Wie ein Jugendtraum die einzige Mikronation bei Airbnb hervorbrachte

Wenn man auf der M5-Autobahn aus Sydney rausfährt, an den Windrädern in Mercedes-Benz-Stern-Optik vorbei braust und Kleinstädte passiert, wo die Einwohnerzahl auf verblassenden, grünen Schildern immer wieder neu aufgemalt wird, erreicht man irgendwann einen Bungalow, auf dessen Dach eine dreifarbige Fahne weht.

Willkommen in Atlantium, dem kleinsten Land innerhalb Australiens und der einzigen Mikronation, die auch auf Airbnb vertreten ist.

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„Atlantium ist keine Mikronation”, korrigiert mich Georgivs II, der Kaiser der Nation, direkt nach unserer Ankunft.

„Dabei handelt es sich um eine nichtterritoriale weltlich-hoheitliche Instanz”, fährt er fort und bietet mir und meiner Freundin anschließend eine Tasse Tee vom einzigen Gasofen im ganzen Land an.

Alle Fotos: Lauren Stopps

Art-Deco-Kunst ziert die Wände des Bungalows und eine bunte Mischung aus Reise-, Science-Fiction- und Heimatkunde-Lektüre ist in den Bücherregalen zu finden. Eigentlich mutet das Innere des Gästehauses (der Kaiser wohnt nebenan in einer Wellblechhütte) wie eine ganz normale Airbnb-Unterkunft an.

Und dennoch hat die Umgebung auch gewisse Eigenheiten. So gleicht das Klima Atlantiums doch eher einem Faustschlag ins Gesicht und man hat in Bezug auf die Temperaturen das Gefühl, sich in einem Industrieofen zu befinden. Und auch die Stille ist bemerkenswert: Die einzigen Geräusche, die man hier zu hören bekommt, stammen von zirpenden Heuschrecken sowie verschiedenen Vögeln der Gegend—darunter Pennantsittiche, Kakadus und Eulen.

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Vom Bungalow aus hat man einen herrlichen Ausblick über das Lachlan River Valley und der nächstgelegene Ort ist Reids Flat im australischen Bundesstaat New South Wales. Die Toilette befindet sich neben dem Büro des Kaisers. Dort geht es allerdings ziemlich natürlich zu und anstatt einer normalen Spülung gibt es einfach eine Handvoll Sägespäne zum Hinterherwerfen.

Eine Schafherde weidet im Schatten eines angrenzenden Wäldchens. Etwas weiter in der Ferne ruht sich eine Gruppe Kängurus in der Nähe des Flusses aus. Die Wespen hier klingen zwar wie Helikopter, aber so wird man zumindest direkt in Alarmbereitschaft versetzt.

Andere bemerkenswerte Eigenheiten von Atlantium sind die verschiedenen kulturell bedeutsamen Skulpturen. Beispiele hierfür wären die große Holzpyramide (in Australien in dieser Form einzigartig) oder die Säule inklusive Adlerstatue und goldener Kugel.

Mit frisch zubereitetem Tee in der Hand lässt Kaiser Georgivs II—außerhalb der Grenzen von Atlantium auch unter dem Namen George Francis Cruickshank bekannt—das Windspiel erklingen und entführt uns anschließend gedanklich in den Garten seiner Mutter, wo er im Jahr 1981 zusammen mit seinen Cousins Geoff und Claire den Mikrostaat ausrief.

„Damals befand sich der Kalte Krieg in seinen letzten Zügen und wir lebten in einer extrem streitsüchtigen Welt. Da kam uns die Idee, unser eigenes Land zu gründen. Ich schrieb die Konstitution und wir entwarfen zusammen die Briefmarken, die Flaggen und so weiter. Zum Großteil war das Ganze eher eine intellektuelle Aufgabe, denn unser Staat bestand damals nur aus einer schwarz-weiß gepunkteten Linie in einer Ecke des Gartens meiner Mutter. Ich glaube, dass diese schwarz-weiß gepunktete Linie dort immer noch zu sehen ist.”

Damals war Atlantium nur ein Sinnbild der Ideale des jungen Kaisers. Ein wirkliches Hoheitsgebiet dazu gab es nämlich nicht, sondern nur Werte und die oben erwähnten Utensilien. Genau diese Utensilien haben jedoch auf gewisse Art und Weise dazu beigetragen, dass sich Atlantium als die Nation etablieren konnte, die es heute ist. Die von George und seinen Cousins angefertigten Briefmarken zogen nämlich die Aufmerksamkeit von Briefmarkensammlern auf sich, was wiederum andere Mikronationen aufhorchen ließ. Was einst als Hirngespinst mehrerer Teenager anfing, fand plötzlich immer mehr Anerkennung.

Als George dann jedoch für sein Studium aus Sydney wegzog, verloren seine Cousins bald das Interesse an Atlantium. Bei George war das jedoch nie der Fall: Er nennt die Mikronation seine Obsession und den roten Faden, der sich durch sein ganzes Leben zieht. So kam es, dass Atlantium zusammen mit George reifte, oder wie er es selbst ausdrückt: „Wir haben uns gleichzeitig weiterentwickelt. Atlantium war einfach eine Möglichkeit, meine doch sehr progressiven politischen Ansichten zum Ausdruck zu bringen—und das in einer Zeit, in der Progressivismus von allen Seiten kritisiert wurde.”

Es gab bloß ein Problem: Man kann seine progressiven Ideen nur schwer ernsthaft rüberbringen, wenn das eigene Land zur Hälfte aus einem Schlafzimmer besteht. Als sich einer von Georges Freunden dann 1999 ein Grundstück in der Nähe von Reids Flat zulegte, sah der junge Kaiser seine Chance, seine Nation endlich zu terraformieren. 2008 wurde er schließlich zum Mitbesitzer des besagten Grundstücks und das Atlantium, das wir heute kennen, war geboren.

Nach und nach wurde dann die Pyramide erbaut und die Säule aufgestellt. Falls diese beiden Zeremonialstätten und der Titel des Kaisers der Mikronation in irgendeiner Weise einen Hauch von Prunk und Pracht verleihen sollten, dann widerspricht George dem Ganzen schnell. Bei der Monarchie, die er für sich selbst erschaffen hat, geht es nämlich mehr um eine Botschaft als um Protzerei.

„Hier bildet der australische Humor die Grundlage”, erklärt uns George. „Wenn man in diesem Land eine ernsthafte Botschaft übermitteln will und das mit einem Lächeln im Gesicht tut, dann nehmen einen die Leute mit Macht bzw. die Leute, mit denen man interagiert, nicht wirklich ernst.”

Georges Herangehensweise scheint zu fruchten, denn der Kaiser erzählt stolz davon, wie er in seiner Rolle als Staatsoberhaupt in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehshow auftreten durfte. Diese Gelegenheit nahm er natürlich wahr und er nutzte die große Bühne, um Themen wie Abtreibung oder Sterbehilfe anzusprechen.

Wenn man sich im Kaiserreich umsieht, springt einem die Ironie förmlich ins Auge—egal ob nun in Form der Postkarten, der von einer Sphinx bewachten Pyramide oder der Briefmarken, auf denen Georgivs II im Sowjet-Stil abgebildet ist und so wohl auch gut in ein altes Geschichtsbuch gepasst hätte.

Briefmarken waren auch das Streitthema bei Atlantiums erstem und bisher einzigem Konflikt.

Aufgrund der Aufmerksamkeit, die ihm durch die ursprünglichen Atlantium-Briefmarken zuteil wurde, entschied sich George dazu, das Gleiche auf für andere Mikronationen zu machen. So entwarf er zum Beispiel anlässlich des 15. Jahrestags des Fürstentums Hutt River—Australiens älteste Mikronation—Jubiläumsbriefmarken. Damals war ihm noch nicht klar, dass das auch als Kriegshandlung aufgefasst wurde.

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Der Brite Alex Brackstone kam in den 50er Jahren nach Australien. Am Anfang arbeitete er noch als Zirkusaffen-Dompteur und Uransucher, aber dann kaufte er sich ein Grundstück im Süden Australiens und rief seine eigene Mikronation aus. Damit wollte er sicherstellen, dass zumindest ein kleiner Teil des Kontinents für immer britisch bleibt. Seine Hingabe zu seinem Heimatland war so groß, dass er in seiner Provinz Bumbunga sogar ein riesiges Erdbeerfeld in Form der britischen Inseln anlegte. Und auch er sollte später die Geschehnisse um die Jubiläumsbriefmarken für das Fürstentum Hutt River verfolgen.

„Brackstone schrieb uns einen Brief, in dem im Grunde stand, dass er uns vor Gericht zerren würde, wenn wir das Gleiche für seine Mikronation machen. Ich schrieb zurück, dass er mich am Arsch lecken könne”, erzählt uns George. „Unsere Korrespondenz eskalierte dann immer weiter und wir haben der Provinz Bumbunga letztendlich tatsächlich den Krieg erklärt. Danach haben wir jedoch auf jegliche Form von Staatsgewalt verzichtet. Wir haben hier keine Armee und auch keine militärische Bedeutung. Mit unseren australischen Nachbarn pflegen wir eine friedliche Beziehung.”

Später wirft sich der Kaiser noch richtig in Schale—inklusive Anzug und einer Schärpe in den Landesfarben Atlantiums. Irgendwie wirkt dieser Akt jedoch etwas erzwungen. Das Outfit ist wohl einfach eine Art Ritual, das zur Pflicht geworden ist. Aber wie bringt man denn auch einen inzwischen 34 Jahre andauernden Witz sinnvoll zu Ende?

Am darauffolgenden Morgen gibt es erneut eine Tasse Tee und ich verschicke eine Postkarte über den offiziellen Briefkasten von Atlantium. Zum Abschluss frage ich George dann noch, wie die Welt, zu der Atlantium gehört, noch seiner Vision von damals entspricht.

„Ich weiß nicht, ob Atlantium in irgendeiner Weise mit meinem Wunsch zusammenhängt, dieser Welt meinen Stempel aufzudrücken. Ich gehe jedoch davon aus, denn damals mit 15 war es nämlich genau das, was ich erreichen wollte”, antwortet er mir. „Im Grunde ist das auch die Sache, die ich schon mein ganzes Leben lang erreichen will. Vielleicht ist das auch nur meine Art, gegen die Unendlichkeit der Tatsache anzukämpfen, dass ich nicht ewig leben werde. Wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei.”

Vor meinem Ausflug nach Atlantium hatte ich doch meine Bedenken, in die australische Wildnis zu fahren und einen Mann zu treffen, der sich willentlich von der Gesellschaft abgespalten hat. Darum geht es bei Atlantium jedoch gar nicht. Bei der Mikronation handelt es sich lediglich um die Verwirklichung einer Weltvorstellung und um einen wilden Jugendtraum, der mithilfe eines gelben Bungalows, einer Pyramide und mehreren Briefmarkensets wahr wurde.