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Wie ein Katzenparasit Verhalten, Psyche und Sexualtrieb beim Menschen beeinflusst

Dr. Jaroslav Flegr, ein tschechischer Forscher, der sich mit Parasiten und deren Einfluss auf den Menschen beschäftigt. Foto: Roc Morin*

Gedankenkontrolle durch Parasiten ist im Tierreich nichts Außergewöhnliches. Der Tollwut-Virus versetzt seinen sterbenden Wirt in einen Wutrausch und durch einen Biss steckt das Tier auch noch andere Tiere an. Der Saitenwurm Spinochordodes tellinii manipuliert das Gehirn von Grillen und lässt sie durch einen Sprung ins Wasser Selbstmord begehen—dort kann sich der Wurm dann fortpflanzen. Wenn sich das Urtierchen Toxoplasma gondii in einem Nagetier festsetzt, wird dessen natürliche Angst vor Katzenurin umgekehrt—das Nagetier wird dann vom Geruch seines Jägers angezogen. Wenn es anschließend verspeist wird, kann sich der Parasit im Darm der Katze vermehren. 

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Obwohl das Toxaplasma gondii vor allem bei Nagetieren vorkommt, sind Menschen dagegen nicht immun. Durch unser Zusammenleben mit Katzen hat die Krankheit Toxoplasmose durch die Fäkalien viele Möglichkeiten, sich bei uns auszubreiten. Das Urtierchen wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt und wurde bisher vor allem als relativ harmloser Gast im Menschen angesehen. Man nahm an, dass nur Leute mit einem geschwächten Immunsystem (zum Beispiel AIDS-Kranke) oder Schwangere (der Erreger führt oft zu Fehlgeburten und Fötus-Deformierungen) wirklich Schaden nehmen könnten. Es herrschte die Meinung, dass ein gesunder menschlicher Wirt die volle Kontrolle über den Parasiten hat. Neue Studien besagen jedoch das genaue Gegenteil: Durch eine feine Anpassung der Neurotransmitter in unseren Gehirnen werden wir zu den Kontrollierten. 

2002 war Dr. Jaroslav Flegr der Erste, der solche Behauptungen aufstellte. Durch die Analyse von Verkehrsdaten fand der tschechische Parasitologe heraus, dass mit Toxoplasmose infizierte Fahrer 2,6-mal häufiger in Unfälle verwickelt sind. Flegr sieht Ähnlichkeiten zwischen dem risikoreichen Verhalten der infizierte Nagetiere und dem der infizierten Autofahrer. Ein solches Verhaltensmuster hat der Wissenschaftler als Erstes bei sich selbst beobachten können. 

Während seines Studiums an der Karls-Universität von Prag wurde dem sonst so pflichtbewussten Flegr klar, dass er sich plötzlich viel wagemutiger verhielt. Er überquerte ständig die Straße, ohne nach links und rechts zu schauen—ganz egal, wie viele Autos auch hupten. Er fing auch an, ganz offen die kommunistische Regierung zu kritisieren. Man muss bedenken, dass das damals noch als Straftat angesehen wurde. Erst als er bei einer komplett anderen Studie positiv auf Toxoplasmose getestet wurde, konnte sich Flegr seinen Wagemut langsam erklären: Wenn der Parasit das Verhalten von Nagetieren verändern kann, warum sollte das dann bei Menschen nicht so sein?

Flegr überprüfte seine Theorie durch Persönlichkeitsfragebögen, die er Menschen mit und Menschen ohne Toxoplasmose ausfüllen ließ. Bei jedem Test waren die Ergebnisse konstant. Infizierte Männer waren „eher dazu bereit, Regeln zu brechen“ und „misstrauischer, neidischer  und rechthaberischer.“ Frauen verhielten sich genau gegenteilig: Sie waren „herzlicher, offener und anständiger.“ Nach einem weiteren Jahrzehnt voller Forschung wurden auch noch Verbindungen zu einer Reihe von anderen Leiden wie ADHS, Zwangsneurosen, Schizophrenie und Selbstmordneigung hergestellt. 

Vor Kurzem habe ich mich mit Dr. Flegr in seinem Prager Büro getroffen. Dort haben wir darüber diskutiert, wie ein kleiner Parasit, der bei 30 bis 50 Prozent der Weltbevölkerung vorkommt, unser Wesen und Verhalten so stark verändern kann. 

VICE: Warum reagieren Männer anders auf die Infektion als Frauen?
Dr. Jaroslav Flegr:
Es ist bekannt, dass sich Männer und Frauen bei Stress unterschiedlich verhalten. Es ist also möglich, dass das Toxoplasma chronischen Stress verursacht und deswegen darauf so anders reagiert wird.

Ich finde es interessant, dass die Charakterzüge von infizierten Frauen im Allgemeinen als positiv angesehen werden.
Wenn sich Frauen gestresst fühlen, fangen sie an, freundlich zu sein. Sie suchen dann Gesellschaft. Deshalb nehmen wir wohl auch an, dass eine Infizierung gut ist. Das stimmt allerdings nicht. Das Ganze ist nur ein Abwehrmechanismus. 

Ich habe gehört, dass einige Frauen bewusst infiziert werden wollten.
Ja, aber das würde ich nicht empfehlen. 

Wurden Sie schon explizit danach gefragt?
Manchmal bekomme ich solche Anfragen per Mail. Meistens sind das dann aber Männer, die ihre Freundinnen infizieren wollen. 

Weil sie dann mehr Lust auf Sex haben?
Das stimmt eigentlich gar nicht. So haben Journalisten nur meine Ergebnisse interpretiert. Meine letzten Forschungen haben gezeigt, dass der weibliche Sexualtrieb sogar zurückgeht. 

Und wie sieht es mit dem Sexualtrieb des Mannes aus?
Der wird anscheinend nicht beeinflusst. Es ist eigentlich komisch, dass die Wirkung bei Männern so anders ist als bei Frauen. Ich nehme an, dass sich da zwei Vorgänge gegenseitig aufheben. Zum einen sind sie krank, was den Sexualtrieb mindert. Aber zum anderen ist Toxoplasma bekannt dafür, bei Männern die Konzentration und den Testosteron-Spiegel zu erhöhen. Deshalb geht man oft davon aus, dass so auch der Sexualtrieb gesteigert wird. 

Sind wir im Lebenszyklus der Parasiten nur Kollateralschaden oder ziehen sie aus unseren Veränderungen tatsächlich irgendwelche Vorteile?
Vor mehreren tausend Jahren waren wir Teil des Lebenszyklus von Toxoplasma. Selbst jetzt sterben in anderen Teilen der Welt noch viele Menschen durch Tiger- oder Löwenangriffe. Es könnte tatsächlich der Fall sein, dass die Manipulation der Parasiten nicht primär auf Nagetiere abzielt, sondern auf Affen.

Ist es durch die Folgen der Toxoplasmose wahrscheinlicher, dass Menschen von einem Löwen oder einem Tiger gefressen werden?
Ja. Mehrere Folgen der Krankheit machen dieses Szenario ziemlich wahrscheinlich. Bei unseren Fragebögen kam heraus, dass infizierte Menschen weniger Angst haben als nicht-infizierte Menschen. Wir haben zum Beispiel gefragt, ob sie in einem dunklen Wald Angst hätten und das haben sie verneint. Sie erschrecken sich auch weniger stark. Wenn infizierte Leute über die Straße gehen und von einem Auto angehupt werden, dann springen sie nicht zur Seite. [lacht] Das sind keine guten Voraussetzungen, wenn man von einem Tiger oder einem Löwen bedroht wird. 

Toxoplasmose steht auch im Zusammenhang mit Schizophrenie, Zwangsneurosen und Selbstmordneigung. Das scheinen alles Dinge zu sein, die einen Einzelnen dazu verleiten, den Schutz des sozialen Umfelds zu verlassen und somit das Risiko zu erhöhen, von einem großen Katzentier gefressen zu werden.
Ja, das könnte möglicherweise der Grund dafür sein.

Nagetiere empfinden Katzenurin dank dem Parasiten ja als angenehm. Ist das bei Menschen genauso?
Ja, dieses möglicherweise tödliche Anziehungsphänomen konnten wir auch bei Menschen beobachten. Infizierte Männer haben den Geruch von stark verdünntem Katzenurin als angenehm eingestuft. Wir führten dazu eine Doppelblindstudie durch. Die Leute wussten nicht, ob sie infiziert sind und auch nicht, was genau sie rochen. Wir setzten ihnen 12 Urinproben von verschiedenen Tieren vor und sie sollten den Geruch bewerten. Beim Analysieren der Ergebnisse konnten wir ein ziemlich klares Muster erkennen. 

Ich habe mit dem Doktoranden Charlie Nichols gesprochen und er hat sich gefragt, ob wir deshalb so gerne Katzen halten, weil wir uns von dem Katzenurin-Geruch so angezogen fühlen.
Das ist gut möglich. Zumindest wird niemand eine Katze behalten, wenn ihm der Geruch missfällt. Gerüche spielen in unserem Leben eine wichtige Rolle. Uns ist zum Beispiel kaum bewusst, dass Liebe eine Frage des Geruchs ist—das läuft allerdings vor allem unterbewusst ab. Man verliebt sich sehr oft nur wegen dem Geruch. 

Hat Toxoplasmose irgendwie einen Einfluss auf die Liebe?
Toxoplasma verändert unseren Geruchssinn sowohl quantitativ als auch qualitativ. Das wurde leider noch nicht ausreichend belegt, aber es gibt schon einige Anzeichen dafür. Es ist bekannt, dass einst angenehme Gerüche bei Schizophrenie plötzlich nicht mehr angenehm erscheinen. Viele Studien haben belegt, dass diese Erkrankung oft durch Toxoplasmose hervorgerufen wird.

Wie genau wird das belegt?
Eine Prospektivstudie zeigt, dass sechs Monate bis drei Jahre vor dem Ausbruch der Schizophrenie Toxoplasmose-Antikörper im Blut der Testpersonen auftauchten. Schizophrenie kann durch Toxoplasmose ausgelöst und vielleicht auch verursacht werden. Das passiert natürlich nur selten. Toxoplasmose kommt bei ungefähr 30 Prozent der Menschen vor und Schizophrenie bei ungefähr einem Prozent. Von daher sind die meisten Leute mit Toxoplasmose von Schizophrenie nicht betroffen. 

Sie leiden selbst an Toxoplasmose, richtig?
Ja.

Wissen Sie, wo Sie sich damit infiziert haben?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Ich habe über ein Jahr in Japan gelebt und dort viel rohes Fleisch gegessen, dort könnte es passiert sein. 

Wie haben Sie sich gefühlt, als man Ihnen das mitteilte?
Ich war jetzt nicht gerade glücklich. Aber viele meiner Kommilitonen waren ebenfalls infiziert, nämlich ungefähr 30 Prozent. Jetzt findet man Toxoplasmose nur noch bei gut 10 Prozent unserer Studenten. 

Liegt das an der besseren Hygiene?
Unter Umständen. Vielleicht liegt es auch an den neuen Vorschriften bei öffentlichen Sandkästen—der Sand muss jetzt viel häufiger gewechselt werden. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten. In unserer letzten Veröffentlichung zeigen wir zum Beispiel, dass Toxoplasma sehr wahrscheinlich auch beim Sex übertragen werden kann. Vielleicht wird durch die AIDS-Erkrankungen ungeschützter Geschlechtsverkehr nicht mehr so oft praktiziert, weshalb auch das Vorkommen von Toxoplasmose zurückgegangen ist.

Wurde im Sperma und in der Scheidenflüssigkeit etwa Toxoplasma gefunden?
Bei manchen Tierarten fanden wir im Sperma tatsächlich Parasiten. Bei ungefähr zwei Dritteln der Fälle von infizierten menschlichen Föten konnten wir keine Risikofaktoren feststellen. Die Mütter haben kein rohes Fleisch gegessen, sie haben ihr Gemüse gewaschen und sich allgemein sehr vorbildlich verhalten. Sie sind kein Risiko eingegangen und trotzdem erkrankt. Es ist also gut möglich, dass sie sich beim ungeschützten Sex mit ihren Männern infiziert haben. 

Waren die Ehemänner schon vorher infiziert?
Darüber ist uns nichts bekannt. Das sollte allerdings überprüft werden. 

Kann Toxoplasma auch von der Frau zum Mann übertragen werden?
Ich glaube, dass die Übertragung—vor allem—vom Mann ausgeht.

Glauben Sie, dass das Toxoplasma durch den erhöhten Testosteron-Spiegel bei infizierten Männern für einen verstärkten Sexualtrieb sorgt, um schneller verbreitet zu werden?
Das ist schon möglich. Im seinem Buch Das egoistische Gen erwähnt Richard Dawkins, dass bei Syphilis-Patienten auch ein verstärkter Sexualtrieb vorkommen kann.

Ich habe Berichte gelesen, in denen über HIV das Gleiche behauptet wird.
Ich denke, dass bei einer Chlamydien-Infektion so etwas ebenfalls möglich ist.

Ich weiß, dass in jedem Land Toxoplasmose unterschiedlich oft vorkommt—in südamerikanischen Ländern wohl am häufigsten, in Südkorea am seltensten. Kann Toxoplasmose Ihrer Meinung nach das Verhalten einer ganzen Bevölkerung beeinflussen?
Ich glaube schon, dass die Krankheit so einen großen Einfluss haben kann. Ein anderer Parasitologe hat bereits geschrieben, dass nationale Verhaltensweisen sich zum Teil mit der Häufigkeit von Toxoplasmose überschneiden. Dieses Jahr haben wir einen sehr wichtigen Artikel veröffentlicht, der zeigt, dass die Häufigkeit vieler Krankheiten durch das unterschiedlich starke Vorkommen von Toxoplasmose erklärt werden kann. Unsere Forschungen haben ergeben, dass es da einen Zusammenhang mit Epilepsie, zerebrovaskulären Erkrankungen und auch Herzinfarkten gibt. So kommen ungefähr 16 oder 17 Prozent der Infarkte in Europa zustande. Wenn wir also eine Heilung oder eine Impfung für Toxoplasmose finden, retten wir damit viele Menschenleben. 

***

Am Ende des Interviews fragte ich Dr. Flegr, ob ich ihn für den Artikel fotografieren dürfe. Er hatte nichts dagegen und sagte scherzhaft: „Leider habe ich keine Katzen, die ich auf dem Bild halten könnte.“

Als ich jedoch durch den Sucher der Kamera blickte, hörte er plötzlich auf zu grinsen—es herrschte auf einmal eine ganz andere Stimmung.

„Jetzt ist aber genug“, fuhr er mich an. „Ein Freund hat mir mal Folgendes erzählt: Wenn ein Journalist dich mit so einem Objektiv fotografiert, dann bedeutet das, dass er dich auf dem Foto hässlich aussehen lassen will. So wird das immer bei unbeliebten Politikern gemacht.“

Ich zwang mich zu einem hoffentlich beruhigenden Lächeln. „Überhaupt nicht. Ich will nur Ihre Persönlichkeit einfangen.“

„Aber das ist ein Objektiv mit fester Brennweite“, erwiderte er. „Wir wissen, dass unterschiedliche Objektive die Leute auch ganz unterschiedlich schön oder hässlich darstellen können.“

Wir gaben uns noch angespannt die Hand und verabschiedeten uns. Es machte allerdings den Eindruck, dass mein Gesprächspartner froh war, mich loszuwerden. Ich lief durch die leeren Gänge der Karls-Universität und dachte über diesen unerwarteten Anflug von Misstrauen nach. Wodurch wurde er ausgelöst? War das Dr. Flegr oder das Toxoplasma? Gab es da überhaupt noch einen Unterschied?