Chunni Babu ist Immobilien-Mogul und lebt im vornehmen Melbourner Vorort Brighton, in den 1980ern sah sein Leben radikal anders aus. Babu stammt aus Pakistan. Während der tyrannischen Militärdiktatur Zia-ul-Haqs organisierte Babu geheime Swingerpartys, zu denen Menschen aus den höchsten Gesellschaftskreisen kamen. Über mehrere Jahre waren die Orgien ein großer Erfolg, bis alles ein finsteres Ende nahm.
Auf seinem Balkon bei einer Shisha sprechen wir über die Partys, warum sie endeten und wie er das Swingen mit seinem muslimischen Glauben vereinbart.
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VICE: In was für einem politischen Klima sind diese Partys entstanden?
Chunni Babu: Es war heftig. Das Land geriet unter der Militärdiktatur von Zia-ul-Haq komplett aus den Fugen. Der konservativ-islamische Herrscher, der von 1977 bis 1988 an der Macht war, setzte seine Ideale wie ein Tyrann durch und machte die ganzen progressiven sozialistischen Maßnahmen der Vorgängerregierung rückgängig. Ich arbeitete damals als Bauunternehmer. Meine Familie hatte angefangen, die alten traditionellen Märkte in moderne Einkaufszentren umzuwandeln und zu vermieten. Meine Frau und ich verbrachten allerdings viel Zeit hinter verschlossenen Türen.
Wie enstanden die Partys?
Nun, die sozialen Kreise, in denen wir uns bewegten, waren sehr überschaubar. Wir verbrachten die meisten Wochenenden mit den gleichen Menschen und so lernte man sich sehr gut kennen. Eines Abends hatten wir zwei Pärchen bei uns zu Besuch und die haben es uns dann vorgeschlagen. Wir waren alle ziemlich high, hörten die Balladen von Mohammed Rafi und dachten uns: “Warum nicht?”
Wie ist aus dieser einen Nacht eine regelmäßige Veranstaltung entstanden?
Weil ich noch ein ziemlicher Neuling in der Swingerszene war, habe ich mich dazu bereiterklärt, eine weitere Party zu veranstalten. Ich war neugierig, aber ich hatte auch vertrauenswürdige Kontakte, über die ich Musiker und Tänzerinnen organisieren konnte. Wir verschickten an ausgewählte Leute goldbesetzte und handgeschriebene Einladungen, die ein Spezialist für arabische Kaligrafie aus Peschawar für uns angefertigt hatte. Die ersten Partys waren klein und vor allem eine Sache unter Freunden. Aber wie bei allem in Pakistan machte die Sache schnell die Runde, das Beamtentum riss alles an sich und Gäste aus den gehobenen Kreisen luden einfach ein, wen sie wollten. Meine armen Wachen wurden mehrmals von Rüpeln und Politikern verprügelt, die man nicht ablehnen durfte.
Die Leute rannten dir also einfach die Tür ein?
Ja, aber ich wollte, dass die Menschen, die mir etwas bedeuteten, frei sein und die kurze Zeit genießen können, die wir auf diesem Planeten haben.
Ich habe von Praktiken gehört, die im Geheimen an den Rändern und in den wohlhabenden Teilen der arabischen Welt stattfinden.
Ja, sie nannten es anscheinend “Die Nacht von Ifada”, wo alle Kerzen ausgeblasen werden und dir das Schicksal erlaubt, an allem teilzuhaben, was mit dir und denen um dich herum geschieht.
Wie bist du inmitten der Diktatur damit durchgekommen?
Die Polizei haben wir natürlich bezahlt. Die Diktatur selbst hat es nur noch aufregender gemacht. Alle wollten etwas Freiheit kosten und ich bin sowieso der Meinung, dass Menschen immer rebellieren werden, wenn du ihnen eine Ideologie aufdrückst, die zu streng ist. Das liegt einfach in unserer Natur. Also haben wir rebelliert und zwar so vulgär wie möglich.
Vulgär?
Sexueller, befreiter und schließlich auch abgründiger. Anfangs war ich davon ausgegangen, dass es die Einflüsse westlicher Freiheitsvorstellungen waren, die uns dazu brachten, solche Partys zu machen. Immerhin bereisten Hippies regelmäßig Nordindien und sogar Afghanistan. Aber ich lag falsch. Die höheren Schichten, Gesellschaftsgruppen und Orden haben eine fast sakral-rituelle Sicht auf Sexualität, die tief in Geschichte und Tradition verwurzelt ist.
Wie abgründig wurden die Partys denn?
Zu unserer letzten Party Mitte der 80er kamen über 50 Gäste. Ich hatte das Haus im Mogulstil dekoriert. Obwohl es ein angenehm-warmer Abend war, war ich extrem nervös. Ständig patrouillierte ich durchs Haus, um sicherzustellen, dass alles gut läuft. Es waren nämlich einige Menschen dort, die ich nicht wirklich kannte. Sie waren mit Freunden aus sehr hohen Kreisen gekommen, Söhne von Politikern und wohlhabende Gangster mit Mafiaverbindungen. In Pakistan sind diese beiden Arten von Menschen manchmal die gleichen.
Als ich in die Gästeunterkunft eintrat, war einer der Diener panisch und schweißgebadet. Er habe etwas gesehen, was er nicht hätte sehen dürfen, sagte er. Er hatte richtig Angst. Meine erste Reaktion war: “OK, er hat bestimmt zwei Männer gesehen, die Sex miteinander hatten.” Aber ich lag falsch. Anscheinend hatte einer der zwielichtigen Typen zwei Tänzerinnen Heroin gegeben und eine davon lag krampfend auf dem Boden. Der Mann hatte wohl beim Abhauen den Diener noch angeschrien, das Chaos zu beseitigen. Ich war augenblicklich nüchtern. Meine Gedanken glasklar. Als würde ich einen sonderbaren Albtraum betreten. Unten wurden Ghasels gesungen und aus dem Küchenbereich erklangen die Sexgeräusche eines englischen Pärchens. Es war bizarr und unheimlich.
Was ist aus der Tänzerin geworden?
Ich möchte nicht darüber sprechen. Was ich aber sagen möchte, ist, dass sich absolut niemand bei der Party nach ihrem Befinden erkundigt hat. Das hat mich extrem verstört. Mit diesem grauenvollen Erlebnis war dann alles vorbei.
Wie lange hatte es die Partys schon gegeben?
Wir haben sie über fünf Jahre in relativ regelmäßigen Abstanden veranstaltet, meistens bei mir zu Hause. Als wir aufhörten, verstreute sich ein Großteil der Gäste und gründete eigene private Gruppen. Sie fingen an, geheime Partys zu organisieren, über die nach außen kein Wort verloren werden durfte, damit nicht wieder die lokalen Gangster und andere zwielichtige Gestalten auftauchen. Manche davon gibt es heute noch. Immer wenn ich nach Mumbai, Dubai oder Karachi reise, bekomme ich einen Anruf von einem alten Bekannten, der mich fragt, ob ich nicht mal wieder feiern möchte wie früher.
Glaubst du, dass irgendetwas davon im Konflikt mit deinem muslimischen Glauben steht?
Vielleicht tut es das, aber in der Regel sind die Menschen, die dir so etwas sagen, von ihren eigenen Unsicherheiten besessen. Religion ist für mich etwas Persönliches, eine direkte Beziehung zu Allah. Ich glaube an Recht und Unrecht. Ich habe nie in meinem Leben jemandem etwas angetan. Und sollte ich jemals nach meinem Tod gerichtet werden, so glaube ich, dass das Gute das Böse überwiegen wird.
Wir hatten eine tolle Zeit und wir haben es Menschen erlaubt, sich selbst und ihre Beziehungen zu erkunden, intensiver, als sie es je für möglich gehalten hätten. Es war wie ein kleiner Vorgeschmack auf Himmel und Hölle in einer Welt, die keinen Platz für uns zu haben schien.
Denkst du oft an damals zurück?
Ständig. Wir hatten so viel Spaß. Wir waren wirklich da draußen auf Erkundungstour – nicht so wie die Jugendlichen heute, die hinter ihren Bildschirmen hocken. Wir hatten große Ideen und den Mut, ihnen auch nachzugehen. Je weiter ich mich von dieser Zeit und diesem Ort entfernt habe, desto mehr wuchs ich in diese Anzug- und Krawattengeschichte rein: in einen sehr nüchternen, konservativen Lebensstil. Vielleicht ist das aber auch einfach der Geist der Zeit, in der wir heute leben.
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