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Wie ein Porno über Behinderungen das Berliner Pornfilmfestival spaltet

Titelfoto: Screenshot aus ‚Don’t Pray For Us’, mit freundlicher Genehmigung von Aj Dirtystein

Ein ausgemergelter Mann liegt nackt auf dem Boden. Sein Rollstuhl ist außer Sichtweite. Die Knochen stehen dramatisch hervor, auf seiner gespannten Haut schlüpfen Schmetterlingslarven und werden von einer Hohepriesterin mit dem Mund in die Freiheit gepustet. Sie wiegt den Mann. Er ist schwach, ein Opfer und doch wiederum keines. Dass Schönheit auch im vermeintlichen Makel liegen kann, demonstriert die experimentelle Fetisch-Regisseurin Aj Dirtystein mit dem Kurzfilm Don’t Pray For Us auf dem Berliner Pornfilmfestival. Hier werden Fetische, Kinks, Gender- und Körper-Issues egalitär einer Hohepriesterin vorgeführt. Namen sind egal. Es geht um starke und verstörende Bilder, wenn sich die Regisseurin selbst Seiten der Bibel auf die nackte Haut tackert. Ein Mindfuck, der das Pornobild unserer Generation, die dann doch zu YouPorn masturbiert, mal eben mit dem Presslufthammer vernichtet.

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Wenn wir an Menschen im Rollstuhl, Amputierte oder mit zerebraler Bewegungsstörung und Sex denken, scheint das irgendwie falsch. Es passt nicht zur Hochglanz-Idee von perfekten jungen Menschen, die sich in die Besinnungslosigkeit vögeln. Stell dir also vor, Menschen mit körperlicher Einschränkung lieben, masturbieren oder streicheln sich vor der Kamera. Diese Pornos sind nicht abstoßend—sie sind das größte, was wir an sexueller Demokratisierung haben. Nur stempelt die Gesellschaft Menschen mit Behinderung per se als asexuell ab. Jeder Mensch ist ein sexuelles Wesen—gleich welcher Orientierung oder welchen Körpers. Und wenn Menschen mit Behinderung Sex haben, ist das nicht degradierend, es ist ein Menschenrecht. Jeder Körper ist erotisch und wenn die Gesellschaft dir dein sexuelles Selbstbewusstsein nimmt, muss es erst wieder erkämpft werden. Pornos sind somit das beste Medium, um Tabus zu brechen.

Um so schöner, dass es auch das Pornfilmfestival Berlin erkennt—endlich. Dieses Jahr zeigt der Fokus „Sex und Behinderungen” eine Vielzahl mutiger und ästhetischer Produktionen. In zehn Jahren Pornfilmfestival gab es ein breites Spektrum an Filmen mit besonderen Bedürfnissen. Statt dem Mainstream-Diktat aufgeblasener Brüste zu unterliegen, geht es um Independent-Filmchen, Kunst und Trash. Behinderungen waren allerdings marginal vertreten, bisher. „Seit Jahren würden wir gerne einen Schwerpunkt machen, aber dabei sind wir auch davon abhängig, dass Filme gedreht werden und wir sie fürs Festival gewinnen können”, erklärt Kurator Jochen Werner. „Wir haben gemerkt, dass sich in den letzten Jahren mehr Filme mit Behinderungen auseinandersetzen, gerade auch im sexuellen Diskurs.” Das Pornfilmfestival versteht sich als äußerst politisch. Sie wollen Emanzipationsbewegungen, unterschiedliche Körperbilder und Sexualitäten sichtbar machen. Ihr Ziel ist, „dass bestimmte Bevölkerungsgruppen ihre eigenen Bilder zurückerobern können.” Vom Objekt zum Subjekt. Sex ist schließlich Politik.

Diese Firma hilft Menschen mit Behinderung beim Masturbieren.

Einen Tabubruch durch Bilder versucht Yes, We Fuck! und scheitert an politischer Korrektheit. Die Doku aus Barcelona zeigt Sex über Genitalien hinaus. Der Film beginnt mit einer riesigen Orgie (die sich im Interview dann als Workshop herausstellt) um Lust, Verlangen und Intimität. Langsam entkleiden sich die behinderten Protagonisten auf einem Matratzenlager, liebkosen sich, massieren und setzen Federn, Flogger und Nadeln ein. Die Grenzen des Körpers scheinen abgelegt. Ein Körpertanz aus Verschlungenheit. Keiner der Zuschauer scheint sich dem Zauber dieses wohligen Lustanblicks entziehen zu können, Lächeln breitet sich von Sitzplatz zu Sitzplatz aus. Doch solche Momente sind im Leben der Protagonisten einzigartig. In sechs Episoden erzählen die Filmemacher vom sexuellen Struggle des Alltags. Denn, besonders wenn es keinen Partner gibt, wird bei einer körperlichen Einschränkung Sexualität erleben schwer. Deshalb begleiten wir auf der Leinwand einen Spanier bei seinem ersten Besuch einer Domina in einem SM-Studio und erfahren ebenso, dass es manchmal einen sexuellen Assistenten bedarf, um Hilfe beim Berühren des eigenen Körpers zu erhalten.

Die ‚Yes, We Fuck’-Crew: Raúl, Antonio und Teo | Foto: Janina Bembenek

Die Aufnahmen sind schön, ästhetisch und der Film daher irgendwie überraschend konventionell und dabei wenig explizit. Das Außergewöhnliche ist, dass Yes, We Fuck! aus der und für die Community geschaffen wurde. Antonio Centeno und Raúl de la Morena starteten vor drei Jahren mit dem Filmprojekt und gründeten zunächst eine Plattform zum Austausch, daraus entwickelte sich dann eine Crowdfunding-Initiative. 12.000 Euro spendeten die User für Yes, We Fuck!. Es ist wenig für die Produktion eines Films, noch weniger, um davon leben zu können, aber viel für eine Community. „Das zeigt den großen Mangel an solchen Filmen und das Bedürfnis danach“, sagt Raúl de la Morena. „Wir geben eine Stimme.” Ihre Darsteller sind wenig überraschend Unterstützer der ersten Minute und geben für den Zweck auch gerne ihren Körper mit allen vermeintlichen Makeln preis.

„Transsexuelle und Menschen mit funktionaler Vielfalt führen einen ähnlichen Kampf, deshalb behandeln wir beides im Film”, erklärt Teo Valls. Er ist transsexuell und assistiert im Leben und vor der Kamera Frauen bei Berührungen, die es alleine nicht könnten. Das geht, wie wir sehen, von sanftem Streicheln bis zum energischen Fisten. Und er scheut sich nicht zur Aufklärung vor Publikum auch ein Spektulum in seine Vagina einzuführen. Bei den Festivalsscreenings außerhalb Spaniens ist er dabei, Ehrensache. Denn sie alle sind stolz auf ihr Werk und das positive Feedback ihrer spanischen Community. In Berlin scheint es da, trotz scheinbar positiver Aufnahme beim Screening, doch etwas anders auszusehen.

Screenshot aus ‚Yes, We Fuck!’

Nach der Vorführung lässt Michael auf der Straße Dampf ab. Er war Zuschauer und kam wirklich nur für diese Doku zum Festival: „Progressiv ist der Film kaum, vor 15 Jahren gab es schon wesentlich subversivere. Außerdem finde ich es schwierig, Transsexuelle thematisch da mit reinzubringen, denn sie definieren sich nicht als behindert.” Michael fährt selbst Rollstuhl, ihn stört es, dass Klaviermusik verwendet wurde („Wie in jedem Behindertenfilm”) und die Charaktere keine Namen hatten. Das hat sich auch für mich unangebracht angefühlt, denn schließlich sollten hier keine Doku-Objekte vorgeführt werden. Doch im Gespräch mit den Regisseuren kommt raus: „Das ist keine absichtliche Abwertung, die Namen stehen im Abspann.” Ein kulturelles Missverständnis. Im Film sollte mit Vorurteilen, Mustern und Bildern gebrochen werden. Dennoch drehen sich Nachgespräche der Zuschauer mehr um Termini und Befindlichkeiten. Den Aktivisten und YouTuber Raúl Krauthausen von Sozialhelden stört vor allem, dass so gut wie keine gemischten Paare thematisiert werden. Hier sollte seiner Meinung dringend nachgehakt werden. Ein anderer Zuschauer ruft beim Q&A: „Warum wurden keine Sexarbeiter mit Behinderung gezeigt, die muss es doch auch geben.”

Auch Behinderte brauchen Sex—wir haben eine Sexualtherapeutin bei ihrer Arbeit begleitet.

Porntopia ist queer und Amtssprache ist Political Correctness. Das merkt man schon daran, ob von Menschen mit Behinderung überhaupt gesprochen werden darf, wie es in Deutschland üblich ist. Die spanischen Filmemacher wollen mit „funktionaler Vielfalt” noch „korrekter” sein. Deswegen will ihre Sex-Doku auch jedem gerecht werden. Sie wollten Inklusion, spalten aber letztlich: Ja, wir ficken—aber bitte politisch korrekt.

So wird es schwer, Vorurteile aufzuspalten, erst recht bei Pornos. Sollte es bei einem Pornfilmfestival nicht vor allem um eines gehen: Stöhnen, Schweiß und gefüllte Löcher als Kunst? Ein Blick ins Programmheft zeigt aber: Im Schwerpunkt der behinderten Pornos laufen mit Menschenliebe und Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern etablierte Berlinale-Filme. Sie erzählen zwar Geschichten von Menschen mit Behinderung und ihrer sexuellen Befreiung, haben aber mit den Begriffen Porno oder kinky sonst nichts am Hut. Irgendwie wirkt es auf dem Festival so, als gebe es letztlich außer Aj Dirtystein doch keine Pornos mit und für Behinderte—und das war doch eigentlich der Sinn der Sache. Dabei tut sich im Netz viel. Hier wird der Kampf behinderter Menschen vom Objekt zum Subjekt oder zum selbsterwählten Objekt gefochten.

Screenshot aus ‚Yes, We Fuck!’

Pornos mit und für „besondere Bedürfnisse” florieren. Vor allem im Vaterland der Pornokultur, den USA. Hier gibt es, seitdem viel zu viele junge Soldaten mit Stümpfen aus Afghanistan und dem Irak zurückkamen, „Vet Amputee Porn”. Nur Hochglanzvorlagen reichen eben nicht, eine gewisse Identifikation muss da sein. Authentisch sollen Pornos nicht sein, sie zeigen eine Perversion unsere Denke, der Gesellschaft und wonach wir gieren—und meist nicht zugeben wollen. Sie sind zwangsläufig politisch und sollen verdammt noch mal Lust machen.

Seit Anfang der 2000er gibt es außerdem Gimps Gone Wild, hier haben die Darsteller die verschiedensten Arten von Einschränkungen und—ganz ehrlich—sie sind alle auf ihre Art sexy. Denn sie zeigen: Eine Verletzung, eine Einschränkung oder fehlende Gliedmaßen können durchaus in Lust verwandelt werden. Darum sollte es auch in erotischen Filmen gehen. Wenn eine Bewegung eingeschränkt ist, muss eben ein anderer Weg gefunden werden. Deshalb sind Pornos mit behinderten Darstellern weitaus experimentierfreudiger, davon können sich sogar Konventionelle etwas abschauen. Und das Schöne, es kann auch gescherzt werden: Fisting ohne Faust eben.