Der Dschungel weicht einer Kalksteinebene, von der Sonne verwittert und mit grünen Weidegrasbüscheln übersät. Aus dem Gras ragt, was sie hierher geführt hat.

Auf den ersten Blick wirkt die lange Reihe aus groben Holzpfählen unscheinbar. Doch die Parkwächter wissen um die Bedeutung dieses Zauns – allen voran Roan McNab. Er ist blond, Anfang 50, stammt aus Florida und überragt den Rest der Männer. Seine Stimme ist sanft, aber eindringlich, hin und wieder lockert ein schiefes Grinsen seine Gesichtszüge. Beim Anblick des Zauns grinst er nicht, denn dessen Botschaft ist klar: “Das hier gehört mir! Verschwindet!”

Als Leiter des örtlichen Ablegers der amerikanischen Naturschutz-Stiftung Wildlife Conservation Society (WCS) schlägt sich McNab seit zehn Jahren mit illegalen Landbaronen herum, die Teile des Laguna del Tigre für sich beanspruchen. Dabei ist eine Allianz entstanden, die sie nicht nur aufgehalten, sondern zum Teil auch zurückgedrängt hat. Im Vorjahr haben Parkschützer und Waldpolizisten aus La Corona, dem nördlichsten Rangercamp des Schilds, den Zaun durchtrennt und den letzten Zaunbauer inhaftiert. Die Zaunpfähle sind jedoch geblieben und zeichnen sich nun wie ausgestreckte Mittelfinger vor dem klaren Februarhimmel ab.

McNab steht seine bislang gefährlichste Feuersaison bevor, denn der diesjährige El Niño hat zu einem der heißesten Sommer der Geschichte geführt. Während Eindringlinge den Schild mit Kettensägen und Fackeln bedrohen, ist McNabs Team unterbesetzt und liegt im Verzug. Doch der Zaun ist eine zu große Kampfansage. Er muss weg.

Am frühen Morgen hat McNab den guatemaltekischen Unterleutnant beschworen, mit seinen fünf Soldaten die Entfernung des Zauns anzuführen. “Ahora es la hora”, hat er gesagt – die Zeit ist gekommen. Der Offizier hat seine Bitte abgelehnt; er habe zu wenige Männer für einen Einsatz im Feindgebiet. McNab will den Zaun nun wenigstens auskundschaften. Als er sich den Pfählen nähert, murmelt er ein spanisches Schimpfwort. Jemand hat den Stacheldraht zwischen den rußgeschwärzten Pfosten ersetzt, den die Parkschützer durchtrennt hatten. Die Eindringlinge haben Mittelamerikas größtes Naturschutzgebiet bereits zweigeteilt und sind dabei, den Rest zu zerstören, und dies ist ihr bisher weitester Vorstoß.

Nicht nur der Stacheldraht bringt McNab zum Fluchen. Die Eindringlinge haben zu beiden Seiten des Zauns eine Brandschneise von etwa einem Meter Breite gelegt. Sie soll den Zaun vor dem nächsten Schritt der Landeroberung schützen: dem Feuer, das sich durch Gras und Urwald fressen wird, um noch mehr Platz für Weideland zu schaffen. Der Zaun steht in der sengenden Sonne und markiert Wald, der abbrennen soll – Wald, den McNab liebt.

Sonnenuntergang in Laguna del Perú

Brände in nordamerikanischen Wäldern werden häufig von Blitzen entfacht, doch in den Urwäldern, die sich von Guatemala durch Belize bis ins mexikanische Yucatán erstrecken, haben sie nur eine Ursache: Menschen. Der Wald ist hier extremen Klimabedingungen ausgesetzt. Von Mai bis November füllt Dauerregen die ausgetrockneten Seen und Flussbetten und macht Hügel zu Inseln. Während der Sommerhitze von Dezember bis April vertrocknet das Land. Seen werden kleiner und verschwinden schließlich, Pflanzen verwelken, der Wald färbt sich braun. Dieser Rhythmus prägt das Leben im Dschungel: Was im Winter gedeiht, stirbt im Sommer an Trockenheit.

Oder es verbrennt. Bis heute setzen die Maya-Bauern auf Feuer statt auf Traktoren, um vor der Aussaat die Stoppeln und das Unkraut vom Vorjahr zu beseitigen. Vor 1.000 Jahren wäre ein Reisender auf McNabs Route westlich von La Corona an einem Inferno aus Tausenden brennenden Feldern vorbeigekommen. Der Anbau von Mais war die Lebensgrundlage der Tiefland-Maya. Von etwa 250 bis 900 n. Chr. lebten zwei Millionen Menschen im Gebiet des heutigen Maya-Urwalds – zehnmal so viele wie heute. Sie rodeten den Wald nicht nur für ihre Felder, sondern auch, um Handelszentren und eindrucksvolle Tempelanlagen zu bauen. Mit ihren Plätzen, Dammstraßen und Wasserreservoirs formten sie das Land.

Dann verschwand die Zivilisation der Tiefland-Maya in einer Apokalypse aus Kriegen und Dürren, und die Feuer erloschen. Die Wälder eroberten die Städte zurück. Wild graste, wo früher Märkte standen. Krokodile sonnten sich neben den Wasserspeichern. Bäume und Farne überwucherten die Pyramiden und die Maya-Städte gerieten über 1.000 Jahre lang in Vergessenheit. Ende des 19. Jahrhunderts bahnten sich Gummizapfer aus dem Hochland und Mexiko ihren Weg in den Dschungel und errichteten ihre Lager auf den Ruinen der antiken Städte. Auf Spanisch heißt ein illegaler Siedler auf öffentlichem Land “invasor” – Eindringling, Besatzer. Die Gummizapfer waren nur die ersten; nach ihnen kamen die Archäologen und dann die Siedler, die den Wald für ihre Maisfelder rodeten. Und dann kam Roan McNab.

“Die Leute fragten sich, wer dieser Gringo überhaupt war.”

McNab reiste 1997 als schlaksiger 33-Jähriger im Auftrag der WCS nach Guatemala, um ihr dortiges Programm aufzulösen. Stattdessen überzeugte er seine Vorgesetzten, es fortzusetzen. Eigentlich hatte ihn sein Entdeckerdrang nach Mittelamerika geführt, denn ein begeisterter Umweltschützer war er nicht. McNab ist in Gainesville, Florida, als Sohn eines Zoologen aufgewachsen, glaubte aber nie richtig an das Naturschutzdogma, nach dem Reservate frei von Menschen sein sollten. “Die Vorstellung einer unberührten Wildnis ist für mich schwer zu begreifen”, sagt er. “Da der Mensch für mich Teil der Natur ist, finde ich diese Trennung zwischen beiden schwierig. Außerdem ist inzwischen so ziemlich jeder Winkel des Planeten vom Menschen beeinflusst, und das wird in Zukunft noch zunehmen.”

Das Projekt in Guatemala war perfekt für ihn. 1990, also sieben Jahre zuvor, hatte die guatemaltekische Regierung ein Gebiet im Norden, das etwa ein Fünftel des gesamten Landes ausmacht, zum Maya-Biosphärenreservat erklärt. Es ist ein Flickenteppich aus Nationalparks und Gebieten für die “nachhaltige Waldbewirtschaftung”, die es den Menschen erlaubt, vom Wald zu leben. McNab landete in einem Tausend-Seelen-Dorf namens Uaxactún, das zwischen den Observatorien und Palästen einer gleichnamigen Maya-Stadt liegt. 100 Jahre lang lebten die Uaxactuneros vom Handel mit Holz, Gummi für Kaugummis und Xate, Palmenblättern für die Floristik. Dann drohte die Zentralregierung, das Dorf zu räumen und seine Lizenzen einem Holzfällerunternehmen zu übertragen. Es war McNabs Aufgabe, diesen Menschen zu helfen.

Auf dem Papier wirkte McNab der Herausforderung nicht unbedingt gewachsen – nicht zuletzt, weil er bei seiner Ankunft kein Wort Spanisch sprach. Unter den kleinen, dunkelhäutigen Gummizapfern und Xate-Schneidern aus Uaxactún hätte er kaum mehr hervorstechen können. In der Gemeinde herrschte Misstrauen, verschiedene Gruppen stritten sich um die Zukunft der Siedlung. “Die Leute fragten sich, wer dieser Gringo überhaupt war”, erzählt Erwin Macz, der schon lange dort lebt. Doch McNab verdiente sich ihren Respekt und lernte durch Handzeichen, Schimpfwörter und Nachahmung Spanisch. Darüber hinaus entwickelte er eine Eigenschaft, die seine spätere Laufbahn maßgeblich bestimmen sollte: ein politisches Fingerspitzengefühl, das half, Streitigkeiten zu lösen und Verhandlungen ans Ziel zu bringen. Viele Gemeindemitglieder schreiben ihm in dem Deal, der Uaxactún letztendlich gerettet hat, eine entscheidende Rolle zu. Anstatt das Feld zu räumen, gründete das Dorf ein nachhaltiges Holzfällerunternehmen – das größte in Mesoamerika. McNab und die WCS halfen dem Dorf außerdem, den Verkauf von nachhaltig produziertem Holz an internationale Kunden auszuhandeln. Unter den Käufern war etwa der Bronx Zoo, und Macz reiste nach New York, um das Holz des Dorfs zu vermarkten.

Derweil hatte der Maya-Urwald McNab verzaubert. Dort stand er nicht selten plötzlich vor überwucherten Stelen – Kalksteinmonumenten mit den Porträts alter Könige – oder vor großen Hügeln, in denen die Ruinen verlorener Städte schlummerten. Es gelang ihm, seine Vorgesetzten zu überzeugen, das WCS-Programm auszuweiten, anstatt es zu beenden. Jede freie Minute verbrachte er mit ortskundigen Führern und Freunden aus Uaxactún im Nationalpark, erkundete ihn per Vierradantrieb, mit dem Boot oder zu Fuß. Er hatte Erfahrungen, die ihm vorkamen wie aus einem Abenteuerroman. Seine Augen leuchten auch heute noch, wenn er über seine gefährlichen Erlebnisse im Maya-Urwald spricht. Zum Beispiel, wie er und Ramón Peralta, ein alter Dschungelführer aus Uaxactún, bei den Pyramiden der verlorenen Metropole El Mirador frische Ausgrabungen fanden. Spontan folgten sie den Spuren der Grabräuber zu einem Lager – und starrten plötzlich in die Gewehrläufe der beiden nervösen Banditen.

“Im ersten Moment dachte ich: ‘Oh Gott, was habe ich getan?’”, erzählt McNab ruhig. Doch Peralta hatte sein ganzes Leben in der Region verbracht und kannte einen der Räuber: eine zwielichtige Gestalt mit dem Spitznamen “El Diablo”. Peralta kehrte ihm den Rücken zu und forderte ihn auf, zu schießen. El Diablo ließ das Gewehr sinken und wenige Minuten später hatte der Archäologie-Nerd McNab die Grabräuber überredet, ihre Beute zu zeigen. Stolz präsentierten die beiden die unbezahlbaren präkolumbianischen Töpfe, die sie ausgegraben hatten. Peralta und McNab hatten noch einmal Glück gehabt. Später hörten sie, El Diablo habe seinen Gefährten wegen seines Anteils ermordet und irgendwo verscharrt.


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Abenteuer wie dieses hielten McNab Ende der 1990er so auf Trab, dass er nicht bemerkte, wie sich im Naturschutzgebiet langsam ein “Krebsgeschwür” ausbreitete. Er wusste, dass zahllose Bauern aus der Hochebene in den Urwald kamen und Bäume fällten oder abbrannten, um Maisfelder zu pflanzen. Doch wie die meisten Umweltschützer und Regierungsangestellten schenkte er dem wenig Beachtung. Stattdessen konzentrierte er sich auf traditionellen Umweltschutz: Er zählte bedrohte Tierarten, schrieb Managementpläne und half bei der Entwicklung von Gemeindeunternehmen wie dem in Uaxactún. Ihm und seinen Kollegen war nicht klar, wie groß die Bedrohung tatsächlich war.

Dann kam das Feuer. Einen Monat lang kämpften sie unter den Bäumen, schliefen in ihren verschwitzten, rußigen Kleidern auf dem Boden.

Der Sommer 2003 sollte das ändern. Es war eine besonders heiße El-Niño-Saison, und McNab führte die WCS-Feldforschungsgruppe zu einer Brutstätte des Hellroten Ara am Rande des Laguna del Tigre. Kaum hatten sie ihre Zählung begonnen, brachen die Feuer aus. Ein Brand im Maya-Urwald zeigt sich nicht in Form dramatischer Flammenwände, sondern kriecht versteckt durch das am Boden liegende Laub, entzündet das Unterholz und greift dann auf die Bäume über. Das Feuer ist schwer zu entdecken, schwer zu verfolgen und schwer zu stoppen. Zum Entsetzen des Teams hielt es auf die Nistplätze der letzten 200 Aras in Guatemala zu.

McNab und den WCS-Biologen war sofort klar: Wenn sie ihre Zählung fortführten, würden die Flammen die Nistplätze erreichen und Guatemalas Hellroten Ara auf einen Schlag ausrotten. Also brachen sie ihr Vorhaben ab und begannen stattdessen, mit Äxten und Schaufeln Brandschneisen durch das schwelende Unterholz zu schlagen. Um die gewaltigen Akazien, auf denen die Aras lebten, hoben sie Gräben aus. Einen Monat lang kämpften sie unter den Bäumen. Sie schliefen in ihren verschwitzten, rußigen Kleidern auf dem Boden und hielten durch, bis die Regenzeit dem Sommer ein Ende setzte und die Feuer löschte.

Guatemalte­kische Soldaten und Mitglieder der Wildlife Conservation Society marschieren durch ein Feld mit Weidegras für Rinder

Die Brände von 2003 waren ein Schock für McNab und die WCS, denn sie zeigten unmissverständlich, wie gefährdet der Maya-Urwald war – und wie wenig sie über ihn wussten. Nun war klar, dass verirrte Glut von den Feldern nicht die größte Gefahr für das Reservat darstellte. Feuer hatte ein Viertel davon verzehrt, den Rauch hatte man im etwa 1.500 Kilometer entfernten Houston, Texas, noch sehen können. Hier musste etwas Größeres im Gange sein.

Aber was? Die guatemaltekische Kommission für Naturschutzgebiete (CONAP) unterhielt ein paar verstreute Posten am östlichen Rand des Laguna del Tigre. Aber soweit McNab informiert war, hatte noch nie jemand zwischen ihnen patrouilliert. Die Parkschützer der CONAP riskierten Entführungen und Schlimmeres, wenn sie sich in die gerodeten Gebiete wagten. Im folgenden Sommer machte sich McNab mit einer Gruppe von Parkschützern der CONAP daran, die Grenzlinie auszukundschaften. Entlang dem verbliebenen Waldgebiet am westlichen Rand von Laguna del Tigre wanderten sie Richtung Süden. Überall fanden sie breite Pfade, die Eindringlinge in den Wald gehauen hatten. Sie liefen unter Bäumen durch, in deren Rinde man die Namen von Grundstücksspekulanten geritzt hatte. Sie fanden versteckte Landebahnen für Drogenflugzeuge und von Lianen verschlungene Flugzeugwracks.

Am erschreckendsten war jedoch, dass sie nicht wie erwartet überschaubare gerodete Flächen fanden, von denen sich Kleinbauern ein wenig Ertrag erhofften. Stattdessen entdeckten sie Weideflächen für Rinder, die sich über Hunderte Hektar erstreckten. Wie sie feststellten, waren etwa 80 Prozent des verlorenen Urwalds im Nationalpark Laguna del Tigre nicht von einzelnen Familien zerstört worden, sondern von einer regelrechten Industrie. Dabei arbeiteten Dutzende Männer zusammen, um den Wald zu roden und Zäune für das Vieh zu bauen. In einem leeren Arbeitscamp fanden sie die Pritschen und Ausrüstung einiger dieser Männer, darunter neue Stacheldrahtrollen, mit denen sie zweifellos Weideland einzäunen wollten. McNab und die Parkschützer zerschnitten den Draht. “Dann bekamen wir Angst”, sagt er grinsend. “Deshalb sind wir die ganze Nacht durch gelaufen und haben dann ohne Wasser kampiert.” Bauern und Viehzüchter hatten schon Ende der 1990er angefangen, Wälder zu roden und als Weideland für ihr Vieh einzuzäunen. Zu Beginn der 2000er war daraus eine existenzielle Bedrohung der Region geworden. Der Urwald fiel den gesetzlosen Rinderbauern zum Opfer, die man in Guatemala bald narco-ganaderos, “Narco-Viehzüchter”, nannte. Um diese Zeit schlossen die USA die Routen, über die Schmuggler mit Schnellbooten Kokain aus der Karibik in die Staaten brachten, und der Handel verlagerte sich auf Mittelamerika. Drogengelder strömten nach Guatemala und füllten die Taschen der Schmuggler mit Geld, das sie nicht auf legale Weise ausgeben konnten. Doch Land in den Wäldern entlang der Grenze zu Mexiko war billig, ebenso wie die dazugehörigen Rinder, die sich dank Hunderter unbewachter Grenzübergängen leicht nach Mexiko schmuggeln ließen.

Laut Salvador López, dem CONAP-Leiter der Region Petén, kamen Schmuggler mit ihren Söldnern zu den Bauern, die dort siedelten, und boten ihnen Geld für das Land. Weil sie wie Cowboys gekleidet waren, nannte man sie sombrerudos (Männer mit großen Hüten). “Sie sagten: ‚Du kannst mir das Land verkaufen, oder ich kann stattdessen mit deiner Witwe verhandeln’”, berichtet López. Mit diesen Methoden kamen sie in den Besitz so großer Flächen, dass man sie in caballerías rechnet – einem alten spanischen Flächenmaß, das etwa 45 Hektar entspricht. Rancher beanspruchten 10, 15 Caballerías für sich, in den entlegenen Gebieten des Parks sogar bis zu 100.

Letztendlich waren es die Rinder, die McNab in Konflikt mit den Ranchern brachte. Als örtlicher Leiter der WCS war es seine Aufgabe, den gefährdeten Bestand von etwa 250 Hellroten Aras in Guatemala zu schützen. Die Aras bauen ihre Nester aus der weichen Rinde des Cantemo-Baums, einer Akazienart, die im feuchten Boden von Laguna del Tigre wächst. Das Pech der Aras und anderer Spezies ist, dass ihr Lebensraum mit seinen großen, flachen Seen auch für Rinder ideal ist.

Illegale Rancher hängen Schilder auf, um ihr Territorium im Nationalpark Laguna del Tigre zu markieren

Die Brände hatten McNab vor Augen geführt, dass die Narco-Rancher im Nationalpark ein Gebiet gefunden hatten, das nur auf dem Papier geschützt war. Die CONAP war zwar für seine Überwachung zuständig, litt aber unter Unterbesetzung und Ressourcenknappheit. Die wenigen Fahrzeuge waren in schlechtem Zustand. Für ernstzunehmende Operationen fehlte es an Treibstoff und Lebensmitteln. Die Parkschützer waren zahlenmäßig unterlegen, unbewaffnet und sahen sich einem furchterregenden Feind gegenüber. “Wir konnten zwar wertvolle biologische Daten sammeln”, sagt McNab, “doch mir wurde klar, dass das gesamte Naturschutzmodell wie eine Reihe Dominosteine umkippen würde, wenn wir diese großen Bedrohungen – die Brände, die illegalen Rancher – nicht ausschalten konnten.”

McNab hatte erkannt, dass die Naturschützer sich entscheiden mussten. Sie konnten Guatemalas Hellrote Aras zählen, bis der letzte verschwunden war, oder sie konnten einen Weg finden, das Gebiet zu schützen. Der Schild war McNabs Idee: ein etwa 3 Meter breites, 50 Kilometer langes Gitter aus Wegen und Brandschneisen, das die noch bestehenden Wälder von Laguna del Tigre umgibt. Vordergründig sollte er die überlebenden Teile des Reservats vor Bränden schützen, die sich nach Osten ausbreiteten. Doch zusätzlich vermittelte er dieselbe Botschaft wie der Zaun: “Das ist unser Land! Verschwindet!”

Eine wichtige Rolle bei dieser territorialen Kontrolle spielte eine neue Reihe von Stützpunkten im gesamten Park, vor allem entlang des Schilds. La Corona, der Stützpunkt nördlich der Zaunlinie, hatte klein angefangen: ein paar Hütten mit Nylon- oder Palmdächern, die nur durch eine anstrengende Dschungelwanderung zu erreichen waren. Nach und nach errichteten die CONAP und die WCS neben der antiken Stätte Sak-Nikte’ eine richtige Anlage aus soliden Hütten. Um Parkschützern, Soldaten und Helfern den Zugang zur Brandschneise zu erleichtern, schufen sie einen schmalen Pfad für Pick-up-Trucks, trocopas genannt.

“Es ist, als würde Greenpeace mit den US-Marines zusammenarbeiten”, sagt einer der Parkschützer über die Zusammenarbeit zwischen der WCS und dem guatemaltekischen Militär. In einer Atmosphäre, die von Korruption und einer schwachen Regierung geprägt war, machte McNab die WCS zu einer treibenden Kraft im Kampf um die Rückeroberung des Nationalparks. Die WCS finanzierte die Lager entlang des Schilds, bezahlte die Einsätze, den Treibstoff und die Lebensmittel der CONAP und transportierte Soldaten und Parkschützer mit ihren Fahrzeugen an die Front. Die Stiftung schloss sogar Lebensversicherungen für CONAP-Mitglieder ab, die von Narco-Ranchern bedroht wurden. Darüber hinaus sorgte die WCS für dringend notwendige Stabilität und nachhaltiges Engagement, indem sie die fähigsten Leiter des Naturschutzparks rekrutierte, wenn deren Verträge ausliefen. Die CONAP-Leitung im Reservat erzählte mir, sie bitte seit 2010 gar nicht mehr das Hauptquartier in Guatemala um Ressourcen, sondern gehe einfach zur WCS.

Es ging fast alles schief, was schiefgehen konnte.

Während dieser Zeit rannte McNab unermüdlich hin und her, sprach mit den vielen recht störrischen Akteuren – Polizei, Justiz, Militär, Parkschützer, Dorfgemeinschaften – und baute Koalitionen für die Rückeroberung des Landes. “Roan hat großen politischen Einfluss”, sagt Macz. “Wenn er zu einer Versammlung kommt, macht er nicht nur Vorschläge, wie man weiteres Eindringen verhindern kann. Er kommt mit einem fertigen Plan, er hat Mittel organisiert und bereits mit allen gesprochen, die es zur Umsetzung braucht.” Wie es sich für einen Gringo in Guatemala geziemt, ist McNab so bescheiden, dass ihm seine Erfolge schon beinahe peinlich sind. Doch ehemalige leitende CONAP-Mitglieder sagen, dass es ohne McNab und seinen Schild keine Aras mehr gäbe und die Rancher heute immer tiefer in das verletzliche Innere des Urwalds vordringen würden.

Ramón Peralta, ein erfahrener Ur­waldführer, spricht mit McNab, während beide sich ein Gebiet ansehen, das illegale Viehzüchter brandgerodet haben

Im Februar 2016, kurz nach seiner Entdeckung des reparierten Zauns, treffe ich McNab in den WCS-Büros in Flores, einer Insel und Bezirkshauptstadt am Rande des Reservats. Bei fast 40 Grad setzt die Stromversorgung der Stadt regelmäßig aus, doch anders als seine Mitarbeiter verzichtet McNab auf eine Klimaanlage. Während ich mir den Schweiß aus dem Gesicht wische, starrt er auf eine Karte des Schilds. Dieser ist so erfolgreich, dass McNab und seine Mitarbeiter 2015 tatsächlich Land zurückgewonnen haben. Die illegalen Siedlergemeinschaften haben es in der Hoffnung auf einen existenzsichernden Deal freiwillig an den Park zurückgegeben.

Gleichzeitig ging 2015 fast alles schief, was schiefgehen konnte – weit über El Niño hinaus: Präsident Otto Pérez Molina war zurückgetreten und verhaftet worden, weil er über die Zollbehörden im großen Stil Gelder veruntreut hatte. Sein gewählter Nachfolger, der ehemalige Komiker Jimmy Morales, hatte keine politische Erfahrung und interessierte sich wenig für Naturschutz. Der größte Schlag war jedoch, als LightHawk, die Organisation freiwilliger Flughelfer, die bislang Eindringlinge und Brände aus der Luft aufgespürt hatte, ihr Programm in Mittelamerika einstellte. McNabs Operation war erblindet, gerade als die Invasoren ihre Motorsägen wieder anwarfen und Palmwedel für ihre Fackeln trockneten.

McNab zeigt auf einen Punkt auf der Linie, an dem eine Gruppe von etwa 30 finanzkräftigen Holzfällerfamilien mit den Parkschützern Katz und Maus spielt, in das zurückgewonnene Waldland vordringt und wieder verschwindet, ehe man sie fassen kann. Ersten Berichten zufolge haben sie bereits an die 6.000 Hektar Wald gerodet. “Sie überlisten die Armee, die WCS und die CONAP.” McNab schüttelt verwundert den Kopf. “Als kämpfe man gegen Geister.” Und dann ist da noch das eingezäunte Gebiet, das sie vorige Woche bei La Corona entdeckt haben. Ein weiterer, bislang unbekannter Rancher hat sich in einem Teil des Nationalparks niedergelassen. Es ist ein Zermürbungskrieg, doch McNab will den Eindringlingen endlich klarmachen, dass sie langfristig nicht damit davonkommen, öffentliches Land zu besetzen.

“Wir sind nicht hinter armen Bauern her”, sagt McNab. Er deutet auf die Zaunlinie, die er eingezeichnet hat, und erklärt, er wolle die “größten, bissigsten Krokodile” fangen – die Männer, auf deren Geheiß die Bauern im Park erscheinen.

McNabs Schätzungen zufolge sind allein der Zaun und die Pfähle in dem Gebiet, das die Späher entdeckt haben, Zehntausende Dollar wert, bezahlt von dem unbekannten Viehbaron, der damit das Land für sich beanspruchen will. Den Zaun zu zerstören, wäre eine unmissverständliche Botschaft. “Wir treffen ihren Geldbeutel”, sagt er. Sein Blick wird sehr ernst. Er legt den Bleistift auf seine gezeichnete Karte und schiebt ihn vorwärts, über die Weiden und Zaunlinien. “Und dann drängen wir sie zurück.”

Ein Hellroter Ara bei einer Mahlzeit in einem Baum

Am nächsten Morgen fahre ich mit Luis Romero von Flores aus nach Norden. Romero, ein gebürtiger Peténer mittleren Alters, hat in der guatemaltekischen Armee gedient, war dann Direktor des Nationalparks und ist nun für das Brandschutzprogramm der WCS verantwortlich. In einem riesigen Pick-up, beladen mit Benzin- und Wassertanks für die Männer am Zaun, fahren wir in den Urwald. Doch Romero selbst ist die wichtigste Verstärkung: Er soll für McNab da­rauf achten, dass der Zaun auch wirklich geräumt wird. Die Männer haben laut Romero oft Angst zu handeln. “Sie suchen nach Ausflüchten”, meint er. Dem soll er nun einen Riegel vorschieben.

Wie viele der Parkschützer wuchs auch Romero in den Wäldern rund um Flores auf – als es dort noch Wälder gab. Jetzt findet man hier überall die Spuren der Rinder. Wir nehmen die schmale Straße durch die geschützten Konzessionswälder bei La Pasadita, einer Kleinstadt an der vordersten Front im Kampf um den Wald. Bucklige Brahman-Rinder sehen uns aus ihren Pferchen am Wegrand hinterher. Nachdem Rancher das Land illegal gerodet hatten, wurde es zwar von der Regierung “wiederhergestellt”, doch die Eindringlinge setzen es in jeder neuen Saison wieder in Brand. Die Brandschneisen überbrücken sie oft mit herumliegenden Baumstämmen. Auf der Fahrt durch die illegalen Siedlungen zieht Romero den Hut tief ins Gesicht; er möchte nicht erkannt werden. Auf die Frage, ob wir anhalten und Fotos machen können, schüttelt er den Kopf. “Die Menschen hier sind schlecht”, sagt er.

Der Erfolg des Schilds hat unbeabsichtigte Folgen: Große Rancher umgehen ihn und dringen über die ungeschützte Südflanke in den Park ein. Dort stoßen sie auf kommunale Forstunternehmen wie das in Uaxactún. Ende der 2000er haben sie viele davon unter Androhung von Gewalt illegal aufgekauft und den Wald gerodet.

Als die CONAP-Leitung sich der ernsten Lage bewusst wurde, versuchte sie, die Rancher mithilfe der Regierung und der Rechtsabteilung der WCS aus dem Gebiet zu vertreiben. Die Erfolge waren mäßig. Im Herbst 2015 sollte eine Operation, an der mehr als 1.000 Polizeibeamte beteiligt waren, einen großen Rancher namens Maynor Palma vertreiben. Weit südlich von Palmas Ländereien, nahe der Stelle, an der ich Romero bat anzuhalten, stießen die Beamten auf Dorfbewohner, die ihnen mit brennenden Reifen den Weg versperrten. Die Polizisten, die im Einklang mit guatemaltekischem Gesetz unbewaffnet waren, begannen mit der Räumung der Straße. Doch es war ein Hinterhalt. Großkalibrige Munition riss durch ihre Reihen, mutmaßlich abgefeuert von den Söldnern eines mit Palma verbündeten Ranchers. Die Polizisten traten die Flucht an, verfolgt von Schüssen aus den Rinderfarmen, die ihren Weg säumten. Vierzehn Beamte wurden verletzt, ein Regierungsfahrzeug brannte aus.

Romero war an jenem Tag unter den Fliehenden. Der Widerstand der Dorfbewohner gegen diese Razzia verhieß nichts Gutes. “Damit hatten wir nicht gerechnet”, sagt er. “Die Dorfbewohner waren nicht unser Ziel.” Später erfuhren sie, dass Palma und sein Freund die Bauern davon überzeugt hatten, dass sie als Nächste dran wären, wenn Palma gehen müsse. Die Regierung reagierte mit Entschlossenheit auf diesen Angriff. Palmas Freund, der angebliche Drahtzieher, wurde an einer Polizeisperre verhaftet und ein verstörter Palma schaffte sein Vieh von dem besetzten Land. Niemand weiß, wohin. Nach sechs schmerzhaft holprigen Stunden auf schmalen Trocopases erreichen wir endlich den Stützpunkt in La Corona, eine Gruppe von Holzgebäuden an einem trüben Teich. Romero begrüßt Parkschützer, die gerade ins Camp zurückkehren, mit “Hey, socio!” und winkt einem drahtigen Mann in Tarnuniform, ” Sargento Mayor!” Der Offizier winkt zurück. Als Mitglied von Guatemalas gefürchteter Eliteeinheit, den Kaibiles, hat er sowohl im guatemaltekischen Bürgerkrieg als auch bei UN-Einsätzen im Kongo gegen Dschungelrebellen gekämpft. Seine Anwesenheit in La Corona war für McNab ein echter Coup. Als der örtliche Militärkommandant sich weigerte, ihm für die Jagd auf illegale Holzfäller Soldaten zur Verfügung zu stellen, reiste McNab nach Guatemala-Stadt und bewegte den Stabschef der Armee dazu, für sechs Monate Soldaten in La Corona zu stationieren. Ein unvorstellbarer Luxus für die Parkschützer, die sonst allein einer schwer bewaffneten Übermacht gegenüberstehen.

Soldaten inspizieren einen Stacheldrahtzaun

Am Tag nach unserer Ankunft klettere ich mit 15 anderen auf die Ladeflächen dreier Pick-up-Trucks. Romero erklärt den Ablauf und sieht dabei aus wie ein guatemaltekischer Rambo: volle Tarnmontur, Machete an der Hüfte, ein mit Uzis und AK-47 verziertes Bandana um den Kopf. Als wir den Schild kreuzen und durch die sonnengetrockneten Maisfelder laufen, wirbeln unsere Stiefel mit jedem Schritt Asche auf.

Am Rand des Zuckerrohrfeldes umstellen die Soldaten zwei Teenager-Mädchen in zerlumpten Kleidern. Es sind Kekchi-Maya aus den Bergen, Töchter der Waldroder. Ihre Familie verlässt sich wohl darauf, dass die Parkwächter ihnen nichts anhaben können und wollen. Sie starren auf den Boden. Eine hackt träge mit dem Rücken ihrer Machete auf einen gefällten Baum ein. Ein WCS-Ranger fragt nach ihren Eltern. Keine Antwort. Wem gehört das Land? “Meiner mamá“, sagt das Mädchen. Hack, hack, hack. “Die Armee kommt”, sagt der Ranger. “Das ist staatlich geschütztes Land. Wir errichten hier einen Stützpunkt. Stellt euch vor, wie viel Schaden ihr hier angerichtet habt. Wisst ihr, wie lange es dauert, bis nur ein Baum von dieser Größe wieder nachwächst? Das dauert 20 Jahre.” Die Mädchen schweigen. “Ihr müsst gehen”, sagt er. “Eure Tiere sind da drüben. Die Männer sind schon weg. Geht jetzt, bitte. Ihr dürft nicht zurückkommen.”

Die Mädchen satteln ihre Pferde und wir folgen ihnen Richtung Westen bis zum Zaun, der die Ebene durchzieht. Die Männer nutzen jedes noch so kleine Fleckchen Schatten, während sie ihre Kettensägen schärfen. Niemand hat eine Drahtzange dabei, also zerhacken sie den Stacheldraht mit ihren Macheten. “Was macht ihr mit dem Draht?”, frage ich. Der Offizier sieht auf: “Wir lassen ihn hier. Sie sollen nicht sagen können, wir seien Diebe.”

Ein Mann holte einen Benzinkanister hervor, doch nach einer Diskussion entschieden die Dorfbewohner, sie doch nicht lebendig zu verbrennen.

Ronnie hackt als Erster zu. Der stämmige Parkschützer erzählt, wie er und zwei Kameraden in der Anfangszeit des Schilds von 20 Invasoren zu Pferd gekidnappt wurden, als sie gerade eine Brandschneise schlugen. Die Invasoren banden sie “wie Bullen” fest und führten sie nach La Florida, einer illegalen Siedlung auf gerodetem Land, wo sich bereits ein Mob versammelt hatte. Ein Mann holte einen Benzinkanister hervor, doch nach einer Diskussion entschieden die Dorfbewohner, sie doch nicht lebendig zu verbrennen. Stattdessen jagte der Mob sie mit vorgehaltenen Pistolen, bis sie zusammenbrachen. Danach mussten sie eine Einverständniserklärung für die Landübernahme unterzeichnen. Diesmal hat Ronnie Gewehre im Rücken. Er sieht mit grimmiger Genugtuung zu, als ein Pfahl nach dem anderen fällt.

In der Stille der Mittagshitze ertönt ein Ruf: Reiter in der Ferne. Die Motorsägen verstummen, die Männer werden blass. “Ich glaube, sie wollen uns einkesseln”, mutmaßt der Kaibil-Offizier. Er hockt sich wie ein Vogel auf den Zaun und hält sich am Lauf eines Galil-Sturmgewehrs fest, das ihm ein Kollege entgegenstreckt. Doch die Reiter hinter uns sind nicht mehr zu sehen. Als den Motorsägen das Benzin ausgeht, machen wir uns auf den Rückweg zum Schild. Wir kommen an der Farm der Zaunbauer vorbei, machen in ihrer Hütte Rast und füllen unsere Rucksäcke mit ihren Vorräten.

McNab hat Machete und Fernglas auf einem Baustamm abgelegt, während er am Río San Pedro auf ein Boot wartet

Die Beseitigung des Zauns dauert drei Tage. An einem Morgen entschuldige ich mich, um mir mit Peralta die Ruinen von Sak-Nikte’ anzusehen. Die Pyramiden sind heute Hügel und die Plätze offene Parks, in denen Brüllaffen in den Baumkronen lärmen und nach Futter suchen. Zwischen den Ruinen stehen überall Akazien, aus denen uns Hellrote Aras beobachten.

Bei ihrem Anblick wirkt Peralta fast ehrfürchtig. Die Männer verspüren eine große Zuneigung zu den Aras. Sie benennen die Nester nach ihren Frauen, Töchtern, Freundinnen. In einem Nest, das nach McNabs Tochter Raquel heißt, reibt ein Vogel seinen Schnabel am gespreizten Flügel des anderen. Die Vögel kuscheln eher, als dass sie sich paaren. “Das hier beschützen wir”, so Peralta. “Ohne uns würden sie diese Bäume fällen und die Aras würden fliehen oder sterben.”

Als wir nach Flores zurückkommen, wartet McNab auf die Reaktion der Invasoren. Das Absägen der Zaunpfähle war ein Schlag in ihr Gesicht. Was werden sie tun? Er zuckt mit den Schultern. “Damit darf man sich nicht aufhalten”, sagt er. “Diese Angst kann einen schnell lähmen.” Die Reaktion kommt eine Woche nach der Operation: Bewaffnete Männer umzingeln ein paar Parkschützer, die Brandschneisen schneiden, halten sie eine Weile fest und zwingen sie, einen Brief zu unterzeichnen, der den Anspruch der Invasoren auf das Land stützen soll. Obwohl die Parkschützer unverletzt sind, unterstreicht der Vorfall einmal mehr die Gefahren, die ihre Aufgabe mit sich bringt.

Gleichzeitig gibt es ermutigende Entwicklungen. Eine ältere Maya kommt eine Woche nach dem Einsatz ins WCS-Büro in Flores und stellt sich als Oberhaupt der Invasoren-Siedlung La Florida vor. Sie lebe seit 17 Jahren mit ihren Töchtern dort und sei nun an einem Deal interessiert. “Wir können sonst nirgends hin.”

McNab empfängt sie höflich. Auch er will einen Deal. Es gibt bereits 33 Siedlungen in Laguna del Tigre, die meisten davon illegal. “Wir werden all diese Leute nicht aus dem Reservat vertreiben können”, meint er. “Wie finden wir also eine Win-Win-Lösung?” Nehmen wir mal die Bauernfamilie, die den Zaun gebaut hat. Das ist ein ziemlich trostloses Leben. Wären sie nicht besser dran, wenn sie ihre Landwirtschaft sicher betreiben könnten, mit Landrechten? Meinst du, diese Kinder gehen zur Schule?”

Rinder auf der Weide einer ­illegalen Ranch

McNab ist der Meinung, dass man gegen das organisierte Verbrechen vorgehen und gleichzeitig zu einer friedlichen Einigung mit den Bauern kommen muss, die sich bereit­ erklären, im Gegenzug für eine gesicherte Existenz Umweltschutzbestimmungen einzuhalten – wie in Uaxactún. Auch an dieser Front tut sich etwas. Im März 2016 wurden mehrere Mitglieder der mächtigen Verbrecherfamilie Mendoza angeklagt, weil sie Bauern am Rand des Reservats Land weggenommen hatten. Die WCS und ihre Partner wollen die Demokratie vor Ort stärken, indem sie etwa Busfahrkarten spenden, damit Dorfbewohner in Flores Politiker an die Wassergewinnungsanlage oder sonstige Wahlversprechen erinnern können. “Sie sollen sich nicht alleingelassen fühlen”, sagt McNab. “Sie sollen merken, dass sie mitentscheiden können.”

Es gibt noch eine letzte gute Nachricht: McNab hat ein Flugzeug aufgetrieben. Er hat einen Piloten überredet, auf dem Rückweg von einem medizinischen Einsatz in Kuba mit seinem Viersitzer einen Umweg über Guatemala zu fliegen. Am 9. April 2016 starten der Pilot, McNab und ich auf eine Erkundungstour über das Reservat. Wir tanken in einem Armeehangar voll konfiszierter DC-3 und Cessnas auf und gleiten über Flores und die Ebene von Laguna del Tigre hinweg. Unser Flug ins Reservat führt vorbei an Kalksteinfelsen, die den dichten Urwald zerschneiden wie die Bugschnauzen riesiger Schiffe.

Der Flug ist einer von McNabs Lieblingstricks, weil er auch dem letzten Skeptiker das ganze Ausmaß des Schadens zeigt. Vor Jahren hat er so einen Bischof überzeugt, der glaubte, der Wald biete lediglich bedürftigen Bauern ein Zuhause. Und der Schaden ist in der Tat immens: Laguna del Tigre ist mittlerweile besiedeltes Land, illegale Dörfer haben seine Seen und Flüsse braun gefärbt. Wir sehen gerodete Flächen, auf denen gefällte Bäume wie Streichhölzer übereinander liegen, und riesige Rinderfarmen. Und überall unter uns brennt es. “Es ist grauenvoll, wenn sie das machen”, sagt McNab und zeigt dabei auf einen erodierten Hügel. “Es dauert 200 Jahre, bis das sich erholt. Der Boden erodiert bis auf die Kalksteinschicht.” Er deutet auf die gefällten Bäume unter uns. “Mann, die werden das alles hier verbrennen. Flieg mal eine Schleife, so eng du kannst.” Da sind die Bauern, die er verfolgt. “Dort legen wir unsere Falle aus.”

Wir ziehen Kreise über dem verbliebenen Wald, die Ebene unter uns ein Teppich aus sattem Grün und brennenden Feldern. Gäbe man dem Wald nur ein paar Sommer ohne Brände, wäre er sicher schnell wieder auf dem Vormarsch und würde das Weideland ebenso überwuchern wie damals die Maya-Städte. Wir fliegen über die himmelhohen Tempel der Metropole El Mirador, die bis in die obersten Stockwerke von Bäumen überwuchert sind. McNab zeigt nach unten. “Seht euch das an”, sagt er. “Das New York Amerikas zur Zeit Christi.” Wo einst zwei Millionen Menschen lebten, hat sich in einem geologischen Augenblick wieder Wald ausgebreitet. “Das zeigt nur, wie widerstandsfähig die Natur ist”, so McNab. “Lasst den Wald in Ruhe und er erholt sich.” Wir drehen eine Runde über dem höchsten Tempel. Das Land unter uns ist unberührt, Dammstraßen und Reservoirs zeichnen sich unter dem dichten Grün als kaum sichtbare Umrisse ab. “OK, zurück ins Land der Feuer”, sagt McNab. Dann fliegen wir wieder nach Westen, auf die untergehende Sonne und die Rauchsäulen zu.

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