Leander ist Anfang 40, lebt in London und hat einen Doktortitel in Neurowissenschaften. Er hat wissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften für Psychologie veröffentlicht und reist für seine Arbeit um die Welt. Außerdem ist er ein Pornostar.
Auch wenn dieser Werdegang etwas ungewöhnlich klingt, ist Leander nicht der einzige, der Sex zu seinem Nebenjob gemacht hat. Seit dem Launch von OnlyFans 2016 und spätestens seit dem Beginn der Corona-Pandemie versuchen sich mehr und mehr Menschen in Online-Sexarbeit. Die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten begünstigen diese Entwicklung.
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Die große Mehrheit der OnlyFans-Konten sind von Frauen. Aber sie sind nicht die Einzigen. Auch einige Männer (und natürlich auch nicht-binäre Menschen) verdienen auf der Abo-Plattform ganz gut.
Wir haben mit fünf Männern über ihre Erfahrungen mit OnlyFans gesprochen und darüber, wie viel sie dort verdienen. Außerdem haben wir sie gefragt, welche Ratschläge sie Menschen geben würden, die darüber nachdenken, selbst dort aktiv zu werden.
Leander, 41
“Ich habe vor acht Jahren mit Sexarbeit angefangen”, sagt Leander. “Das hatte verschiedene Gründe, aber vor allem wegen des Geldes und der vielen Möglichkeiten zu reisen. Ich wollte aber auch etwas Kreatives machen, das sich stark von der wissenschaftlichen Arbeit unterscheidet, die ich zu der Zeit machte.”
Heute verdiene er mit seinen Videos und Fotos mehr, als er als Neurowissenschaftler in der Forschung machen würde – in Großbritannien sind das umgerechnet etwa 40.000 Euro pro Jahr. Auch wenn das Einkommen bei einer entsprechend großen Anzahl zahlender Fans durchaus gut ist – allein bei X, beziehungsweise Twitter, hat Leander über 383.000 Follower –, bleibt die gesellschaftliche Stigmatisierung weiterhin ein großes Problem.
“Männer und Frauen stehen beide unter dem Druck, einem bestimmten Körperbild zu entsprechen, bei Männern manifestiert sich das allerdings manchmal anders. Viele sehen sich gezwungen, Steroide zu nehmen, um den erwünschten Körperbau zu halten und bei der Konkurrenz mithalten zu können. Für neue Sexarbeiter kann es schwierig sein, Unterstützung und Hilfestellungen zu bekommen – vor allem aufgrund des gesellschaftlichen Stigmas.”
Gerade jüngere Menschen sollten bedenken, dass ihre ins Netz gestellten Nacktaufnahmen für immer dort sein werden. “Diese Entscheidung ist unumkehrbar. Sie verschließt einem viele Türen. Es wäre naiv, davon auszugehen, dass man Sexarbeit macht und niemand davon erfährt”, sagt Leander. “Wenn man bekannt bist, lassen einen einige Länder vielleicht nicht mehr einreisen – besonders, wenn man queer ist.”
Bailey, 29
Bailey ist Teil der Pariser Pupplay-Community. Bei dieser BDSM-Spielart geht es um die Dynamik zwischen einem Hund, also dem Puppy, und seinem Handler, Trainer oder Herrchen. Puppys tragen die charakteristischen Hundemasken und häufig auch ein Halsband mit Leine. Bailey ist ein so guter Puppy, dass man ihm zum Mister Puppy France 2023 gekrönt hat – auf X, früher Twitter, hat er als DogBoibailey über 16.000 Follower. Seit knapp drei Jahren produziert Bailey auch eigene Pornovideos und Fotos. Das sei schon immer sein Traum gewesen, sagt er, nur das gesellschaftliche Stigma habe ihn von der Sexarbeit abgehalten.
“Beruflich wollte ich immer schon Sexarbeit machen und meine Anonymität als Bailey hat mir geholfen, mich freier zu fühlen”, sagt er. “Es wird immer noch sehr stigmatisiert, aber die Scham kommt nur, wenn man sie zulässt. Wenn mich eine Firma wegen so etwas nicht anstellen will, würde ich dort auch nicht arbeiten wollen.”
Während er sich einen Kundenstamm bei OnlyFans aufbaut, arbeitet er noch weiter in einem Hotel. Die Einnahmen aus der Sexarbeit, ein paar Hundert Euro pro Monat, reichen noch nicht, um davon leben zu können. “Auf OnlyFans verdiene ich mehr Geld, aber auf JustForFans, einer anderen Fansite, kann ich explizitere Inhalte hochladen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das eine Seite von Sexarbeitenden für Sexarbeitende ist.”
Bailey sagt, dass es ihm bei der Sexarbeit nicht wirklich ums Geld gehe. “Aber ich würde es schon gerne zu meiner Haupteinnahmequelle machen. Es ist mit vielen Kosten verbunden: Drehen, Schneiden und Reisen. Das ist hart, wenn es sich nicht auszahlt oder man kein Netzwerk hat, das einen unterstützt. Im Pornogeschäft ist es wichtig, einen Plan B zu haben.”
Karim, 31
“Ich habe schon immer Content für Instagram produziert”, sagt Karim. Der Software-Entwickler hat spanisch-marokkanische Wurzeln und lebt in Amsterdam. “Aber ich wollte etwas Neues ausprobieren. Also habe ich vor drei Monaten damit angefangen, Solo-Content bei OnlyFans zu teilen. Das läuft richtig gut. Im ersten Monat habe ich so viel verdient wie in meinem normalen Job.”
Wenn man bedenkt, dass ein Software-Entwickler in Amsterdam im Durchschnitt 3.700 Euro pro Monat verdient, ist das nicht schlecht. Karim schreibt diesen Erfolg seiner Experimentierfreude und seinem Gespür für Storytelling zu. Auf OnlyFans gibt er sich dominanter als in seinem Alltag. “Ich sehe meine OnlyFans-Figur als Drag. Die Persona, die ich dort erschaffen habe, basiert auf bestimmten Teilen meiner Persönlichkeit. Was im echten Leben funktioniert, unterscheidet sich aber häufig von dem, was online funktioniert. Ich habe erkannt, dass es besonders gut ankommt, wenn ich bestimmte Nischen wie BDSM oder Dominanz auslote.”
Für Karim ist die Sexarbeit ein kreativer Prozess. Und auch wenn er sie vielleicht nicht für immer machen werde, sagt er, habe sie ihm viel über die Zukunft gelehrt. “Diese Arbeit hat Auswirkungen auf deine psychische Gesundheit. Mit der Zahl deiner Follower wächst auch der Druck, mehr Videos zu produzieren und mehr zu tun”, sagt er. “Aber ich habe dadurch auch gelernt, wie man als Freelancer arbeitet. Das wollte ich immer schon. Diese Fähigkeit kann ich jetzt in meine Arbeit als Entwickler einbringen.”
Eddy, 27
Eddy ist ein 27 Jahre alter trans Mann, der Pornos dreht und als Escort für Männer arbeitet. Wie viele andere fing er zu Beginn des Lockdowns mit der Sexarbeit an. Seitdem hat er über 300.000 Follower bei X gesammelt und verdient mit seinen Videos – und dem Verkauf von getragenen Socken und Unterwäsche – genug, um sein Leben in London zu finanzieren.
“Meine Erfahrungen waren ziemlich positiv”, sagt Eddy über die Pornos. “Ich habe während des Lockdowns mit Solo-Content angefangen. Vor rund zwei Jahren begann ich dann, auch mit anderen zusammenzuarbeiten. Meine Squirt-Videos waren sehr beliebt. Aber auf OnlyFans bin ich mit meinen Inhalten etwas eingeschränkt: keine Pisse, nichts draußen und kein zu harter Sex. Andere Plattformen sind da viel offener, aber OnlyFans kriegt halt den meisten Traffic.”
Auch wenn er seinen Job mag, sagt er, dass diese Arbeit nicht für jeden geeignet sei: “Du brauchst ein dickes Fell, weil du dich selbst im Internet ausstellst. Früher oder später werden Leute dir schlimme Sachen schreiben. Außerdem ist es eine Menge Arbeit. Ich glaube, manche Menschen denken, dass das ganz einfach ist, aber du musst es wirklich wollen und ein gutes Zeitmanagement haben. Ich bin Regisseur, Darsteller, Filmemacher, Cutter, Social Media Manager und Planer in einem.”
Chris, 39
“Ich habe angefangen, Solo-Zeug auf OnlyFans zu posten, um mir zu meinem normalen Job im Medizinbereich noch etwas dazu zu verdienen”, sagt Chris, aka ChrisCoxxx. Chris ist ein heterosexueller Cis-Mann und postet seit drei Jahren auf Seiten wie OnlyFans und Fawnstars Videos. “Das meiste davon wurde von schwulen oder Bi-Männern gekauft. Ich habe dann angefangen, auch noch Videos mit Darstellerinnen zu drehen.”
Chris macht diese Videos auch, weil sie ihm Spaß machen – viel Geld verdiene er damit momentan noch nicht. Er hofft allerdings, dass sich das noch ändert. “Der größte Betrag, den ich auf OnyFans gemacht habe, waren etwa 100 britische Pfund, also etwa 115 Euro, aber ich erwarte, dass es mehr wird, wenn ich mehr hochlade. Mir macht es Spaß, aber ich würde es wahrscheinlich nicht machen, wenn es kein Geld abwerfen würde. Alles hat seine Kosten. Man muss es filmen, schneiden und dann vermarkten – und man braucht einen Plan.” Zusammen mit den Einschränkungen auf OnlyFans und dem potenziellen Stigma ist das eine ganze Menge.
“Ich behalte meine Sexarbeit für mich, aber wenn Leute es herausfinden, dann finden sie es halt heraus. Wenn ich meine Videos für meinen regulären Job aufgeben müsste, würde ich das wahrscheinlich tun. Ich kann es mir nicht leisten, ohne ein Einkommen dazustehen, das eh schon kaum reicht.”
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