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Wir haben die Macher von “How to Sell Drugs Online (Fast)” gefragt, wie man eine gute Serie schreibt

Stefan Titze und Philipp Käsbohrer, die Macher von "How to sell drugs online (fast)" über den Fall Shiny Flakes sitzen am Set der Serie. Uns haben sie erklärt, wie man eine gute Serie schreibt

Wer nicht gerade in völliger Isolation in einem burgenländischen Dorf lebt, in dem man sich auf der Straße noch mit “Grüß Gott” begrüßt, hat vermutlich mitbekommen, dass die zweite Staffel der deutschen Serie How to Sell Drugs Online (Fast) seit dem 21. Juli auf Netflix zu sehen ist.

Bei How to Sell Drugs Online (Fast) geht es um einen Teenager, der Drogen im Internet verkauft, um seine Ex-Freundin zurückzuerobern. Die Serie ist inspiriert von einer wahren Geschichte, der Geschichte von “Shiny Flakes”.

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Die Serie ist mittlerweile eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Serien überhaupt. Wir haben Stefan Titze und Philipp Käßbohrer gefragt, was es dafür braucht. Stefan Titze war Autor bei Jan Böhmermanns Late Night Show Neo Magazine Royale und hat das Drehbuch zu How to Sell Drugs Online (Fast) mitentwickelt und geschrieben. Philipp Käßbohrer ist Gründer der Produktionsfirma bildundtonfabrik und ist Showrunner der Serie.


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VICE: Wie ist die Idee zu How to Sell Drugs Online (Fast) entstanden
Philipp Käßbohrer: Die Bücher sind in einem Writers’ Room entstanden. Das ist tatsächlich ein Raum, in dem Brainstormings mit mehreren Autorinnen und Autoren stattfinden. Dort kommen Leute mit unterschiedlichen Meinungen zusammen, und im Idealfall gibt es keine hierarchischen Strukturen. Jeder wirft Ideen in den Raum, und die anderen sagen: “Das und das halte ich aus folgenden Gründen für keine gute Idee.” In diesem Diskurs entstehen Ergebnisse, die man sammelt und sortiert.
Stefan: Ganz unabhängig, von wem die Ideen stammen. Es gibt kein Ownership im Writers’ Room. Es gibt nur sehr viel Streit [lacht].

Was braucht es unbedingt, wenn man an einer Serie mitschreibt?
Philipp: Eine sehr wichtige Fähigkeit ist, dass man gut vergessen kann, wer welchen Vorschlag gemacht hat. Ich denke am nächsten Tag einfach immer: “Ach, das war eh alles meine Idee.” Das ist am einfachsten. Ein weiterer Vorteil ist, dass man bei der Arbeit im Writers’ Room nicht einen sehr guten Autoren oder eine sehr gute Autorin braucht, sondern viele mittelmäßige.
Stefan: Da komme ich ins Spiel.
Philipp: Man muss akzeptieren können, dass Ideen in der Gruppe besser werden, als wenn man sie alleine mit einer Flasche Rotwein und Seidenschal in der Toskana entwickelt. Das ist natürlich Geschmackssache, aber im Writers’ Room muss man daran glauben. Und es braucht Diversity. Drei weiße Jungs, die die selben Schniedelwitze lustig finden, sind eigentlich noch kein Writers ‘ Room. Da braucht es schon unterschiedliche Perspektiven.

Wie habt ihr zu diesem Thema recherchiert? Einfach selbst Drogen gekauft?
Stefan: Wir haben durchaus auch mit Dealern gesprochen und auch selbst im Darknet bestellt, um zu gucken, wie das Ganze funktioniert. Was tatsächlich auch sehr interessant und erschreckend einfach war.

Welche Drogen hast du bestellt?
Stefan: Ganz oldschool: Gras. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, etwas Illegales zu tun. Die Seiten sehen fantastisch aus. Es ist ja nicht so, als wäre das Darknet wirklich dunkel, und vor einem erscheint die Matrix oder sowas. Das sind schicke Seiten mit Fünf-Sterne-Bewertungen und superschnellem Amazon-Prime-artigem Shipping.
Philipp: Wir warten bis heute darauf, dass Stefan festgenommen wird. Wir haben ohnehin alles auf dezentrales Arbeiten umgestellt. Solange er Zugang zur Cloud hat, kann er auch aus dem Gefängnis weiterarbeiten [lacht].
Stefan: Ich wurde von den Dealern dafür fertig gemacht, dass ich meinen Namen am Klingelschild nicht ausgetauscht habe. Ich hätte eigentlich auf einen anderen Namen bestellen sollen, aber das haben sie mir erst nachher gesagt. Wer soll denn darauf kommen? Klingelschild tauschen. Das ist doch illegal!

Wie läuft der Schreibprozess ab, wenn man an einer Serie arbeitet?
Stefan: Man arbeitet vom Groben ins Detail. Man brainstormt und fragt sich erstmal: Was haben wir uns für diese Staffel, in unserem Fall die zweite, vorgenommen? Welche Themenkomplexe haben wir noch nicht beleuchtet? Wie entwickeln sich die Charaktere? Grundsätzlich wollten wir komplexer in die Figuren einsteigen. Wir haben auch uns gefragt, ob es neue Figuren gibt, die die alten challengen. Das schreibt man dann alles auf Kärtchen und hängt es an die Wand.
Philipp: Daraus entsteht ein sogenanntes Treatment. Das ist der Ablauf der Szenen, ohne Dialoge. Die Treatments werden dann unter den Autoren und Autorinnen verteilt, die daraus eine erste Fassung des Buchs schreiben.

Habt ihr Jugendliche in den Schreibprozess involviert?
Stefan: Ich bin der Quoten-Jugendliche.
Philipp: As close as it gets.
Stefan: Ich bin nur dabei, weil ich so jung bin und weil ich am ehesten verstehe, wie Jugendliche reden, yo.

Aber auf Tiktok bist du nicht?
Stefan: Keine Ahnung, was Tiktok ist. Noch nie gehört. Sind das nicht diese kleinen Mint-Bonbons? Das ist ja das Spannende an unserer Serie: Selbst ich mit meinen 25 Jährchen bin wahnsinnig weit weg von der Lebensrealität von 17-Jährigen. Das ist mir auch bei der Recherche aufgefallen. Ich habe mich immer wie der peinliche, alte Onkel gefühlt, der der jungen Generation hinterherläuft, um cool zu bleiben.

Ich habe meine Cousine, die jetzt gerade Abi gemacht hat, immer mal wieder angerufen und gefragt, worüber sie so kommuniziert. Und sie war dann auch immer so: “Urgh, Stefan!”

Natürlich wollen wir eine zeitgemäße Serie machen, an der auch Jugendliche Spaß haben und die authentisch ist. Gemessen am Feedback, das wir zur zweiten Staffel bekommen haben, ist uns das ganz gut gelungen.

Sagen wir, jemand möchte eine Serie über Schwarze Menschen in Wien schreiben. Kann diese Serie überhaupt authentisch sein, wenn nicht überwiegend Schwarze Personen daran mitschreiben?
Philipp: Das ist tatsächlich schwierig. Es gab in der Filmgeschichte zum Beispiel tolle Filme mit extrem starken Frauenfiguren, die von einem Haufen weißer Männer gemacht wurden. Weil Filme jahrzehntelang ausschließlich von einem Haufen weißer Männer gemacht wurden. Wir haben da inzwischen eine andere Verantwortung: Wir brauchen mehr Diversität hinter der Kamera – vor der Kamera sowieso. Ich würde mir ungern eine Serie über BIPoCs in Wien anschauen, die ausschließlich von einem Haufen weißer Männer gemacht wurde.
Stefan: Wenn der Writers’ Room divers ist, ist es ja dann in der Verlängerung auch egal, wer welche Zeilen schreibt. Da sollten dann auch nicht die Frauen Frauenfiguren schreiben und die Männer Männerfiguren. Es ist gut, wenn in jeder Figur Pluralismen entstehen und da vieles mit reinfließt. Aber dafür muss Diversität gegeben sein.

Welche Verantwortung hat man als Autor, wenn man an einer Serie mitschreibt?
Philipp: Gar keine.
Stefan: Stimmt, man schreibt und schreibt und wirft damit eine Art Granate. Dann versucht man, schnell wegzulaufen. Und um die Explosion können sich dann andere kümmern.

Welche Verantwortung hat eine Serie, außer zu unterhalten?
Philipp: Wir wollen keine Sachen machen, die irrelevant sind, und wir wollen keine Sachen machen, die nicht unterhaltsam sind. Wir wollen dem Publikum etwas zum Nachdenken geben, etwas, das sie beschäftigt und das Fragen hinterlässt. Die pure Tatsache, dass ein Jugendlicher Drogen im Internet verkauft, hat uns nicht gereicht, um eine Geschichte zu erzählen.

Wir haben dann erkannt, dass es sich hier um ein gesellschaftliches Phänomen handelt: Für uns war es als Jugendliche schon hart genug herauszufinden, wer wir überhaupt sind. Heute muss sich ein Jugendlicher gleich in zwei Welten entscheiden. Man kann sich mit einem Avatar Sehnsüchte erfüllen, die man sich im Real Life nicht erfüllen kann. Das ist keine Sache, die nur diese eine Serienfigur betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft.

Könnt ihr einen Namen leaken: Wer schreibt den nächsten Serienhit?
Stefan: Wir wollen keine Namen nennen.
Philipp: Aber wir hoffen, es ist eine Frau.

Was glaubt ihr, werden in Zukunft noch jüngere Autorinnen und Autoren die Netflix-Hits schreiben?
Philipp: Leider ja. Die stehen schon hinter uns, das ist wie bei Lucky Luke. Irgendwer zimmert schon an unserem Sarg. Die Kids können heute mit zwölf komplette Filme drehen, ich hatte damals mit 16 das erste Mal eine digitale Kamera in der Hand. Kein faires Setup, aber sollen die mal kommen.
Stefan: Lucky wer?

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