Matthäa ist 35 Jahre alt. Mit 28 bekam sie die Verdachtsdiagnose auf Endometriose, die sich viele Untersuchungen später bestätigte. Nach vielen Jahren der Ungewissheit und Schmerzen, die von ihrem Umfeld nicht ernst genommen wurden, hat sie sich nun entschlossen, darüber zu sprechen. Um anderen Betroffenen zu helfen und zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Früher, als ich noch nicht schmerzfrei war, freute ich mich am ersten Tag meiner Regel sogar über die minimalsten Schritte – duschen zum Beispiel. Damals habe ich während meines Zyklus mindestens einen Tag im Bett verbracht; manchmal auch einen zweiten. Auch Magen-Darm-Probleme gehören dazu, oft konnte ich mich nicht mehr aus dem Klo bewegen. Man verbringt dann den ganzen Tag im Badezimmer und wechselt zwischen Badewanne, Klo und Badezimmerboden.
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Vor der Regel neigte sich mein Energielevel gegen Null. Ich hatte auch massive Erschöpfungssymptome, wurde vergesslich, fühlte mich schwammig im Kopf. Endometriose fühlt sich für mich an, wie wenn man Grippe bekommt. Ich merkte dann, dass es im Bauch zieht: Oft hatte ich so starke Schmerzen, dass ich erbrechen musste. Gepaart mit diesem Schwindelgefühl im Kopf kam ich in Situationen, in denen ich während eines Gespräches die Augen geschlossen habe und plötzlich nicht mehr anwesend war.
Einmal hat mich beispielsweise ein Arbeitskollege angesprochen und gefragt, ob alles OK sei – und erst in dem Moment bemerkte ich, dass ich anscheinend meine Augen geschlossen hatte. Solche Ausreißer sind nicht nur unangenehm, sondern auch gruselig. Als ich einer Ärztin davon erzählte, meinte diese, ich hätte wohl einen Kontrollwahn.
Bei Endometriose wächst Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnlich ist, außerhalb der Gebärmutterhöhle. Das kann zu starken Schmerzen führen, meistens sind Bauch, Eileiter oder Eierstöcke betroffen. Die Ursache für Endometriose ist bislang nicht restlos geklärt.
Ich hatte auch oft so starke Schmerzen, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte und mich auf der Stelle auf den Boden legen musste. Wie viele andere Endo-Patientinnen war ich bei mehreren Frauenärzten und Ärztinnen, die alle supernett waren. In meinem Fall waren es fünf verschiedene. Aber was das Thema anbelangt, waren sie leider völlig inkompetent.
Nach meinem ersten Besuch bei einer Ärztin in Berlin war ich extrem überrascht, weil sie bereits anhand des Ultraschall-Bilds sagen konnte, dass etwas mit meiner Gebärmutter nicht stimmte. Bis zu diesem Moment hatte ich Ärzten und Ärztinnen immer selbst sagen müssen, was mir fehlt. Die meisten empfahlen mir sowieso nur, ich solle einfach Schmerzmittel gegen die Beschwerden nehmen. Und ganz ehrlich: Wenn du nicht einmal von Fachleuten wirklich Unterstützung oder fachkundige Auskunft bekommst, wie willst du dann weitermachen?
Als ich dann mit 28 einen Arzt fand, der meinte, es könnte Endometriose sein, sagte er: “Wir wissen zwar nicht, ob Sie das wirklich haben, aber wenn, dann können Sie wahrscheinlich keine Kinder kriegen.” Heute bin ich dankbar, dass er das gesagt hat. Im damaligen Moment war das aber eine Bombe; ein richtiger Schock.
Ab diesem Moment wurde ich mit Entscheidungen und Themen konfrontiert, die bis dahin keine große Rolle gespielt hatten. Wie zum Beispiel die Frage nach Kindern. Man könnte sagen, meine Situation hat mich auch Selbstverantwortung gelehrt.
Im Nachhinein denke ich, wie so oft, dass man durchaus früher draufkommen hätte können. Ich hatte zum Beispiel oft Ohnmachtsanfälle. In der Schule wurde ich deswegen sogar einmal vom Krankenwagen abgeholt. Damals hieß es aber nur, sowas passiere eben in der Pubertät.
Immer wenn ich in meinem Umfeld darüber sprach, bekam ich nur sowas zurück wie: “Naja, meine Tante hatte auch so starke Regelschmerzen und das ging dann mit dem ersten Kind weg.” Oder auch: “Das gehört dazu, das ist ganz normal”. Irgendwann denkst du, dass es eben so ist. Bis ich verstanden habe, dass meine Schmerzen mit der Regel zusammenhängen und genauso zyklisch ablaufen, dauerte es.
Laut Schätzungen können 30 bis 50 Prozent der betroffenen Frauen unfruchtbar werden.
Generell kam wirklich sehr wenig Unterstützung aus meinem Umfeld. Im Nachhinein kann ich das so klar sagen. Als ich es den Menschen in meinem engeren Umfeld erzählte, reagierte niemand wirklich darauf oder fragte, was es bedeutet, eine chronische Krankheit zu haben. Ich selbst hab’s lange Zeit auch nicht wirklich begriffen. Ich habe mir selbst oft gewünscht, dass ich es nicht hätte. Es dauerte ziemlich lange, bis ich verstanden habe, dass mir das bleiben würde.
Das alles gilt für meinen Arbeitsbereich genauso wie für mein Privatleben – was sicher auch daran liegt, dass man es mit der Krankheit oft nicht mehr schafft, im selben Ausmaß Freundinnen zu treffen wie ein gesunder Mensch. So wirkt man unzuverlässiger, als man eigentlich ist, weil man öfters spontan absagen muss. Das alles hat sehr viele Konflikte verursacht und ich reagiere nach wie vor allergisch auf Aussagen wie: “Naja, vielleicht hast du ein Problem mit deiner Weiblichkeit und deshalb hast du das.” Oder: “Entspann dich doch einfach.”
Damals wusste ich auch nicht, wie ich auf solche Aussagen reagieren sollte. Man muss in solchen Situationen lernen, über seinen Körper zu sprechen und für alle Bereiche eine Sprache finden, die die Menschen dann auch richtig verstehen: für Ärztinnen und Ärzte, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, Freundinnen und Freunde, Familie und auch den Partner oder die Partnerin.
Durch den hohen Arbeitsausfall ist Endometriose eine für die Wirtschaft relevante Krankheit. Laut einer britischen Studie sind Patientinnen 45 Tage im Jahr arbeitsunfähig. Außerdem werden sie von ihren Schmerzen im Alltag beeinträchtigt. ( Datenlage zur Endometriose; In: Gynäkologe. 40, 2007, S. 521–526)
Erst, wenn Menschen dann immer noch verständnislos reagieren, kann man ihnen auch einen Vorwurf daraus machen. Ich weiß, dass es wirklich schwierig ist, mit Menschen, die man liebt, über seine Schmerzen und die Ohnmacht, die man so oft erlebt, zu sprechen. Umso wichtiger ist es aber auch. In dieser Zeit gingen bei mir auch viele Freundschaften in die Brüche. Eine Freundin meinte zu mir, ich würde so tun, als hätte ich als einzige auf der Welt Stress. Aber es gibt eben Menschen, denen man sagen kann, dass man sich mehr Verständnis wünscht, und anderen eben nicht.
Ich glaube, dass die Krankheit vor allem deshalb so wenig ernst genommen wird, weil alle Themen, die sie umgeben, gewissermaßen Tabuthemen sind. Die Themen Menstruation und Zyklus lösen bei vielen Menschen Abwehrreaktionen aus. Wenn ich sage, ich habe Regelschmerzen, kommen oft auch Aussagen wie: “So genau will ich das nicht wissen.” Vor allem von Männern.
In solchen Momenten ringe ich dann immer wieder selbst um Worte – vor allem im Arbeitskontext –, um die Krankheit zu beschreiben. Ich spreche dann von “gynäkologisch” und “zyklisch” oder von einer “Frauenkrankheit”. Ich habe mir da schon gewisse Begriffe zurechtgelegt, um die Menschen möglichst wenig zu irritieren. Und trotzdem gibt es immer noch Menschen, die nicht einmal das hören wollen. Manche denken auch, das Ganze gehöre nur mit Frauen besprochen; aus irgendeinem Grund. Außerdem ist es eine Krankheit, die weiße Männer nicht bekommen können – was für die Akzeptanz in der Gesellschaft ein ganz schlechtes Omen darstellt.
Anfangs habe ich mich aufgrund der Nebenwirkungen, die ich von früher kenne, auch bemüht, einen Weg ohne die Pille zu finden, die mir der Frauenarzt empfahl. Kurz vor der Regel wurde ich aber jedes Mal panisch. Also nahm ich die Pille, was sich im Nachhinein als gute Entscheidung herausstellte.
Wenn man merkt, dass etwas immer wieder kommt, beginnt man auch, in den Dialog mit dem eigenen Körper zu treten. Mit einer Ernährungsumstellung fing ich an: Ich esse seither viel Gemüse. Milch und Kaffee vertrage ich nicht wirklich gut und lasse sie daher fast ganz weg. Bier trinke ich gar nicht mehr, weil es östrogenförderlich ist und ich es mittlerweile auch nicht mehr vertrage. Ich stellte auch fest, dass Magnesium bei mir gut funktioniert. Ich nahm immer wieder Nahrungsergänzungsmittel. Alle, die mich ein bisschen besser kennen, nennen mich seither “Kräuterhexe”.
Die Endometriose-Vereinigung Österreich hat auch ein PDF herausgegeben, in dem erklärt wird, was man essen soll und was nicht. Das ist sicher hilfreich für viele, aber ich glaube, dass die Unverträglichkeiten im Detail bei jeder Patientin anders sind – das sagt mir auch jede, die ich kenne. Das ganze Wissen darüber, wie der eigene Körper mit der Krankheit am besten umgeht, entwickelt sich einfach mit der Zeit.
Patientinnen suchen in 50 Prozent der Fälle fünf oder mehr Ärztinnen und Ärzte auf, die die Symptome oft nicht erkennen. Die unspezifischen Symptome von Endometriose werden von vielen als normale Menstruationsbeschwerden angesehen.
Mir haben vor allem andere Betroffene dabei sehr geholfen: Ich bin Teil einer Endometriose-Selbsthilfegruppe in Berlin, die sich letztes Jahr im September gegründet hat. Als Österreicherin kann man sich diese Selbsthilfegruppe nur schwer vorstellen – dass so etwas funktioniert und sogar noch von der Krankenkasse gefördert wird, ist fast unglaublich. Diese Gruppe hat den Sinn, sich zu organisieren, sich zu informieren und sich gegenseitig viele Wege zu erleichtern. Die Organisation machen wir selbst, und wir verwenden unser minimales Budget auch dafür, Leute einzuladen, die uns Tipps geben können – zum Beispiel eine Physiotherapeutin, die uns Übungen gezeigt hat. Wir tauschen uns auch untereinander aus und stehen einander zur Verfügung, wenn jemand akute Fragen hat.
Wir sind mittlerweile 40 Leute und es gibt einen harten Kern von zwölf Leuten, die regelmäßig zu den Treffen kommen. Die Treffen finden einmal Monat statt, und zwar immer zu einem bestimmten Thema – beispielsweise zu Ernährung, Kinderwunsch oder Naturheilkunde. Ein Thema, das wir noch vor uns haben, ist “Endometriose und Sexualität”.
Wenn du siehst, dass es vielen anderen Frauen gleich geht und sie ähnliche Lebensgeschichten haben wie du, beginnst du auch, anders zu denken und dich verstanden zu fühlen. Für mich war es eine große Entdeckung, dass es ähnliche Biografien wie meine gibt.
Schätzungen zufolge sind 10 bis 15 Prozent der Frauen im geschlechtsreifen Alter von Endometriose betroffen, in Österreich sind das rund 300.000 Frauen. Endometriose ist die zweithäufigste gutartige gynäkologische Erkrankung, am häufigsten tritt sie bei Frauen zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr auf. Oft wird Endometriose erst sehr spät diagnostiziert, durchschnittlich vergehen 3 bis 11 Jahre zwischen ersten Symptomen und der Diagnose.
Die Folgen von Endometriose sind oft wirklich verheerend. Für einige Frauen bedeutet die Krankheit auch den Verlust ihrer Gebärmutter. Als ich hörte, dass es mit Endometriose schwierig sein kann, Kinder zu bekommen, habe ich zwar den ganzen Tag nur geheult wie ein Schlosshund und das alles im ersten Moment einfach verdrängt. Gleichzeitig stellte ich auch sofort fest, dass ich Kinder wollte; ähnlich ist es bei den meisten Betroffenen, die ich kenne. Es hat etwas sehr Definitives, wenn man weiß, dass diese Option wegfällt oder zumindest um vieles unwahrscheinlicher ist. Seither beschäftigt mich das Thema Kinder viel mehr als vor meiner Diagnose – vielleicht auch mehr, als es mich jemals beschäftigt hätte, wenn ich die Diagnose nicht bekommen hätte.
Mein Kinderwunsch ist bis jetzt jedenfalls unerfüllt. Im Zuge einer Kinderwunschbehandlung hatte ich letztes Jahr eine vaginale Bauchspiegelung – das ist der Eingriff, über den man eine Endometriose verlässlich diagnostizieren kann. Das ist eine gute Methode zur Diagnose, aber nicht zur Behandlung. Insgesamt hatte ich dann noch zwei Operationen: eine Endometriose-Entfernung und Lösung der Verwachsungen des Darms, des Eileiters und Eierstocks, und die Behebung meiner Gebärmutter-Anomalie.
Mittlerweile weiß ich auch, dass fast jede Endo-Patientin noch andere Auto-Immun-Probleme hat. Ich selbst habe zum Beispiel 2015 Neurodermitis bekommen. Irgendwann brach dann meine ganze Gesundheit zusammen. In diesem Moment war ich teilweise auch sauer auf die Fachleute, von denen ich über so lange Zeit so wenig Hilfe bekommen hatte.
Dass es diesen Zusammenhang von Endometriose und anderen, spontan auftauchenden Krankheiten gibt, ist eine weitere Info, die mir viele Gynäkologinnen und Gynäkologen nicht sagen konnten und die ich mir selbst erarbeiten musste. Ich glaube, das hat einerseits damit zu tun, dass viele Ärztinnen und Ärzte es einfach nicht wissen, und andererseits auch damit, dass die Auswirkungen von Endometriose bei jeder Patientin so unterschiedlich sein können, dass kein wirklich einheitliches Krankheitsbild besteht. Zumindest erlebe ich das in meinem Umfeld so.
Ich frage mich im Nachhinein natürlich, wie man das alles besser machen hätte können. Zusätzlich schleicht sich immer wieder die Angst vor einem neuen Schub ein. Die Angst, dass sich das Problem wieder verstärkt; dass eine neue Krankheit hinzu kommt; oder dass die Endometriose weiter wächst beziehungsweise neue Organe befällt.
Inzwischen habe ich zwei Gynäkologinnen, eine TCM-Heilpraktikerin und eine Osteopathin. Ich weiß nicht, wie es mir ohne all das ginge. Es ist so wichtig, dass man Expertinnen und Experten um sich hat. Mit alldem schaffe ich es heute, mit den Schmerzen gegen Null zu kommen – was sehr cool ist, weil mir das ermöglicht, so etwas wie einen Alltag zu leben. Ich weiß nur nie, wie lange und ob das so bleibt.
Durch die Naturheilpraktikerinnen kenne ich mittlerweile meinen Rhythmus und meine Grenzen. Das ist für mich ein sehr wichtiges Werkzeug, weil man mit Endometriose immer wieder gezwungen ist, die eigenen Grenzen zu überschreiten. Mit Endometriose entwickelt man eine sehr hohe Schmerztoleranz. Aus heutiger Sicht finde ich es völlig wahnsinnig, mit welchen Schmerzen ich noch Dinge erledigt habe. Aber man entwickelt einfach eine Angst, abgehängt zu werden und beißt deshalb die Zähne besonders zusammen.
Man muss zwar leider auch akzeptieren, dass es auf viele Fragen keine Antworten gibt; aber noch wichtiger ist es, die Fragen überhaupt erst mal zu stellen.
Heute weiß ich vor allem eins: Man muss sich Leute suchen, mit denen man über ernste Probleme in seinem Leben sprechen kann. Ich finde es wichtig, dass man Support und Verständnis findet. Gerade, weil es so schwierig ist, das Ganze an Außenstehende zu vermitteln.
Was ich ebenfalls viel früher hätte machen sollen – gerade weil es um die eigene Gesundheit geht und nicht um die Befriedigung von hedonistischen Wünschen –, ist nicht nachgeben. Mehr auf mich hören. Nicht locker lassen. Egal, wie blöd man dann dasteht. Man muss zwar leider auch akzeptieren, dass es auf viele Fragen keine Antworten gibt; aber noch wichtiger ist es, die Fragen überhaupt erst mal zu stellen.
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