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Weite Pazifikstrände, grüne Felder, bewaldete Hügel, rund 5.000 Einwohner: Kaitaia an der Nordspitze Neuseelands ist ein kleines Paradies – eigentlich. Mitte 2016 töteten sich sechs Jugendliche aus Kaitaia innerhalb kurzer Zeit. Die damals 17-jährige Maori Nina Griffiths verlor einen ihrer besten Freunde, zusammen hatten sie zu einer Jugendgruppe für Seelsorge unter Gleichaltrigen gehört. “Wir sind eine kleine Gemeinde “, sagt Griffiths. “Niemand bleibt davon unberührt. Wir alle kennen ein Opfer.”
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Griffiths und die anderen Teenager versuchten, der Krise beizukommen, doch überall stießen sie auf Widerstand. Ihr Antrag auf mehr Geld für Selbsthilfegruppen wurde abgewiesen. Selbst die Räume, in denen sie sich getroffen hatten, waren ihnen nun versperrt. Die Highschools des Ortes weigerten sich, das Thema anzusprechen – das könne Nachahmersuizide verursachen. “Wir fühlten uns, als hätten wir versagt”, sagt Griffiths. “Ich war so frustriert. ”
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Die Teenager nahmen die Sache selbst in die Hand. Griffiths berief Gemeindetreffen ein und startete eine Kampagne, um ganz Kaitaia gegen die Suizidkrise zu mobilisieren. “Man sagt uns jungen Leuten ständig, Erwachsene wüssten alles besser “, sagt sie. “Das mag oft stimmen. Aber in diesem Fall wurde mir klar, dass wir unseren eigenen Schmerz besser verstehen.”
Die Suizidrate neuseeländischer Teenager ist schockierend hoch – höher als in allen anderen Industrieländern. Laut dem UNICEF-Jahresreport 2017 lag sie für 15- bis 19-Jährige bei 15,6 Suiziden pro 100.000 Personen. In Deutschland lag die Rate für diese Altersgruppe 2015 bei 4,7; in Großbritannien 2016 bei 5,3. In Neuseeland wiederum begehen Maori aller Altersgruppen überdurchschnittlich häufig Suizid, das zumindest zeigen Statistiken für die männliche Bevölkerung. Dieses Ungleichgewicht geht nicht zuletzt auf die Kolonialgeschichte Neuseelands zurück: Die indigene Bevölkerung ist wirtschaftlich benachteiligt, Maori machen mehr als die Hälfte der Inhaftierten aus, obwohl sie nur 15 Prozent der Bevölkerung stellen.
In der Region Northland, wo Kaitaia liegt, ist das Problem noch ausgeprägter als im Rest des Landes. Der Maori-Aktivist Ricky Houghton überzeugte die Regierung 2017, angesichts der Armut und Drogensucht in Northland den Notstand auszurufen. “In manchen Gegenden sind bis zu 85 Prozent der Menschen arbeitslos “, sagte Houghton dem staatlichen Fernsehsender TVNZ. Zwei von fünf Eltern seien alleinerziehend, das durchschnittliche Einkommen liege bei 21.000 Neuseeland-Dollar (etwa 11.900 Euro).
“Man sagt uns jungen Leuten ständig, Erwachsene wüssten alles besser “, sagt sie. “Das mag oft stimmen. Aber in diesem Fall wurde mir klar, dass wir unseren eigenen Schmerz besser verstehen.”
Mit Depressionen und Suizidgedanken kam Nina Griffiths zum ersten Mal mit 12 oder 13 Jahren in Berührung. Der Vizerektor ihrer Schule im Ort Pamapuria hatte mehrere Kinder missbraucht, darunter einen von Griffiths’ Freunden. Der erzählte ihr, wie allein er sich trotz professioneller Beratung fühlte. Da sei ihr klar geworden, dass viele junge Menschen psychologisches Fachpersonal als zu distanziert erlebten. “Mit Gleichaltrigen kann man einfach anders reden “, sagt sie.
Die düsteren Statistiken aus Northland können hoffnungslos machen. Rangatahi, wie Maori-Jugendliche in der indigenen Sprache heißen, hätten nach dem Schulabschluss nur wenige Optionen, sagt Griffiths. “Wer keine Chance auf ein Studium hat, bleibt zurück. Die Freunde ziehen weg, das ist eine große Belastung.” Zwar gebe es auch für Rangatahi zunehmend Perspektiven, doch der Jugend fehle es an Empowerment. “Vielen jungen Menschen hier hat nie jemand gesagt:’Du schaffst das.’”
Griffiths‘ Kampagne gab jungen Menschen die Chance, über die Probleme zu sprechen, die ihre Communitys belasten. “Es geht darum, den Menschen zu zeigen, dass ihre Stimme etwas wert ist”, sagt Griffiths. “Dass sie selbst etwas wert sind.”
Ende 2016 hatte die Kampagne bereits Früchte getragen. Sie hatte 10.000 Dollar (5.600 Euro) Förderung für ein Jugendzentrum erwirkt, das Peer-Seelsorgeprogramm ausgebaut und landesweit ein größeres Bewusstsein für Jugendsuizide geschaffen. Die Zeitung New Zealand Herald und der Radiosender The Hits verliehen Griffiths einen People’s Choice Award als eine der Neuseeländerinnen des Jahres. Viel wichtiger aber war der Rückgang an Selbsttötungen in Kaitaia: von 28 in 2015 auf 21 in 2016. Das seien immer noch 21 zu viele, sagt Griffiths.
In diesem Jahr ist sie dennoch südwärts gezogen, um in der Hauptstadt Wellington Maoritanga zu studieren, die Lehre der Maori-Kultur. Eines Tages will sie in die Heimat zurückkehren. “Northland ist der beste Ort der Welt, einfach unvergleichlich”, sagt Griffiths. Vorerst aber kümmert sie sich um ihre eigene Zukunft und macht eine Pause von dem belastenden Thema.
In Northland geht derweil der Dialog weiter. Die Bevölkerung sei nun hoch sensibilisiert für die Suizidkrise, sagt Griffiths, auch gebe es mehr Selbsthilfegruppen. Trotzdem möchte sie das Thema Suizid weiter ansprechen. “Kommunikation ist meine Stärke “, sagt Griffiths und lacht. “Warum sollte ich meine große Klappe nicht sinnvoll einsetzen?”
Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Suizid denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden bei Organisationen wie Agus Hilfe.
Die Nummer der Telefonseelsorge in der Schweiz ist: 143. Hier gibt es auch einen Chat. In dieser Liste sind weitere Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Schweiz aufgeführt.
Die Nummer der Telefonseelsorge in Österreich ist: 142. Auch hier gibt es einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden in Österreich bei Organisationen wie SUPRA Hilfe.