Wie Falafel und vegetarisches Schawarma Juden und Muslime an einen Tisch bringen

„Falafel haben all das hier mit aufgebaut.”

Der Besitzer von Falafel St. Jacques in Montreal, Ronan Baruch, kommt ursprünglich aus Israel, genauso wie der Manager Saleh Seh. Baruch ist Jude, Seh Muslim. Ziemlich verwunderlich, haben manche doch andere, zuweilen falsche, Vorstellungen von Israel. Doch das ist den beiden egal.

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Ronen Baruch und Saleh Seh. Fotos von Farah Khan

„Wir sind ein Beispiel dafür, wie es wirklich in Israel zugeht”, meint Ronan Baruch. „Nicht das Bild von Israel aus den Nachrichten, sondern der wahre Alltag in Israel. Saleh war bei meiner Hochzeit und mit seiner Familie bei der Bar Mitzwa meines Sohnes. So etwas gibt es in Israel. Also ist unser Laden auch nicht irgendwie sonderbar.”

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„Bei uns zählen Frische, Freundlichkeit und Sauberkeit”, meint Saleh. „Unsere Kunden sind Juden, Araber, Chinesen, Japaner und so weiter. Sie essen, lachen und haben Spaß. Die Politik im Nahen Osten ist absoluter Quatsch. Wir reden nicht über Politik, das verursacht nur Probleme. Wir sind in Kanada, wer Probleme will, soll wieder gehen.”

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Für die beiden gibt es so oder so andere Sorgen als den geopolitischen Konflikt. Sie müssen hungrige Mäuler stopfen – und zwar viele. Seit der Eröffnung vor über einem Jahr strömen immer mehr Leute aus ganz Montreal wegen der vegetarischen Gerichte, vor allem aber wegen der guten Stimmung ins Falafel St. Jacques. In der Stadt gibt es genug billige Falafel-Buden, aber nur wenigen Besitzern ist die Qualität der Produkte so wichtig wie Baruch und Seh.

„Falafel sind Street Food”, erklärt Baruch. „Ganz einfach, nichts Schickes. Für uns geht es vor allem um Frische und Qualität. Die Falafel machen wir frisch, genauso wie das Pita und den Hummus. Keine Konservierungsstoffe. Sogar die Tahina machen wir hier.”

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Die Karte ist ziemlich lang, Fleisch findet man dort aber trotzdem nicht. Für das Team im Falafel St. Jacques geht es dabei weniger um einen Food Trend als vielmehr um Einfachheit.Ihr fleischfreies Schawarma, Schisch Taouk und „Chicken Wings” haben eine Textur, die der von Fleisch unheimlich ähnelt. Doch wie macht man solche Klassiker des Nahen Ostens nur ohne Fleisch? Nein, nicht mit Soja oder Seitan, sondern mit Pilzen.

„Wir arbeiten mit Shiitake-Pilzen”, erklärt Baruch. „Die Textur ist fast wie die von Fleisch, den Rest machen wir mit Gewürzen.”

Welche alchimistischen Wunder auch immer in der Küche des Falafel St. Jacques von statten gehen: Am Ende merke ich fast keinen Unterschied zum Hühnerfleisch.

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Vegetarisches Schawarma
_h9d8255 General Tso-„Hühnchen” mit Shiitake-Pilzen

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Chicken Wings ohne Fleisch oder Knochen

„Am Anfang wollten wir Falafel machen, nur noch besser. Je mehr Leute kamen, desto mehr haben wir bemerkt, dass die Nachfrage nach vegetarischem Essen groß ist. Also haben wir mit vegetarischem Schawarma, Schisch Taouk und Chicken Wings experimentiert. Eine großartige Sache! Wir haben viele Gäste, die absolute Fleischliebhaber sind, aber auch Vegetarier und Veganer.”

„Bei uns gibt es nur gesundes Zeug”, meint Saleh. „Es ist wie eine Apotheke.”

Das Falafel St. Jacques liegt nicht gerade in einem Viertel, wo man unkonventionelles Essen erwarten würde. Das Ville St. Pierre ist eher ein Arbeiterviertel mit Fabriken und Industriegebieten. Gegenüber des Restaurants in der Rue de Saint-Jacques (daher auch der Name) ist eine Autowaschanlage und die Autobahn – Gentrifizierung und Hipster sind hier weit weg.

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Und hier herrscht eine unglaubliche Sprachenvielfalt: Immer wieder danken einige Gäste während unseres Interviews Baruch und das in zig Sprachen. Doch solche kulturellen und sprachlichen Grenzen zu überwinden ist nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint.

„Bei uns gibt es Gerichte aus den verschiedensten Kulturen”, meint Baruch. „Die Politik soll außen vor bleiben, die Gäste sollen einfach ihre Falafel genießen, das war’s. In unserem Restaurants sitzen arabische Gäste neben jüdischen, das sieht man sonst nicht so oft. Hier spricht man französisch, englisch, arabisch und hebräisch. Hier wird jeder integriert.”

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Saleh ist die Geheimwaffe des Falafel St. Jacques: Er arbeitet jeden Tag, begrüßt jeden neuen Kunden mit einem breiten, freundlichen Lächeln und hat immer noch ein paar Witze parat, während er perfekte Falafel formt.

„Seit 12 Jahren arbeiten wir zusammen. Früher hat er mein Pita-Geschäft übernommen und schmeißt jetzt hier die ganze Küche, einfach alles. Er hat diese arabische Gastfreundlichkeit. In israelischen Restaurants wird man oft von Arabern bedient, sie sind für ihre Gastfreundlichkeit bekannt. Noch bevor du dich hinsetzen kannst, bedienen sie dich schon, immer einen Schritt voraus.”

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Im Nahen Osten ist alles politisch, sogar das Essen. Ich frage mich, ob ich die beiden zu einer freundschaftlichen Diskussion anstacheln kann, und frage sie, wer die Falafel erfunden hat. Offensichtlich eine ziemlich dumme Frage, aber vielleicht erfahre ich so, wie man ihren Kulturen zum Essen steht.

„Es wird heftig diskutiert, wer die Falafel erfunden hat”, meint Baruch. „Die Ägypter beanspruchen es als ,ihr Essen’, die Libanesen auch. Für die Israelis ist es ihr Nationalgericht und Jordanier werden dir dasselbe sagen. Auf diese Diskussion will man sich gar nicht erst einlassen. Eines ist sicher: In all diesen Ländern wird nichts mehr gegessen als Falafel.”

Saleh meint ganz kurz und knapp: „Das ist einfach gutes Essen. Wen interessiert da, wer’s erfunden hat?”