Popkultur

Wie man Filmstars besser nicht interviewt

Keine Frage, Marine Vacth, die bereits jetzt schon als die nächste Sophie Marceau gehandelt wird, ist wahnsinnig schön. 

Am Freitag habe ich mich mit ihr getroffen—in einer schicken Hotelsuite (passt gut zu ihrem neuen Film, aber dazu später mehr) im Berliner Westen, um mit ihr über den Film Jung & Schön von François Ozon zu sprechen. Ich habe es dann aber doch nicht übers Herz gebracht, sie zu fragen, ob sie nicht vielleicht doch einfach von Ozon verschaukelt wurde.

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Erstens, weil ich im Laufe des Gespräches merkte, dass sie ziemlich von der Tiefgründigkeit des Films überzeugt war, in dem sie auch wirklich gut gespielt hat. Zweitens hatte sie bereits einen anderthalbtägigen Interview-Marathon hinter sich, währenddessen sie kein einziges Mal das Hotel verlassen hatte. Und drittens sah sie einfach umwerfend aus. Fast während des ganzen Gesprächs hatte sie ihre brillantgrünen Augen direkt auf mich gerichtet, und ich konnte mich nicht dazu durchringen, irgendetwas zu sagen, das sie womöglich böse auf mich gemacht hätte.

Aber von vorne: Als Marine 15 Jahre alt war, wurde sie in einem Pariser Laden von einer Model-Agentin entdeckt, und seitdem dreht sich eine Menge in ihrem Leben um ihre Schönheit. Nach einer kurzen, aber extrem erfolgreichen Modelkarriere konnte das Mädchen aus dem etwas drögen Pariser Vorort Maisons-Alfort sich sehr bald Verträge mit Yves Saint Laurent und Chloé sichern, die es ihr ermöglicht haben, sich ihre Zeit selber einzuteilen. Gleichzeitig hat sie angefangen, kleine Rollen in französischen Filmen zu spielen, bis sie schließlich für die Hauptrolle in François Ozons Jung & Schön gecastet wurde.


Jung & Schön

Der Film handelt von der 17-jährigen Isabelle aus behüteten Pariser Verhältnissen, die ohne erkennbaren Grund anfängt, mit viel älteren Männern für Geld zu schlafen. Als es rauskommt, kriegt sie natürlich Ärger mit ihrer Familie, und dann ist der Film irgendwann zu Ende. 

Weil Marine sie spielt, ist Isabelle natürlich umwerfend schön, ihre Freier sehen auch alle überdurchschnittlich gepflegt aus, und sie verabredet sich grundsätzlich nur in luxuriösen Hotelsuiten und der Sex ist typischer, schöner Filmsex—man kann den Film also kaum als ernsthafte Milieustudie der Prostitution in der französischen Hauptstadt bezeichnen. 

Stattdessen scheint es in Jung & Schön eher darum zu gehen, Isabelles eigenartige Nebenbeschäftigung als eine Art Auflehnung gegen ihre (vollkommen harmlose) Familie darzustellen. Tatsächlich bleibt die Motivation Isabelles, die von Marine auf traumhaft undurchsichtige Weise gespielt wird, ziemlich unklar.

Man kann natürlich behaupten, dass es gerade das Geheimnisvolle, das sich der einfachen Interpretation Verweigernde dieses Films ist, das ihn so bezaubernd/verstörend/kontrovers macht. Oder man kann behaupten, dass Ozon einfach gerne mal ein richtig schönes Mädchen beim halbnackten Herumturnen auf Hotelbetten zeigen wollte, um dann auch noch die Botschaft anzubringen, dass Frauen sich heimlich doch ganz gerne prostituieren, wenn sie nur den Mut dazu aufbringen können. Für die zweite Interpretation sprechen die Äußerungen Ozons selber, dass es zur Fantasievorstellung vieler Frauen gehört, sich zu prostituieren. Als die Interviewerin protestierte, meinte er nur, er müsse es wissen, schließlich sei er Franzose. 

Da ich aber nicht die gleichen Fragen stellen wollte, die ich schon in den französischen Interviews gelesen hatte, redeten wir die meiste Zeit eigentlich gar nicht über den Film. Die Betreuerin vom deutsches Filmverleih hatte mich bereits gewarnt, dass sie eine für eine 22-Jährige ganz ungewöhnliche Ernsthaftigkeit besäße (und sich nur auf Französisch interviewen lassen wollte). 

Und wirklich hörte sie mir bei jeder Frage konzentriert zu, überlegte kurz, und antwortete dann so gewissenhaft, wie sie konnte. Als wir zum Beispiel über Studentinnen in Paris sprachen, die sich aus Geldmangel prostituieren, wies sie mich fast entschuldigend darauf hin, dass sie keine Recherche zu dem Thema betrieben habe und mir deshalb keine genauen Zahlen liefern könne. 

Noch ernster wurde sie auf die Frage, ob ihre frühe Entdeckung als Model das Verhältnis zu ihren Schulfreunden etc. gestört habe. Nach einigen etwas unzusammenhängenden philosophischen Betrachtungen über das „Verlangen mancher, die Abwesenheit von Verlangen bei anderen“ schloss sie mit: „Ich habe sehr wenige Freunde, voilà. Und ich habe keine von damals behalten.“

Dementsprechend geht sie auch nicht wirklich aus („Geselligkeit ist nicht mein Ding“). Stattdessen reist sie gerne oder bleibt ganz zu Hause, wo sie liest, zeichnet, Möbel schreinert, Kleider entwirft, ihre Katze (Alphonse) oder die Natur anschaut. Sie würde auch gerne mal mit dem Auto durch Deutschland fahren, weil „man im Auto ein anderes Zeitgefühl bekommt.“ Ihr Lieblingsbuch im Moment ist von James Frey und heißt Das letzte Testament der Heiligen Schrift, das von einem im Amerika unserer Tage auftauchenden Messias handelt.

Wir redeten aber auch über ziemlich banale Dinge wie die Unterschiede zwischen asiatischen und europäischen Airlines (die asiatischen sind viel besser, beim Komfort und beim Service) oder über das neue Auto, das sie jetzt mit ihrem Freund kaufen will (Audi A6 Kombi, RS6 ist ihr zu extrem), aber sie sprach auch sehr gerne über ernstere Themen: die Euro-Krise (die Löhne in Frankreich sind zu hoch, oder die in Deutschland zu niedrig, je nachdem), oder das Leid von Zootieren (Zoos dienen aber auch dem Arterhalt, da man muss abwägen, sagt sie). Zweimal wurden wir von Ozon unterbrochen, der im Nachbarraum interviewt wurde und seinen Kopf grinsend durch die Schiebetür steckte.


Foto via

Eigentlich gab es überhaupt nur einen Tiefpunkt, nämlich als ich ihr erzählte, dass alle meine Freunde sie auf den Fotos so wahnsinnig heiß gefunden hätten, und wie sie damit umgehe, ein derartiges Objekt der Begierde für viele zu sein. Das schien ihr gar nicht zu gefallen, jedenfalls richtete sie ihre Scheinwerfer zum ersten Mal aus dem Fenster statt auf mich und fing an, immer abstrakter und inkohärenter zu werden, bis sie völlig verstummte, so dass ich schnell das Thema wechselte. 

Am Ende hatte sie mir wohl verziehen, zumindest konnte ich sie überreden, das Hotel zu verlassen und mit mir eine auf dem Ku’damm rauchen zu gehen (Ich wusste zwar nicht, ob sie raucht, aber hey, Models rauchen doch alle—und ich hatte Glück, sie auch).

Zwar hatte sie nur noch eine Viertelstunde, bevor ihr Flug zurück nach Paris ging, aber immerhin war sie einmal aus dem Hotel rausgekommen. Hier haben wir uns weiter unterhalten, über Istanbul (wo ich mehrere Monate gelebt habe), Berlin, den depressiven Knut, dass man am Anfang einer Künstlerkarriere auch viel langweiligen Mist machen muss (ihr Freund ist nämlich Fotograf), und über den Medienrummel, der jetzt noch auf sie zukommt. Im Allgemeinen interessiert es sie anscheinend nicht mehr besonders, was über sie geschrieben wird.

Auf die Frage, ob sie Angst davor hat, vielleicht the next big Frenchie zu werden, meinte sie, dass sie das nicht interessiere, manchmal wird eben mehr Rummel gemacht, manchmal weniger. Es schien ihr tatsächlich ziemlich egal zu sein. Ich hatte fast den Eindruck, dass sie sich lieber wieder über die Euro-Krise unterhalten hätte. Marine Vacth wird die Kinogänger mit ihren umwerfenden Augen und ihrer fast schon mechanischen Melancholie bestimmt noch oft in ihren Bann ziehen. Bleibt nur zu hoffen, dass es das nächste Mal auch ohne Ozon klappt.

Fotos von Aljoscha Redenius

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