Fotos bereitgestellt von Céline Alfeld und Pascal Thoma
Bevor Jamie diesen Sommer mit dem Kindergarten beginnt, wird er bereits hinter sich haben, wovon die meisten Studienabgänger noch träumen: eine Weltreise durch Südostasien und Australien. Der Vierjährige reist aber nicht alleine durch die Welt, sondern zusammen mit seinen 28-jährigen Eltern und seiner sieben Monate alten Schwester Ruby.
Als Céline und Pascal vor vier Jahren Eltern wurden, war das für das junge Paar aus Zürich kein Grund, um vom gemeinsamen Traum einer Weltreise abzusehen. Während andere junge Eltern Baby-Yoga-Kurse besuchten, schmiedeten die beiden neben Arbeit und Studium an ihren Reiseplänen. Zudem planten Céline und Pascal noch vor der Abreise ein zweites Kind, da sie weiteren Nachwuchs – jedoch ohne allzu grossen Altersunterschied – haben wollten. Der Plan ging auf, und so machte sich die junge Familie im November 2016 mit Pampers und Playmobil im Gepäck auf nach Südostasien – drei Monate nach der Geburt ihres zweiten Kindes.
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Momentan befindet sich die Familie in Bali, von wo aus sie weiter nach Australien reist und dort mit einem Camper über den roten Kontinenten rollen will. Wir skypten mit Céline, um herauszufinden, wie es ihrer Familie seit der Abreise ergangen ist. Wir sprachen über Beziehungsprobleme auf Reisen, Kinderarbeit in Entwicklungsländern und die Verschiebung von Rollenbildern:
VICE: Die meisten Leute machen eine Weltreise, bevor sie eine Familie gründen. Wieso macht ihr das umgekehrt?
Céline: Ich wurde vor vier Jahren ungeplant schwanger. Damals hatte Pascal eben sein Elektrotechnikstudium beendet und ich meines in sozialer Arbeit gerade erst begonnen. Wir entschieden uns dazu, das Kind zu behalten und eine Familie zu gründen. Drei Jahre später kam dann noch Ruby hinzu. Pascal und ich träumten schon lange von einer Weltreise. Da Jamie im Sommer in den Kindergarten kommt, wussten wir, dass wir bis dann zurück sein müssen, falls wir das wirklich durchziehen wollen. Also sind wir im November los gereist.
Ist es stressig, mit einem Baby durch die Welt zu reisen?
Nicht wirklich. Ruby schläft sehr viel, wird noch voll gestillt und kann auch noch nicht richtig krabbeln. Von dem her können wir immer kontrollieren, was in ihren Mund kommt. Wenn sie dann anfängt am Boden rumzukrabbeln, wird es wahrscheinlich etwas stressiger.
Und der Kleine, ist er schon mal ausgebüxt?
Nein, aber das hat er auch zu Hause noch nie gemacht. Im Gegenteil, er macht uns manchmal darauf aufmerksam, dass wir ihn an die Hand nehmen sollen.
Versteht Jamie, dass er sich in einem anderen Land befindet?
Das schon, aber er versteht das Privileg dahinter nicht. Er realisiert nicht, dass wir vier Jahre für die Reise sparen mussten. Anfangs waren wir etwas enttäuscht, denn wir hatten erwartet, dass es für Jamie etwas Spezielles sein würde. Aber wir sprechen immer wieder mit ihm darüber und jetzt versteht er es langsam. Einmal mussten wir an einem Taxistand warten. Daneben verkauften Kinder mit einer traurigen Kauf-mir-bitte-was-ab-Miene Magnete. Dann musste er weinen und war traurig, weil wir keine Magnete gekauft haben. Er fragte: Warum müssen die Kinder Magnete verkaufen, haben sie nichts zu essen? Dann mussten wir ihm erklären, dass nicht alle Menschen gleich viel haben. Ich glaube, es ist gut, dass er dieses Bewusstsein schon früh entwickelt. Er versteht auch nicht, warum alle Leute bei rot über die Ampel laufen und wieso er mit seinen blonden Haaren und blauen Augen von vielen Leuten angefasst wird.
Wie haben eure Eltern auf den Plan reagiert?
Pascals Mutter war anfangs etwas schockiert und ist bestimmt schon tausend Tode gestorben. Die Kunden in ihrem Coiffeur-Salon erzählen ihr immer die abstrusesten Gruselgeschichten über die Länder, die wir bereisen. Schlussendlich unterstützte sie uns aber trotz ihrer Angst dabei, unseren Traum zu verwirklichen. Mittlerweile geht es ihr auch besser, Skype hilft. Meine Eltern waren ebenfalls sehr unterstützend. Sie sind aber auch noch etwas jünger und früher selber mit mir und meinen Geschwistern durch Amerika gereist. Meine Mutter war jedoch traurig, dass ihr Enkel weggeht.
Findet ihr eure Reise gefährlich?
Wir schauen schon, dass wir zum Beispiel nicht in Malaria-Gebiet reisen. Oder dass wir immer an einem Ort sind, wo es ein Krankenhaus in der Nähe hat. Viele Junge gehen auch davon aus, dass wir dasselbe machen wie sie, also Party und Abenteuer und so. Was natürlich nicht stimmt. Aber wir haben halt auch ein bisschen mehr Geld gespart als die und leisten uns Zimmer mit eigenem Bad.
Wie viel habt ihr denn gespart?
Gut 50.000 Schweizer Franken
Was?!
Ja, aber wir wollen uns in Australien ja noch einen Camper mieten. Und wir lassen es uns schon auch gutgehen. Trotzdem sind wir bis jetzt unter unserem Budget. Und es soll ja auch Spass machen, so etwas macht man nur einmal im Leben.
Im Hintergrund rumort es.
Sorry, jetzt ist das Playmobil-Männchen verloren gegangen.
Was habt ihr eigentlich für Spielzeug dabei?
Wir haben einen Sack voll Playmobil, einen Plüschhund, einige Pixiebücher sowie einen kleinen Zoo von Plastiktieren.
Kinder sowie auch gemeinsames Reisen stellen jede Beziehung auf die Probe. Ihr habt beides zusammen. Wie geht ihr als Paar mit dieser Doppelbelastung um?
Naja, Jamie hatten wir ja schon vor vier Jahren, das heisst, wir mussten damals schon die Rollen in unserer Beziehung neu gestalten. Aber wir haben auch einfach eine starke Foundation. Wir teilen dieselben Grundsätze und haben uns beide bewusst für die Familie und die Reise entschieden. Ich denke, viele Leute haben Probleme, weil sie sich nicht definitiv für etwas entscheiden können. Man hat heute so viele Optionen, dass man zu nichts Ja sagen will, weil man sonst zu 30 Sachen Nein sagen muss. Schlussendlich sagt man aber zu gar nichts Ja und andere entscheiden für einen. Deswegen ist es wichtig, sich bewusst für etwas zu entscheiden.
Worauf musstet ihr der Kinder wegen verzichten?
Es wäre manchmal schon geil, einen Tag alleine am Strand zu verbringen und ein Buch zu lesen, oder mal auf eine Party zu gehen. Generell versuchen wir eine Balance zu finden, zwischen dem, was wir Eltern und dem, was die Kinder machen wollen. Wir benutzen einfach unseren gesunden Menschenverstand, um abzuschätzen, was möglich ist und was nicht. Wir würden zum Beispiel nicht mit einem Speedboat auf eine kleine Insel fahren, wo es kaum Infrastruktur gibt, oder in den Dschungel trekken gehen.
Einen Babysitter habt ihr noch nie engagiert?
Das geht nicht, weil Ruby noch voll gestillt wird. Mit Jamie wäre es weniger ein Problem.
Aber gegenseitig gönnt ihr euch schon mal eine Pause?
Ja klar, sonst wären wir nicht mehr hier. Freiraum ist sehr wichtig beim Reisen. Manchmal vergisst man das aber. In Thailand war einmal die ganze Familie am rumzicken, dann merkten wir, dass wir eine Pause brauchen. Dann durfte jeder zwei Stunden alleine die Stadt erkunden. Bald wird uns für zwei Wochen ein befreundetes Pärchen besuchen, dann werden wir sicher auch wieder etwas mehr Freiraum haben.
Zuhause könnt ihr auch mal alleine auf ein Date, wenn die Grosseltern aufpassen. Auf Reise geht das nicht. Fehlt euch das überhaupt?
Klar vermisst man das ein bisschen. Aber dafür lernen wir uns jetzt besser kennen. Es gibt schon auch Tage, wo alles eskaliert und man denkt, dass man nur noch weg will, aber dann rafft man sich halt wieder auf. Es ist eine intensive, aber sehr gute Zeit. Auch für Pascal ist es cool, rund um die Uhr Zeit mit den Kindern verbringen zu können. Er war vorher ja nur abends nach der Arbeit und am Wochenende da. Dadurch hatten wir eine eher klassische Rollenteilung.
Also haben sich die Rollen durch die Reise aufgelöst?
Ja, schon. Logisch, jeder hat seine Stärken und Schwächen, aber das hat mehr mit der Persönlichkeit als mit der verfügbaren Zeit zu tun. Früher musste ich mehr schimpfen und Pascal konnte mit den Kindern rumalbern. Jetzt kann ich mich auch mal zurücklehnen und Jamie sagen, er solle das mit Pascal selbst klären
Wie fühlt sich die Good-Cop-Rolle an?
Sie hat schon auch ihre Vorzüge (lacht). Aber es ist auch gut, dass Pascal versteht, was es heisst, 24/7 mit den Kindern zu sein. Es ist aber auch ein bisschen eine Mutterkrankheit, dass man dem Vater nichts überlassen will. Viele Mütter geben den Vätern gar nicht den Raum, die Sachen selber anzupacken. Diese Situationen hatten wir anfangs oft, dass Pascal sagte: “Jetzt lass mich das mal machen.” Mittlerweile habe ich gelernt, ihm den Raum zu lassen.
Was gibst du jungen Eltern mit, die mit der neuen Rolle vielleicht etwas überfordert sind?
Dass man sich nicht primär mit der Mutter- oder Vaterrolle identifizieren sollte, sondern seine eigene Persönlichkeit im Vordergrund behält. Und die Elternrolle als Chance nimmt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Denn die Kinder sind wie ein Spiegel deiner selbst. Im Positiven, wie im Negativen. Und dass man auf seine Intuition hört. Da haben es junge Eltern wohl etwas einfacher, da sie vielleicht auch etwas naiv an die Sache herangehen. In der Erziehung gibt es tausend Wege und früher oder später wirst du sowieso Fehler machen, aber schlussendlich muss es für dich stimmen. Du musst dir selbst gefallen und nicht irgendeiner Instagram-Community.
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