„Lesbische Vampire!”, kreischt Tori Spelling in einem Promovideo für das Remake des Kultfilms Mother, May I Sleep with Danger?, „Ich war total schockiert!” Während sich Spellings Heldin im Original in eine Liebesbeziehung mit einem verschrobenen Stalker stürzt, spielt Spelling dieses Mal die Mutter einer College-Studentin, die sich in eine lesbische Blutsaugerin verliebt. Neu aufgelegt wurde die Geschichte, pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum, vom omnipräsenten James Franco.
Francos Entscheidung, die Geschichte aus ihrem heteronormativen Kontext zu heben und in eine lesbische Vampirgeschichte zu verwandeln, wirkt relativ naheliegend, wenn man bedenkt, dass Franco nicht nur ein Faible für eine etwas trashige Bildsprache, sondern auch eine enge Beziehung zur queeren Kultur hat. Doch er ist nicht der einzige Filmemacher, der die Tradition lesbischer Vampirfilme—dem Klassiker unter den B-Movies der 70er-Jahre—fortführt. Von Teenie-Horrorfilmen wie dem 2011 erschienen Die Sehnsucht der Falter bis hin zu Vampyres aus dem Jahr 2014, einem spanischsprachigen Remake des gleichnamigen Sexploitationfilms von 1974: Filme über lesbische Vampire leben auch im 21. Jahrhundert weiter.
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Wie weibliche und queere Sexualität im Mainstream stattfindet, hat sich über die letzten vier Jahrzehnte extrem verbessert. Filme wie Blau ist eine warme Farbe oder Carol sind nur einige der aktuellsten Beispiele, die zeigen, dass lesbische Liebesgeschichten nicht mehr hinter Übernatürlichem versteckt werden müssen, um der Zensur zu entkommen. Aber welchen Zweck erfüllt der lesbische Vampir dann heute noch? Und warum wirkt unsere Vorliebe für dieses Urbild so unsterblich wie die Kreaturen selbst?
Lesbische Filmvampire gehen zurück bis zum goldenen Zeitalter von Hollywood. Das heutzutage größtenteils verschollene Werk von Theda Baras aus der Stummfilmzeit verhalf weiblichen Vampiren bereits sehr früh zu Beliebtheit. Doch ihren ersten (und überaus chiffrierten) Auftritt auf der großen Leinwand hatten lesbische Vampire erst in dem 1936 erschienen Film Draculas Tochter—einer Fortsetzung des Kultfilms Dracula von Universal aus dem Jahr 1931. Obwohl dieser Meilenstein der Filmgeschichte namentlich auf einer Kurzgeschichte von Bram Stoker basiert, wurden die meisten anderen lesbischen Vampirfilme durch Sheridan Le Fanus 1872 erschienene Gothic-Novelle Carmilla und die viel mythologisierte Biografie der blutrünstigen ungarischen Gräfin Elizabeth Báthory aus dem 16. Jahrhundert inspiriert.
In den 1970er-Jahren führte die sexuelle Revolution, die zweite Welle des Feminismus sowie die Lesben- und Schwulenbewegung zu einer regelrechten Explosion an Low-Budget-Filmen, in denen lesbische Vampire anzutreffen waren. „Die frühen 70er-Jahre waren die Stunde der Lesben”, erklärt Andrea Weiss, eine Dokumentarfilmerin, Schriftstellerin und Autorin von Vampires and Violets: Frauenliebe und Kino. „All die lesbischen Aktivistengruppen, all die Frauen, die sich geoutet haben—sogar heterosexuelle Frauen gingen durch eine lesbische Phase, einfach, weil man das eben so machte.”
Die trivialen Erotika des britischen Horrorfilmhauses Hammer-Filme und die bizarren Softcore-Streifen der europäischen Regisseure Jesús Franco und Jean Rollin waren hingegen weniger ein Ausdruck der neuen lesbischen Emanzipation, sondern vielmehr Teil eines männlichen Trotzanfalls als Reaktion auf die damaligen Entwicklungen. „Während [die Darstellung von lesbischer Liebe im Film] zugleich auch ein Antörner für Männer war, kamen dadurch vor allem Ängste im Hinblick auf die Entwicklungen der frühen Frauenrechtsbewegung zum Ausdruck”, sagt Weiss. Die queeren weiblichen Vampire dieser Zeit haben oftmals auch Männern das Blut ausgesaugt und sahen aus wie die klassischen Horror-Pinups—von den Brüsten über die Lippen bis hin zu den Haaren. Zudem wurden sie in den Filmen oft als gesellschaftliche Bedrohung dargestellt, die nur ein männlicher Held besiegen konnte. Gruft der Vampire, eine Carmilla-Adaption von Hammer-Filme aus dem Jahr 1970, ist das beste Beispiel für dieses Muster: Ingrid Pitts osteuropäische Blutsaugerin verführt junge unschuldige Mädchen, um ihnen dann ganz langsam das Leben auszusaugen, bis schließlich eine Gruppe Männer kommt, ihr mit vereinten Kräften den Kopf abschneidet und dadurch die patriarchale Ordnung wiederherstellt.
Doch nicht alle Filme sind so platt. Justine Smith schreibt für die Seite Vague Visageseine Kolumne über Liebe und Erotik im Film und nennt den Film Blut an den Lippen (1971) von dem belgischen Regisseur Harry Kümel eine „nahezu positive Darstellung einer lesbischen Liebesgeschichte, deren bildlicher Ausdruck jedoch noch immer an stereotype lesbische Fiktion erinnert”—mit „älteren Lesben, die eine Bedrohung darstellen und lesbischen Liebesgeschichten, die dem Untergang geweiht sind.” Laut Smith konzentrieren sich Geschichten wie diese darauf, „uns in den ‚exotischen’ Reiz der lesbischen Liebe einzuweihen, um am Ende doch zurück zu rudern und den Status quo heteronormativer Fiktion wiederherzustellen.”
Als der erste Schreck in Bezug auf die Frauenrechtsbewegung nachließ, nahm auch die Besessenheit der Regisseure (und des Publikums) mit lesbischen Vampiren ab. Die Filme, die trotz allem im Laufe der 80er und 90er gedreht wurden, waren oftmals sehr viel wohlwollender—und auch einfach besser—als die, die es vorher gab. Leah Deyneka, die Mitherausgeberin des Buches Dracula’s Daughters: The Female Vampire on Film, zitiert in diesem Zusammenhang den 1994 erschienen Film Nadja und Begierde aus dem Jahr 1983. Diese beiden Filme stellen in ihren Augen die größten künstlerischen Erfolge dieses Genres dar. In Begierde spielt Catherine Deneuve eine Unsterbliche, die sich von ihrem plötzlich alternden, 200-jährigen Liebhaber (David Bowie) abwendet und in eine junge Ärztin (Susan Sarandon) verliebt. Obwohl Vampire immer ein Sinnbild für das exotische „Andersartige” sind, findet Deyneka, dass „in Filmen wie Begierde, das ‚Andere’ äußerst attraktiv ist. Ich sehe darin nichts abstoßendes oder perverses.”
Jon Abrams, Chefredakteur der Horror- und Kultfilmseite Daily Grindhouse, sieht die feministische Färbung im Cast von Begierde. „In anderen Filmen hätte David Bowie vielleicht Graf Dracula gespielt”, sagt er. „Hier ist dagegen Catherine Deneuve die Hauptfigur, während die Bedeutung von Bowies Rolle durch Susan Sarandons Figur allmählich verdrängt wird. Dies wird als Entwicklung im Zuge der Geschichte dargestellt, besitzt im gesellschaftspolitischen Sinne—vor dem Hintergrund der damaligen Zeit—jedoch seine ganz eigene Spannung.”
Die meisten Horrorfilme stellen die weibliche Begierde noch immer als etwas monströses dar.
Zu der Zeit, als Deneuve und Sarandon in Begierde eine regelkonforme Sexszene hinlegten, fingen queere Frauen an, den gleichgeschlechtlichen Schund der 70er-Jahre als geschmacklos zu betrachten. Weiss erinnert sich daran, wie sie in den 80ern Vorlesungen über das Bild lesbischer Vampire hielt und das lesbische Publikum angesichts der gezeigten Filmausschnitte „in schallendes Gelächter ausbrach”. Die Aktivistinnen des vorherigen Jahrzehnts waren dagegen „sehr jung, ernst und wütend. Es gab nicht die Möglichkeit, über solche Bilder zu lachen—im Gegensatz zu heute”, sagt sie. „Das hat ein wenig gedauert.”
Obwohl ihr pseudopornografischer Anklang noch immer unbestreitbar ist, spricht die Tatsache, dass wir noch immer Filme über lesbische Vampire anschauen und drehen, dafür, dass sich die Filme ihre eigene stereotype Wahrnehmung zu eigen gemacht haben. Das wiederum spricht sowohl für unser gewachsenes Bewusstsein gegenüber Klischees, als auch für unsere Fähigkeit, uns die Aspekte der Filme raus zu picken, die tatsächlich emanzipiert sind. Dieses Gefühl der Emanzipation lässt sich auch auf das Vampirgenre an sich übertragen. „Der Vampir kann seine Opfer in neue Vampire verwandeln”, sagt Abrams. „Ein Vampir muss eine Person nicht zwangsläufig vernichten—im Gegensatz zu Zombies, die eine Person zu dem machen, was sie selbst sind. Sie zerstören. Nach einem Zombieangriff bleibt nichts mehr übrig. Nach einem Vampirangriff hingegen entsteht etwas neues. Der neue Vampir fühlt sich befreit—auch wenn die Menschen, die zurückbleiben, die Verwandlung mit Schrecken beobachten.”
Sogar lesbische Vampirfilme, die als Wichsvorlage gedacht sind, können einen autonomen und selbstbestimmten Subtext haben. Die Filmkritikerin Alexandra Heller-Nicholas ist Mitherausgeberin der Zeitschrift Senses of Cinema und hat vier Bücher über Gender, Gewalt und Horrorfilme geschrieben. Sie ist der Meinung: „Die Annahme, dass das bleibende Erbe von lesbischen Vampiren aus heterosexuellen Kerlen besteht, die im traditionell voyeuristischen Sinne ihren Spaß haben, kollidiert mit der Realität dessen, was die lesbischen Beziehung in diesen Filmen antreibt. Es geht um die Macht dieser Frauen, genau wie um Sex. Wenn wir unsere heteronormativen Ansichten beiseite lassen—unabhängig davon wie spärlich bekleidet oder vollbusig die Frauen sind—, lautet die Aussage dieser Filme im Grunde, dass das Patriarchat eine Norm ist, die abgelehnt werden kann.”
Kulturjournalistin, Horrorfilmliebhaberin und Herausgeberin bei Flavorwire, Alison Nastasi, führt die anhaltende Macht lesbischer Vampire auf den Umbruch von Geschlechterrollen und nicht auf Heterosexualität zurück. „Vampire sind autonom und werden generell als Einzelgänger dargestellt”, sagt sie. „Diese Furchtlosigkeit und Selbstsüchtigkeit wirkt äußerst anziehend—besonders für Frauen, denen oftmals die Rolle der selbstlosen Ernährerin oder eine untergeordnete Position zugeschrieben wird.” Nastasi gibt zu, dass viele der Geschichten einen frauenfeindlichen Verlauf nehmen, da die Frauen letztendlich für ihren egoistischen Appetit bestraft werden. „Aber ich bin trotz allem der festen Überzeugung, dass lesbische Vampire vor allem ein Symbol für den unerschrockenen Ausdruck weiblicher Sexualität sind. Frauen, die sich einfach um nichts scheren.”
Natürlich wäre es auch möglich, dass wir auf lesbische Vampire stehen, weil sich unsere Haltung seit den 70er-Jahren eben doch nicht so richtig geändert hat. „Weibliches Verlangen und lesbisches Begierden werden nach wie vor stark stigmatisiert oder zumindest falsch dargestellt, insbesondere weil sie größtenteils aus der Perspektive von Männern betrachtet werden”, sagt Smith. „Die meisten Horrorfilme stellen die weibliche Begierde noch immer als etwas monströses dar und fallen auf Bilder und Klischees zurück, die mittlerweile schon fast hundert Jahre alt sind.”
Das würde auch erklären, warum sich die Zukunft lesbischer Vampirfilme momentan in der Schwebe befindet, während immer mehr Adaptionen des Bildes von den unterschiedlichsten Ecken der Unterhaltungsindustrie ausgestoßen werden. Diese sind meist weder rückschrittlich noch subversiv, sondern sich selbst und ihrer Wirkung erschreckend bewusst. Diese übertriebene Sensibilität hat uns stumpfe Parodien wie Lesbian Vampire Killers (2009) gebracht, oder Filme wie Sehnsucht der Falter und Eternal (2004), die sich auf ziemlich voraussehbare Referenzen stützen und im Ansatz eigentlich noch viel schlimmer sind als jede Parodie.
„Haben wir Fortschritte gemacht? Ja, ich denke, das haben wir”, sagt Smith. „Aber ich kann mich in den letzten zehn Jahren an keinen einzigen revolutionären lesbischen Vampir erinnern.”
Sie hat Recht. Und das lässt sich vermutlich auch auf ein ganz grundlegendes Problem zurückführen, unter dem die Filmindustrie im Jahr 2016 leidet: Es gibt einfach nicht genug Regisseurinnen, die in irgendeinem Genre einen subversiven Block formen könnten. (Hierzu muss angemerkt werden, dass Mary Harron, die Regisseurin von I Shot Andy Warhol und American Psycho für die Die Sehnsucht der Falter verantwortlich ist.) Weiss erinnert auch daran, dass die lesbische Filmemacherin Ulrike Ottinger plante, Tilda Swinton und Isabelle Huppert in einem Vampirfilm (basierend auf der Geschichte von Elizabeth Báthory) zu vereinen. Das Projekt schien um 2010 allerdings in die Brüche zu gehen. „Das wäre eine großartige Wende für all die lesbischen Vampirfilme, die es vorher gab”, sagt Weiss.
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Wenn es einen Ort gibt, an dem man tatsächlich auf sexuell progressive Vampirgeschichten stößt, dann ist das auf der kleinen Leinwand. Pam (Kristin Bauer van Straten), der Liebling der True Blood-Fangemeinde, ist eine pansexuelle Blutsaugerin, die es schafft, trotz aller zelebrierten Grausamkeit liebenswert zu bleiben. Deyneka merkt an, dass übernatürliche Teenie-Sendungen wie Buffy, The Vampire Diaries und The Originals „echte queere Charaktere beinhalten—sowohl Menschen, als auch Vampire—die ein positives Rollenvorbild sind.” Ebenjene Serien neigen aber auch dazu, ihre eindeutig als lesbisch identifizierbaren Charaktere sterben zu lassen.
James Franco selbst sagte bei der Premiere von Mother, May I Sleep With Danger? übrigens: „Ich dachte, Vampire wären eine großartige Leinwand, eine Metapher beziehungsweise ein Filter, durch den man die verschiedenen Themen rund um das Erwachsenwerden, die eigene Identität und all diese Dinge ansprechen könnte.” Es darf zwar angezweifelt werden, ob er der Schöpfer der nächsten wirklich subversiven lesbischen Vampirgeschichte werden wird—dennoch werden sich sicherlich viele Leute den Film anschauen und Franco dabei zusehen, wie er es versucht.