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Wie es ist, als Sanitäter Opfer einer Schießerei zu behandeln

"Schusswunden sind wirklich die barbarischste Form der Erstversorgung, die wir leisten."
Ein Krankenwagen in Glendale, Kalifornien, nicht Memphis, Tennessee. Foto: fourbyforblazer | Flickr | CC BY 2.0

Dieser Artikel ist zuerst bei The Trace erschienen

Eine regelrechte Epidemie der Waffengewalt sucht momentan die amerikanische Stadt Memphis heim und Justin Duckett steht mit seinem Job an vorderster Front. Duckett ist Feuerwehrmann und Sanitäter in Orange Mound, einem der Stadtteile mit der höchsten Gewaltrate.

Immer öfter drehen sich seine Einsätze um Menschen mit Schusswunden. Allein dieses Jahr hat es bislang 189 Tötungsdelikte in Memphis gegeben. Das sind 17 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Bei über 480 Notrufen, zu denen die Feuerwehr von Memphis ausgerückt ist, spielten Schusswaffen eine Rolle.

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In seinen neun Jahren bei der Feuerwehr ist der in Memphis geborene 31-Jährige zu Hunderten Einsätzen mit Schussverletzungen gerufen worden, schätzt er.

Ducketts Arbeit ähnelt nicht selten der eines Sanitäters auf dem Schlachtfeld: Nachdem er im Feuerwehrauto oder einem Krankenwagen zum Einsatz gerast ist, besteht seine oberste Priorität darin, den Menschen mit der Schusswunde vom Verbluten zu bewahren, bis das Krankenhaus erreicht ist. Die Arbeit ist geprägt von hohem Stress, alles muss schnell gehen und die psychische Belastung ist groß. Er sieht Dinge, die er nie wieder vergessen kann. An manchen Tagen kommt er nach Hause und findet die Blutspritzer der Patienten auf seiner Armbanduhr oder auf einem Stift, mit dem er zuvor noch Notizen gemacht hatte.

The Trace hat sich mit Duckett darüber unterhalten, wie es ist, Menschen mit Schusswunden zu helfen, und wie er mit der emotionalen Belastung seiner Arbeit umgeht.

Was passiert, wenn du einen Notruf für ein Schusswaffenopfer bekommst?
Justin Duckett: Das erste, woran wir bei jedem Notruf denken, ist unsere eigene Sicherheit. Wir fragen in der Zentrale nach: "Ist Polizei vor Ort?" Wenn wir hinfahren und einer von uns angeschossen wird, dann hast du zwei Patienten und immer noch keinen, der helfen kann. Wir wägen das aber auch ab. Wenn ein sechsjähriges Kind angeschossen wird und ich den Eindruck habe, dass wir es dort wegbekommen können, dann mache ich das auch.

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Sobald ich zum Patienten komme, lautet meine erste Frage immer: "Was ist passiert?" Allein von den ersten paar Worten bekomme ich einen guten Eindruck von seiner Atmung und seinemGeisteszustand. Während ich mir von ihnen erzählen lasse, was passiert ist, ziehe ich ihnen die Kleidung aus und schaue, wo die Einschusslöcher sind. Außerdem suche ich nach Blutungen. Wenn der Patient große Mengen Blut verliert, muss ich mich sofort darum kümmern, die Blutung unter Kontrolle zu bringen. Als Sanitäter kann ich dich immer intubieren und deine Atmung unterstützen, aber ich kann dir kein Blut geben.

Wenn die Kugel die Extremitäten getroffen hat, arbeiten wir mit Druck. Je nachdem legen wir dann einen Druckverband oder eine iTClamp an. Letztere sieht aus wie etwas aus einem Horrorfilm. Es ist eine Art Haarklammer—mit Nadeln. Wenn dir eine Kugel zum Beispiel das Bein durchlöchert hat, fehlt dir dort Gewebe und entsprechend schwer lässt sich feststellen, was genau blutet. Die iTClamp drückt das ganze Gewebe zusammen. Wenn es dazu kommt, sind wir bereits am Ende unserer Möglichkeiten angekommen.

Notrufe wegen Schussverletzungen oder anderen Verletzungen sind die, auf die wir am Schnellsten reagieren. Die Behandlung von Schusswunden ist wirklich die barbarischste Form der Erstversorgung, die wir leisten.

Welche Stelle am Körper ist bei einer Schusswunde am Tödlichsten?
Bei Schusswunden kann ein winziges, kleines Loch von der Größe eines Cent-Stücks, im Inneren Schaden von der Größe einer kleinen Melone anrichten. Du hast noch nicht einmal die Möglichkeit zu erahnen, was genau blutet—oder was vielleicht Sekunden vor dem Bluten steht. Es kann sein, dass eine Person lange genug dort gelegen hat, um eine blutende Stelle zu blockieren. Dann beginnst du, die Person zu bewegen, und Zack!, öffnet sich die kleine angeschlagene Arterie wieder.

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Wenn du in die Mitte der Brust getroffen wird, vor allem ins Herz, dann gibt es kein Zurück. Und wenn du in die Lunge getroffen wirst und die keine Luft mehr halten kann, erstickst du. Oder sie füllt sich mit Blut und du ertrinkst. Der Kopf ist schwierig, weil der Körper so widerstandsfähig ist und dich weiter dazu zwingt, zu atmen und das Herz schlagen zu lassen.

Gibt es einen bestimmten Notruf, vor dem es dir graut?
Kinder. Noch bevor wir überhaupt die Station verlassen, merkt man bereits, was alle denken: "Hoffentlich ist es nicht wirklich das, was sie gesagt haben!"

Der Großteil unserer Ausbildung basiert auf Erwachsenen. Wenn du es mit einem Kind zu tun hast, ist alles, was du tust, wie unter der Lupe. Ein Kind hat im Vergleich zu einem ausgewachsenen Menschen nur so und so viel Blut im Körper. Der Unterschied zwischen Verbluten und einer Chance zu überleben, beträgt bei Kindern nur wenige Sekunden.

Ein Arzt kann sagen: "Diese Person wiegt 55 Kilo. Wir schätzen, dass sie so und so viel Blut verloren hat." Wir hingegen sind auf der Straße. Ich verfüge nicht über den Luxus, genau zu wissen, wie viel eine Person wiegt oder wie viel Flüssigkeit sie braucht, um den Blutverlust auszugleichen. Das Herz braucht nämlich etwas, das es durch den Körper pumpen kann. Mir bleibt nur eine schnelle Einschätzung des Patienten.

Gibt es einen bestimmten Einsatz, den du nicht mehr aus deinem Gedächtnis bekommst?
Jeder Feuerwehrmann hat ein paar, die er nie wieder vergisst. Einer von meinen kam vor vier oder fünf Jahren rein. Es war mein erster Tag auf Station 16. Es waren drei Kinder und das älteste hatte die Großmutter angerufen und gesagt: "Unsere Eltern liegen hier im Wohnzimmer und reden nicht. Die wollen nicht aufwachen." Die Großmutter rief 911.

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Als wir eintrafen, war die Hintertür eingetreten. Einschusslöcher überall. Überall Blut. Die Schießerei muss sich irgendwann in der Nacht ereignet haben. Für die Eltern kam jede Hilfe zu spät. Aber dann waren da drei kleine Kinder, die nicht verstehen was los ist—sieben, vier und zwei Jahre alt—und sie fragen dich, wann ihre Mama wieder aufwacht.

The Trace hat auch darüber berichtet, inwiefern das Misstrauen zwischen Polizei und Bürgern einen Kreislauf der Gewalt fördern kann. Spürst du diese Dynamik selbst bei deiner Arbeit und beeinträchtigt es deine Möglichkeit, Opfer von Waffengewalt rechtzeitig helfen zu können?
Als Feuerwehrmann oder Sanitäter wirst du generell eher akzeptiert als die Polizei. Wenn jemand einen großen Löschwagen oder einen Krankenwagen mit den ganzen Lichtern sieht, dann assoziieren sie das automatisch mit Hilfe.

Aber wenn der Krankenwagen kommt, kommt auch die Polizei. Die Menschen vermeiden den Anruf also, wenn sie können. Sie wollen dir nicht sagen, wer ihnen das angetan hat, weil sie sich davor fürchten, dass es ihnen ein weiteres Mal angetan werden könnte oder noch schlimmer: ihrer Familie.

Wirklich schlimm ist es, wenn du die ganze Zeit bei Einsätzen unterwegs warst. Du kommst endlich in die Station zurück und denkst dir: "Puh, ich werde mich mal ein paar Sekunden ausruhen." Dann hämmert es an die Tür. Du schaust nach draußen, siehst ein Auto losbrausen und in der Auffahrt liegt ein Menschenkörper.

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Als Sanitäter siehst du regelmäßig furchtbare Dinge. Wie gehst du mit dem Stress und der Belastung durch deine Arbeit um?
Nach jedem schweren Einsatz gibt es eine Nachbesprechung. Die Teilnahme ist Pflicht. Wir sprechen dann darüber, was passiert ist, und reden uns alles von der Seele. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass ein Feuerwehrmann zu dir kommt und sagt: "Hey, der letzte Einsatz hat mich richtig fertiggemacht." Das passiert einfach nicht. Da kannst du eher auf die Zahnfee warten. Dort herrscht diese Alphatier-, wir-sind-die-Härtesten-im-Land-Mentalität.

Man sagt, dass unter Sanitätern die Scheidungsrate, die Selbstmordrate und der Alkoholmissbrauch unverhältnismäßig hoch ist. Liegt das an dem Zeug, das wir tagtäglich sehen? Oder liegt es vielleicht daran, dass wir alle die gleiche Persönlichkeit mit den gleichen Makeln haben?

Ehrlich gesagt sind es aber die Jungs, die dir wirklich bei der Bewältigung helfen. Wir wachen zusammen auf, wir essen zusammen, wir gehen zusammen auf Einsätze. Wir hängen so viel miteinander ab, dass wir schnell merken, wenn was nicht stimmt. Ich zum Beispiel liebe süßen Tee. Wenn wir von einem besonders schweren Einsatz zurückkommen, kommt es schon mal vor, dass mein Lieutenant mir eine Kanne Tee macht. Das hilft meiner Meinung nach besser als jedes formale Programm.

Gibt es eine Sache, die du am Liebsten aus deinem Gedächtnis streichen würdest?
Ich wünschte, ich könnte diesen Eisengeruch loswerden. Diesen komischen, metallischen Geruch. Du kannst ihn fast schmecken.

Manchmal arbeite ich an meinen Motorrädern oder beiße auf eine dieser alten Gabeln und sofort ist dieser Gedanke an etwas Schlechtes da. Es ist der Geruch, den du in der Nase hast, wenn du einen Raum voller Blut betrittst.

Eine Version dieses Artikels ist zuerst bei The Trace erschienen—einer Non-Profit-Nachrichtenorganisatin, die über Waffengewalt in den USA berichtet. Hier kannst du dich für den Newsletter anmelden. Folge Trace bei Facebook oder Twitter.