Der Betriebssportler, der den Weg für Kagawa und Co. ebnete

Für die unter 30-Jährigen—also der Großteil unserer Leserschaft—gilt Japan als international etablierte Nationalmannschaft. Auch wenn in naher Zukunft nicht damit zu rechnen ist, dass sie Weltmeister werden, konnten sie sich doch für die letzten fünf Endturniere qualifizieren und haben in ihren Reihen regelmäßig Spieler, die in den großen europäischen Ligen für Furore sorgen oder kurz vor dem internationalen Durchbruch stehen.

Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass es um den japanischen Fußball gar nicht mal so gut stand. Bis 1993 gab es in Japan keine richtigen Profistrukturen. Mittlerweile hat sich die J-League aber einen Namen gemacht und bringt viele Talente hervor. Doch wie im Fall seiner heimischen Liga muss man auch bei der japanischen Nationalmannschaft gar nicht nicht weit zurückblicken, um auf weniger erfolgreiche Zeiten zu stoßen. Vor 1970 hatte der Inselstaat nur sporadische Versuche unternommen, sich für eine WM zu qualifizieren, doch auch, als man „ernst machte”, sollte es noch 28 Jahre dauern, bis man zum allerersten Mal den Sprung zu einem Endturnier schaffte. Das war bei der WM 1998 in Frankreich. Auch bei der Asienmeisterschaft erreichte man erst im Jahr 1992 zum ersten Mal ein Endspiel, hat seitdem aber vier der letzten sieben Ausgaben gewinnen können.

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Heute findet man japanische Fußballprofis in ganz Europa. Was die Wenigsten wissen: Der erste „Exportspieler” Japans landete in der Bundesliga und gab vor fast genau 38 Jahren, und zwar am 22. Oktober 1977, sein Debüt für den 1. FC Köln. Die Rede ist von Yasuhiko Okudera.

Yasuhiko Okudera, ein wahrhaftiger Pionier

Als Yasuhiko Okudera aufwuchs, war in Japan an Profifußball noch nicht zu denken. Trotzdem schaffte er es dank seines großen individuellen Talents ans andere Ende der Welt. Nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, ging er zur Elektrofirma Furukawa Electric Company und spielte für deren Betriebsmannschaft auf besserem Amateurniveau in der Japan Soccer League. Schon kurze Zeit später durfte er auch das Trikot der Nationalmannschaft überstreifen, wenn auch mit bescheidenem Erfolg.

Als seine Betriebsmannschaft 1977 auf Deutschlandtour ging, sollte sich Okuderas Leben für immer ändern. Scouts des 1. FC Köln wurden auf ihn aufmerksam und boten ihm einen Profivertrag an. Okudera war in Deutschland angekommen. Ein Land, dessen Nationalmannschaft amtierender Weltmeister war. Zu einer Zeit, als noch sehr wenige Fußballer im Ausland aktiv waren. Und jetzt spielte mit Okudera plötzlich ein Quasi-Amateur aus Fernost in einer Liga mit Weltmeistern. Anfangs wurde er—und der FC für Okuderas Verpflichtung—sehr belächelt. Doch unter Trainer Hennes Weisweiler setzte sich Okudera schnell durch und avancierte zum Stammspieler. Im ersten Jahr gelang ihm außerdem im Auswärtsspiel beim FC St. Pauli mit einem spektakulären Flugkopfball ein „Tor des Monats“.

„Ich war mir nicht wirklich sicher, ob ich auf diesem Level mitspielen können würde”, gestand Okudera 2009 in einem Interview mit FIFA.com. „Die erste Saison war ziemlich hart, gar nicht mal unbedingt wegen der Spielweise in der Bundesliga, sondern weil ich eine Weile gebraucht habe, um mich an die deutsche Lebensart anzupassen. Aber ab meiner zweiten Saison fühlte ich mich schon viel heimischer.”

Auch wenn er sich selbst noch nicht richtig in Deutschland angekommen sah, hatte er mit seinen Toren in den letzten beiden Saisonspielen entscheidenden Anteil am Kölner Gewinn der deutschen Meisterschaft 1978. Im selben Jahr gewann der Effzeh auch den DFB-Pokal. Kein schlechter Start für das erste Jahr Abenteuer Bundesliga.

In der darauffolgenden Saison erreichte er mit Köln auch das Halbfinale im Europapokal der Landesmeister. Dort gelang ihm im Hinspiel bei Nottingham Forest der späte Ausgleich zum 3:3. Doch da das Rückspiel zu Hause mit 0:1 verloren ging, schied man am Ende—übrigens gegen den späteren Titelträger—dennoch aus.

1980 wechselte er dann zu Hertha BSC in die zweite Liga. Doch das Gastspiel in Berlin sollte nur eine Saison dauern. Anschließend holte ihn Otto Rehhagel zu Werder Bremen und damit zurück ins Fußballoberhaus, wo er aus eigener Sicht seine Blütezeit erlebte.

„Am Beständigsten habe ich bei Werder gespielt”, sagte er mal in einem Interview. „Da hatte ich auch keine Probleme mehr mit der Sprache und der Kultur.”

In Bremen konnte er zwar rein titeltechnisch nicht mehr an seine Erfolge als FC-Profi anknüpfen (nach fünf Jahren standen drei Vizemeisterschaften zu Buche). Trotzdem hat er auch dort bewiesen, dass ein Japaner in einer der besten Ligen der Welt bei zwei ihrer Topteams nicht nur bestehen, sondern als wichtiger Stammspieler fungieren kann. Und das über einen Zeitraum von fast zehn Jahren. Außerdem hatte er das Vorurteil ad absurdum geführt, dass Japaner aufgrund der kulturellen Unterschiede nicht für den rauen Bundesligaalltag geschaffen seien.

Nach neun Jahren in Deutschland und insgesamt 259 Spielen und 34 Toren (davon 234 Spiele und 26 Tore in der Bundesliga) kehrte Okudera 1986 nach Japan zurück und schloss sich wieder seinem alten Team Furukawa Electric (die mittlerweile JEF United heißen) an. Ein Meistertitel und der Gewinn der asiatischen Klubmeisterschaft folgten, bevor er 1988 die Fußballschuhe an den Nagel hing.

Auch noch vier Jahrzehnte später ist der Einfluss Okuderas auf den japanischen Fußball überdeutlich. So standen sieben Spieler des letzten WM-Kaders bei deutschen Mannschaften unter Vertrag. Er hat für Spieler wie Makoto Hasebe (Eintracht Frankfurt), Shinji Kagawa (Borussia Dortmund) oder Shinji Okazaki (früher VfB Stuttgart und 1. FSV Mainz 05) den Weg geebnet. Wobei man nicht vergessen darf, dass für die heutige Exportspieler-Generation der Wechsel nach Deutschland mit deutlich weniger Startproblemen verbunden ist. Denn aufgrund der technologischen Entwicklungen haben es ausländische Spieler weitaus leichter, mit dem „alten” Leben in Kontakt zu bleiben. So kann man mittlerweile von überall auf der Welt japanisches Fernsehen streamen, japanische Zeitungen online lesen oder mit seiner Familie via Videotelefonie stundenlang kommunizieren.

All das war für Okudera nicht möglich. Er wanderte in ein weit entferntes Land aus, deren Kultur und Sprache ihm völlig fremd waren. Er musste sich ohne Freunde und Familie an seiner Seite in einem neuen und hart umkämpften Umfeld durchsetzen. Dass ihm das überaus erfolgreich gelang, ist eine beachtliche Leistung. Die jüngsten Erfolge des japanischen Fußballs haben auch und vor allem viel mit dem Namen Yasuhiko Okudera zu tun.