Der Mann auf dem Foto ist Luke Roberts. Er steht unter einer Skulptur, die er für die australische Stadt Brisbane erschaffen hat. Die UFO-Form solle die Migranten der Stadt widerspiegeln, erklärt der Künstler. Und gibt dann zu, dass seine Skulptur auch deswegen wie ein UFO aussehe, weil er daran glaube, dass Außerirdische die Menschheit erschaffen hätten.
Ich bin extra nach Brisbane gereist, um Roberts zu treffen und mehr über seinen Glauben zu erfahren. Der Künstler, Jahrgang 1952, ist der wohl bekannteste australische Vertreter der ufogläubigen Rael-Bewegung. Seit beinahe zwei Jahrzehnten ist er schon dabei, wobei die kommenden zwei, wenn es nach ihm und seiner Glaubensgemeinschaft geht, die spannenderen werden dürften. Das liegt daran, dass wir Erdenbewohner ihnen zufolge bis 2035 Zeit haben, eine Botschaft für unsere außerirdischen Vorfahren zu bauen. Sonst … Ja, sonst war’s das und wir sterben aus.
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Dazu aber später mehr. Erstmal sollten wir klären, was die Rael-Bewegung eigentlich ist.
1974 veröffentlichte der französische Sportjournalist und Rennfahrer Claude Vorilhon ein Buch über seine Begegnung mit einem Außerirdischen. In Das Buch, das die Wahrheit sagt behauptet Claude, dass er eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit sah, wie ein großgewachsener, asiatisch aussehender Humanoid aus einem UFO stieg. Das Wesen soll zu Vorilhon gesagt haben, dass es Teil einer uralten Rasse sei, den Elohim, die die Menschheit mithilfe einer DNA-Synthese erschaffen habe. Nach der Schöpfung sollen uns diese aus weiter Ferne über Jahrtausende hinweg beobachtet und zwischendurch Besucher vorbeigeschickt haben, die als Engel oder Propheten missinterpretiert worden seien. Vorilhon bezeichnet sich selbst als Bruder von Jesus. Und 2035 wollen die Elohim wohl zurückkehren – allerdings nur, wenn auf der Erde Frieden herrscht.
Auf Geheiß der Außerirdischen nahm Vorilhon den Namen Rael an, was etwa so viel wie “Botschafter der Elohim” bedeuten soll – und ein Botschafter wurde er dann auch.
Mithilfe diverser Bücher und Fernsehauftritte begann Rael Liebe, Frieden und Gleichheit zu predigen und seine Anhängerzahl zu vergrößern. Mehrere zehntausend Anhänger soll die Glaubensgemeinschaft in den frühen 1990ern gehabt haben. Schließlich reisten die französischen Brüder Jarel und Alcy Aymonier – Söhne von Vorilhons erstem Verleger – nach Australien, um dort einen Ableger der Rael-Gemeinschaft zu gründen. Durch einen ihrer Vorträge war dann auch Luke Roberts auf die Gruppe aufmerksam geworden. 2001 schloss er sich der Gemeinschaft an.
“Es war eine Philosophie, die für mich einfach Sinn ergeben hat”, sagt er. “Eine Auffassung totaler Gleichheit, wissenschaftlich untermauert.”
Um Brisbanes Mittagshitze zu entfliehen, gehen Roberts und ich in ein Café. Im Schatten in einem Innenhof trinken wir Saft und schwitzen. Er spricht mit weicher Stimme. Immer wieder macht er Pausen, um die richtigen Worte zu finden. Mein Blick fällt auf das Symbol an seiner Halskette, eine krude Kombination aus Davidstern und Swastika. Roberts sagt sofort, dass das Swastika schon lange vor den Nazis dagewesen sei. Es sei “eigentlich ein altes Symbol für Liebe, Frieden und Unendlichkeit”, erklärt er, weswegen sich die Rael-Bewegung für diese Davidstern-Hakenkreuz-Kombination entschieden habe.
Er steckt die Kette unter sein Hemd und wir reden weiter.
Roberts erzählt von seiner katholischen Kindheit in dem abgelegenen Dorf Alpha in Queensland. Schon in jungen Jahren habe er gewusst, dass er schwul sei. “Ich wurde mit der Vorstellung erzogen, dass Homosexualität eine Art Krankheit ist, die von diesem Planeten gelöscht werden muss”, berichtet er. “Was Religion anging, war für mich deswegen klar, dass ich mir nicht weiter irgendeinen Nonsens über Homosexualität anhören würde.”
Dann entdeckte er die Rael-Bewegung, die überhaupt kein Problem mit seiner Sexualität hatte. Wirklich verwunderlich ist das nicht: Immerhin glauben die Anhänger, dass die Menschheit von geschlechtslosen Humanoiden erschaffen wurde, die sich nicht darum scheren, wer mit wem vögelt.
“Es ist die einzige Religion, bei der es weibliche, schwule und Transgender-Priester gibt. Es ist die toleranteste Religion, die du je finden wirst”, sagt Roberts.
Etwa 250 getaufte Raelianer gebe es momentan in Australien. Da die meisten Aktivitäten im Internet oder im Ausland stattfinden, sei es aber schwer, einen genauen Überblick zu behalten, so Roberts. Dennoch ist die Rael-Bewegung die wohl größte UFO-Religion mit Weltweit zwischen knapp 20.000 und 90.000 Mitgliedern – je nach Schätzung.
“In den frühen 2000ern hatten wir mehr Anhänger in Australien”, sagt Roberts. “Derzeit dürften wir etwa 50 bis 100 aktive Mitglieder haben.”
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Die Bewegung hat vor allem zwei Ziele. Zum einen wollen sie den Weltfrieden herbeiführen, zum anderen versuchen sie, eine Botschaft für den hohen Besuch aus dem Weltall zu bauen – beides bis zum entscheidenden Jahr 2035. Denn ohne Weltfrieden oder eine Botschaft würden unsere Vorfahren nicht zurückkehren, davon sind sie überzeugt.
In ihren Bemühungen um den Weltfrieden haben sich Raelianer 2017 schwer dafür eingesetzt, dass möglichst viele Regierungen den Atomwaffenverbotsvertrag unterschreiben. Der mittlerweile in Japan lebende Gründer und Anführer der Rael-Bewegung, Maitreya Rael, hat mehrere Texte darüber verfasst, dass Atomwaffen die größte Gefahr für die Menschheit darstellen und uns letzten Endes davon abhalten, unsere Schöpfer kennenzulernen.
Außerdem haben sie eine wohltätige Initiative gestartet, dieses Mal in Afrika. Die Rael-Bewegung leitet einen Klinik in Burkina Faso mit dem Namen Clitoraid, die Frauen mit Genitalverstümmelungen hilft. “Die weibliche Beschneidung dient der Unterdrückung der Frauen”, erklärt Roberts, “und Clitoraid ist da, um diese Operationen rückgängig zu machen und Frauen zu ermächtigen.”
Das mit Abstand ambitionierteste Projekt der Rael-Bewegung nach dem Weltfrieden und der Aufhebung der Geschlechterungleichheit ist allerdings der Bau einer UFO-Botschaft in Jerusalem. Die Raelianer glauben, dass die Menschheit damit ihren extraterrestrischen Schöpfern signalisieren kann, dass sie für ein Treffen bereit ist. Bislang hat es sich aber als ziemlich kompliziert erwiesen, vier Quadratkilometer israelisches Land in bester Lage zu bekommen.
Sie hätten bereits mehrfach versucht, Land von der israelischen Regierung zu bekommen, erzählt Roberts – bisher ohne Erfolg. Ein möglicher Grund dafür könnte das kontroverse Symbol mit der Davidstern-Hakenkreuz-Kombo sein, das geradezu prädestiniert dazu ist, so ziemlich alle Israelis anzupissen. Genau aus diesem Grund verwenden die Raelianer in Israel eine andere, abgeschwächte Variante. Roberts trägt diese als Ring an seinem Finger. Abgesehen davon verkündete Maitreya Rael bereits 2015, dass Jerusalem vielleicht gar nicht der richtige Ort für die Botschaft sei.
“Idealerweise hätte sie in Jerusalem gebaut werden sollen”, so Roberts, “aber jetzt sieht es so aus, als sei das der letzte Ort, an dem die Elohim die Botschaft haben wollen – vor allem wegen Israels Verhalten gegenüber Palästina.”
Also wurde die Suche auf so ziemlich jedes Land ausgeweitet, das bereit wäre, ein entsprechendes Grundstück zur Verfügung zu stellen. Eine Zeit lang habe sich auch Russland in der engeren Auswahl befunden, aber anscheinend bevorzugen die Elohim wärmere Länder – “idealerweise” zumindest, wie Roberts ergänzt.
Jetzt will ich aber wissen, was passiert, falls die Botschaft am Ende nicht errichtet wird. Unerwartet teilnahmslos antwortet Roberts: “Wahrscheinlich wird dann niemand mehr auf der Erde sein, um sich einen Kopf darüber zu machen. Wir befinden uns an der Schwelle zur nuklearen Katastrophe. Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag wartet seit September 2017 auf eine Ratifizierung, und Australien und ein Haufen anderer Länder ignorieren ihn einfach.”
Die Sorgen der Raelianer scheinen dem Zeitgeist zu entsprechen. Auch mich bringen derartige Gedanken regelmäßig um meinen Schlaf, aber ich bin natürlich viel zu cool für Religion oder UFOs, also mache ich einfach nichts. Und aus diesem Grund bewundere ich den Typen auch ein bisschen. Er macht Kunst. Er hat ein Glaubenssystem. Und er schafft es, diese beiden Welten auf eine Weise miteinander zu kombinieren, die ihn glücklich macht. Gleichzeitig hilft er auch noch anderen, so gut er kann.
Wir beenden unseren gemeinsamen Nachmittag an seiner neusten Skulptur, einer gigantischen Stahl-Blume gespickt mit LED-Blättern, die nachts rot leuchten. Wie er mir erzählt, ist es ein Weihnachtsstern: Brisbanes Wappenblume. Dann verbringt er ein paar Minuten damit, den Sockel abzustauben. “Wofür steht sie?”, frage ich ihn.
“Sie soll Optimismus verbreiten”, antwortet er. “Das – und einen Sinn für das Transzendentale schaffen.”
Als die Sonne langsam untergeht, gehen die LED-Lichter an und genau wie seine andere Skulptur sieht das ganze Ding ziemlich … abgespaced aus. Abgespaced und transzendent, mitten im Herzen Brisbanes.