Fotos aus dem Familienarchiv des Autors
Auch wenn es nicht jeder gleich vermuten mag: Ich bin ein ziemlich klassisches österreichisches Landkind. Ursprünglich aus Mondsee, ist meine Mutter mit meinem jüngerem Bruder und mir, als ich knapp drei Jahre alt war, nach Friedburg gezogen—ein Dorf, etwa eine halbe Stunde von der Stadt Salzburg entfernt, aber doch schon auf der oberösterreichischen Seite der Grenze, im Bezirk Braunau.
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Man kennt Friedburg am ehesten dafür, dass es dort—im Gegensatz zu den meisten Orten in der Gegend—einen Kreisverkehr gibt. Und dafür, dass dort vor 150 Jahren einmal der größte Mann seiner Zeit lebte. Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass ich und mein jüngerer Bruder die ersten schwarzen Kinder waren, die dort jemals aufgewachsen sind.
Wenn ich heute in Wien erwähne, dass ich unweit von Braunau aufgewachsen bin, ernte ich oft bemitleidende Blicke und Kommentare wie: „Du hast es aber sicher nicht leicht gehabt, oder?” Tatsächlich war es aber sogar eine bewusste Entscheidung meiner Mutter, aufs Land zu ziehen.
In der Zeit, in der sie mit meinem Vater in der Stadt Salzburg wohnte, hatte sie so viel offenen Rassismus ihm gegenüber erlebt, dass sie sich dachte, am Land könnte es nur besser sein. Teilweise stimmte diese These vielleicht sogar, teilweise aber auch gar nicht.
Bis zu einem gewissen Alter war meine Hautfarbe dort tatsächlich ziemlich irrelevant. Ganz einfach, weil meine Bezugspersonen neben meiner Familie hauptsächlich andere Kinder waren. Und denen ist meiner Erfahrung nach herzlich egal, ob du schwarz oder weiß bist.
Außerdem kannten mich die Leute im Ort, und für viele Leute waren mein Bruder und ich eine Selbstverständlichkeit. Die Eltern der anderen Kindern mochten mich durch die Bank. Und meine Lehrer waren zu mir auch nicht altmodisch-autoritärer, als zu allen anderen Schülern. Als Kindergartenkind und Volkschüler hatte ich selten das Gefühl, wegen meiner Hautfarbe anders behandelt zu werden. Und wenn doch, versuchte ich schon damals, einfach mit Schlagfertigkeit zu kontern.
Was mir aber doch schon früh das Leben schwer machte, war das Wort „Neger”. Am Land passieren viele Entwicklungen ja bekanntlich später als in der Stadt. Dementsprechend oft verwendeten (und verwenden) viele Leute dort „Neger” im ganz normalen Sprachgebrauch.
Spätestens in der Volksschule fangen Kinder auch an, sich gegenseitig ganz gezielt zu beschimpfen. Da wird alles gegen dich verwendet, was dich irgendwie von der Norm unterscheidet. Das Kind mit leichtem Übergewicht ist dann auf einmal „die fette Sau”, der Bub, dessen Mama aus Deutschland kommt, ist ein „Piefke”. Und ich war bei jedem kleinen Streit dann eben ein „Neger”.
Dass es für mich in Folge unangenehm war, wenn dunkelhäutige Menschen grundsätzlich als „Neger” bezeichnet wurden, haben manche Leute ums Verrecken nicht verstanden. Ich erinnere mich daran, dass unser Musiklehrer in der Hauptschule uns Louis Armstrong vorspielte und beinahe nebenbei erwähnte, dass Armstrong „ja ein Neger war”.
Die Reaktion meiner Mitschüler war in so einem Moment immer die gleiche: Alle drehten ihre Köpfe zu mir und sahen mich wahlweise verschämt, belustigt oder erwartend an. Das war (und ist) mir oft unangenehmer als das Wort selbst.
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Als mein Lehrer die Reaktionen sah, wollte er sich erklären und ging er zu der ewig gleichen, alten Rechtfertigung über: „Neger” ist doch ein ganz normales Wort, das überhaupt nicht negativ gemeint ist, es kommt ja vom spanischen Negro, was lediglich schwarz bedeutet, blabla. Dass es trotzdem unangenehm war, dieses Wort zu hören, wenn man vielleicht noch in der letzten großen Pause von einem anderen Schüler als „scheiß Neger” beschimpft wurde, schienen manche Leute trotzdem nicht zu kapieren.
Wirklich problematisch wurde meine Hautfarbe aber erst im Teenager-Alter—dafür dann umso heftiger. Plötzlich wurde man ziemlich regelmäßig mit direktem Rassismus konfrontiert. Und damit meine ich nicht Leute, die sich auf Faschingsbällen das Gesicht schwarz anmalen und mit einem Knochen in der Hand so tun, als wären sie Buschneger. Solche politisch inkorrekten Kleinigkeiten waren das geringste Problem. Ich meine richtige Anfeindung.
Manche wirklich üble Erlebnisse habe ich lange Zeit ziemlich effektiv aus meinem Gedächtnis verdrängt. Mein Bruder hat mich erst letztens an einen Kerl erinnert, der uns regelmäßig am örtlichen Skatepark schikaniert hat, als ich etwa 12 Jahre alt war. Er war damals bereits knapp 20, ungefähr doppelt so groß wie ich. Und er war ein ordentlicher Nazi und extrem stolz darauf, richtig rechts zu sein.
Er sagte Dinge wie: „So ein Negergsindl wie euch sollte man ausrotten” oder: „Wenn die FPÖ regieren würd, dann würdets ihr eh nimma lange da sein.”
Er gehörte zu einem ganzen Schlag von rechten Burschen, die zu der Zeit bei uns, aber vor allem in vielen anliegenden Ortschaften im Bezirk Braunau gab. Sie trugen Lonsdale-Bomberjacken, auf denen über den ganzen Rücken große Österreich-Wappen aufgenäht waren, manche kauften sich sogar Springerstiefel.
Dieser Typ hatte mich und meinen Bruder jedenfalls über längere Zeit als Zielscheiben ausgewählt. Er sagte Dinge wie: „So ein Negergsindl wie euch sollte man ausrotten” oder: „Wenn die FPÖ regieren würd, dann würdets ihr eh nimma lange da sein.” An einem Nachmittag hörte er einfach nicht mehr damit auf, uns zu beschimpfen.
Ich versuchte, mich und meinen Bruder irgendwie verbal zu verteidigen, aber das schien ihn nur noch stärker zu motivieren. Er entgegnete mir solche Dinge wie: „Was willst du denn tun, deinen Affenpapa holen?” Von den anderen Kids traute sich keiner den Mund aufzumachen, und irgendwann musste ich unter Tränen das Weite suchen. (Sollte dieser Kerl hier zufällig mitlesen: Wir haben noch eine Rechnung offen, du Loser.)
Aber nicht bei allen war der Rassismus so klar sichtbar wie bei den Bomberjacken-Burschen. Das wurde mir bewusst, als ich (mehr oder weniger) alt genug wurde, um auf Zeltfeste und andere Partys in den anliegenden Ortschaften zu gehen. Als 15-jähriger, halbwüchsiger, schwarzer Bursche bist du auf einem Zeltfest im Innviertel ein ziemlich gefundenes Fressen. Du bist nicht mehr klein genug, um einen Kinder-Bonus zu genießen, aber du bist auch noch nicht groß und stark genug, um für betrunkenen Kerle irgendeine Art von Bedrohung darzustellen.
Wenn ich damals so ein Zeltfest betrat, dauerte es meistens nur ein paar Minuten, bis mir ein Besoffener „He, Negerbuali!” nachrief, irgendeinen Kommentar über lange Schwänze machte oder sonst irgendwie versuchte, mich zu provozieren. Das führte dazu, dass meine Freunde aus Friedburg, die mich seit Kindergartentagen kannten, mit ziemlicher Regelmäßigkeit dazu übergingen, sich mit diesen Leuten zu prügeln (ich selbst war nicht der Schläger-Typ und sah meistens eher zu, während sich die Leute rund um mich die Köpfe einhauten).
Das Ganze erreichte einen Höhepunkt, als ich eines Abends auf ein Open-Air-Fest ankam und mir mein Bruder mit einem ausgeschlagenen Schneidezahn entgegenkam. Ein völlig besoffener Kerl aus einem Nachbarort, der ebenfalls nie einen Hehl daraus machte, ein Rechter zu sein, hatte ihn attackiert und ihm mit seiner eingegipsten Hand in den Mund geschlagen. Mein Bruder war damals 14 und der Nazi-Typ war um die 20. Trotzdem hatten mein Bruder und seine Freunde es danach geschafft, ihn im Anschluss dafür K.O. zu hauen.
Je weiter ich mich beim Fortgehen vom Salzburger Land entfernte und Richtung Braunau kam, desto sicherer konnte ich mir sein, an rechte Mistkerle zu geraten, die auf Stress aus waren.
Ich verbrachte daraufhin einige Zeit damit, mit ein paar Kerlen zu diskutieren, die Glatzen, Bomberjacken und Böhse Onkelz-Pullis trugen und mir erklären wollten, dass wir niemals Österreicher sein konnten, weil wir schwarz sind. Letztendlich wurde mein Bruder abgeholt und zum Arzt gebracht. Der Nazi-Typ musste ihm später immerhin ordentliches Schmerzensgeld zahlen.
Der Bezirk Braunau war tatsächlich immer ein ganz eigenes Problem. Je weiter ich mich beim Fortgehen vom Salzburger Land entfernte und Richtung Braunau kam, desto sicherer konnte ich mir sein, an rechte Mistkerle zu geraten, die auf Stress aus waren.
Nachdem ich zu dieser Zeit schon in der Stadt Salzburg in die Schule ging, fing ich an, Partys in Oberösterreich mehr und mehr zu meiden. Die Stadt Salzburg mag jemanden, der in Wien oder einer anderen Großstadt aufgewachsen ist, zwar wie ein größeres Dorf vorkommen, aber verglichen mit dem, was ich mir an den Wochenenden in Bierzelten geben musste, war es für mich die weltoffenste Metropole der Welt.
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Dabei glaube ich auch heute nicht einmal, dass es am Land viel mehr Rassisten gibt, als in der Stadt. Das eigentliche Problem ist viel eher, dass du ihnen dort nicht aus dem Weg gehen kannst. Während du in einer Stadt deine Umgangskreise oder eine Szene wählen kannst, in der du dich bewegst, begegnest du ihnen am Land vor allem im Nachtleben aus Mangel an Alternativen viel, viel öfter.
Was wirklich an mir nagte, waren aber nicht irgendwelche Idioten aus anderen Dörfern. Wirklich an die Substanz ging mir, wenn Leute, die ich kannte und eigentlich immer mochte, mit richtig dummen, tiefen rassistischen Scherzen um die Ecke kamen, sobald sie halbwegs betrunken waren.
Nach jedem Fortgehen am Land war ich noch etwas desillusionierter, weil mir bewusst wurde, wie viele Leute wohl so dachten. Für mich persönlich war das um einiges schlimmer, als von irgendeinem besoffenen Proleten aus dem Nachbarkaff, den ich ohnehin nicht mochte, als „scheiß Neger” beschimpft zu werden.
Hier ein kleines Video von einer „Afrikagschnas” in unserem Nachbarort Straßwalchen—eine Ortschaft, die ich noch eher als liberale Bastion in unserer Region bezeichnen würde.
Gleichzeitig war ich mir immer sicher, dass man es, wenn man von noch dunklerer Hautfarbe war als ich, oder aus der Türkei, dem arabischen Raum, oder aus einem Balkan-Land stammte, wahrscheinlich noch viel schwerer hatte. Wie über diese Leute teilweise hergezogen wurde, war rückblickend wirklich ziemlich entsetzlich.
Die meisten Leute würden über Tiere nicht so abfällig reden. Ausdrücke wie „Tschabrackengsindl” oder „Kameltreiber” habe ich in meiner Teenager-Zeit ziemlich oft zu hören bekommen. Machmal redete ich beim Fortgehen mit Typen, die dann meinten: „Du bist eh in Ordnung, du bist eher aus dem Süden. Mich stören die viel mehr, die aus dem Osten kommen.”
Als ich mit 17 oder 18 das letzte Mal einen Fuß in ein Zeltfest in unserem Nachbarort gesetzt habe, hat mir ein Kerl mit Glatze und Bomberjacke entgegen geschrien, dass ich nach Auschwitz geschickt gehöre und hat dann den Hitlergruß gemacht, was wieder einmal fast zu einer Schlägerei zwischen den Jugendlichen unserer beiden Ortschaften geführt hätte.
Den Nazi-Idioten zum Trotz haben die Menschen aus meiner Heimat, für die meine Hautfarbe keine Rolle gespielt hat, zum Glück den bleibenderen Eindruck bei mir hinterlassen—und diese Leute waren locker die Mehrheit. Auf ein Zeltfest bringen mich zwar keine zehn Pferde mehr. Aber nachhause komme ich trotzdem immer noch sehr gerne.
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